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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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11.02.2006
 

Kommentar zur revidierten GKS
Viele Fragen bleiben offen

Die „Empfehlungen“ mögen gut genug für die KMK sein, für die Bevölkerung sind sie es nicht.
Die Neuregelung der Groß- und Kleinschreibung erzeugte Grammatikfehler in reformierten Texten und war schon aus diesem Grunde ebenso dringend korrekturbedürftig wie die Getrennt- und Zusammenschreibung. Leider beschloß der Rat, nur einen Teil dieses Kapitels zu überarbeiten. Die Kultusministerkonferenz hatte sogar den ganzen Bereich für „unstrittig“ erklärt. Änderungsvorschläge seien vom Rat, so die KMK, „nicht zu erwarten“.

Der folgende Kommentar bezieht auch die nichtkorrigierten Teile ein.

In den Vorbemerkungen (3) wird die „Tradition der deutschen Orthographie“ beschworen, die es darzustellen gelte; in Wirklichkeit führt die Reform neue Schreibweisen ein oder setzt sich über die Entwicklung der letzten hundert Jahre hinweg.

Zunächst wird die Großschreibung am Anfang von Sätzen, Überschriften usw. behandelt. Zu kritisieren ist, daß wie bei der Zeichensetzung der schulgrammatische Begriff des „Ganzsatzes“ verwendet, aber nicht definiert wird. (Bemerkenswerterweise hat der Sitta-Schüler Gallmann, auf den diese Reformteile hauptsächlich zurückgehen, in der letzten Bearbeitung der Dudengrammatik den Begriff des „Ganzsatzes“ aufgegeben.) Der Sachverhalt selbst ist weitgehend klar, doch ist unter § 54 (1) die problematische Bestimmung stehen geblieben: „Wird die nach dem Doppelpunkt folgende Ausführung als Ganzsatz verstanden, so schreibt man das erste Wort groß.“ Es scheint also nicht von der Grammatik, sondern von der Absicht des Sprechers abzuhängen, ob ein Gebilde ein Ganzsatz ist oder nicht. Allerdings richtet sich die Absicht des Sprechers, wenn er nicht gerade ein Schulgrammatiker ist, normalerweise nicht darauf, einen Ausdruck als Ganzsatz zu verstehen. Es bleibt also dunkel, was eigentlich gemeint ist.

Paragraph 55 enthält ein überflüssiges Stück Metaphysik: „Substantive dienen der Bezeichnung von Gegenständen, Lebewesen und abstrakten Begriffen.“ Es ist ungeschickt, die Rechtschreiblehre mit solchen heute schwer nachvollziehbaren Konstruktionen zu belasten. Ungenau ist die darauf folgende Aussage: „Sie besitzen in der Regel ein festes Genus.“ Substantive „besitzen“ kein bestimmtes Genus, sondern regieren es. Numerus und Kasus haben sie als konkrete Textwörter (Wortformen), also nicht im gleichen Sinne wie das Genus, das sie als abstrakte Wörterbuchwörter (Lexeme) haben. Gallmann legt sonst auf diese Unterscheidung Wert und glaubt sogar die Großschreibung bei heute Abend usw. damit begründen zu können, s. u.

Unter § 55 (3) steht weiterhin die unerhört schwierige neue Bestimmung, daß Substantive innerhalb mehrwortiger Entlehnungen groß geschrieben werden müssen, d. h. es wird dem Schreiber die Kenntnis der Wortart in der Herkunftssprache abverlangt: Corpus Delicti, Primus inter Pares, Dativus Commodi, Commedia dell'Arte usw. Bisher wurde nur das erste Wort solcher Verbindungen groß geschrieben und der ganze Rest klein; das war unüberbietbar einfach. Die neue Festlegung hat sich in der Praxis erwartungsgemäß als bedeutende Fehlerquelle erwiesen. Es ist auch paradox, für die substantivischen Bestandteile Großschreibung wie im Deutschen zu verlangen, für die nichtsubstantivischen Erstglieder aber ebenfalls: Ultima Ratio statt, wie es im Deutschen zu erwarten wäre, ultima Ratio; die bisherige, viel einfachere Schreibweise war Ultima ratio. Die reformierten Wörterbücher haben die neue Regel nur nach und nach umgesetzt (Herpes Zoster). Sie stimmen darin überein, daß es weiterhin L'art pour l'art heißen müsse; im neuesten Wahrig steht weiterhin Jus primae noctis, ebenso Just-in-Time-Produktion, aber In-vitro-Fertilisation usw. Die Ableitung aus den komplizierten Regeln ist längst nicht mehr nachvollziehbar.

Die Kleinschreibung in entlehnten Wendungen ist entgegen E2 nicht auf „adverbiale Fügungen“ zu beschränken. Man kann selbstverständlich alle Zitatwörter wie in der Quellsprache klein schreiben: hysteron proteron, anima naturaliter christiana usw.

Nach § 55 (4) gibt es eine Reihe von Großschreibungen innerhalb von festen Gefügen, die teils mit Zusammenschreibungen nach § 34 und § 39 alternieren, teils aber auch nicht, ohne daß hier die jeweils zutreffende Regelung vorhersehbar wäre: auf Grund/aufgrund, aber nur infolge und viele andere Fälle. Die Probe kann jeder leicht machen, indem er die Frage stellt, wie etwa zu Rate (zurate?) oder zu Leibe (zuleibe?) nun geschrieben wird. Warum ist unter § 55 (4) beiseite gestrichen? Soll etwa in Zukunft auch bei Seite gelten?

Das niemals ausgesprochene, aber weiterhin angenommene Wüstersche Prinzip „Entweder klein und zusammen oder groß und getrennt“ führt die Reformer bekanntlich dazu, die üblichen Schreibweisen von seiten, auf seiten völlig zu beseitigen und statt dessen die beiden Schreibweisen von Seiten oder vonseiten zur Wahl anzubieten. Daran soll sich nichts ändern.

