Nachrichten rund um die Rechtschreibreform
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26.10.2004
Smarte Überzeugungsarbeit
Das Börsenblatt als Interessenvertreter – von wem?
Das »Börsenblatt für den deutschen Buchhandel« feiert mit großem Eifer jeden noch so kleinen Punkt, den es meint für die Reform verbuchen zu können.
Dazu gehört sicherlich die Nachricht, daß die Mannheimer Dudenredaktion als Trost für die von ihr in der deutschsprachigen Kulturlandschaft angerichtete Sprachverheerung dem 64 Jahre alten pensionierten Postbeamten Karl Heinz Hans einen »Smart« geschenkt hat. Außerdem hat sich der Duden-Verlag freiwillig von sage und schreibe 111 Exemplaren des neuesten »Duden« getrennt und unter der Bevölkerung verteilt. Damit dieser Hören und Sehen nicht gänzlich vergeht, hat sich die Programmillustrierte gleichen Namens an dieser palliativen Aktion irgendwie beteiligt. Toll!
Auch sind dem Branchenblatt Meinungsäußerungen eines in der Materie erkennbar unbewanderten Funktionsträgers wie Bodo Hombach, oder von Vertretern diverser Wirtschaftsverbände (u.a. Handwerkermärkte), oder auch die des »Vds Bildungsmedien« immer wieder eine »Nachricht des Tages« wert. Und die nicht weniger von Sachverstand unbelastete Ministerin Doris Ahnen wurde gar zum Dank für ihre Einsichtsverweigerung zum »Kopf der Woche« gekürt, weil sie die Kultusminister auf Linie gehalten hat.
Nachrichten über Aktivitäten von Reformgegnern oder über deren Anliegen bringt das Börsenblatt dagegen nur, wenn sie ohne Gesichtsverlust kaum mehr unter den Teppich gekehrt werden können – also etwa, wenn mit ihnen eine Literaturnobelpreisträgerin, die Springer-Presse oder eine namhafte Akademie in Zusammenhang stehen.
Dabei hat der »Börsenverein«, dessen Organ das »Börsenblatt« ist, eigentlich die Interessen der ganzen Buchbranche zu vertreten, und als im Kulturleben verantwortlich tätige Institution sollte er dies insbesondere im Hinblick auf die literarischen Verlage und deren Rohstofflieferanten, die Schriftsteller und Intellektuellen tun. Tut er aber nicht.
Die neuesten Beispiele:
»26.10.2004
Hombach sagt Gegnern Niederlage voraus
Verlage könnten die Stimmung im Land nicht kippen
WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach hält die Rückkehr deutscher Verlage zur alten Rechtschreibung für einen „Akt der Selbstüberschätzung“. Das sagte er dem Politikmagazin "Cicero".
„Ich möchte nicht in der Haut der Kollegen stecken, die geglaubt haben, dass sie die Stimmung im Land kippen können. Sie werden irgendwann zurückrudern und dabei ihr Gesicht wahren müssen“, so Hombach. Über die Rechtschreibreform lasse sich trefflich streiten. Mit der Ankündigung von „Spiegel“, „Welt“ und „Bild“, wieder zur alten Schreibweise zurückzukehren, sei aber eine Grenze überschritten worden. Regeln, die von einer demokratisch legitimierten Institution gesetzt werden, demonstrativ nicht zu befolgen oder aushebeln zu wollen, könne bei einem Staatsnotstand geboten sein. Den hätten die Kultusminister aber „sicher nicht ausgelöst“, betonte der ehemalige Kanzleramtsminister und SPD-Politiker in "Cicero".
22.10.2004
Wirtschaft lehnt Rücknahme der Rechtschreibreform ab
Umfrage des "Handelsblatts"
Die große Mehrheit der Unternehmen in Deutschland beachtet die neuen Regeln der Rechtschreibreform bereits und lehnt einen Rückkehr zur alten Schreibweise ab. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des "Handelsblatts" unter den 1500 größten deutschen Unternehmen.
Laut Umfrage richten sich bereits 70 Prozent der Unternehmen nach den neuen Regeln. Acht Prozent der Unternehmen planen, künftig die neue Schreibweise zu übernehmen. Dagegen sind 22 Prozent entschlossen, die neue Rechtschreibung nicht einzuführen. 71 Prozent lehnen eine Rücknahme der Reform ab.
Wie das "Handelsblatt" schreibt, sind die Unternehmen an verlässlichen Regeln interessiert und fürchten den Aufwand, der mit einer Reform der Reform verbunden wäre. «
Das muß doch jedem einleuchten: Wenn »die Unternehmen« das so sehen, muß ja was dran sein! Dagegen zählen inhaltliche Kritiken natürlich nicht.
Walter Lachenmann
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Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 28.10.2004 um 09.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=119#38
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Es sei eine "Grenze überschritten worden", meint Bodo Hombach, "wenn Regeln, die von einer demokratisch legitimierten Institution gesetzt werden", demonstrativ nicht befolgt werden. Diese Aussage sollte man genauer analysieren:
1. Welche "Grenze" wurde überschritten? Eine juristische? Kann nicht sein, denn das Bundesverfassungsgericht hat die Gültigkeit der "Reform" ausdrücklich auf den Bereich der Schulen beschränkt. Eine politische? Kann auch nicht stimmen, denn der politische Beschluß betraf die Einführung an den Schulen – für Verlage hat die Politik ausdrücklich keine Kompetenz. Eine Grenze des Anstands? Das würde diesen Begriff pervertieren. Welche Grenze also?
Gemeint ist offenbar eine von erwarteter Willfährigkeit, von als selbstverständlich vorausgesetztem Mitläufertum gesetzte.
Herr Hombach zeigt sich irritiert, wenn ausgerechnet große Verlage es "wagen", den vorauseilenden Gehorsam aufzukündigen und mit dem großen Strom der Sprachgemeinschaft gegen jene zu schwimmen, die ihn mit Gewalt umkehren wollen.
Bleiben 2. die Regeln einer "demokratisch legitimierten Institution". Demokratisch? Auch Herr Hombach weiß, daß die vom Volke gewählten Parlamente gerade nicht mit der "Reform" befaßt wurden, daß ihnen dieses Recht sogar abgesprochen wurde und daß die "Reform" im Volke selber bislang nicht mehr als 11 bis 13 Prozent erzielte. Was er vielleicht nicht weiß, was aber trotzdem stimmt: Wie jemand seine Muttersprache pflegt, wie er bzw. sie ein Wort ausspricht oder schreibt, ist eine individuelles Menschenrecht, nicht Sache irgendeiner Institution – auch nicht einer gewählten.
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