Nachrichten rund um die Rechtschreibreform
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30.05.2005
High Noon
Die Kunst der Terminplanung
Die KMK wird am kommenden Freitag um 12 Uhr ihre Beschlüsse zur Rechtschreibung bekanntgeben.
Auf diesen Termin ist eine Pressekonferenz angesetzt, die im Hotel Stadtschloß Quedlinburg stattfinden wird. Zur gleichen Zeit wird in Mannheim der von der KMK installierte Rat für deutsche Rechtschreibung seine 4. Sitzung gerade erst begonnen haben.
Die FDS lädt am folgenden 4. Juni zu einer Pressekonferenz um 15:30 Uhr in die Räume der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (Residenz, Max-Joseph-Platz 3, 80539 München).
Einige der namhaftesten Kritiker der Rechtschreibreform werden die an den Vortagen gefaßten Beschlüsse des Rats für deutsche Rechtschreibung und der Kultusministerkonferenz kommentieren. Im Mittelpunkt werden die Folgen dieser Beschlüsse für die Schule und die Verlage stehen.
Es nehmen teil:
Prof. Dr. Theodor Ickler (Univ. Erlangen, Mitglied des Rats für deutsche Rechtschreibung)
Dr. h. c. Michael Klett (Verleger, Klett-Cotta und Ernst Klett Verlag, Stuttgart)
Robert Nef (Herausgeber der Schweizer Monatshefte, Leiter des Liberalen Instituts Zürich)
Dr. h. c. Reiner Kunze (Schriftsteller, Obernzell-Erlau)
StR Friedrich Denk (Deutschlehrer, Weilheim)
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Kommentare zu »High Noon« |
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Kommentar von Thomas Paulwitz, verfaßt am 05.06.2005 um 10.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#798
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Gibt es zu der Pressekonferenz, die am gestrigen Samstag stattgefunden haben soll, eine Pressemitteilung oder Agenturmeldung? Ich kann leider nichts finden. Würde gerne etwas verbreiten.
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Kommentar von Bernhard Schühly, verfaßt am 03.06.2005 um 00.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#771
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Im Prinzip wäre es ja gar nicht einmal so schlimm, im Bezug auf die s-Schreibung sich auf das 19. Jahrhundert zu berufen, würde das konsequent geschehen. Ich meine damit, daß man gleichzeitig vollständig die damalige s-Schreibung übernehmen müßte, also mit drei Zeichen.
* Rundes S für harte Aussprache, am Silben- und Wortende und zur Verdoppelung, als Fugen-s
* Langes S für weiche Aussprache, in Ligaturen (st, sp, sch, etc.)
* Eszett
Dann gäbe es nämlich Klarheit selbst bei Bildungen wie "Ausschusssitzung", "Schlussstein" u.s.w., da keine drei gleichen s-Zeichen hintereinander folgen.
Weiterer Vorteil: Da das runde S nie am Wortanfang steht, das lange aber nie am Wortende (für einzelne Silben gilt das, glaube ich, analog, Ausnahmen wären dann nur Lehnwörter aus anderen Sprachen), kann man die richtigen Stellen zur Silbentrennung dadurch auch viel leichter ausfindig machen.
So allerdings, wie es die Reformer wollen, ist das natürlich nicht Fisch und nicht Fleisch, sondern Humbug. Oder etwas vornehmer - weil auf englisch ausgedrückt - Bullshit.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 03.06.2005 um 00.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#767
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Ausgezeichnet, vielen Dank für den Hinweis.
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Kommentar von Jürgen Sterzenbach, verfaßt am 02.06.2005 um 19.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#766
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Der nachfolgende Leserbrief wurde in der aktuellen Ausgabe (Juni 2005) der Zeitschrift "journalist - Das deutsche Medienmagazin" (Chefredaktion: Ulrike Kaiser, djv) auf Seite 63/64 veröffentlicht.
Unstrittige Reformteile?
Wenn die Kultusministerkonferenz Teile der Rechtschreibreform als unstrittig bezeichnet, so unterstreicht dies einmal mehr ihre Selbstherrlichkeit und Sturheit. So wird etwa die vermeintlich moderne, ursprünglich aus dem 19.Jahrhundert stammende ss-Schreibung von zahlreichen seriösen Autoren und Verlagen abgelehnt, während andere sie nur als Alibischreibung anwenden, um ansonsten "alt“ geschriebene Texte so aussehen zu lassen, als seien sie in reformierter Schreibung verfaßt. Tatsächlich ist die "reformierte“ ss/ß-Schreibregel strittig, weil sie dazu beigetragen hat, wahrnehmungsästhetisch unbefriedigende Schriftbilder zu erzeugen und damit die Lesefreundlichkeit von Texten zu verschlechtern. Darüber hinaus ist sie fehleranfälliger als die bisherige.
Aber was macht die Kultusministerkonferenz? Sie klammert sich an dieses "Markenzeichen“ der Rechtschreibreform und läßt die Diskussion darüber im Rat für Rechtschreibung nicht zu. Vermutlich behauptet sie nur deshalb, dieser Teil sei unstrittig, weil sonst gar nichts Vorzeigbares mehr von dem glorreichen Reformprojekt übrig bliebe.
Wir brauchen nicht nur einen wirklich unabhängigen Rat für Rechtschreibung, sondern auch einen Untersuchungsausschuß, der die Machenschaften bei der Durchsetzung der von vornherein fragwürdigen und inzwischen objektiv gescheiterten Reform und die Rolle der Kultusministerkonferenz dabei aufdeckt.
Doch was bekommen wir? Den "großen Deutsch-Test“ bei RTL!
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Sterzenbach
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.06.2005 um 18.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#765
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Herr Wagner hat recht. Es gibt keinen Zeitdruck. Die Kultusminister haben zu erkennen gegeben, daß ihnen die Ergebnisse der Arbeit des Rates vollkommen gleichgültig sind. Deshalb warten sie auch gar nicht erst darauf. Gleich das erste Ergebnis, das in greifbare Nähe gerückt ist, weil die KMK das Thema GZS ganz vorn auf die Tagesordnung gesetzt hat, versprach für sie so unangenehm zu werden, daß sie schon früh erklärten, ausgerechnet dies nicht zu den ab 1.8. verbindlichen Teilen zu rechnen. Verbindlich werden nur die Teile, an deren Reparatur (und damit Rückbau) uns die vorgegebene Agenda bisher gehindert hat. Und dann, wenn die armen Schüler sich endgültig (!) an die neue Groß- und Kleinschreibung sowie die Augstschen Verrücktheiten gewöhnt haben werden, soll noch einmal ein Rat es wagen, daran zu rühren! Auf dem Rücken unserer Kinder! Nachdem die neuen, "verbindlichen" Wörterbücher... Dazu wird es bestimmt nicht mehr kommen. Der Rat ist damit praktisch schon erledigt, er kann nach Hause gehen.