Das grammatisch falsche Diät leben wird nicht zurückgenommen. Bisher unterschied man zwischen Diät kochen ('Schonkost kochen') und diät kochen ('den Regeln der Diät entsprechend kochen'). Die Neuregelung und danach alle Wörterbücher haben letzteres beseitigt. Im Duden-Fremdwörterbuch 2005 ist erstmals wieder diät zu finden, aber ohne amtlichen Rückhalt und ohne Hinweis auf die Verwendungsmöglichkeiten.

Einige Fälle mit inkorporiertem Objekt (z. T. auch Rückbildungen) sind der Zusammenschreibung zugeschlagen, andere nicht. So soll es künftig kopfstehen heißen, aber Maß halten; der bisherig überwiegende Usus war maßhalten. Die Entscheidungen sind aber willkürlich und nie vorhersehbar: es heißt zwar kopfstehen, aber Rad fahren usw. Außerdem ist eine Abstimmung mit der Vorlage zur Getrennt- und Zusammenschreibung erforderlich, denn unter § 34 E6 heißt es ja: „In den nachstehenden Fällen ist bei den nicht näher bestimmten oder ergänzten Formen sowohl Zusammen- als auch Getrenntschreibung möglich, da ihnen eine Zusammensetzung oder eine Wortgruppe zugrunde liegen kann: achtgeben/Acht geben (aber nur: sehr achtgeben, allergrößte Acht geben), achthaben/Acht haben, haltmachen/Halt machen, maßhalten/Maß halten.“

Wie vorauszusehen war, wird sogar die Zusammenschreibung von pleitegehen und bankrottgehen vorgeschlagen. Die grammatisch falsche Großschreibung ist damit zwar endlich zurückgenommen; es ist aber nie begründet worden, warum die bisherige Schreibweise bankrott gehen usw. nicht mehr zulässig sein soll. Offenbar wirkt sich auch hier die willkürliche, dem Sprachgebrauch entgegengesetzte Wüstersche Regel aus (in § 56 E3 ist sie für einen Teilbereich immerhin angedeutet). Die Revision widerspricht der sonstigen Tendenz, für die Verbindung von Adjektiv und Verb Getrenntschreibung zu verordnen: verloren gehen usw. (pleite gehen und bankrott gehen gehören nicht unter § 34 (2.2), sondern unter (2.1)).

Bei angst/Angst und bange/Bange sein/werden/machen wäre die Rückkehr zur durchgehenden Kleinschreibung sinnvoll, denn die drei Konstruktionen verhalten sich zueinander wie stative, inchoative und kausative Aktionsart. Die nun vorgesehene Ungleichbehandlung ist unnötig kompliziert.

Um das grammatisch falsche Not tun nicht offen zurücknehmen zu müssen, schlägt der Rat jetzt nottun vor; das ebenso falsche Not sein wird jedoch nicht korrigiert, also: Schiff-Fahrt ist Not. Ein für jedermann erkennbarer Rückschritt gegenüber der bewährten Rechtschreibung.

Unter § 55 (6) werden die groß geschriebenen Tageszeiten (gestern Abend) beibehalten, eine Rückentwicklung ins 19. Jahrhundert, wie sie besonders energisch von Peter Gallmann betrieben wird. Er argumentiert, daß die Wortart hier nicht deutlich sei und man sich daher nach einem gleichlautenden Lexem im deutschen Wortschatz umsehen müsse. Das seien die Substantive Abend, Morgen, Mittag usw. Die Kritiker im Rat, auch Peter Eisenberg, haben darauf hingewiesen, daß bei unklarer Wortart ohnehin klein geschrieben werden müsse, konnten sich aber nicht durchsetzen. Keines der drei Kriterien für Substantive, die unter § 57 angegeben werden, trifft hier zu. Gallmann selbst hat das 1991 überzeugend nachgewiesen. Die Verbindung heute früh zeigt, daß an dieser syntaktischen Stelle ein Adverb vorgesehen ist, die substantivischen Tageszeitbezeichnungen sind offensichtlich desubstantiviert. Auch der Reformer Klaus Heller stellt in einer millionenfach verbreiteten Ausgabe des „Sprachreports“ fest, daß die Bezeichnung der Tageszeiten hier „nichtsubstantivisch“ gebraucht werde und daher bisher klein geschrieben worden sei. Entscheidend ist die Frage nach der Wortart aber nicht; es genügt, daß sie nicht klar zu beantworten ist, um Kleinschreibung zu erzwingen. In der geschlossenen Aufzählung der Adverbien, die der Tageszeit vorangehen, fehlt neulich: neulich Abend wäre die entsprechende Reformschreibweise. Ich hatte mehrmals daran erinnert, offenbar vergeblich. Die Arbeitsgruppe GKS mußte von vornherein unter der Auflage arbeiten, diesen Teil der Reform nicht mehr anzurühren.

§ 56 enthielt bisher falsche Behauptungen über sprachgeschichtliche Vorgänge. Er ist jetzt in folgende unverfänglichere Form gebracht: „Klein schreibt man Wörter, die formgleich als Substantive vorkommen, aber selbst keine substantivischen Merkmale aufweisen.“ Die Liste in (1) soll vollständig sein, aber es fehlen Wörter wie wohl, not und vielleicht noch weitere. Außerdem ist nicht klar, wozu der Paragraph dient. Die Formgleichheit mit Substantiven ist für die Kleinschreibung der Adjektive (auch defektiver) ohne Belang. Die Regel reduziert sich in weniger geschraubter Ausdrucksweise auf die Trivialität, daß Nichtsubstantive klein geschrieben werden, auch wenn es gleichlautende Substantive gibt. Die formgleichen Substantive werden offenbar nur deshalb noch erwähnt, weil sie in der ursprünglichen Fassung eine so große Rolle spielten.

Bei der Neuschreibung Recht haben, die schon Konrad Duden 1876 als nicht mehr haltbar bezeichnete, hat sich der Rat nur zu einer halben Rücknahme aufraffen können, indem er die kritisierte Großschreibung als Variante zuließ. Auch in Zukunft bleibt also möglich: wie Recht du hattest; die mit ihren Warnungen nur zu Recht behielten (Nürnberger Nachrichten) usw. Es ist erstaunlich, daß nicht einmal ein so offenkundiger Fehler korrigiert werden konnte. Was wird übrigens aus der hat's Not (ÖWB)?

