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04.01.2005
 

Zehen und Klauen
Leserbriefe zu Zehetmair

Der Vorsitzende des vorgeblich staatsfernen Rats für deutsche Rechtschreibung hat mit seinem Beitrag für die F.A.Z. wenigstens etwas Aufmerksamkeit erheischen können.

Dies bezeugen fünf Leserbriefe aus der heutigen F.A.Z., von denen einer sogar für für die Reform plädiert. Im Rat sind die Mehrheitsverhältnisse bekanntlich andere.

Wenig zweckdienlich
Zum Artikel von Hans Zehetmair zur Rechtschreibung „Größtmögliche Staatsferne“ (F.A.Z.-Feuilleton vom 3. Dezember): Es ist ja recht lobenswert, wenn sich Hans Zehetmair dafür einsetzen will, die „größten Reformschwachstellen“ zu beseitigen. Die größte Reformschwachstelle ist aber die ‚s‘-Schreibung, die Zehetmair befürwortet. Ebendiese „ss“ und „sss“-Schreibung ist das, was uns nervt. Denn die Doppel-s-Schreibweise ist unästhetisch, unlogisch und wenig zweckdienlich. Die ß-Schreibweise dürfte wohl zu den einfachsten Regeln unserer Orthographie zählen. Und sobald ein Schüler gelernt hat, daß ein Wort mit ‚ss‘ endet, kann er problemlos das ‚ss‘ gegen ein ‚ß‘ austauschen.

Wenn er dann noch erkennt, daß die ß-Schreibweise einen ästhetischen und funktionellen Wert darstellt, wird er keinen Sinn mehr darin erkennen, das Wort mit „ss“ zu schreiben. Die Vorstellung, daß künftige Generationen kaum noch imstande sein werden, ihr literarisches Erbe zu lesen, weil sie gewisse Schreibweisen nicht mehr verstehen können, erfüllt mich mit Grauen. Lassen wir es nicht so weit kommen. Ich hoffe – was auch immer da kommen wird –, daß die „Frankfurter Allgemeine“ der bewährten Rechtschreibung treu bleiben wird.Manfred Ihler, Bremen

Kommunikationsformen
Zum Beitrag von Hans Zehetmair „Größtmögliche Staatsferne“ (F.A.Z. vom 3. Dezember): Zehetmair ist zu seinem mit Sachverstand und Augenmaß geschriebenen Artikel zur Rechtschreibreform zu beglückwünschen. Dennoch möchte ich auf einem möglichen Trugschluß hinweisen: Ich glaube, er irrt, wenn er „vom schreibenden Teil unserer Gesellschaft“ meint, daß dieser „ja nicht unbedingt im Anwachsen“ sei. Vermutlich ist das Gegenteil der Fall.

Gewiß dürfte der postalische Briefverkehr in den letzten Jahrzehnten erheblich abgenommen haben. Tastatur und Bildschirm sind an die Stelle von Papier und Feder oder Schreibmaschine getreten. Es scheint überdies eine Tendenz zu geben, auch das Telefongespräch zunehmend durch E-Mail oder SMS-Nachricht zu ergänzen oder zu ersetzen. So hat die E-Mail den Postbrief sowohl im geschäftlichen wie im privaten Verkehr zwar vielfach verdrängt – aber auch E-Mail-Austausch ist eine schriftliche Kommunikationsform. Fragen der treffenden Ausdrucksweise, der klaren Gliederung, des persönlichen Stils spielen nach meinen Beobachtungen keine geringere Rolle als früher, wenngleich allerlei technische Hilfen, Geschwindigkeit und Unmittelbarkeit des elektronischen Schriftverkehrs natürlich auf Schreibweise und Stil zurückwirken. Kurzum: Man mag in diesen Entwicklungen mancherlei Fragwürdiges finden, aber es wird weiterhin geschrieben, geschäftlich und privat, über alle Grenzen hinweg, und zwar in einem Umfang wie nie zuvor. Der Gebrauch der Schriftsprache „boomt“.Konrad Menny, Sarajevo

