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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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11.03.2006
 

Bürgerpflicht
Das orthographische Nirwana

Lehrer müssen aus dienstlichen Gründen das neue Regelwerk lesen.
Aber auch alle anderen Bürger sollten es tun. Dabei sollten sie besonders auf das Kapitel Getrennt- und Zusammenschreibung achten, vielleicht auch mal den alten Duden danebenhalten und – ja, warum eigentlich nicht? – auch meine "Normale deutsche Rechtschreibung". Dann wird jeder merken: Die Revision schickt uns ins orthographische Nirwana.

Aus gegebenem Anlaß habe ich noch mal in alten Papieren geblättert und setze einen Abschnitt aus "Regelungsgewalt" als Gedenkblatt hierher. Er beginnt mit einem Zitat aus dem dritten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission:

„Th. Ickler, der als einer der schärfsten Kritiker der Neuregelung in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist, hat in der Zwischenzeit ein eigenes Wörterbuch publiziert, das weder die Regeln der alten DUDEN-Rechtschreibung noch die Neuregelung befolgt. Im völligen Widerspruch zu seiner heftigen Kritik an vielen neuen Getrenntschreibungen (z. B. des Typs sitzen bleiben in allen Bedeutungen) lässt er diese in seinem Wörterbuch nun selbst als fakultative Varianten zu. Auch Wissenschaftler und Rezensenten [eine Fußnote verweist auf Kürschner, Niederhauser und Schoebe] außerhalb der Kommission sehen darin einen eklatanten Glaubwürdigkeitsverlust [vorläufige Fassung: „eine eklatante Diskreditierung“] Icklers als Kritiker der Neuregelung“. (S. 110)

Ich habe kritisiert, daß die Neuregelung bei sitzen bleiben usw. Getrenntschreibung obligatorisch vorschreibt. Die tatsächlich zu beobachtenden Tendenz zur Unterscheidungsschreibung bei den sog. Positionsverben mit bleiben ist in meinem Wörterbuch sehr wohl berücksichtigt, bei gleichzeitiger Anerkennung der noch herrschenden Nichtunterscheidung. Ferner habe ich die Behauptung kritisiert, zwischen kennenlernen und schwimmen lernen gebe es keine strukturellen Unterschiede. Diese gibt es sehr wohl; aber sie berechtigen nicht dazu, über die fakultative Gleichbehandlung hinwegzugehen, wie es einerseits der alte Duden, andererseits (mit anderem Ergebnis) die Neuregelung tun. Die Kommission unterschlägt die erklärte Absicht meines Rechtschreibwörterbuchs: die bisherige Rechtschreibung so darzustellen, wie sie wirklich war und ist. Daß ich dabei weder die Dudenregeln noch die Neuregelung abschreiben konnte, liegt auf der Hand.


Soweit das Zitat. Wie lange das alles schon her ist! Wer waren noch mal Augst, Schaeder, Schoebe?



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Kommentare zu »Bürgerpflicht«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.12.2010 um 07.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=447#17628

Männer wie Gerhard Schoebe, Diethard Lübke usw. haben einfach die Marktchance wahrgenommen und ihren Massenausstoß von Schulbüchern eben auf die jeweils verordnete Neuschreibung umgestellt, dazu auch noch Lehrmaterialien hergestellt, in denen die Neuschreibung beigebracht und gerechtfertigt wird. In "Verstehen und Gestalten 8", Oldenbourg Verlag 1997 (von Schoebe u.a.) heißt es z. B.:
Schnelles Handeln tut Not.
Leid tun
Kopf stehen

usw.
Es wird gelehrt: „Ausnahmslos getrennt geschrieben werden Verbindungen mit einem Adjektiv auf -ig, -isch, -lich."

Das ist inzwischen überholt, und die Verfasser werden nachgearbeitet haben, wieder mit neuen Verdienstmöglichkeiten.
Schoebe fordert die unschuldigen Schüler auf:

„Überlegt in der Klasse: Welche Begründung lässt sich für die Großschreibungen in der folgenden Zusammenstellung finden? ... es tut mir Leid ...“

Die Schüler sollen also noch eine Begründung für ihre Erniedrigung durch grammatisch falsches Schreiben suchen.

"Ich werde der Norm gehorchen, weil sie die Norm ist." (Schoebe) – Aber war da nicht noch etwas? Der Nervus rerum?

Die Rechtschreibunsicherheit, zu der diese Schulbuchverfasser beigetragen haben, läßt sich aus den Köpfen einer ganzen Generation nicht mehr vertreiben.
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 11.03.2006 um 10.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=447#3298

Die Religionsstifter haben sich längst aus dem Staube gemacht, aber die Amtskirche hält den Betrieb aufrecht. Eifrig werden Ketzer verfolgt, werden die letzten Reste von Abweichung und Zweifel getilgt. Denn die größte Gefahr droht von der Erinnerung. Warum nur kommt man immer wieder auf Orwell? "Sie sind ein Fleck, der ausgemerzt werden muß... Es ist für uns unerträglich, daß irgendwo in der Welt ein irrgläubiger Gedanke existieren sollte, mag er auch noch so geheim und machtlos sein."
 
 

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