Unter § 56 (3) wird eine Reihe von Wörtern aufgezählt, unter denen sich die „Adverbien“ rechtens und willens befinden. Diese Kategorisierung ist sehr problematisch, vgl. der Beschluß ist rechtens.

Die Schreibweise der Uhrzeiten mit Bruchzahlen nach § 56 (6.2) ist nicht einfacher geworden: gegen drei viertel acht, aber um Viertel vor fünf. Auch sind zehntel Millimeter und Zehntelmillimeter keine orthographischen Varianten, wie E3 irrigerweise behauptet.

§ 57 handelt sehr breit von Substantivierungen. Das meiste versteht sich von selbst, weil Substantivierungen eben Substantive sind und deshalb groß geschrieben werden. Das Problem entsteht dadurch, daß die Neuregelung den formalen Gesichtspunkt verabsolutiert und andere Funktionen der Groß- und Kleinschreibung vernachlässigt. In einer Entwicklung von mehreren Jahrhunderten hatte sich jedoch eine Überlagerung der Wortartkennzeichnung durch textsemantische und daher besonders leserfreundliche Funktionen eingestellt. Sie führte nach einigen Rückschlägen im 19. Jahrhundert dazu, daß Substantivierungen klein geschrieben wurden, wenn sie in adverbiale Phraseologismen eingebunden waren oder pronominale Funktionen übernommen hatten. Die Reform macht diese Entwicklung teilweise rückgängig. Daher soll es laut § 57 (1) bei den archaisierenden Großschreibungen im Allgemeinen, des Öfteren, im Voraus, Letzerer, jeder Einzelne usw. bleiben, und zwar obligatorisch, nur bei aufs Schönste fakultativ. Sogar eindeutig pronominales, jedoch kaum konstruierbares unten Stehendes soll verpflichtend vorgeschrieben sein. Dasselbe gilt für die Großschreibung der Ordinalzahlwörter (jeder Zweite), wo die bisherige Unterscheidung zwischen Abzählen und Rangfolge aufgegeben wurde. Die Kardinalzahlwörter bleiben vorerst unverändert.

Das sehr geläufige Wort jedesmal soll anscheinend weiterhin verboten bleiben. Endgültig kann erst ein neues Wörterverzeichnis Aufschluß geben. Schon nach den dritten Wiener Gesprächen 1994 und im späteren Fortgang der Reform sind immer wieder hinreichend umfassende Wörterverzeichnisse gefordert worden, und wenn die – durchweg zu knappen – Wortlisten dann erschienen, erwiesen sich viele Einträge als überraschend oder problematisch.

Unter § 58 wird weiterhin behauptet, daß bei sie war die klügste meiner Zuhörerinnen und von fern klein geschrieben werde, obwohl die betreffenden Wörter „formale Merkmale der Substantivierung aufweisen“. Welche Merkmale sollen das sein? Die Darstellung bringt es mit sich, daß ganz normale und erwartbare Schreibungen wie von fern oder für dumm (verkaufen) nun als buchenswerte Ausnahmen erscheinen.

Mit den seit 2004 geltenden (fakultativen) Großschreibungen von Weitem usw. kehrt die Reform ins 19. Jahrhundert zurück, wo die strikt wortartbezogene Großschreibung entgegen der tatsächlichen Sprachentwicklung u. a. von Daniel Sanders vertreten wurde. Sie folgt damit einem Wunsch des Reformers Peter Gallmann, der ein entsprechendes Konzept von „Nominalität“ entwickelt hat, das keine Rücksicht auf die textuelle Funktion solcher Adverbialien nimmt und damit den orthographischen Modernisierungsschub seit dem vorletzten Jahrhundert annulliert. Kommissions- und Ratsmitglied Richard Schrodt hat sogar wiederholt behauptet: „Präpositionen stehen eigentlich, wenn man diese Wortart universalgrammatisch fasst, immer nur vor Substantiven. Andere Wortarten werden substantiviert und müssten demgemäß auch groß geschrieben werden (zwischen Heute und Morgen, von Früh bis Spät).“ (informationen zur deutschdidaktik 1997/3) Das zeigt, wohin die Reise gehen könnte: von Nah und Fern (Deutsche Bahn 2004); ab Heute, Anna und Benno wollen auf Ewig beisammen bleiben, ich halte Ottos Vorschlag für Riskant (adaptierte Beispiele nach Dudengrammatik 2005, S. 849). Die obligatorische Großschreibung der Sprachbezeichnungen (auf Deutsch) ist ein weiterer Schritt in diese Richtung.

Die (unveränderte) Regel § 58 E2 führt zwar durch konsequentere Anwendung in einigen Fällen wieder zu besseren Ergebnissen (es heißt wieder jenseits von Gut und Böse), ist aber ungemein kompliziert: „Substantivierungen, die auch ohne Präposition üblich sind, werden nach § 57(1) auch dann großgeschrieben, wenn sie mit einer Präposition verbunden werden.“ Hier muß zuerst ermittelt werden, ob es sich überhaupt um eine Substantivierung handelt, dann muß der Präpositionstest durchgeführt werden. Trotzdem bleibt weiterhin unklar, warum es heißt schwarz auf weiß, grau in grau (nach 3.1), aber auf Rot, in Grau (nach E2) usw. In Wirklichkeit hat die Groß- und Kleinschreibung nichts mit der Präposition zu tun. Der Test ist daher sachfremd und widerspricht der Intuition der Sprecher.

Zu den vermeintlichen Ausnahmen gehört weiterhin die Kleinschreibung von Pronomina, „auch wenn sie als Stellvertreter von Substantiven gebraucht werden“. Pronomina werden niemals als Stellvertreter von Substantiven gebraucht, sondern allenfalls von Substantivgruppen (bzw. Determinativphrasen); das kann man dann allerdings von allen Pronomina der dritten Person sagen. Warum sollte mancher oder jeder ein Substantiv bzw. eine Substantivgruppe „vertreten“? Am ehesten gilt das noch für anaphorische Pronomina wie er, aber gerade für diese wird Großschreibung (selbstverständlich) nicht erwogen. Man findet in Druckschriften des 19. Jahrhundert verallgemeinerte Großschreibung der Pronomina wie Niemand, Keiner, Jemand, Jedermann, der Eine, der Andere, Nichts, Etwas, Manche, Einige, Etliche, Viele usw. Tendenziell strebt die Neuregelung die Wiederherstellung dieser überholten Zustände an.