Aber nicht, bevor wir dies alles der Bevölkerung bis in den letzten Winkel erklärt haben, Frau Wanka!
Und genau deshalb wäre ein Beschluß des Rates morgen sogar wünschenswert. Bloßgestellt wären die Kultusminister, nicht der Rat.
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 02.06.2005 um 16.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#764
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T. Harmsen in der Berliner Zeitung: Zehetmair weiß, dass dem Rat die Zeit davonläuft. Kommt am Freitag kein Kompromiss zustande, steht die Arbeit des Rates ganz in Frage.
Das habe ich auch schon anderswo gelesen, aber nie verstanden: Wenn, wie geplant, nur die als unstrittig deklarierten Teile der Reform zum 1. 8. ’05 in Kraft treten, steht doch die Arbeit des Rates nicht in Frage – eben weil noch beraten werden muß, tritt die Reform nur teilweise in Kraft.
Warum wird hier ein Zeitdruck propagiert, der gar nicht vorhanden ist? Wer soll damit eingeschüchtert werden? „Lieber einen schlechten Kompromiß als gar kein Ergebnis“ – wem nützt das?
Statt dessen sollte die Presse lieber aufklärend arbeiten und hinterfragen, wie es um die Unstrittigkeit der inkrafttretensollenden Teile der Reform wirklich bestellt ist.
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 02.06.2005 um 16.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#763
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Nur oberflächlich betrachtet ist, "was die Eltern dazu sagen" oder "der Opa meint", dasjenige, was die künftigen Opfer der Reformschreibung in innere Konflikte stürzen könnte. Das eigentliche Skandalon liegt darin, daß die Schüler ab dem 1. August bewußt und willentlich in objektiv falscher Rechtschreibung unterrichtet werden. Hat es etwas Vergleichbares je in der Bildungspolitik eines nicht-totalitären Staates gegeben? Das Verbrechen der Verantwortlichen besteht darin, daß sie wissen, was sie tun.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 02.06.2005 um 15.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#762
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Torsten Harmsen schrieb gestern in der Berliner Zeitung:
Letzter Versuch der Versöhnung
Kultusminister: Rechtschreibreform tritt schrittweise in Kraft
Vor wenigen Wochen schien das Urteil gefällt, die große Reform der deutschen Rechtschreibung gescheitert. Der Rat für Rechtschreibung ruderte in entscheidenden Bereichen zurück. Vom ganzen Projekt schien nur ein Torso übrig zu bleiben. Zehn Jahre Streit hätten ergeben, dass "Fluß" von jetzt an "Fluss" geschrieben werde, höhnten Kritiker. In einem letzten Anlauf wollte der erst im Dezember 2004 eingesetzte 36-köpfige Rechtschreibrat dann doch noch einen Kompromiss zwischen Gegnern und Befürwortern der Reform finden. Seine Einigung - zunächst in der heiklen Frage der Getrennt- und Zusammenschreibung - wird für übermorgen, Freitag, in Mannheim erwartet. Von dieser Einigung des Rates hängt ab, ob und wann die neue Rechtschreibung für alle Ämter und Schulen verbindlich wird. Geplant war der 1. August 2005. Doch längst sind die Leinen gekappt. Die Kultusministerkonferenz (KMK) kündigte an, dass sie die Einführung zeitlich strecken wolle. Am 1. August sollen zunächst nur die unstrittigen Teile in Kraft treten. Auf ihrer morgen beginnenden Tagung in Quedlinburg liegt den deutschen Kultusministern nun ein Fahrplan vor, über den sie beschließen sollen. Dieser geht davon aus, dass es bis zur endgültigen Einigung in den strittigen Punkten noch dauern werde. Und selbst, wenn der Rechtschreibrat am Freitag einen Vorschlag präsentierte, brauchte es eine Übergangsfrist von etwa einem Jahr, um sie in Ämtern und Schulen umzusetzen. Zuvor hat die KMK im Verbund mit Österreich und der Schweiz auch noch das letzte Wort. Unstrittig sind für die KMK die neuen Regelungen der "Laut-Buchstaben-Zuordnung", der Schreibung mit Bindestrich und der Groß- und Kleinschreibung (siehe Kasten). Für diese Neuerungen endet am 1. August die Übergangszeit. Im neuen Schuljahr gibt es dann also eine schlechtere Note, wenn man "Schänke" statt "Schenke" schreibt, "aufwendig" statt "aufwändig" oder "Schiffahrt" statt "Schifffahrt" - egal was die Eltern dazu sagen oder wie der Opa schreibt. Die strittigen Fälle - für die man noch eine Einigung im Rat erwartet - sollen laut KMK bis auf weiteres nicht als falsch markiert und bewertet werden. Das betrifft neben der Getrennt- und Zusammenschreibung, verbunden mit der Groß- und Kleinschreibung, auch die Zeichensetzung und die Worttrennung am Zeilenende (siehe Kasten). Es geht also darum, ob die Kinder künftig "im Stande" sind, "Eis zu laufen", ob es ihnen dereinst "Leid tut", dass sie "auseinander gehen", weil sie "fremd gegangen" sind; ob sie am Zeilenende "Zy-klus", "Klei-nod" oder "Zu-cker" trennen müssen. Oder ob sie das alles nicht oder nur wahlweise tun. Durch die deutsche Gesellschaft geht nach wie vor ein Riss, was die Meinungen zur Reform betrifft. Die Hälfte der Deutschen kommt mittlerweile mit den neuen Regeln ganz gut zurecht, so lautet das Ergebnis einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut polis in der vergangenen Woche im Auftrag der dpa durchführte. Die andere Hälfte beherrscht die neue Rechtschreibung kaum oder gar nicht. Neben dem Nicht-Können wird hier vor allem ein Nicht-Wollen stehen - ausgelöst durch die zehn Jahre lange Herumdokterei an der Sprache. Selbst einstige Vorantreiber der Reform neigen dazu, dieser schnell ein Ende zu machen. Als Beispiel für sie steht der CSU-Politiker Hans Zehetmair, einst bayerischer Kultusminister, jetzt Vorsitzender des Rechtschreibrates. Als solcher meinte er Ende 2004, man müsse "die deutschsprachigen Menschen mit der Rechtschreibung versöhnen", sinnwidrige Getrenntschreibungen rückgängig machen, wieder mehr Kommas setzen, um Sätze zu strukturieren, absurde Trennungen verhindern. Man dürfe auch die Eindeutschung von Fremdwörtern nicht ins Lächerliche treiben. Zehetmair weiß, dass dem Rat die Zeit davonläuft. Kommt am Freitag kein Kompromiss zustande, steht die Arbeit des Rates ganz in Frage. Die Reform hinge weiter in der Luft. Ein Teil würde verbindlich eingeführt, ein anderer geisterte unbestätigt durch Lehrbücher und Literatur. Nicht nur Schüler und Lehrer würden verunsichert; eine Einigung wäre nicht mehr in Sicht.
