Nachrichten rund um die Rechtschreibreform
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18.03.2005
PISA hat die Hochschulen erreicht
Mit 88 Rechtschreibfehlern Examen für Lehramt bestanden
Im südwestdeutschen Bundesländle kann man bekanntlich alles, außer Hochdeutsch. Das gilt auch fürs Schriftliche.
Wie die Stuttgarter Zeitung mitteilt, fand der in dieser Sache angerufene Petitionsausschuß des baden-württembergischen Landtages zwar, »von einem Lehramtsbewerber dürfe man schon ein halbwegs gepflegtes Schriftbild erwarten«. Formal sei aber die Entscheidung der Prüfungskommission nicht zu beanstanden. Diese hatte alles nicht so eng gesehen und es bei einem Notenabzug bewenden lassen.
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Kommentar von Peter Lüber, verfaßt am 18.03.2005 um 15.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=222#468
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Vielleicht sucht die Spiegelredaktion noch Verstärkung? Falls ja: in Heidelberg würde sie fündig.
Peter Lüber
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 19.03.2005 um 08.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=222#471
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Der wissenschaftliche Zweitgutachter befand also, bei der „Sauklaue“ der angehenden Lehrerin handele es sich lediglich um ein "Problem der persönlichen Handschrift", das nicht so massiv auf die Note durchschlagen dürfe. Man holt tief Luft und braucht einige Minuten, um das zu verdauen.
Auf eine solche Sichtweise reduziert, würden alle gesellschaftlich festgelegten Beurteilungs- und Prüfungskriterien Humbug. Jedes Versagen des Prüflings könne so auf ein „persönliches Problem“ zurückgeführt werden und dürfe demnach nicht „auf die Note durchschlagen“.
Wäre ähnliches auch in Prüfungen für naturwissenschaftliche Fächer denkbar?
Erschütternd ist dieser Fall nicht wegen der fragwürdigen Leistung der angehenden Lehrerin. Ein Fanal ist der Umgang unserer Gesellschaft mit offensichtlichen Fehlleistungen. PISA ist kein Krankheitssymptom unserer Jugend, sondern eines der Erwachsenenwelt. Wir sind nicht mehr Herr der Lage. Wo Lehrer und Prüfende es nicht mehr wagen, mangelhafte und schludrige Leistungen auch als solche zu bezeichnen und zu bewerten, diskriminieren und demotivieren wir vor allem jene Schüler, die ihre Aufgaben (noch!) mit Sorgfalt und Fleiß erfüllen. Sie müssen sich angesichts solcher Vorgänge fragen, wofür sie ihren Schweiß überhaupt verschwenden.
Das „Problem der persönlichen Handschrift“ ist kein Pickel auf der Nase, für den der Mensch nichts kann. Handschrift ist Ausdruck persönlichen Bemühens und läßt eine gewisse moralische Einstellung erkennen: zum Lesenden, zum Mitmenschen und – im Falle der angehenden Lehrerin – auch zum Schüler. Und das soll in einem Beruf, der in erster Linie mit Menschen zu tun hat, nicht auf die Note durchschlagen?
Manchmal frage ich mich, woher diese „gesellschaftspädagogische Wehrlosigkeit“ kommt, die für alles und jedes eine Erklärung hat und daher auch jedwedes zu entschuldigen bereit ist. Die Folgen für die allgemeine Leistungs- und Verantwortungsbereitschaft in unserer Gesellschaft haben – langfristig betrachtet – fatale Auswirkungen.
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Kommentar von Wolfgang Scheuermann, verfaßt am 23.03.2005 um 15.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=222#496
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Ich werde mich in dieser Angelegenheit bei einem Ordinarius des Anglistischen Seminars, mit dem ich mich öfter einmal unterhalte, etwas kundiger machen; sollte sich die Sache so verhalten, wie ich vermute, würden in der Zeitungsmeldung einige wichtige Spezifika unerwähnt gelassen. Ich werde mich danach hier nochmals melden.
Ich möchte aber eine andere Prüfung erwähnen, die ich an der Ruperto Carola vor wenigen Tagen, mit einem Kollegen eines anderen Faches, selbst durchgeführt habe. Es handelte sich um eine mündliche Physikumsprüfung bei Medizinstudenten.
Dabei fragte ich eine Studentin (beiläufig, weil ich auf etwas anderes abzielte) nach der ungefähren Größe der Weltbevölkerung. Ihre Antwort: 300.000. Das ist sicher korrekt für eine Zeit irgendwann in grauer Vorzeit; ich muß aber doch zu erkennen gegeben haben, daß ich diese Zahl für heute für zu gering hielt. So hangelte sie sich über eine Zahl von 2 Millionen Deutschen schließlich zu einer Einwohnerzahl von Berlin von 10 Millionen - eine deutsche Studentin, die in der Nähe von Heidelberg (aber "beruhigenderweise" in Rheinland-Pfalz) ihr Abitur gemacht hatte!
Nun zur Rechtschreibung: Mein Kollege gab mir nach der Prüfung seine Freude an der (allerdings nicht genügend weitreichenden) Rechtschreibreform zu erkennen; er finde es einfach gut, wenn die Exekutive mal etwas mutig anpacke. Zeitungen wie die FAZ begingen quasi einen Staatsstreich und müßten deshalb täglich Strafzahlungen leisten.
Im übrigen sei er ein Freund einer Orthographie, die der gesprochenen Sprache möglichst genau folge. So frage er sich, warum man nicht "Haüser" schriebe (das habe er erst unlängst in einem alten Buch so gesehen) und warum nicht "Ai" - das sei doch viel eingänglicher.
Weil ich ihm diese Fragen nicht beantworten konnte, steht diese ganze Heidelberger Physikumsposse jetzt überhaupt hier.
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 23.03.2005 um 19.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=222#498
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Der regionalen Aussprache ist es zweifellos zu verdanken, daß es - den neuen Rechtschreibregeln folgend, die für den stimmlosen s-Laut nach Diphtong den Buchstaben ß vorschreiben - in einem gemütlichen Gasthof im Salzburger Land neuerdings "Kaißerschmarrn" zu essen gibt.
Der Heidelberger Kollege soll sagen, wie er persönlich dieses Wort "aussprachegetreu" zu Papier bringen würde. Und wie in einer überregionalen Rechtschreibung die persönlichen und regionalen Aussprachegewohnheiten der Menschen zu handhaben wären.
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Kommentar von Wolfgang Scheuermann, verfaßt am 27.04.2005 um 12.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=222#662
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Inzwischen habe ich den genannten Ordinarius auf diese Examensarbeit angesprochen.
Es ist offenbar so, wie ich vermutet hatte: Man mußte sich schon einigermaßen in die Sache hineinzusteigern vermögen, um schließlich sogar den Petitionsausschuß des Stuttgarter Landtags anzurufen. Die Kandidatin hat - das ist heute gewiß ungewöhnlich - ihre Arbeit handschriftlich verfaßt, aber offenbar so, daß man sie gut lesen und verstehen konnte. Die Erstkorrektorin, die sich ob ihrer naturgegebenen Sicherheit in der Einstufung der Wichtigkeit von Problem(ch)en nicht durchgängig hoher Beliebtheit erfreut, ist bis zur isolierten Interpretation von Einzelbuchstaben vorgedrungen. Dem wollten andere nicht folgen.
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