Bei grüß mir die Deinen und jedem das Seine war hingegen die Großschreibung allgemein üblich, die Einführung der fakultativen Kleinschreibung scheint überflüssig.

Seit der Revision von 2004 können manche „Zahladjektive“ auch groß geschrieben werden, „wenn der Schreibende zum Ausdruck bringen will, dass das Zahladjektiv substantivisch gebraucht ist“ (5). Das ist wieder eine von den problematischen Bezugnahmen auf Intentionen, die kein normaler Sprecher haben kann. Die fakultative Kleinschreibung des Substantivs Dutzend (angesichts dutzender von Augenzeugen) nach E5 ist ebenfalls unnötig.

Die Großschreibung von Nominationsstereotypen und Antonomasien kann nicht abschließend geregelt werden. Der Eigennamenbegriff ist so unklar wie seit je, die umfangreichen Listen mit verschiedenen Typen von Eigennamen sind wenig hilfreich. Der Schwarze Kontinent zum Beispiel wurde bisher überwiegend klein geschrieben, soll aber nur noch groß geschrieben zulässig sein. Erst in der Wörterliste, die von den drei privilegierten Verlagen angefertigt wird, letzten Endes aber erst in den Wörterbüchern selbst wird man erfahren, welche Einzelentscheidungen getroffen worden sind.

§ 60 E2 ist überflüssig, da solche Schreibweisen (konkret als Zeitschriftentitel usw.) nicht zum Regelungsbereich einer allgemeinen Orthographie gehören, sondern wie die Werbetextgestaltung frei bleiben müssen.

Die vielkritisierte Neuregelung der von Eigennamen abgeleiteten Adjektive (nur noch goethesche oder Goethe'sche Gedichte) nach § 62 soll unverändert bleiben.

Während 1996 und auch noch 2004 der Paragraph 63 sich zu § 64 ungefähr wie die Regel zur Ausnahme verhielt, behandeln nun beide großenteils dasselbe. Außerdem ist § 63 in sich unklar. Zunächst wird Kleinschreibung für „feste Verbindungen“ von Substantiven mit Adjektiven verordnet, unter E jedoch mit einer unklaren Kann-Bestimmung Großschreibung für zulässig erklärt, wenn „eine neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung“ vorliegt. Was ist der Unterschied zwischen einer festen Verbindung und einer idiomatisierten? Die Beispiele geben keinen Aufschluß, denn die festen Verbindungen bunter Hund, schöne Bescherung oder graue Maus sind ebenso idiomatisiert wie das Schwarze Brett oder der Weiße Tod. Der Paragraph schließt mit dem Satz: „Kleinschreibung des Adjektivs ist in diesen Fällen der Regelfall.“ Als Tatsachenbehauptung ist das sicher falsch, denn das Schwarze Brett zum Beispiel wird meistens groß geschrieben, und dasselbe gilt für unzählige andere Ausdrücke dieser Art. Was soll der Ratsuchende überhaupt mit einer solchen Bemerkung anfangen?

§ 64 behandelt nun die Großschreibungsfälle, die unter § 63 E bereits exemplarisch eingeführt, aber irgendwie als Ausnahmen stigmatisiert worden waren, noch einmal ausführlicher, nämlich nach Untergruppen aufgegliedert. Man erfährt daher, daß es doch nicht so wenige sind.

Mit § 64 (3) wird überraschenderweise ein Abschnitt wiederaufgenommen, der 2004 schon gestrichen war: „fachsprachliche Bezeichnungen bestimmter Klassifizierungseinheiten, so von Arten, Unterarten oder Rassen in der Botanik und Zoologie“. Es ist nicht einzusehen, warum einzelne Fachgebiete eigens erwähnt werden, denn die Großschreibung der Nominationsstereotype beschränkt sich nicht auf Fachsprachen. Die Feststellung unter E, auch anderswo sei diese Großschreibung „belegt“, fällt schon stilistisch aus dem Rahmen eines Erlasses zur Rechtschreibnormierung. Dem Benutzer ist mit den Hinweisen und Beispielen unter E nicht gedient, da er in jedem Einzelfall das Wörterbuch konsultieren muß. Außerdem wird hier ein dritter Ausdruck für mutmaßlich denselben Gegenstand eingeführt: „begriffliche Einheit“ – das ist offenbar dasselbe wie die „feste Verbindung“ und die „idiomatisierte Gesamtbedeutung“ aus § 63. Die Beispiele lassen daran keinen Zweifel: Gelbe Karte, Kleine Anfrage, Erste Hilfe. Wieder schließt der Paragraph mit der änigmatischen Formel: „Im nichtfachsprachlichen Zusammenhang ist die Kleinschreibung der Adjektive in solchen Wortgruppen der Normalfall.“ Sollte gemeint sein, daß Karten, die zufällig gelb sind, oder eine Hilfe, die zufällig als erste geleistet wird, mit klein geschriebenen Adjektiven bezeichnet werden, so wäre das zwar richtig, aber so banal, daß man wohl nach einer anderen Deutung suchen muß. Die laienmedizinische Erstversorgung und die sportliche Verwarnung werden aber auch sonst groß geschrieben, nicht nur in Fachtexten. Dasselbe gilt natürlich für das Schwarze Brett aus § 63. In beiden Fällen wirkt die Schlußformel so, als könnten sich die Reformer nicht von ihrer einst gegen jeden Sprachgebrauch verhängten generellen Kleinschreibung der Nominationsstereotype lösen. Gleichsam trotzig rufen sie dem Leser zu, die Kleinschreibung sei eben doch das eigentlich Gebotene, „Normale“.

Die Paragraphen 65 und 66 könnten zusammengezogen werden. Grundlage ist die selbstverständliche Kleinschreibung aller Pronomina. Erwähnung verdienen allein die Ausnahmen: generell Sie usw., in Briefen auch du usw. § 66 verteilt die Gewichte zwischen Hauptregel und Ausnahme falsch.