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 02.06.2005 um 14.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#761
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Merken wollen wir uns die Begriffe "behutsam" und "unstrittig". Im Zusammenhang mit der Rechtschreibreform bedeutet "behutsam": Die Reformer haben ohne erkennbares Prinzip, befangen in einer höchst unzureichenden Vorstellung vom Ganzen der Orthographie, hier und da ein wenig herumgefummelt, wie es gerade kam. (Musterbeispiel: rauh nehmen wird das h weg, dafür setzen wir in Schiffahrt ein drittes f ein). - "unstrittig" im Vokabular der kultusbürokratischen Reformdurchpeitscher bedeutet, daß diese jede weitere fachliche Diskussion abwürgen möchten. Vor allem soll der Rat gefälligst die Finger von allen künftigen Korrekturversuchen lassen. Der ebenso dreiste wie dümmliche Versuch, in einer letzten Machtanmaßung die Reform, oder ihre Reste, in Beton zu gießen, kann eigentlich nur der panikerzeugenden Einsicht in das völlige Scheitern entspringen. Schon die Notlösung, nur Teile der Reform in Kraft zu setzen, kann nur noch mit einer geradezu pathologischen Fixierung auf das ominöse Datum 1. August erklärt werden.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 02.06.2005 um 13.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#760
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Der Frankfurter Rundschau hält die Sitzung der KMK für ein Topthema.
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Kommentar von Tagesspiegel, verfaßt am 02.06.2005 um 11.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#759
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»Vom Kopf auf die Füße
Umstrittene Rechtschreibregeln werden liberalisiert – und erst nach dem 1. August für Schüler verbindlich
Von Amory Burchard
In der neuen deutschen Rechtschreibung soll es offenbar eine Reihe von Varianten umstrittener Schreibweisen geben. Damit würde das amtliche Regelwerk weniger radikal überarbeitet werden, als es die 36 Experten aus den deutschsprachigen Ländern im Rat für deutsche Rechtschreibung im April diskutiert hatten. So könnte die Reformschreibweise „Kopf stehen" doch neben der von der Kommission zunächst als einzig richtige Schreibweise angesehenen „kopfstehen" Bestand haben, heißt es in Ratskreisen. Darüber wolle sich der Rat bei seiner Sitzung am morgigen Freitag abschließend einigen; die endgültigen Regeln für die Zeichensetzung und die Silbentrennung sollen bis zu 1. Juli stehen.
Die Entscheidungen in den drei umstrittenen Bereichen fallen jedoch zu spät, um noch am 1. August für Schulen und Behörden verbindlich in Kraft zu treten. Deshalb solle zunächst nur der Teil der Rechtschreibreform wirksam werden, der nicht umstritten ist, heißt es in der KMK: Im Wesentlichen sind das die ss/ß-Regeln (dass, Fluss), Laut-Buchstaben-Zuordnungen (Stängel), eingedeutschte Fremdwörter (Delfin), die neuen Bindestrich-Schreibungen (Ich-Sucht), Änderungen in der Groß- und Kleinschreibung (heute Abend), – soweit sie nicht auch die Getrennt- und Zusammenschreibung betreffen. Das wolle die KMK bei ihrer Sitzung beschließen, die heute in Quedlinburg beginnt, ist aus der Kommission zu erfahren.
Für Schüler gilt: Rechtschreibfehler in den unstrittigen Bereichen sollen nach den Sommerferien ins Gewicht fallen. Seitdem die neue Rechtschreibung 1998 an den Schulen eingeführt, aber nicht amtlich war, wurden sie lediglich angestrichen, aber nicht als Fehler gewertet. Diese Übergangsfrist soll jetzt bis auf weiteres nur noch für Fehler in der Getrennt- und Zusammenschreibung, Zeichensetzung und Silbentrennung gelten.
Warum dieses Moratorium – wenn sich doch der Rat für deutsche Rechtschreibung in einem Monat in diesen Bereichen abschließend festlegen will? Die Vorschläge des Rats werden danach noch in einer gemeinsamen Anhörung mit Eltern- und Lehrerverbänden diskutiert und müssen dann von den zuständigen staatlichen Institutionen der deutschsprachigen Länder akzeptiert werden. In Deutschland sind das die Konferenz der Kultusminister (KMK) und die Konferenz der Ministerpräsidenten (MPK), und die tagen erst wieder im Herbst.
Kann die Rechtschreibreform dann noch scheitern – unter den Vorzeichen eines möglicherweise bevorstehenden Regierungswechsels? Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), der im Sommer 2004 versucht hatte, die Reform zu kippen, will die Vorschläge offenbar akzeptieren: „Wenn wieder zusammengeschrieben wird, was zusammengehört, ist das ein großer Schritt in die richtige Richtung", erklärte Wulff gegenüber dem Tagesspiegel. Angesichts der „völlig überzogenen und inakzeptablen Neuregelungen" sei es zu begrüßen, dass die Übergangsfrist für die besonders strittigen Teile verlängert werde.
