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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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19.12.2006
 

„Unlogisch“
Notiz zu Peter Porsch

Die Linkspartei, Pressedienst 13.8.2004:
"Mehr Gelassenheit bei Rechtschreibreform
Erklärung von Peter Porsch
Zur aktuellen Diskussion um die Rechtschreibreform erklärte der Vorsitzende der PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag und Germanistik-Professor Peter Porsch, 8. August:

Man mag von der Rechtschreibreform halten, was man will, ein Ergebnis Jahrhunderte langen Wachstums ist die alte Rechtschreibung deswegen noch lange nicht gewesen. Sie wurde zu Beginn des vorigen Jahrhunderts festgelegt und wurde seit damals immer wieder behutsam durch die DUDEN-Redaktion moderneren Schreibbedürfnissen angeglichen. Wie auch immer die Regeln aussehen, sie sind - anders als die Sprache selbst in ihrem Wortschatz und ihrer Grammatik - immer bewusst gesetzte Normen. Immerhin hat die deutsche Rechtschreibung den Vorteil gegenüber der englischen oder französischen, dass sie nahe an der authentischen Wiedergabe von Aussprache ist.

Und ansonsten sollte man die Sache gelassen sehen. Die meisten Kritiker und Kritikerinnen der neuen Regeln haben auch die alten nicht vollständig beherrscht und befolgt. Ich gebe offen zu, dass Letzteres auch für mich gilt. Die Getrennt- und Zusammenschreibung war und bleibt vielen ein Buch mit sieben Siegeln. Die Reform der S-Schreibung halte ich für halbherzig und deshalb missglückt. Ein Segen ist die Vereinfachung der Groß- und Kleinschreibung durch einfachere und klarere Regelungen. Ich schlage vor: Schluss mit der Aufregung und weiter Fehler machen."



Porsch, um den es ja eine Stasi-Diskussion gab, an die sich mancher noch erinnern wird, war mir schon vor der Wiedervereinigung aufgefallen:

"Weil z. B. dem durchschnittlichen Bürger der DDR die terminologischen Fassungen von Wörtern wie Sozialismus, Imperialismus, Sowjetmacht usw. im wesentlichen geläufig sind (und er darauf aufbauend auch entsprechende Einstellungen entwickelt hat), werden solche unlogischen Bildungen wie Sowjetimperialismus, die bürgerliche Manipulatoren zur Verunglimpfung der Sowjetunion hervorgebracht haben, vom durchschnittlichen Bürger der DDR nicht angenommen und in ihrem manipulativen und verleumderischen Gehalt erkannt." (Peter Porsch in Deutsch als Fremdsprache 24, 1987, S. 5)



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Kommentare zu »„Unlogisch“«
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Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 21.12.2006 um 17.36 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7072

Zurück zur PDS-Fraktion und zum Germanistik-Professor Peter Porsch:

Daß Unwissen sich in Gelassenheit äußern kann, ist nicht neu. Vielleicht war ja zur Erlangung dieses Zustandes in der DDR noch mehr Unwissen (noch weniger Wissen) vonnöten als im Westen. Es geht hier allerdings nicht um die "Gelassenheit" des unbeteiligten Zuschauers, sondern die des aktiven Mitläufers: "Ich weiß nicht, also bin ich dafür." Und das ostentative Unwissen ist möglicherweise auch nicht ganz echt: Kennt der Herr Professor wirklich nur "bewusst gesetzte Normen" des (SED-)Staates? Hat er sich mit dem Norm- und Regelbegriff nicht auseinandergesetzt?