Abschließende Würdigung:

Die Empfehlung läßt viele Fragen offen. Die Entscheidung wird in solchen Fällen offenbar den im Rat vertretenen Wörterbuchredaktionen überlassen, die zusammen mit der Geschäftsführerin, aber ohne Mitsprache des Rates, an einer Wörterliste arbeiten, die von der KMK angenommen werden soll. Erst damit wird zum Beispiel geklärt werden, was mit den Neuschreibungen in Sonderheit, hier zu Lande, Vabanque spielen, jedes Mal usw. geschehen soll (sie sind auch von den Empfehlungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung offengelassen worden).

Alle Reformer und fast alle Mitglieder des Rates für deutsche Rechtschreibung streben eigentlich die „gemäßigte Kleinschreibung“ an. Sie haben auch im Rat jüngst dieses Projekt als Thema für die nächste Zukunft ins Gespräch zu bringen versucht. Es ist schon deshalb zu bezweifeln, daß die moderne Groß- und Kleinschreibung bei ihnen in den besten Händen ist. Die Großschreibung hat sich von Luther bis Gottsched zunächst zur Substantivgroßschreibung (also zur Auszeichnung einer Wortart) entwickelt und ist im Laufe der letzten Jahrhunderte zu einer textsemantischen Profilgebung weitergebildet worden: Die sinntragenden Einheiten sind durch große Anfangsbuchstaben visuell auffällig gemacht, das adverbiale und pronominale Beiwerk ist durch Kleinschreibung in den Hintergrund gedrängt worden. Die Neuregelung stemmte sich gegen diese Entwicklung, indem sie Kleinschreibung bei Nominationsstereotypen (erste Hilfe) und Großschreibung bei Adverbialien und Pronomina (im Allgemeinen, des Öfteren, bei Weitem; Folgendes, Letzterer, oder Ähnliches [o. Ä.]) durchzusetzen bzw. wiedereinzuführen versuchte. Vor allem im 19. Jahrhundert und bei einigen Autoren bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wurde das formale Merkmal der Substantivierung tatsächlich stärker bewertet als die syntaktische und textsemantische Funktion: der Einzelne, etwas Anderes, zum Zweiten usw. Die Schulorthographie hat diese Entwicklung unter Mitwirkung v. Raumers und Wilmanns’ rückgängig zu machen versucht. Schon Lamprecht spricht 1857 von „Übertreibung“. Hugo Moser wies schon 1963 darauf hin, „daß die Vorschläge, die auf eine Vermehrung der Majuskel hinausgehen, rückwärts gerichtet sind und einer deutlichen Tendenz der deutschen Rechtschreibung zur Minuskel widersprechen.“ (Einzelheiten in Karin Rädle: Groß- und Kleinschreibung des Deutschen im 19. Jahrhundert. Heidelberg 2003.) Nachteilig wirkt sich die Wüstersche Regel aus, die noch 1974 vom führenden Reformer Gerhard Augst entschieden abgelehnt wurde und deren Wiederbelebung zu den überraschendsten Zügen der Reform gehörte.
Die Korrektur der Neuregelung in diesem Bereich bleibt leider auf halbem Wege stehen. Die Behauptung der Geschäftsführerin, die Vorschläge „seien sowohl der alten als auch der neuen Rechtschreibung überlegen“ (Der Standard 2.2.2006), ist offensichtlich unbegründet. Der fortschrittlichen „alten“ Regelung sind sie weit unterlegen.



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Kommentare zu »Kommentar zur revidierten GKS«
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Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 17.05.2023 um 01.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#51069

Weil es das Kurze gibt, empfiehlt der Duden »vor Kurzem«, und alle, die keine Lust mehr haben, sich mit Rechtschreibung zu beschäftigen – also die meisten –, folgen dieser Empfehlung blind.
Was dem Kurzen recht ist, ist dem Langen billig, daher »seit Langem«. Wenn das Lange länger wird als alles andere, wird es zum Längsten. Deshalb auch »Wer lebt am Längsten?«. Oder etwa doch nicht? Ist auch egal. Gut jedenfalls, daß die Reform das Schreiben derart erleichtert hat und wir uns nicht mehr vom Duden gängeln lassen!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.12.2019 um 06.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#42573

immer der erste zu sein, und vorzustreben vor andern (Ilias 6 und 11)

αἰὲν ἀριστεύειν καὶ ὑπείροχον ἔμμεναι ἄλλων

Das wird auch mit Großschreibung (der Erste = der Beste) zitiert, wie es heute (unreformiert) angemessen ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.05.2019 um 05.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#41385

Duden:

das Nomen, des Nomens
Aber:
das Nomen Actionis, des Nomen Actionis

Man könnte die Nichtmarkierung des Genitivs erklären, wenn das Ganze ein Zitatwort wäre, worauf ja auch der Genitiv Actionis hinweist, der nur in einer rein lateinischen Wendung funktioniert – aber müßte es dann nicht des Nominis Actionis heißen (wie bis ins 19. Jhdt.?) Und warum wird anders als im Latein überhaupt groß geschrieben?

Es klappt hinten und vorn nicht, und der Duden schweigt sich aus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.05.2018 um 04.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#38704

Günter Lüling in Memoriam – Internationales Symposium
Erlangen, 19.-20. Juli 2015


Diese Großschreibung geht zwar über den Duden hinaus, aber das hängt davon ab, ob man die Präposition lateinisch und das Ganze als Zitatwort liest. Die Großschreibung wäre durchaus im Sinne der Reformer.

Zu Lüling selbst:
http://www.nordbayern.de/ressorts/szene-extra/der-fall-gunter-luling-oder-kann-man-gerechtigkeit-nachholen-1.4451611
und
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1512#20409
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.07.2017 um 07.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#35672

Zum Tode Peter Härtlings schreibt die FAZ: Kein Zweiter wurde so verehrt.

Natürlich nicht. Der Zweite wird nie so verehrt wie der Erste.