Als großen Schritt, der den Gegnern der Rechtschreibreform weit entgegen kommt, sieht man die sich jetzt abzeichnenden Liberalisierungen in der KMK und in reformfreundlichen Teilen des Rats allerdings nicht. Vor allem bei der Getrennt- und Zusammenschreibung habe es immer einen „changierenden Bereich" gegeben, in dem der KMK klar war, dass die Wortbedeutung nicht ausreichend beachtet wurde, sagt ein Experte. Wenn dies jetzt korrigiert und gleichzeitig Varianten eröffnet werden, bedeute das aber keinesfalls eine weitgehende Rücknahme der Reform. So hatte der Reformkritiker Theodor Ickler die Vorschläge des Rats vom April gesehen, die keine Varianten mehr vorsahen. Die Bereiche, die erst Ende dieses oder Anfang des kommenden Jahres verbindlich geregelt würden, machten ohnehin nur „ein halbes Prozent der geschriebenen Sprache" aus, betont der Experte.
Für die KMK sei es wichtig, dass Änderungen am Regelwerk von 1996 klar und vor allem für Schüler leicht nachvollziehbar seien, sagt der KMK-Experte. Es dürften „keine neuen Löcher" entstehen. Fachlich einmischen wolle man sich aber nach dem abschließenden Votum des Rates für deutsche Rechtschreibung möglichst nicht. Voraussichtlich werde man dem Rat folgen, denn auch in der KMK setze sich die Auffassung durch, dass umstrittene Reformschreibweisen wie „Brust schwimmen" liberalisiert werden sollten.
In der Übergangsfrist wird die Klarheit der Regeln der neuen Rechtschreibung auf jeden Fall leiden: So soll die Reformdevise fallen, Verbindungen von Verb und Verb (kennen lernen, spazieren gehen) und von Substantiv und Verb (nach dem Muster von Auto fahren) immer getrennt zu schreiben. Stattdessen sollen auch hier parallele Varianten zugelassen werden. Schüler dürften sich also aussuchen, ob sie „kennen lernen" oder „kennenlernen" schreiben wollen. Die Variantenschreibweisen sollten so lange gelten bis sich „im Sprachgebrauch" eine Schreibweise durchsetze, ist aus Ratskreisen zu hören. Der Rat für deutsche Rechtschreibung soll ja die Sprachentwicklung verfolgen und in Fünfjahresschritten weitere kleine Korrekturen vornehmen.
Wulff lobt die Reform der Rechtschreibreform
Berlin - Die Rechtschreibreform wird jetzt auch von einem ihrer einflussreichsten Gegner weitgehend akzeptiert: Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), der im Sommer 2004 versucht hatte, die Reform zu stoppen, lobt jetzt die Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung, der am Freitag ein abschließendes Votum zur umstrittenen Getrenntschreibung vorlegen will. „Wenn wieder zusammengeschrieben wird, was zusammengehört, ist das ein großer Schritt in die richtige Richtung", sagte Wulff dem Tagesspiegel.
Im April hatte der Rat vorgeschlagen, Reform-Schreibweisen wie „kennen lernen" rückgängig zu machen und wieder mehr zusammenzuschreiben. Jetzt wolle man die Getrenntschreibung als Variante erhalten, heißt es in Ratskreisen.
Wulff hält eine längere Übergangsfrist für die noch umstrittenen Teile der Reform über den 1. August hinaus für notwendig. Eine entsprechende Regelung will die Kultusministerkonferenz dem Vernehmen nach bei ihrer an diesem Donnerstag beginnenden Sitzung in Quedlinburg beschließen. Zum 1. August sollen nur die Teile für Schulen und Behörden verbindlich eingeführt werden, über die Einvernehmen besteht – darunter die ss/ß-Regeln. Ausgeklammert werden vorerst auch Kommasetzung und Silbentrennung, über die sich der Rat bis zum 1. Juli einigen will. Danach müssen den Detailregelungen noch die Kultusminister und Länderregierungen der deutschsprachigen Länder zustimmen. -ry
Worüber die Experten noch beraten
Getrenntschreibung
Die Regel, Substantiv und Verb sowie Verb und Verb stets getrennt zu schreiben, produziert sinnentstellende Formen wie „kennen lernen". Für „Leid tun" wurde schon 2004 die Variante „leidtun" zugelassen – weitere sollen jetzt folgen.
Worttrennung
Mehrsilbige Wörter trennt man so, wie sie sich beim langsamen Vorlesen in Silben zerlegen lassen. Also kann es auch A-bi-tur heißen oder auch I-gel. Das ist umstritten. Dass „st" getrennt werden darf (Hus-ten), gilt dagegen als akzeptiert.
Kommasetzung
Gleichrangige Hauptsätze, die durch „und" oder „oder"verbunden sind, sowie Infinitivgruppen müssen nicht mehr durch ein Komma getrennt werden – aber das Komma darf weiterhin gesetzt werden. Diese „restlose Freigabe" sei nicht zu halten, heißt es im Rat. -ry«
( Der Tagesspiegel, Donnerstag, 02.06.2005 )
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.06.2005 um 06.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#758
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Daß der Vorsitzende damals dem destruktiven Kurs der KMK zugestimmt habe, wurde zwar behauptet, aber es gibt Hinweise, daß er mehr oder weniger überrumpelt worden ist. Die Entscheidungsprozesse sind durchweg undurchsichtig. In welcher Weise z. B. die Nachbarstaaten konsultiert oder wenigstens informiert worden sind, ist unklar und auch durch Nachfragen nicht herauszubringen. Das gilt für die gesamte Konstruktion dieses "Rates". Die beiden Staaten legen allerdings auch keinen großen Wert darauf – Hauptsache, sie bringen ihre Altreformertruppen möglichst zahlreich im Rat unter, um alle Korrekturen zu blockieren.
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 02.06.2005 um 00.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#757
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Th. Ickler: Die KMK hat nur wahrgenommen, daß der Rat nicht das willfährige Instrument zu sein scheint, das sie sich erhofft hatte, und schon zieht sie die Notbremse.
Ich erwarte am ehesten nun doch ein Moratorium. Das ist das einzige, was Herr Zehetmair hinnehmen kann, ohne sofort sein Amt niederlegen zu müssen.
Aber das Thema ist doch schon längst erledigt: Bereits im April war die Absicht der KMK, die "unstrittigen" Teile der Reform zum 1. August in Kraft zu setzen, mit Herrn Zehetmair abgesprochen worden (siehe http://www.kmk.org/aktuell/pm050412.htm). Dieser Vereinbarung hätte er sich widersetzen und sein Amt niederlegen sollen. Die KMK hat den Rat bereits überrumpelt.
