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11.09.2004
Der hessische Rechtschreib-Rasputin
Der hessische Ministerialrat und Referatsleiter Christoph Stillemunkes hat durchaus schon Niederlagen einstecken müssen – so etwa das Scheitern seiner Initiative vom Januar 2004, die Rechtschreibkommission ganz von der politischen Kontrolle zu befreien und zum Souverän über die deutsche Rechtschreibung zu machen. Doch ins Wanken zu bringen ist sein Glaube an die Reform von nichts und niemandem.
Es ist ein Glaube an die noch ganz reine Lehre von 1996. Die seither erfolgten Revisionen sind ihm nicht einmal bewußt. Das neunseitige, mit größter Wahrscheinlichkeit von Stillemunkes verfaßte Manifest der hessischen Landesregierung vom August 2004 (pdf-Datei) zum Beispiel verteidigt eine Orthographie, die laut Duden oder Wahrig längst schon wieder überholt ist.
Es hat keinen Zweck, die – vermeintlich – eigentlich Regierenden in Hessen auf die Problematik anzusprechen. Man kann zum Beispiel schreiben, wem man will – wer antwortet, ist immer der Rasputin der hessischen Orthographie: Ministerialrat Christoph Stillemunkes.
"Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
ich habe gerade mit großer Bestürzung die von Ihnen veröffentliche Erklärung "Ein Ja zur Rechtschreibreform" gelesen. Hier werden - ohne mit der Wimper zu zucken - Unwahrheiten verbreiten. Diese will ich hier nicht aufzählen, denn ich gehe davon aus, daß Sie selber genau wissen, daß hier der Bürger gezielt falsch informiert wird.
Beispielsweise darf ich den besonders abstrusen Teil (10 gute Gründe für die Rechtschreibreform - Punkt 4) des Stammprinzipes herausgreifen.
Das Wort "Stengel" hat nicht - wie behauptet wird - seinen Stamm in "Stange", sondern in "Stenge". Genauso hat "Wand" seinen Stamm in "wenden", weswegen die Schreibweise "aufwändig" unsinnig ist und im übrigen auch - wie Sie selbst schon gemerkt haben - kaum noch angewendet wird, trotz qua Reform verordneter Schreibung "aufwändig".
Sollten Sie aber dennoch der Ansicht sein (was ich nicht annehme), daß die von Ihnen in dieser Erklärung verbreiteten Behauptungen korrekt wären, darf ich Ihnen die Lektüre der Analyse der Rechtschreibreformregeln von Theodor Ickler ("Kritischer Kommentar zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung" ISBN 3-7896-0992-7) und vielleicht auch als Einstieg und Gesamtanalyse das Werk "Die sogenannte Rechtschreibreform - ein Schildbürgerstreich" ISBN 3-931155-09-9 ebenfalls von Theodor Ickler empfehlen.
Aber unbenommen aller sachlicher Unrichtigkeiten in den Behauptungen, die Rechtschreibreform wäre sinnvoll, richtig oder gut, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit vor allem auf den letzen Punkt lenken:
In dem allerletzen angeführten Argument wird behauptet "Die Rückkehr zur alten Rechtschreibung würde die Unfähigkeit Deutschlands zu Reformen bestätigen".
Vielmehr wäre hier folgende Einsicht angebracht:
Wenn die Politik nicht in der Lage ist, offensichliche Fehler und Mißstände zu erkennen und zu beseitigen, wenn die Politik nicht in der Lage ist, auch einmal Fehlentwicklungen zurückzunehmen oder falsche Entscheidungen zu korrigieren,
dann macht sich die Politik, und damit die Politiker unglaubwürdig: Sie selber machen sich unglaubwürdig und damit für den Bürger nicht wählenswert.
mit freundlichen Grüßen,
Dr. Christoph Müller"
"Aktenzeichen:
V A 2 - 675.010.000 47- Durchwahl: 3682705
Datum: 31. August 2004
Sehr geehrter Herr Müller,
die Staatskanzlei hat mir Ihre o.g. Mail zugeleitet.
Dazu möchte ich Ihnen mitteilen, dass die von uns gegebenen Informationen zutreffen, das gilt auch für das Wort "Stängel".
Der Stamm des Wortes "Wand" ist "Wand". Daher schreibt man Wände mit ä, jedoch Wende ( gemeint ist die Kehre ) mit e, weil es von wenden kommt. "Aufwändig" kann man von "aufwenden" oder von "Aufwand" ableiten; deshalb sind beide Schreibweisen - also aufwendig und aufwändig - zulässig. Ihre Anmerkungen zu diesem Punkt lassen mich vermuten, dass Sie das Stammprinzip - gleiche Wortstämme schreiben sich gleich - , das in der gesamten deutschen Rechtschreibung gilt, mit dem etymologischen Hintergrund der Wörter verwechseln.