Das ist nun durchgehend Neuschrieb auch bei der FAZ, und ich empfinde es als demütigend. Die Reformer haben behauptet, der Unterschied zwischen einem Ersten dem Range nach und einem ersten beim Abzählen sei zu subtil, um von den Deutschen nachvollzogen zu werden. Es mag Grenzfälle geben, aber die Hauptsache ist klar und einfach und wird von jedem Gebildeten ohne Nachdenken begriffen. Nicht so bei dieser Zeitung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.04.2017 um 06.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#34854

Zum vorigen: An manchen Orten schickt die Verwaltung eine Art Müllpolizei herum, die nachsieht, ob der Müll richtig getrennt ist, Müllsünder ermahnt und dafür sorgt, daß fehlerhaft gefüllte Tonnen nicht geleert werden. Entsprechende Aufkleber ähneln dem bewährten Pranger. Interessanterweise dürfen "Bio-Beutel" ihrem Namen zum Trotz nicht in die Biotonne. Sie werden zwar abgebaut, aber nicht so schnell, wie die Mülltechnologie es verlangt. Können Sie sich das endlich merken?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.03.2017 um 18.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#34803

Laut Duden muß der gelbe Sack klein geschrieben werden. Das überrascht, denn die Gelbe Karte und manches andere darf auch groß geschrieben werden. das amtliche Verzeichnis hilft nicht weiter.

Ich habe nachgesehen, weil das Abfallgesetz weiter verschärft, die Mülltrennung geradezu verwissenschaftlicht wird. Den Gelben Sack schreiben die Zeitungen meisten groß.

In der Diskussion kommt auch wieder der Grundwiderspruch zutage, daß der Gelbe Sack nur Verpackungen aufnehmen soll, wegen des Grünen Punktes, also aus wirtschaftlichen Gründen, während die Wiederverwertung ganz anderen Kriterien folgt. Es landen also Plastikstoffe im Restmüll, die durchaus verwertet werden könnten, im Gelben Sack dagegen Verpackungen, die herausgelesen und verbrannt werden müssen. Ich hoffe, das richtig verstanden zu haben.

Man soll Sahnebecher, Milch- und Fischpackungen ungespült in den Gelben Sack stecken, wo sie vier Wochen vor sich hin stinken, na ja.

Und oft wird auch die selbsterlebte oder überlieferte Geschichte wiederholt, daß am Ende doch alles verbrannt wird, auch das Altpapier, weil im Gegensatz zum Gewerbemüll der ganze Hausmüll nicht annähernd sortenrein genug ist, um stofflich verwertet zu werden. Man nennt das die große Verarsche. Klingt plausibel.

Heute morgen ging ich an Hunderten von Gelben Säcken vorbei und konnte studieren, was die lieben Nachbarn so konsumieren. Eigentlich ein Fall für den Datenschutz.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.12.2016 um 06.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#34187

Wie jeder bemerkt haben dürfte, werden in Komposita die Bindestriche oft weggelassen. In den erwähnten Richtlinien eines Fachverlags steht ausdrücklich, daß bei Übersetzungen aus dem Englischen Bindestriche übernommen, zusätzliche nach deutscher Norm jedoch nicht eingeführt werden. Dadurch verändert sich der Bindestrichgebrauch im Deutschen. Dies wird der Rechtschreibrat zur Kenntnis nehmen müssen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.12.2016 um 05.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#34177

Die Regeln vermerken zwar die Großschreibung der Adjektive in der biologischen Nomenklatur (einschließlich Vulgärnamen wie Fleißiges Lieschen), aber nicht die Kleinschreibung von Substantiven im ausgedehnten Feld der medizinischen Termini: Musculus levator veli palatini. Hier wird die einfache alte Regel angewandt, die also auch nicht einmal als Ausnahme verzeichnet werden mußte.

Es ist übrigens seltsam zu beobachten, wie etwa der führende Fachverlag Thieme das Gemisch aus fachsprachlicher und schulorthographischer Normierung handhabt: https://www.thieme.de/statics/dokumente/thieme/final/de/dokumente/sw_%20autorenlounge/Rechtschreibkonvention_Thieme_Verlagsgruppe_Juli_2011_2.pdf Einerseits steht natürlich die internationale Nomenklatur außer Frage, andererseits glaubt man sich ebenso fraglos verpflichtet, der deutschen Schulorthographie zu folgen, die von den Kultusministern auf Wunsch einer Handvoll Sprachdidaktiker verordnet worden ist. Gegen diese Unterwerfungsbereitschaft war und ist nichts zu machen. Es wird weitere Änderungen geben, und die Verlage werden verlangen, daß das "jeweils neueste" Nachschlagewerk benutzt wird. Niemand kommt auf die Idee, nach dem Grund zu fragen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.10.2015 um 19.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#30194

Manch einem ist das egal, gerade vorgestern (2.10.) stand im MM im Sportteil, S. 11 der Fußballartikel
Südwest-Hierarchie steht Kopf
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.10.2015 um 16.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#30190

Richtig muß es, auch reformiert, "Alles steht kopf" heißen, denn das Adverb "kopf" wird hier mit "wie" erfragt. Ich stehe wie? Ich stehe kopf. Und nicht was. Wie kann man einen Kopf stehen? Alles nicht so einfach in Zeiten von "Recht haben", "Leid tun" und "Schuld sein" ... (Spiegel online, Leserbriefe)

(1996: Kopf stehen; 2006: kopfstehen, wie vor der Reform)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.11.2014 um 06.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#27315

Mittwoch Abend soll zum ersten Mal eine Sonde auf einem Kometen landen. (Die Presse 12.11.14)

Noch einmal. Die Großschreibung ist zwar grammatisch schwer nachzuvollziehen, aber selbst wenn man zugibt, daß die Wortart in diesem Zusammenhang nicht klar ist, verstößt diese Getrennt- und Großschreibung keinesfalls gegen die Logik der Neuregelung. Wenn es heute Abend heißt, dann muß auch Mittwoch Abend zugelassen sein. Mittwochabend ist eine ganz andere Konstruktion, keine orthographische Alternative.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 22.09.2014 um 09.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#26828