Andererseits kann der Rat zeigen, daß er zu besserer Einsicht fähig ist und eine Empfehlung aussprechen, die sich nicht an die Vorgaben der KMK hält. Dann wäre die KMK selbst schuld, wenn sie Entscheidungen trifft, die, weil sie einer Grundlage entbehren, unhaltbar sind.
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Kommentar von Neue Volkszeitung, verfaßt am 01.06.2005 um 23.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#756
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„Unser Ziel ist eine Neuregelung, die hält!"
Der oö. Autor Ludwig Laher, Mitglied im Rat für deutsche Rechtschreibung, zu Änderungsvorschlägen zur Reform
„Wie hoch sehen Sie die Chancen, dass es bei der Sitzung des Rats für deutsche Rechtschreibung morgen zu einer Einigung über die geplanten Änderungen kommen wird?" Auf diese Frage muss Ludwig Laher, der im Rat die Position der österreichischen IG Autorinnen und Autoren vertritt, weiter ausholen. „Es muss eine Einigung geben, wobei ich nicht bestätigen kann, dass wir bereits morgen über das Segment der Getrennt- und Zusammenschreibung zu einem Beschluss kommen werden, der dann als Empfehlung an die Regierungen und die deutsche Kultusministerkonferenz geht. Denn das Ganze ist untereinander sehr verwoben und hat teilweise auch mit Groß- und Klein-Schreibung zu tun, wie bei Leid tun oder Pleite gehen. Insofern ist diese Sitzung im Zusammenhang mit der nächsten am 1. Juli zu sehen, wo auf jeden Fall eine öffentliche Verlautbarung zur Rechtschreibreform erfolgen wird. Unser Ziel ist jedenfalls eine Neuregelung, die auch wirklich hält!" - Laher betont dem VOLKSBLATT gegenüber, dass das Expertengremium, in dem jetzt erst die „Praktiker" wie Lehrer(innen) oder Schriftsteller(innen) eingebunden wurden, nur ein halbes Jahr Zeit für seine Arbeit hatte und in dieser kurzen Zeit „keine Wunder wirken" könne. „Der Karren war ja völlig verfahren", übt der Autor Kritik an dem „falschen Weg", der mit den Beschlüssen von 1996 in Sachen Rechtschreibung beschritten worden war. - „Jetzt ist vieles in Fluss gekommen", ist Laher optimistisch und wünscht sich „eine Verlängerung der Übergangsfrist um ein Jahr". - Für „relativ wahrscheinlich" hält er jedoch auch folgendes Szenario: Dass die beteiligten Regierungen gewisse Bereiche wie die ss/ß-Schreibung per 1. August definitiv bestätigen und nur für Teilaspekte die Übergangsfrist verlängern — wobei er zu bedenken gibt, dass bereits die vor demRat tätige Zwischenstaatliche Kommission im Jahr 2004 eine große Zahl von Änderungen beschlossen hat, die dann ab Herbst eingeführt werden müssten — „ein Flickwerk"!
Birgit Thek
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 01.06.2005 um 21.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#755
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Auf das Risiko hin, Eulen nach Athen zu tragen, ein paar Tips zu Vorbereitung und Ablauf einer Pressekonferenz:
1) Das, was man unters Volk bringen möchte, detailliert, aber nicht zu umfangreich schriftlich darlegen und das betreffende Material kopieren
2) Zu Beginn der Pressekonferenz das vorbereitete Material an die Journalisten ausgeben
3) Mündlich seinen Standpunkt vortragen, ohne allzusehr in Details zu gehen
4) Dazu auffordern, Fragen zu stellen. Die Antworten geben Gelegenheit, auf Details einzugehen und vor allem auf das vorbereitete Material zu verweisen
Das Verfahren ist deshalb wirksam, weil es einerseits dem Journalisten viel Arbeit erspart, ihm andererseits aber das Gefühl vermittelt, nicht bloßer Überbringer einer Botschaft zu sein, sondern ihren Inhalt selbst mitgestaltet zu haben.
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Kommentar von Frankfurter Allgemeine Zeitung, verfaßt am 01.06.2005 um 18.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#754
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»Aussetzen der Rechtschreibreform nicht in Sicht
Kultusminister entscheiden über Umgang der Schulen mit neuen Schreibregeln vom 1. August an
oll. FRANKFURT, 1. Juni. An diesem Freitag werden die Kultusminister darüber entscheiden, wie die Schulen vom 1. August 2005 an mit der neuen Rechtschreibung verfahren sollen. Zur selben Zeit, zu der der Rat für deutsche Rechtschreibung in Mannheim tagt, findet die Konferenz der Kultusminister in Quedlinburg statt. Durch die Ankündigung des Rates, die Rücknahme der Getrennt- und Zusammenschreibung zu beschließen, sowie Silbentrennung, Interpunktion, Fremdwortschreibung, aber auch Groß- und Kleinschreibung bearbeiten zu wollen, war die Hoffnung auf ein Moratorium der Reform genährt worden.
Wahrscheinlicher ist inzwischen, daß die Kultusminister die Reform für die Laut-Buchstaben-Zuordnung, die Schreibung mit Bindestrich und die Groß- und Kleinschreibung in Kraft setzen. Damit würde die Neuregelung der Rechtschreibung nach der letzten Fassung aus dem Jahr 2004 verbindliche Grundlage des Rechtschreibunterrichts. Davon abweichende Schreibungen werden die Lehrer künftig als Fehler bewerten. Ausgenommen werden wohl nur die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Zeichensetzung und die Worttrennung am Zeilenende, weil der Rat für deutsche Rechtschreibung darüber noch beraten muß. Allerdings hatte der Rat auch darauf hingewiesen, daß er sich der Groß- und Kleinschreibung sowie weiteren Neuregelungen widmen wolle, die nun vor Abschluß der Beratungen in Kraft treten sollen.
Angekündigt hatte die Kultusministerkonferenz (KMK) dieses Verfahren schon unmittelbar nach der Sitzung des Rechtschreibrates im April. In einem Gespräch mit dem Vorsitzenden des Rates für deutsche Rechtschreibung, dem früheren bayerischen Kultusminister Zehetmair (CSU), war vereinbart worden, die Teile der Rechtschreibreform am 1. August 2005 zur verbindlichen Grundlage der Bewertung zu machen, die "unstrittig" seien. Während der Rat noch viele Regeln für strittig hält, hat die KMK festgelegt, was noch längst nicht endgültig ist. Der Rat wird in seiner Freiheit erheblich eingeengt, weitere strittige Fragen auf die Tagesordnung zu setzen, und in Zeitdruck gebracht.