Als Student glaubte ich, daß jeder Sprachwissenschaftler ein Wissenschaftler sei, aber nicht jeder Wissenschaftler ein Sprachwissenschaftler. Sprachwissenschaft war und ist für mich deskriptive Sprachwissenschaft. Heute weiß ich, daß längst nicht jeder Linguist ein Wissenschaftler ist, so wie längst nicht jeder Mediziner ein Arzt im Sinne des hippokratischen Eides ist.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 21.12.2006 um 17.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7071

"Wer tagelang schreibt, meint nicht nur einen Tag, Wortbildungsmuster hin oder her." (#7057)
"Wenn also jemand nur einen Tag gewartet hat, dann soll er nichts sagen, was 'einen oder mehrere Tage' bedeutet. (#7059)
Diese interessante und durchaus lehrreiche Diskussion hatte mal mit "Tage lang" und "tagelang" angefangen. Unser Sprachgefühl sagt uns, daß hier ein Plural vorliegt; denn wer mal auf einem Ämterkorridor acht Stunden gewartet hat und dann, immer noch nicht vorgelassen, den Beamten/die Beamtin, den Assistenten/die Assistentin, die Sekretärin die Tür abschließen sah, platzte korrekt — weil ganz natürlich — nie heraus: "Jetzt habe ich hier tagelang gewartet!", sondern korrekt und ganz natürlich immer so los: "Jetzt habe ich hier einen/den ganzen Tag lang gewartet!" oder ebenso korrekt und ganz natürlich: "Jetzt habe ich hier stundenlang gewartet!" Und "taglang" (#7064) schreit er nicht, — weil er's zwar vielleicht irgendwo gelesen, aber sonst noch nie in so einer Situation gehört hat und dieses Wort also eben nicht seine Sache ist. Parallel zum "sekundenschnellen Vorgang" (#7058) gibt es im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch wohl die "taglange" Arbeit, aber wohl schon weniger eine bestimmte nur einen Tag währende "tagelange" Arbeit; doch adverbial diskutieren wir dieses Problem hier nur "tagelang", wenn wir es an einem nicht zufriedenstellend lösen können. Könnten wir es, würden wir es nur "einen Tag lang" diskutieren (also nur eine Zeitlang, jedenfalls nur eine kurze Zeit lang also). Würden wir es dann vielleicht aber "taglang" diskutieren, als ja nur "*taglanges Problem" sozusagen, parallel zur taglangen Arbeit? Ich glaube kaum. Außerdem haben ja wir eine Handvoll andere/anderer Probleme, ich z. B. das, wie ich mich fürs erste aus dieser Diskussion vorweihnachtlich und sekundenschnell (adv.!) zum Gänsebraten (o mein Gott!) zurückziehen kann.

Im übrigen bin ich der Meinung, daß Peter Porsch nicht weiß, wovon er redet. Aber er ist leider nicht der einzige, der Deutsch als Fremdsprache so handhabt wie er.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 21.12.2006 um 16.44 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7070

Gattungsnamen aller Art

Es ist nun einmal nicht zu ändern (bitte nicht reformieren!), daß das Deutsche die Pluralformen als Gattungsnamen einsetzt. Wenn sich jemand Perlhühner hält, dürfen auch ein paar Hähne drunter sein. Regularitätensuche um jeden Preis ist angesichts der vielschichtigen und durch auch außersprachliche Gegebenheiten überfrachteten Wortbildungsweisen des Deutschen wenig sinnvoll oder ihne Aussicht auf Erfolg. Daß das österreicherische Deutsch Komposita bildet, die in 12 Punkt Times länger sind als eine Johannisbrotbaumschote, ist ebenso seine Eigenart wie die Tatsache, daß es eine Aufnahmsprüfung hat, während im Deutschen das feminine Suffix -e erhalten und ein Fugen-s nicht notwendig ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.12.2006 um 15.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7069

Wir hatten dieselbe Diskussion vor genau einem Jahr schon einmal (siehe hier).

Daß "Hühner" der Plural von "Huhn " ist, war mir nicht unbekannt, ich hatte aber von "hühner-" gesprochen.
 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 21.12.2006 um 12.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7067

»Die Erstglieder von Komposita brauchen Singular und Plural nicht anzuzeigen, sie sind unterspezifiziert, werden generisch interpretiert. Ihre singularische oder pluralische Lesart ergibt sich aus dem Zweitglied, allgemein aus unserem Weltwissen. Folglich werden die Erstglieder in (17a) pluralisch interpretiert, die in (17b) dagegen singularisch:

(17a) Bildband, Buchhändler, Autobahn, Federbett, Nudelsuppe
(17b) Geisterfahrer, Augenlid, Gästebett, Hühnerei und Hundehütte.«


Damit bin ich eher glücklich. Wobei ich aus der Liste (17 b) folgende auch pluralisch lesen kann, wenn ich will: das Gästebett (als Bett für Gäste, meist seriell), das Hühnerei (als Ei, das von Hühnern stammt) und die Hundehütte (als eine für Hunde geeignete Hütte).
 