Zu #26825: Auch "vielleicht" ist so ein Wort, wo man mit der Idee von der Silbengrenze, die sich ja bei ganz langsamem Sprechen ganz von selbst zu erkennen gäbe, nicht weiterkommt. Ich würde hier allerdings doch nicht "von unnötiger Pedanterie" sprechen, sondern einfach bei der historischen Schreibung bleiben. Denn auch die Intensivierung mit "viel" in *viel leicht* ist mir nicht nur nicht geläufig, sondern sogar total fremd. "Vergiß nicht mein" ist dem Volke wenigstens aus dem Volkslied und vielleicht sogar von vorgedruckten Briefkarten noch bekannt. Aber vielleicht auch nicht.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 22.09.2014 um 07.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#26825

Vergißmeinnicht ist auch jenseits der hier geführten Diskussion ein ganz interessanter Fall. Ich erinnere mich daran, weil das Wort während meiner Schulzeit in einem Diktat (8. oder 9. Klasse) vorkam und alle es "falsch", d.h. mit einem "n" geschrieben hatten. Unser Deutschlehrer hat den Sachverhalt anschließend erklären müssen, denn wenn eine ganze Klasse denselben Fehler macht, läßt sich dies kaum vermeiden.

Die meisten haben die Zusammensetzung wohl gar nicht durchschaut, weil auch die Aussprache keinen Hinweis darauf liefert und man heute ja "vergiß mich nicht" sagen bzw. schreiben würde. Aber auch Viellesern wie mir, die auch mit älteren Texten vertraut waren und daher die Genitivkonstruktion "meiner nicht" kannten, wollte die Schreibweise mit zwei "n" nicht so recht einleuchten. Um ehrlich zu sein, halte ich die Lösung, die damals die ganze Klasse intuitiv gefunden hatte, nach wie vor für die bessere. Die Festlegung auf die Schreibung mit zwei "n" ist zwar begründbar, aber auch ein Fall von unnötiger Pedanterie.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.09.2014 um 04.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#26824

Damit ist eine interessante Entwicklung berührt. Das Deutsche neigt ja dazu, die Kasusmarkierung aufzugeben, die Pluralmarkierung aber gerade nicht, sondern sie eher noch auszubauen. Das Anfügen eines -s ist also zwar phonologisch immer dasselbe, morphologisch aber nicht.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 21.09.2014 um 23.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#26823

Ich denke, daß sprachlich etwas gebildete Menschen eine natürliche Hemmung haben, Wörter anderer Sprachen rücksichtslos der deutschen Flexion zu unterwerfen. Das gilt natürlich nicht für Lehnwörter und im Deutschen sehr häufig gebrauchte Fremdwörter. Dazu gehört aber Trompe-l’œil mit Sicherheit nicht, im Gegensatz zu Baby. Vor der Rechtschreibreform wurde ja auch der Plural Ladies gebildet.

Bei französischen Wörtern kommt hinzu, daß das Plural-s stumm und daher nur eine Frage der Orthographie ist. Insofern ist es verständlich, daß auch manche Franzosen bei komplizierteren Wortbildungen Unsicherheiten zeigen. Ich würde dazu neigen, auch im Deutschen das Plural-s bei franz. Wörtern nicht auszusprechen.

Auch bei deutschen Wörtern wie Vergißmeinnicht oder Rührmichnichtan halte ich es für eleganter, auf die Flexion ganz zu verzichten. Schließlich haben die Vergißmeinnicht weder mit Nichte noch mit nichts etwas zu tun. Kritikwürdig erscheint mir deshalb, daß der Duden bei Vergißmeinnicht anscheinend auf das Genitiv-s besteht.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 21.09.2014 um 16.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#26821

Wir können den Plural schon anders bilden als in der Herkunftssprache. Wir schreiben ja auch Babys und nicht Babies. Wir können den Fremdwörtern auch ein Genus nach unserem Geschmack zuteilen, beispielsweise. Ein Plural die Trompe-l’œil wird uns vermutlich weniger liegen als ein Plural die Trompe-l’œils.

Ich sehe den Nachteil des -s so: Wer nicht so gut französisch kann, wird darin möglicherweise einen Plural œils für "Augen" sehen. Wer gut französisch kann, wird sich möglicherweise an der falsch aussehenden Form œils stören, auch wenn er bemerkt, daß hier nicht œil in den Plural gesetzt wird. Beides möchte man eigentlich vermeiden. Von daher die Vermutung, daß man im Deutschen den Plural vermeiden möchte.

Den Bezug zum Großschreibungs-Fromage könnte man so hinbiegen: Wir Deutschen hatten keinen Bedarf, Trompe-l’Œil im Duden aufzufinden. Wir hätten eher den Bedarf, jene Pluralform im Duden zu finden, die den Usancen entspricht. Aber das bekommen wir nicht.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 21.09.2014 um 13.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#26820

Lay-by ist britisch, so wie z. B. auch dual carriageway. In den Kolonien sagt man irgendwas anderes dazu. – Offiziell ist der Plural von trompe-l’œil identisch mit dem Singular, aber viele Franzosen scheinen das zu ignorieren und trompe wie ein Substantiv zu behandeln: les trompes-l’œil. Es gibt ja verlockenderweise auch das Substantiv trompe. Aber eigentlich ging es hier um die Großschreibung von œil im Deutschen.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 21.09.2014 um 11.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#26819

Zu "obwohl man ins Grübeln kommen kann" (#26815): In Japan wurde ich mal gefragt, wie die Pluralform von Lay-by geschrieben werden müßte, also ob das y in ies umgesetzt werden müßte. Ich kannte das Wort gar nicht und schrieb die Frage also an unsere Englisch-Abteilung zu Hause (USA) weiter und erregte damit da eine kleine Erregung. Denn damals gab's noch nicht das Internet, wo man sich heute schnell informieren kann: Lay-by / A paved area at the side of a highway designated for drivers to stop in, for emergency parking, or where vehicles can wait, with larger lay-bys possibly having facilities like food vendors or public telephones. Aber wenn ich damals irgendwo "lay-bys" gelesen hätte, wäre mir die Aussprache bestimmt nicht gleich in den Sinn gekommen.