In den Schulen hätten es die Deutschlehrer mit einem solchen Beschluß der Kultusminister nicht leicht. Sie müßten anhand der gängigen Wörterbücher und Duden - sie alle können vorläufig weiterbenutzt werden - ständig klären, welche Regeln noch nicht gelten, welche hingegen in Kraft sind. Irrtümer der Lehrer und Gerichtsklagen der Eltern seien absehbar. Wegen der Bücher und Zeitungen in bisheriger Schreibung werden Eltern gegen Benotungen Beschwerde einlegen. Denn die rechtlichen Grundlagen sind ungeklärt. Noch ist ungewiß, ob die vorhandenen Erlasse als Rechtsgrundlage genügen oder sich nur auf den Stand aus dem Jahr 1996 beziehen und nicht auf die überarbeitete und gültige Fassung von 2004. Auch euerliche Rechtsstreitigkeiten über die Verbindlichkeit der Neuregelung sind daher möglich.
Das gilt trotz der im Internet verfügbaren Liste der gültigen Regeln mit einem Wörterverzeichnis. Für die Überschneidungen von Getrennt- und Zusammenschreibung sowie Groß- und Kleinschreibung soll nach dem Vorschlag der KMK eine Toleranzklausel gelten. Die Schüler könnten also in Zukunft "Eis laufen/eislaufen", "Not tun/nottun" sowie "Leid tun/leidtun" schreiben. In diesen Fällen jeweils die Lehrer entscheiden, ob sie die in Kraft gesetzte Groß- und Kleinschreibung zur Bewertungsgrundlage machen oder die noch ausgesetzte Getrennt- und Zusammenschreibung. Im Anschluß an die Sitzung des Rechtschreibrates am 3. Juni plant die KMK eine gemeinsame Erklärung mit den übrigen an der Rechtschreibreform beteiligten deutschsprachigen Ländern Österreich und Schweiz.«
( F.A.Z., 02.06.2005, Nr. 125 / Seite 4 )
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Kommentar von Mannheimer Morgen, verfaßt am 01.06.2005 um 08.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#753
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»Man setzt sich wieder auseinander
RECHTSCHREIBUNG: Kultusminister und Expertengremium beraten nochmals über Orthografie
Von unserem Redaktionsmitglied Thomas Groß
Nein, die schier unendlich scheinende Geschichte der Rechtschreibreform wird Ende der Woche kein Ende finden. Dafür ist es, kein Witz, schlicht noch zu früh. Mit der Sitzung der deutschen Kultusministerkonferenz am Donnerstag und Freitag in Quedlinburg sowie der abermaligen Zusammenkunft des Rats für deutsche Rechtschreibung am Freitag in Mannheim könnte aber immerhin ein wichtiger Etappenschritt getan werden. Man ist es hierzulande ja längst gewohnt, sich mit einer Politik der kleinen Schritte zu begnügen. Und da scheint es schon ein großer Schritt, wenn die umstrittene Getrennt- und Zusamenschreibung einer abermaligen Überarbeitung unterzogen wird.
Um was es beim Rat für deutsche Rechtschreibung geht, ist bekannt. Die von einer internen Arbeitsgruppe konzipierte Korrektur, die vor einigen Wochen in München präsentiert worden war, soll jetzt vom gesamten Gremium verabschiedet werden. Es geht dabei vor allem darum, die Bedeutung bei der Schreibung wieder mehr zu berücksichtigen: Was vom Sinn her eine Einheit bildet, soll entgegen dem Reformwerk wieder zusammengeschrieben werden. Dann wäre es wieder richtig, "auseinandersetzen" zu schreiben, wenn diskutieren gemeint ist. Immer unter der Voraussetzung, die jeweiligen Fälle sind "wohlbegründet", was ebenfalls wieder zusammenzuschreiben wäre. Nach dem Willen des Vorsitzenden des Rats, des ehemaligen bayerischen Wissenschaftsministers Hans Zehetmair, sollen dabei keine alternativen Schreibungen erlaubt sein, wenn der Sinn eindeutig ist. Das Reformwerk sah im Prinzip Getrenntschreibung auch unabhängig vom jeweiligen Sinn vor. Die Zwischenstaatliche Kommission für Rechtschreibung, die die Umsetzung der 1998 in Kraft getretenen Orthografiereform begleitet hat, hatte in ihrem letzten Zwischenbericht allerdings wieder einige Alternativen eingeführt.
Sicher ist nicht, ob alle Vorschläge der Arbeitsgruppe, an der auch Reformkritiker beteiligt waren, von dem 36-köpfigen Gremium am Freitag abgenickt werden. Sollte des lieben länder- und institutionenübergreifenden Friedens wegen wieder tüchtig abgespeckt werden, hätte das Gremium viel von seiner Glaubwürdigkeit verspielt. Weiter will sich der Rat in Arbeitsgruppen noch mit der Zeichensetzung und der Eindeutschung von Fremdwörtern beschäftigen; bei der Interpunktion geht es vor allem darum, ob wieder wie früher ein Komma vor erweitertem Infinitiv und dem einen Hauptsatz einleitenden "und" stehen muss.
Sollte der Rat für deutsche Rechtschreibung sich einigen können, bleibt noch zu klären, wie und wann seine "Reform der Reform" umgesetzt werden kann. An deutschen Schulen wird die neue Rechtschreibung am 1. August verbindlich (bis zu diesem Zeitpunkt werden alte Schreibungen noch nicht als Fehler gewertet). Letzte Beschlüsse fällt die Kultusministerkonferenz, und sie wird Ende der Woche wohl erst einmal zu beschließen haben, was denn nun am 1. August verbindlich wird und welche Reformteile erst später umzusetzen sein werden. Letzteres, so viel zeichnete sich bereits ab, dürften genau die Reformteile sein, an denen der Rat für deutsche Rechtschreibung noch feilt. De facto läuft dies auf eine Verlängerung der Übergangszeiten hinaus. Verbindlich wird aber jedenfalls etwa die Auflösung von "ß" zu "ss" nach kurzem Vokal und nach diesem auch die Konsonantendoppelung wie in "nummerieren". Dreimal der gleiche Konsonant wird dann verbindlich bei Wortzusammensetzungen geschrieben ("Balletttänzer"). Alternativ gültig werden Schreibungen wie zugunsten /zu Gunsten (neu) oder zugrunde/zu Grunde.
Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat wie schon die Zwischenstaatliche Kommission für Rechtschreibung seinen Sitz am Mannheimer Institut für Deutsche Sprache. Dem Gremium gehören sowohl Sprachwissenschaftler wie auch Sprachpraktiker an.«
( Mannheimer Morgen, 01.06.2005 )
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Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 31.05.2005 um 10.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#750
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Offenbar ist es der Arbeitsgruppe "Getrennt- und Zusammenschreibung" gelungen, für den gesamten Teil B der Neuregelung eine inhaltlich und textlich stark revidierte Fassung zu erarbeiten. Auch die von der KMK schon beschlossenen Änderungen im § 36 sind anscheinend nochmals überarbeitet und verändert worden. Wenn nicht alles täuscht, bleibt es aber häufig bei der Wahlfreiheit zwischen Getrennt- und Zusammenschreibung. Für die inzwischen bekanntgewordene Neufassung des § 34 gilt dies auch, allerdings im wesentlichen nur für die resultativen Prädikative, wo die Wahl einer unzweckmäßigen Variante beim Lesen nur geringfügig stört. Das würde im § 36 im Falle von Substantiv + Partizip anders aussehen. Der schon von der Zwischenstaatlichen Kommission in einem anderen Zusammenhang versuchte Ausweg, mit Hinweis auf eine angeblich fachsprachliche Verwendung die Wahlentscheidung zu erleichtern, würde an dieser Stelle eher Verwirrung stiften. Der Neuregelung geht es wohl wie der Europäischen Verfassung: Es werden noch viele Korrekturen nötig sein, ehe sie für die allgemeine Schreibpraxis brauchbar wird. Den Wörterbuchverlagen wird nichts anderes übrigbleiben, als in kurzen zeitlichen Abständen Heftchen mit den neuesten Veränderungen im Wörterverzeichnis und im Regelwerk herauszubringen und den Buchhandlungen zur kostenlosen Verteilung zu überlassen. Selbstverständlich müßten die Kultusministerien die ihnen unterstehenden Schulen ebenfalls regelmäßig über den neuesten Stand unterrichten.
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Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 31.05.2005 um 10.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#749
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Zu unserer Veranstaltung ist jeder Interessierte willkommen. Es ist allerdings eine persönliche Anmeldung erwünscht, am besten per E-Mail (siehe hier).
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Kommentar von APA/DPA, verfaßt am 31.05.2005 um 10.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#748
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Das sieht Südtirol Online ebenso:
Sprachwächter vor der Nagelprobe - Rechtschreibrat tagt
Die Wächter der deutschen Sprache stehen vor ihrer entscheidenden Nagelprobe. Endgültig beschließen will der Rat für deutsche Rechtschreibung seine Änderungsvorschläge zur Getrennt- und Zusammenschreibung bei seiner Sitzung am 3. Juni in Mannheim. Auch ein Südtiroler, Rudolf Meraner, Direktor des deutschen Pädagogischen Instituts in Bozen, gehört zum Rat der deutschen Rechtschreibung.
Sollten die Änderungsvorschläge angenommen werden, wäre der am heftigsten umstrittene Teil der hart kritisierten Rechtschreibreform vom Eis. Wird kein Kompromiss in dem Expertengremium erreicht, steht die gesamte Arbeit des Rates in Frage. Das Ziel, den Rechtschreibfrieden wieder herzustellen, wäre in weite Ferne gerückt.
Unklar bleibt, welche Auswirkungen die Ergebnisse für die Schulen haben werden. Der Fahrplan sieht bislang vor, dass die am 1. August 1998 in Kraft getretenen neuen Schreibregeln an Schulen und in Behörden am 1. August 2005 verbindlich werden. Selbst bei einer Einigung des mit Kritikern und Befürwortern der Rechtschreibreform besetzten Rates wird es zumindest bei den Neuerungen voraussichtlich eine nochmalige Übergangsfrist geben - was vor allem für die Fehlerkorrektur an den Schulen gravierende Folgen hätte.
Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat bereits angekündigt, dass nur die unstrittigen Teile der Reform in Kraft treten werden. Wann die zu erwartenden Änderungen umgesetzt werden, ist offen. Als realistisch wird bereits ein Zeitraum von einem Jahr genannt. Immer mehr bewahrheitet sich nun auch die Befürchtung des Ratsvorsitzenden und früheren bayerischen Kultusministers Hans Zehetmair (CSU), dass der Expertenrunde die Zeit durch die Finger rinnt: Neben dem Komplex der Getrenn- und Zusammenschreibung wollen die Sprachhüter auch Änderungen zur Silbentrennung und Zeichensetzung sowie der Eindeutschung von Fremdwörtern vorlegen.
Bei der bislang für den 1. Juli geplanten letzten Ratssitzung soll eine Beschlussvorlage beim Thema Silbentrennung und Zeichensetzung zur Abstimmung kommen. Um doch noch alle strittigen Fälle abzuhandeln, werden bei der Sitzung am 3. Juni voraussichtlich weitere Termine festgelegt. Bis zu den jeweiligen Ratssitzungen bereiten kleine, siebenköpfige Arbeitsgruppen mit Vertretern aller Interessengruppen die Themen vor.
Die Änderungsvorschläge des Rates bei der Getrennt- und Zusammenschreibung zielen auf ein stärkeres Gewicht der Semantik. Das würde bedeuten, Verben wie krankschreiben, kranklachen oder vollquatschen werden nicht mehr getrennt geschrieben. Auch beim Zusammentreffen von Adverbien und Verben wie bei auseinandersetzen oder vorhergehen ist in vielen Fällen wieder eine Zusammenschreibung vorgesehen, weil diese vom Sinn her eine Einheit bilden.
Sollten sich die Experten aus dem deutschsprachigen Raum auf eine gemeinsame Linie einigen können, werden die Beschlüsse Verbänden aus Schulen und Behörden zur Anhörung vorgelegt. Die Kultusministerkonferenz hat dann im Verbund mit Österreich und der Schweiz das letzte Wort.