Freiheit für den Rat
Zum Artikel „Zehen statt Zähne“ (F.A.Z. vom 18. Dezember): Ungereimtheiten der Rechtschreibreform mit Zehen und Klauen zu verteidigen, hält der Vorsitzende des Rates für Deutsche Rechtschreibung für wenig sinnvoll. Warum diese ungewöhnliche Redeweise? Offenbar, weil Zehetmair hinter seinen vorgehaltenen Zehen noch immer mit Zähnen und Klauen die mißglückte Reform verteidigt. Am besten ist es, man läßt KMK und Kommission mit Zehetmairs Zehen oder Zähnen machen, was sie wollen, und hält sich an die klassische Rechtschreibung. Das ist die einfachste Art, den Verteidigern ideologisch motivierten Unsinns die Zähne zu ziehen und ihnen auf die Zehen zu treten.Professor Dr. Hans-Bernhardt Wuermeling, Erlangen

Der dritte Duden
Zur Rechtschreibreform: Ich habe mir inzwischen den dritten neudeutschen Duden gekauft, obwohl er bestimmt in einigen Monaten wieder Makulatur ist. Über 5000 Wörter müssen jetzt anders geschrieben werden, und das, obwohl die Pisa-Studie kürzlich herausfand, daß die Kinder oft nicht die einfachsten Wortzusammenhänge erkennen. Meint man denn, daß man den Schülern Tausende neuer Regeln in absehbarer Zeit einhämmern könnte?

Was mir an den neuesten Regeln auffällt, sind eine große Anzahl von Alternativschreibungen und Silbentrennungen. Haben wir jetzt zwei verschiedene deutsche Sprachen? Für Ärzte und andere Wissenschaftler mit klassischer Schulbildung ist es ein Greuel, wie man jetzt die Wörter an Stellen trennen soll, die keinerlei Rücksicht auf die lateinischen oder griechischen Vor-, Stamm- und Nachsilben nehmen. Ganz besonders ärgerlich sind die Vorschriften, wie man ck trennen soll. Früher ersetzte man das ck durch je ein k auf der ersten und zweiten Zeile, so wie dies zwei Milliarden Englisch sprechende Menschen tun. Jetzt ergeben sich die komischsten Trennungen wie E-ckart, E-cken und so weiter. Die Beispiele könnte man endlos fortsetzen. Gibt es in Deutschland eigentlich niemand, der mal sein Schweigen bricht und fordert, diesem Wahnsinn ein Ende zu setzen?Hans-Georg Riebold, Kornwestheim

Spanien als Vorbild
Zum Beitrag „Größtmögliche Staatsferne“ (F.A.Z.-Feuilleton vom 3. Dezember): Wenig überzeugend und rätselhaft bleibt, daß Hans Zehetmair glaubt, die neue Getrennt- und Zusammenschreibung führe „zum Verlust der semantischen Differenzierungsmöglichkeiten und der Ausdrucksvielfalt der Sprache“. Wie ist es etwa im Spanischen? Dort hat das Wort „pasar“ intransitiv 15, transitiv weitere 19 und reflexiv noch einmal acht Bedeutungen, insgesamt also 42 Bedeutungen, die alle allein aus dem Kontext und nicht durch die Änderung der Rechtschreibung erkannt werden. Und da sollen die Deutschen nicht in der Lage sein, den Sinn von „frisch gebacken“ und „frischgebacken“ aus dem Kontext entnehmen zu können, wie es das neue Regelwerk vorsieht, indem es nämlich auf die Zusammenschreibung bei übertragener Bedeutung verzichtet? Umgekehrt stelle man sich einmal vor, alle 42 verschiedene Bedeutungen von „pasar“ würde man durch Änderungen der Schreibweise andeuten. Wer also eine Vereinfachung der Rechtschreibung will – und daran sollten alle interessiert sein, die möchten, daß unsere Sprache international mehr Verbreitung findet –, der sollte sich dreimal überlegen, ob er die Vereinfachungen, die die neuen Reformen gebracht haben, wieder rückgängig machen will.Benno Kunze-Obsieger, Bonn

( Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 04.01.2005, Seite 7 )



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Kommentare zu »Zehen und Klauen«
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Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 07.01.2005 um 18.35 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=174#151

A propos Beschäftigungsverhältnisse

Aus der FAZ vom 07.01.05 (S.1), zitiere ich aus dem Artikel „Thierse will mehr Transparenz bei Nebeneinkünften – Brief des Bundestagspräsidenten an die Fraktionen ...“ folgende Passage:
„Aus den Fraktionen verlautete am Donnerstag, sie würden die Frage dem Wunsch Thierses entsprechend prüfen. Die Verhaltensregeln sind in einem Anhang zur Geschäftsordnung des Bundestags festgelegt. Sie schreiben derzeit vor, daß Nebeneinkünfte über einer Bagatellgrenze dem Präsidenten gemeldet werden müssen, aber nicht veröffentlicht werden. Veröffentlicht wird nur das Beschäftigungsverhältnis im allgemeinen. Die Geschäftsordnung kann mit der Mehrheit der Abgeordneten geändert werden ...“

Von allgemeinem Interesse (in Bezug auf das Thema „Rechtschreibreform“) wäre sicherlich, ob – und wenn ja - welche und wie viele Abgeordnete des Bundestages und der Landtage auf der Beschäftigtenliste des Bertelsmannverlages (nebst Tochterfirmen) stehen und standen. Eine konkrete Antwort würde ggf. für Klarheit sorgen, existiert doch immerhin die Verwunderung darüber, daß Pensionäre sich nicht mehr ganz so loyal verhalten wie zu den Zeiten, in denen sie in Amt und Würden standen.

Das heißt: Man sollte anfragen, bzw. bereits vorgenommene Veröffentlichungen gründlich studieren.
Wo aber sind die Quellen, und an welchen Stellen kann man die Tatsachen abrufen?



Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 07.01.2005 um 16.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=174#148

Heute liest man in der New York Times, There are few things more dangerous than a mixture of power, arrogance and incompetence. Es geht natürlich nicht um so etwas wie unsere KMK und die Rechtschreibreform - so weit ist selbst Amerika noch nicht gesunken. Immerhin: Damit ist unser Dilemma gut beschrieben. Bundeskanzler Schröder spricht verschleiernd vom "Selbstbewusstsein der KMK". Daß man daselbst nach wie vor auf Durchhalten setzt, hat die neue Präsidentin gerade unmißverständlich klargemacht. Freilich scheint der Korpsgeist dieser Institution nur bei denen zu wirken, die ihm kraft Amtes angehören. Hinterher gibt es geistige Aufhellungen, wie seit kurzem Staatsminister a. D. Hans Zehetmair demonstriert. Nun erfährt man aus der FAZ vom 5. Januar, daß auch der sächsische Staatsminister a. D. Hans Joachim Meyer die Bewußtseinstrübung seiner Ministerjahre weit hinter sich gelassen hat. Wer hätte ihm 1998 diese Sätze zugetraut:

Eine lebendige Sprache ist Teil der geschichtlich gewachsenen Kultur, weil in dieser Sprache gedacht wird und weil nur im Medium einer Sprache gedacht werden kann: Sprache dient eben nicht nur der Übermittlung und Klärung von Informationen und Handlungsanweisungen. Sprache ist vielmehr aktive Teilhabe am Leben einer Gesellschaft, an deren Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Jedes individuelle Denken steht in einem dynamischen Kontinuum, in dem die Sprache als vorgefundenes und bereits vielfach vorgeprägtes Mittel Inhalt und Absicht ausdrückt und zugleich das Material für kreative Neuformulierungen bietet. In diesem Sinne ist jede Sprache nicht nur aufbewahrte Kultur, sondern auch Möglichkeit der Teilhabe am fortwährenden kulturellen Wandel. Wer eine Sprache nicht nur zur Weitergabe von Informationen und zur Organisation von Handlungen nutzen will, sondern als intellektuelles Potential, der kann Sprache nicht nur wie ein Kleid überziehen. Sie muß seine zweite Haut werden.