 

Kommentar von Karl Valentin, verfaßt am 21.12.2006 um 12.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7066

"Semmelnknödeln"
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.12.2006 um 12.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7065

Zu Tortenboden: Althochdeutsche "schwache Deklination, n-Stämme: fem. die zunge, der zungen" aus: Schweikle, Germanisch-deutsche Sprachgeschichte im Überblick.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 21.12.2006 um 11.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7064

»Falscher Plural« (PDF-Datei), »›plural‹-verdächtige Suffixe« (siehe hier) – die pluralische Lesart scheint nicht hoch im Kurs zu stehen.

Das Argument, Mehrfachbesetzungen wie Schweinsbraten/Schweinebraten belegten, daß das Fugenelement einzig die Funktion habe, die Bestandteile des Kompositums zu trennen, und semantisch leer sei, halte ich für plausibel.

Bei Heide Wegener (»Das Hühnerei vor der Hundehütte. Von der Notwendigkeit historischen Wissens in der Grammatikographie des Deutschen« [PDF-Datei]) findet man folgende Darstellung, die uns möglicherweise weiterbringt:

»Die Erstglieder von Komposita brauchen Singular und Plural nicht anzuzeigen, sie sind unterspezifiziert, werden generisch interpretiert. Ihre singularische oder pluralische Lesart ergibt sich aus dem Zweitglied, allgemein aus unserem Weltwissen. Folglich werden die Erstglieder in (17a) pluralisch interpretiert, die in (17b) dagegen singularisch:

(17a) Bildband, Buchhändler, Autobahn, Federbett, Nudelsuppe
(17b) Geisterfahrer, Augenlid, Gästebett, Hühnerei und Hundehütte.«

Vielleicht sollte man unterscheiden zwischen den Bedeutungen, die unter Berücksichtigung bestimmter sprachgeschichtlicher und morphologischer Gegebenheiten in einem konkreten Kompositum angelegt sind, und der tatsächlichen aktuellen Verwendung. In diesem Sinne halte ich die Definitionen von tagelang in modernen Wörterbüchern (z. B. Duden: »mehrere Tage dauernd«, Brockhaus/Wahrig: »mehrere Tage während«, Störig: »mehrere Tage andauernd«, Klappenbach/Steinitz: »viele Tage dauernd«) nach wie vor für richtig. (Nebenbei: Diese Zusammenstellung zeigt sehr schön, welche Anstrengungen die Wörterbuchmacher unternehmen, um den Eindruck zu vermeiden, sie schrieben voneinander ab.) Die »theoretische« Bedeutung von tagelang (und übrigens auch taglang), nämlich »einen oder mehrere Tage lang dauernd« (DWB), bleibt hiervon unberührt.
 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 21.12.2006 um 10.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7062

Tortenboden aus dem Althochdeutschen?

Und um so von Huhn zu Hühner zu kommen, wären ja nicht nur ein Fugen-e und ein Fugen-r nötig, sondern auch noch ein Fugen-ü.

Die Existenz und den Sinn von Fugenelementen will ich allerdings nicht in Abrede stellen. Geburttag und verfassunggebend würden sich mindestens so schwer sprechen lassen wie selbstständig.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 21.12.2006 um 10.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7061

„Durch Übereinstimmungen mit den Pluralsuffixen wird man häufig dazu verleitet, zu glauben, dass die Fugenelemente aus ihnen entsprungen seien. Diese Annahme ist allerdings falsch, denn die althochdeutschen Fugenelemente sind stets die Stammbildungssuffixe der jeweiligen Flexionsklasse. Das bedeutet, dass sie der a-, i-, ir- und n-Klasse angehören und sich dann zu den Interfixen -e ( nhd. Geburtstag. Genau dieselben Stammbildungssuffixe wurden später zu Pluralsuffixen umfunktioniert.“ (Wikipedia, Stichwort „Fugenlaut“)
 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 21.12.2006 um 09.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7060

Dem Tortenboden könnte man noch das Hühnerei hinzufügen, das ja auch nicht dann entsteht, wenn mehrere Hühner sich zusammentun, um ein Ei zu legen.