Der nach heftiger Kritik an der Rechtschreibreform von der KMK initiierte Rat für deutsche Rechtschreibung hatte sich Ende vergangenen Jahres konstituiert. Er setzt sich aus Sprachwissenschaftlern, Vertretern von Verlagen, Schriftsteller- und Journalistenverbänden, Lehrerorganisationen sowie des Bundeselternrates zusammen.
18 Mitglieder der Runde kommen aus Deutschland, je 9 aus Österreich und der Schweiz sowie je ein Vertreter aus Liechtenstein und Südtirol. Die zwei Plätze der Akademie für Sprache und Dichtung sind weiter vakant. Die Akademie wird durch den Potsdamer Germanistikprofessor Peter Eisenberg vertreten, der aber kein Stimmrecht in dem Gremium hat. Beschlüsse können nur mit einer Zwei- Drittel-Mehrheit gefällt werden.
(31. 5. 2005)
Und hier noch ein Schmankerl aus der Wochen-Vorschau von Hugo Müller-Vogg (BamS):
Freitag. Der Rat für Deutsche Rechtschreibung befaßt sich „mit besonders strittigen Fällen" der Schlechtschreibreform. Was für ein sinnloser „Greuel"!
Offenbar hatte HMV "Gräuel" geschrieben, was dem Redaktionskonverter aber nicht gefiel.
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Kommentar von rrbth, verfaßt am 31.05.2005 um 09.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#747
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„Die FDS lädt am folgenden 4. Juni zu einer Pressekonferenz um 15:30 Uhr in die Räume der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (Residenz, Max-Joseph-Platz 3, 80539 München).“
Kann man auch als einfacher Lehrer kommen? Wenn das ginge - ein Platz müßte aber schon garantiert sein - würde ich in Erwägung ziehen, von Bayreuth aus runterzufahren.
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Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 31.05.2005 um 09.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#746
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Gutmeinende hoffen, daß die KMK vorweg dem Rat für Rechtschreibung den Termindruck nehmen will und das Moratorium für die Gültigkeit beider Rechtschreibungen großzügig verlängern möchte.
Leidtragende der Trickserei von Schleswig-Holstein erwarten eher ein neues Schurkenstück bei der Durchsetzung der „Reform“.
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Kommentar von rrbth, verfaßt am 31.05.2005 um 09.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#745
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Ha!
http://www.sozioland.de/uc/rechtschreibung/
„Auf ihrer 306. Plenarsitzung in Mainz hat die deutsche Kultusministerkonferenz am 3./4. Juni die endgültige Einführung der neuen deutschen Rechtschreibung zum 1. August 2005 bestätigt.“
Ha, habe ich im ersten Moment gedacht, das ist ja _noch_ voreiliger und entlarvender. Aber halt, soo weit ist es doch noch nicht, das war letztes Jahr.
Allerdings war 2004 der Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission am 18. Mai fertig, die Plenarsitzung der Kultusministerkonferenz, auf der diesen Ergebnissen zugestimmt wurde, fand „erst“ am 3. und 4. Juni statt. Inzwischen geht sowas, wir erfahren haben, deutlich schneller.
Woran liegt es bloß, daß ich für möglich gehalten habe, diese Umfrage sei aktuell, und daß ich sie im ersten Augenblick auf heute (31. Mai 2005) bezogen habe?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.05.2005 um 09.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#744
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Ja, genau besehen, hat der Rat für deutsche Rechtschreibung noch keinen einzigen Beschluß gefaßt, wenn die KMK ihre Entscheidung verkündet. Die KMK hat nur wahrgenommen, daß der Rat nicht das willfährige Instrument zu sein scheint, das sie sich erhofft hatte, und schon zieht sie die Notbremse.
Ich erwarte am ehesten nun doch ein Moratorium. Das ist das einzige, was Herr Zehetmair hinnehmen kann, ohne sofort sein Amt niederlegen zu müssen. Die Wörterbuchverlage könnten ihre fehlerhaften Neubearbeitungen erst einmal ausverkaufen, auch das spricht für diese Lösung. Unangenehm ist, daß die Agonie dann noch endlos weitergehen könnte, falls nicht bei einigen weiteren Zeitungsverlagen Vernunft einkehrt.
Der Terminplan mit dem ominösen 1. August war den Kultusministern zwar viel wert, aber soviel nun auch wieder nicht; außerdem waren Verkürzungen und Verlängerungen der Einführung ja von Anfang an vorgesehen, es hätte also alles seine Ordnung.
Was die KMK am Freitag verkünden wird, muß auch schon lange mit Österreich und der Schweiz abgestimmt sein. Auch in dieser Hinsicht sollte sich der Rat keine Illusionen machen. Er hat wirklich nichts zu sagen.
Mitzuteilen hat er allerdings viel. Deshalb mache ich natürlich weiter mit.
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Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 30.05.2005 um 18.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#743
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Die Kultusministerkonferenz macht sich selbst lächerlich und vor allem unglaubwürdig, denn bisher haben ihre Präsidentinnen immer wieder versichert, die Ergebnisse des Rats für Rechtschreibung abwarten und berücksichtigen zu wollen. Fachliche Kritik an der Reform haben sie bisher stets mit dem Verweis auf den Rat beantwortet. Anscheinend haben sie aber nicht geglaubt, daß der Rat tatsächlich eine gute wissenschaftliche Arbeit begonnen hat und abliefern will, die natürlich nicht aufs Warten fertig werden kann. Trotzdem muß der Rat weiterarbeiten, schon damit durch seine Ergebnisse die Fehlerhaftigkeit der bisherigen Reform demonstriert wird, die zum 1.8.05 in Kraft treten soll. Diesmal sollen die Schüler wirklich etwas lernen, was bald durch den Rat als fehrhaft bewiesen wird und wieder geändert werden muß.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.05.2005 um 15.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=264#742
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Auch wenn wir schon lange gewußt haben, wie es laufen soll, müssen wir der KMK doch sehr dankbar sein. So offen hätte sie ihre Absicht, den Rat lächerlich zu machen, gar nicht äußern müssen.
Eigentlich könnte die Ratsmitglieder gleich zu Hause bleiben und sich ein schönes verlängertes Wochenende gönnen.
Warum auch sollte die KMK abwarten, was der Rat beschließt? Die Interessen der Verlage sind ja bekannt und ändern sich nicht. Mehr brauchen Stillemunkes und Funk nicht, um den Amtschefs eine wunderschöne Vorlage zu liefern.
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