Und dann noch:

Geistige Vitalität und sprachliches Selbstbewußtsein sind nun einmal die Voraussetzungen für die kulturelle und politische Anziehungskraft einer Sprache.

Dies alles sagt Herr Meyer im Zusammenhang mit Überlegungen zum Sprachreglement in der EU, aber was hier gilt, kann nicht für die gewachsene Rechtschreibung irrelevant sein. Wäre das eine Freude, wenn in diesem entscheidenden Jahr 2005 sich weitere KMK-Pensionäre für eine vernünftige Lösung einsetzten. Den zur Zeit Aktiven dieser Institution bliebe nach dem 1. 8. 2005 viel Ärger erspart.



Kommentar von Jörg Metes, verfaßt am 04.01.2005 um 20.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=174#142

Dazu auch noch zwei Leserbriefe aus der Süddeutschen Zeitung vom 3. 1. 05:

Der neue Heiland der Rechtschreibung
Der Reform Zähne ziehen / SZ vom 1. Dezember

Dass der frühere Wissenschaftsminister Hans Zehetmair, (Alt-) Philologe seines Zeichens, Vorsitzender des neuen "Rates für Rechtschreibung" wird, ist ein Lichtblick. Und es stimmt hoffnungsfroh, dass sich der Vorsitzende nicht als Erfüllungsgehilfe der Kultusminister sieht. Hier sei nur der Wunsch angefügt, es mögen sich alle Mitglieder des Rates frei fühlen und unabhängig von irgendwelchen Meinungen irgendwelcher Politiker; denn in all den Jahren der Rechtschreibdiskussion sind dieselben durch Sachkunde wenig aufgefallen. Man kann dem Rat der Rechtschreibung nur Ausdauer und Kraft wünschen, weil die offensichtlich faulen Zähne, die zu ziehen sind, fest, ja verdammt fest, sitzen. Dr. Jürgen Harbich, Feldkirchen-Westerham

Ausgerechnet Zehetmair, der führend an der Zerstörung der einheitlichen Rechtschreibung beteiligt war. Hat nicht Zehetmair handstreichartig die Einführung des Neuschriebs in den Schulen durchgedrückt -- zwei Jahre vor dem offiziellen Start? War er es nicht, der später den Reformschwachsinn erkannte ("wir hätten das nicht machen sollen"), aber nichts gegen die weitere Umsetzung dieses unlehrbaren und der Grammatik widersprechenden Unsinns unternahm, obwohl er als Kultusminister noch zwei Jahre im Amt war und die Möglichkeit dazu gehabt hätte? Jetzt möchte er sich als Retter aus einer verfahrenen Situation aufspielen, die er maßgeblich mit zu verantworten hat.
Der neue Heiland der Rechtschreibung will "einige der größten Schwachstellen der Reform bereinigen". Warum nur "einige" und nicht alle? Zu den Krankheiten, denen sich Zehetmair erbarmen will, gehört die neue Zusammen- und Getrenntschreibung, die Interpunktion, die Eindeutschung von Fremdwörtern und die Silbentrennung; das heißt, es soll wieder wie bisher geschrieben werden, vor dem Sündenfall der Reform.
Vernünftiger in jeder Hinsicht ist eine komplette Rückkehr zur bewährten klassischen Rechtschreibung. Warum nicht gleich eine Radikalkur? Hans-J. Richter, Immenreuth




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