Ein Tortenboden ist ein Boden, wie er für Torten verwendet wird. Ein Hühnerei ist ein Ei, welches von Hühnern stammt. Für welche Torte resp. von welchem Huhn ist den Begriffsbildnern wohl nicht so wichtig.

Also ist "hühner-" hier kein Plural, auch nicht grammatisch, sondern einfach der Kompositionsstamm.

Soweit ich weiß, ist Hühner der Plural zu Huhn.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.12.2006 um 21.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7059

Im großen und ganzen stimme ich Herrn Metz zu. Dem Tortenboden könnte man noch das Hühnerei hinzufügen, das ja auch nicht dann entsteht, wenn mehrere Hühner sich zusammentun, um ein Ei zu legen. Also ist "hühner-" hier kein Plural, auch nicht grammatisch, sondern einfach der Kompositionsstamm. So wie umgekehrt an einer Bischofskonferenz auch nicht nur ein Bischof teilnimmt.
Herr Metz hat auch recht, daß wir kaum von tagelangem Warten reden würden, wenn wir nur einen Tag gewartet haben. Aber das ist pragmatisch bedingt - man könnte je nach Geschmack Grice' Maxime der Quantität heranziehen. (Das betrifft, wie ich kurz erläutern möchte, Fälle wie diesen: Ich könnte wahrheitsgemäß behaupten, daß ich zwei Töchter habe; trotzdem wäre es in den meisten Fällen unangemessen, denn ich habe in Wirklichkeit drei, und man erwartet aufgrund jener Maxime, daß ich mit der ganzen Wahrheit herausrücke ... Wenn also jemand nur einen Tag gewartet hat, dann soll er nichts sagen, was "einen oder mehrere Tage" bedeutet.)
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 20.12.2006 um 19.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7058

"Muß ein kilometerlanger Weg, ein sekundenschneller Vorgang, eine tonnenschwere Last immer mehrere Einheiten betragen? " — Gute Frage! Und die Antwort ist nein. Wobei ich mich dann bei "nächtelang" danach frage, wo das "Fugenzeichen" wäre und ob es den Umlaut hervorgerufen habe, denn der "Stamm" müßte ja wohl die Form ohne Umlaut sein. Der absolute Akkusativ (der genauen Zeit und des genauen Maßes [er blieb einen Tag lang; sie ging den halben Kilometer zu Fuß]) könnte aus alten Zeiten bei femininen schwachen Substantiven im Singular das "n" haben, das also wie ein Plural-n aussieht und dann diesen auch immer gleich suggeriert, wenn auch nicht immer zu Recht. Ist vielleicht die Form "nächte-" in "nächtelang" auch auf diesen scheinbaren Plural reingefallen?
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 20.12.2006 um 19.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7057

Wenn die Flammen meterhoch aus dem Dachstuhl schlagen, müssen sie nicht unbedingt mehrere Meter hoch sein. Hier verstehe ich das Wort im Sinne von „in der Größenordnung von Metern (und nicht zum Beispiel Zentimetern)“, das heißt, die Flammen können auch nur einen Meter hoch sein, ähnlich wie bei kiloweise, zentnerweise usw. Anders, wenn ein Gremium tagelang diskutiert hat oder wenn jemand einen stundenlang hat warten lassen. Hier käme ich nicht im Traum auf die Idee, daß nur ein Tag oder nur eine Stunde gemeint gewesen sein könnte, es sei denn, mir ist bekannt, daß der Verfasser zu hemmungsloser Übertreibung neigt. Wer tagelang schreibt, meint nicht nur einen Tag, Wortbildungsmuster hin oder her. Das ist meine persönliche, auf meinem eigenen Sprachgefühl basierende Einschätzung, die ich durch nichts objektiv belegen kann. Um so mehr interessiert mich, wie andere das empfinden, inwieweit diese Frage bereits erforscht ist und wie gegebenenfalls die Lehrmeinungen hierzu aussehen.