Herrn Icklers Auffassungen sind mir durchaus bekannt.
Ihre abschließenden Bemerkungen erledigen sich dadurch, dass die Neuregelung eben kein Fehler war, wie die Erfahrungen der Schulen eindeutig belegen. Die neuen Regeln sind den früheren eindeutig überlegen, sie sind systematischer und klarer, sie sind leichter erlernbar und anwendbar. Es gibt daher keinen Grund für eine Änderung oder für eine Rückkehr zum früheren Zustand.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Stillemunkes"
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Kommentare zu »Der hessische Rechtschreib-Rasputin« |
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.04.2018 um 17.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=20#1991
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Die Gesellschaft für deutsche Sprache, gegen den Willen ihrer Mitglieder zum Propaganda-Werkzeug für die Rechtschreibreform gemacht, veröffentlichte im „Sprachdienst“ 5/2000 einen besonders giftigen Beitrag des hessischen Ministerialrats Stillemunkes gegen die Reformkritiker, vor allem die FAZ.
Falschmeldungen über eine „Reform der Reform“ wurden lanciert, Theodor Ickler verschickte E-Mails (...)
Der Staat – bzw. die demokratisch legitimierte Exekutive – soll nicht normieren dürfen, wohl aber ein privatwirtschaftlicher Verlag – natürlich ohne jedes demokratische Mandat, aber dafür mit Gewinninteressen-, denn zum Duden will man zurück. Das ist schon ein bedenklicher Mangel an demokratischem Verständnis. Vollkommen unglaubwürdig wird die Angelegenheit der Reformgegner durch Theodor Ickler, der ein eigenes Wörterbuch, das angeblich den Sprachgebrauch des Deutschen erfasst, aber wiederum vom Duden abweicht, ankündigt.
(...)
Die Umsetzung an den Schulen geht völlig reibungslos vor sich. (...) Die Schulen stellen allmählich ihre Bestände um.
Stillemunkes tut so, als hätte er die erklärte Absicht meines Wörterbuchs nicht verstanden. Es gibt noch vieles, was man dem Mann heute vor die Nase halten möchte. Seither ist von der Reform nicht viel übrig geblieben, die Reform der Reform der Reformm... war keine Falschmeldung, und die Bestände sind nicht nur einmal umgestellt worden. Geblieben ist nur Ministerialrat Stillemunkes.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 24.10.2012 um 05.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=20#977
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"Stillemunkes saß dabei, als der Rechtschreibrat wenig später von der obligatorischen Großschreibung Abstand nahm. Welche Qualen muß er durchlitten haben!" — Gar keine. Er saß ja fest, und keiner konnte ihm bei seiner Position was! Und das ist bei solchen Leuten wichtig, und nicht, daß es um etwas geht. Das kann man auch z. Z. im amerikanischen Wahlkampf sehen. Es geht nicht darum, die Lage des Staates richtig zu sehen und sie den Wählern zu erklären, sondern darum, die Wahl zu gewinnen — erstmal.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2012 um 14.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=20#976
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Stillemunkes schrieb 2004 an einen Lehrer:
»Ganz zweifellos liegt bei dem von Ihnen genannten Beispiel „Recht“ in der Verbindung „Recht haben“ ein substantivischer Gebrauch vor. Die Konstruktion ist erkennbar die gleiche wie „Freude haben“, „Angst haben“ oder „Hoffnung haben“ etc. Deshalb ist die Großschreibung in diesem Fall die richtige Lösung.«
Na klar, man sagt ja auch "wie Freude du hast" oder "du hast ganz Hoffnung"!
Stillemunkes saß dabei, als der Rechtschreibrat wenig später von der obligatorischen Großschreibung Abstand nahm. Welche Qualen muß er durchlitten haben!
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2004 um 06.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=20#14
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Wenn ein Lehrer sich beim hessischen Kultusministerium die Broschüre »Rechtschreibung gut erklärt« (verfaßt von Uta Jeide-Stengel und Ministerialrat Christoph Stillemunkes) bestellt, bekommt er im Herbst 2004 eine Darstellung, die keineswegs auf dem aktuellen Stand ist. Die Änderungsbeschlüsse der KMK, von Stillemunkes mitverfaßt, sind in der Handreichung nicht berücksichtigt.
Schon das Vorwort der Ministerin enthält einen Kommafehler: »Dabei geht es auch darum die Chancen der Rechtschreibreform richtig zu nutzen«. Im Regelteil gibt es vier weitere Fehler dieser Art: »Ammen erzogen Säuglinge dazu das vorgesetzte Essen allein zu sich zu nehmen« usw.
Nicht einmal Stillemunkes, der die Rechtschreibreform an vorderster Front durchsetzt, hat also das neue obligatorische Komma verstanden. Hinzu kommen auf engem Raum zahlreiche weitere sprachliche und sachliche Fehler.
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