Es stimmt zwar, daß die Fugenelemente in vielen Fällen eine große suggestive Wirkung entfalten und einen gelegentlich dazu verleiten, einen Plural zu vermuten, wo keiner ist. Ich glaube aber nicht, daß man diese Diagnose verallgemeinern und auf alle Einzelfälle anwenden kann. So ist mir bei Tortenboden durchaus klar, daß es sich nicht um den Boden mehrerer Torten handelt, sondern um den Boden einer Torte.

Wie unterschiedlich die Fälle gelagert sind, zeigt meines Erachtens auch der Vergleich von meterhoch und fingerbreit im Sinne von „so breit wie ein Finger“.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.12.2006 um 18.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7056

Muß ein kilometerlanger Weg, ein sekundenschneller Vorgang, eine tonnenschwere Last immer mehrere Einheiten betragen?
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 20.12.2006 um 17.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7055

#7051 "Tage lang" und "tagelang": Auch letzteres "tage" ist grammatisch ein Plural (parallel zu "nächtelang"). Es ist ein unbestimmter Plural, während in "ein Jahrhundert lang", "zwei Jahrhunderte lang", "wirklich Jahrhunderte lang" die Zahl angegeben oder deutlich (als unbestimmte Zahl, nicht als unbestimmter Artikel im Plural [der ja im Deutschen 0 ist: ein Mädchen sieht das eben so – Mädchen sehen das eben so]!) impliziert ist.
 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 20.12.2006 um 17.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7054

Wenn jemand Tage lang wartet, wartet er mindestens zwei Tage lang, wenn er aber tagelang wartet, kann es auch bloß ein Tag sein. Im ersten Fall handelt es sich um den Plural, im zweiten um den Stamm, erweitert durch ein Fugenzeichen.

Das kommt mir merkwürdig vor. Sowohl bei tagelang als auch bei stundenlang lieferte dann das Fugenzeichen zufällig die Pluralform. Könnte es nicht sein, daß auch in meterhoch die Pluralform steht und daß man sie in diesem Fall nur nicht vom Singular unterscheiden kann?

Bei Jahre alt ist mit Getrenntschreibung oft eine Betonung auf Jahre (und so eine Unterscheidung zu Wochen alt etc.) gemeint: Die Schokolade ist schon Jahre alt. Er erzählt gerne jahrealte Witze.

Bei Zusammensetzungen mit lang scheint mir eine solche Unterscheidung aber nicht so üblich zu sein. Kaum jemals findet man: er wartete Stunden lang. (Ausgenommen Reformschreibweisen, einschließlich selbsterfundenen.)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.12.2006 um 16.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7052

Es hängt wohl auch davon ab, ob das Adjektiv sich zur Zusammenschreibung mit Maßzusätzen eignet: lang, breit, hoch, tief, schwer, schnell usw. sind "Maßadjektive", die nach Maßzusätzen verlangen; bei alt ist Zusammenschreibung nicht so gebräuchlich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.12.2006 um 16.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7051

Wenn jemand Tage lang wartet, wartet er mindestens zwei Tage lang, wenn er aber tagelang wartet, kann es auch bloß ein Tag sein. Im ersten Fall handelt es sich um den Plural, im zweiten um den Stamm, erweitert durch ein Fugenzeichen.
Analog würde ich alle anderen Fälle interpretieren: Meter hoch vs. meterhoch usw.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 20.12.2006 um 15.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7049

Die Fälle jahrhundertelang/Jahrhunderte lang und jahrhundertealt/Jahrhunderte alt sind hochinteressant. Vor einigen Jahren habe ich mit der Dudenredaktion eine rege Korrespondenz über zahlreiche Neuschreibungen und Zweifelsfälle geführt, darunter auch diese.
Ich meinte damals und meine noch immer, daß die Schreibung Jahrhunderte alt nach den neuen Regeln nicht „falsch“ ist. Zwar läßt sich jahrhundertealt mit der Fügung mehrere Jahrhunderte alt paraphrasieren, der Fall liegt aber anders als etwa mondbeschienen oder hitzebeständig, wo die Getrenntschreibung (*Mond beschienen, *Hitze beständig) ungrammatisch ist. Allerdings ist die Schreibung Jahrhunderte alt sicher nur dann sinnvoll, wenn man die Dimension der Zeitspanne besonders betonen will. Insofern kann man hier auch – unabhängig von der Reform – eine jederzeit frei konstruierbare Fügung annehmen.
Die Dudenredaktion stimmte mir letztlich zu. Die vom amtlichen Regelwerk (1996) nahegelegte Anwendung des Einsparkriteriums nach § 36 (1) und E1 (4) sei möglich (mehrere Jahrhunderte alt/viele hundert Jahre alt), aber nicht zwingend.

Bei jahrhundertelang sieht die Sache nach meinem Sprachempfinden etwas anders aus. Von Siedlungen, die es seit Jahrhunderten gibt, kann man sagen, sie seien „Jahrhunderte alt“. Aber würde man von der jahrhundertelangen Entwicklung der Rechtschreibung behaupten, sie sei „Jahrhunderte lang“? Ich glaube, nicht.
Das „Ergebnis Jahrhunderte langen Wachstums“ in der Erklärung des Herrn Porsch beruht sicher nicht auf Überlegung, sondern auf dem lässigen Umgang mit nur halb verstandenen Regeln. Da er uns in derselben Erklärung dazu ermutigt, weiter Fehler zu machen, hat es wohl keinen Sinn, ihn nach einer Begründung für diese Schreibung zu fragen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 20.12.2006 um 13.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7048

Daß falsche Behauptungen über die Rechtschreibung auch noch falsch geschrieben werden, paßt gut zusammen. Nicht nur bei Herrn Porsch, dessen Auffassungen in ihrer Wurschtigkeit mehr wienerisch denn sozialistisch anmuten. Die FDS hat von ihm einmal einen Brief bekommen, in dem er uns ganz staatsmännisch versicherte, daß die PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag die Entwicklung aufmerksam verfolge.

Interessanter Weise usw. als Phantasieschreibungen zu bezeichnen erscheint etwas übertrieben angesichts der Tatsache, daß die Getrenntschreibung hier doch bloß überholt ist. Bezeichnend allemal, daß die Opfer dieser rückwärtsgewandten Reform geradezu intuitiv historisierend schreiben.
 
 

Kommentar von Red., verfaßt am 20.12.2006 um 12.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7047

Sie dürfen sich hier ruhig frei von Ihren beruflichen Zwängen fühlen. Sie müssen aber natürlich nicht.
 
 

Kommentar von Julian von Heyl, verfaßt am 20.12.2006 um 12.09 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7046

Schade, dass* in Überinterpretation der neuen Rechtschreibung immer wieder Unsinn wie "Jahrhunderte langen Wachstums" geschrieben wird. Die Adjektive "jahrhundertelang" und "jahrhundertealt" wurden von der Rechtschreibreform nie angetastet. Allerdings deckt sich dies mit meinen Erfahrungen als Lektor und Korrektor; solche Fehler häufen sich seit der Rechtschreibreform in Kundentexten. Es ist auch nicht leicht, dem Kunden verständlich zu machen, dass man zum Beispiel "krebserregend" auch auseinanderschreiben kann (wovon Duden und Wahrig aber einstimmig abraten), "blutdrucksenkend" jedoch nicht. Davon abgesehen beherrschen Phantasieschreibungen wie "interessanter Weise" das Bild.

* Fußnote: Ich hoffe, ich werde hier nicht gesteinigt, wenn ich mich selbst (schon aus beruflichen Gründen) der Neuschreibung bediene. Ich erlaube mir, der Rechtschreibreform dennoch sehr kritisch gegenüberzustehen.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 20.12.2006 um 10.03 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=752#7045

Schweigen wäre logischer

Der seinerzeit mit österreichischem Paß ausgestattete Peter Porsch als wichtiger Kämpfer um den Soz. in der DDR sollte sich logisch verhalten und für möglichst lange Zeit in betretenes Schweigen verfallen.
 
 

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