 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.09.2014 um 10.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#26818

Wollen wir im Deutschen die Plurale französischer zusammengestzter Substantive anders bilden als die Franzosen?
In meiner Französischen Grammatik von 1983 steht es so:
Zusammengesetzte Substantive (noms composés):
Beide Bestandteile können die Pluralmarkierung erhalten, wenn das (mit Bindestrich) zusammengesetzte Wort aus zwei Substantiven oder einem Substantiv und einem Adjektiv oder zwei Adjektiven besteht: des bateaux-mouches.
Sind die beiden Bestandteile eines zusammengesetzten Substantivs durch eine Präposition verbunden, so kann nur das erste Substantiv das Pluralzeichen erhalten: des eaux-de-vie.
Wird ein zusammengesetztes Substantiv aus einem unveränderlichen Wort und einem Substantiv gebildet, so kann nur das Substantiv das Pluralzeichen erhalten: les contre-ordres.
Wird ein zusammengestztes Substantiv aus einem Verb und einem Substantiv gebildet, so kann allenfalls das Substantiv das Pluralzeichen erhalten: les porte-clefs.
In der französischen Sprache besteht die Tendenz, zusammengesetzte Substantive durch einfaches Nebeneinanderstellen zweier Substantive zu bilden; sie werden meistens ohne Bindestrich geschrieben, und nur das erste Wort erhält die Pluralmarkierung: des assurances auto.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 21.09.2014 um 08.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#26815

Der Plural auf -s ist die naheliegende Lösung, obwohl man ins Grübeln kommen kann. Ich habe mit dem Plural auf -s kein Problem. Der Duden scheint eines zu haben. Unten gibt er bei Grammatik nur Singularformen an. Das ist schon grenzwertig. Oben gibt er die Bedeutung "Kunstwerk mit diesem Effekt" nicht an. Man fragt sich dann, ob er diese Bedeutung verschweigt, weil er sonst unten die Pluralform nicht mehr verschweigen könnte.

Der Leser guckt nach und findet eine unvollständige Auskunft, und zwar gleich an zwei Stellen. Ich glaube, der Duden drückt sich einfach um die Sache herum. Er verweigert sich der Nachfrage.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.09.2014 um 07.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#26814

Sie haben bestimmt bei Wikipedia den Plural Trompe-l’œils gesehen, der auch sonst viel verwendet wird. Für deutsche Wortgebilde ähnlicher Art erhebt sich die Frage ja auch. Bei Vergißmeinnicht stellt der Duden -e oder Endungslosigkeit frei, bei Rührmichnichtan nur Endungslosigkeit. Ich könnte mir in beiden Fällen eine Neigung zum Plural-s vorstellen.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 21.09.2014 um 06.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#26813

PS: Wenn man im Französischen "Täusche-die-Augen" hätte ausdrücken wollen, wäre das Ergebnis: trompe-les-yeux. Schon klar. Es ging mir aber nur um den Effekt auf den deutschen Leser, der bei Trompe-l’œils das œils für einen Plural von œil halten könnte.

Man könnte sogar umgekehrt fragen: Wenn das Wort Trompe-les-yeux lauten würde, was wäre denn dann der Plural? Dann käme die Pluralbildung am Ende sowieso nicht in Frage.

Egal, ich wollte eigentlich nur mitteilen, daß es einen Bedarf an Pluralbildung zu geben scheint, der bisher im Duden nicht beantwortet wird.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 21.09.2014 um 05.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#26812

Bei Trompe-l’œil gibt es die Frage, wie der Plural geschrieben wird. Der Begriff steht einerseits für einen Effekt, andererseits (vor allem) pauschal für Kunst, die diesen Effekt nutzt. Also überwiegend für eine bestimmte Art von Kunstwerken. Aber von da aus wird er auch auf einzelne Kunstwerke übertragen. Der Wikipedia-Artikel fängt ja schon so an: "Ein Trompe-l’œil ist ..." Wenn es ein Trompe-l’œil gibt, dann gibt es auch viele Trompe-l’œils.

Wie schreibt man den Plural? Bei der Schreibweise Trompe-l’œils kommt beim Leser unter Umständen nur an, daß aus der "Auge-Täuschung" eine "Augen-Täuschung" geworden ist. Also ein unklarer oder undeutlicher Bezug des Plural-Kennzeichens.

Ich habe den Eindruck, daß aus diesem Grund in Texten der Plural möglichst vermieden wird (auch im Französischen und im Englischen). Und im Lexikon! Duden online definiert den Begriff nur im Sinne von "Vortäuschung ..." und dann im Sinne von "Raumgestaltung". Anders zum Beispiel bei Gouache. Dort gibt Duden online nicht nur die Technik als Bedeutung an, sondern auch: ein Bild in dieser Technik.

Im Fall des Lexikons finde ich das Verschweigen nicht zweckmäßig. Gerade wenn die Pluralbildung mit einem Fragezeichen verbunden ist, suchen die Leute doch gegebenenfalls eine Auskunft im Lexikon.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.09.2014 um 05.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#26778

Trompe l’Œil (FAZ 17.9.14), abwechselnd auch klein geschrieben, im selben Text. Wikipedia kennt nur Trompe-l’œil.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.06.2014 um 08.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#26178

Die reformbedingte Großschreibung in lateinischen Wendungen wie Genus Verbi, Genitivus Qualitatis, Corpus Delicti usw. ist unlogisch, weil es sich, wie die Flexion erkennen läßt, nicht einmal um lateinische Fremdwörter im Deutschen, sondern um uneingeschränkt lateinische Wörter, also Zitatwörter handelt. Das ist so, seit wir nicht mehr innerhalb des Deutschen lateinisch flektieren (das Verbum, des Verbi).

Die Reformregeln äußern sich dazu nicht genauer, die Reformer haben aber gegen die um sich greifende Großschreibung auch nichts eingewandt. Im Gegenteil: Die Dissertation der Geschäftsführerin Kerstin Güthert heißt: Herausbildung von Norm und Usus Scribendi im Bereich der Worttrennung am Zeilenende (1500–1800). Heidelberg 2005. - Also wird es wohl so gemeint sein.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.11.2012 um 11.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#21975

"fortschrittlich" ist oft relativ. Wir brauchen eindeutige Schreibweisen. Z.B. "Erbangelegenheiten im voraus im Voraus regeln".
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 23.11.2012 um 10.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#21974

Im BGB gibt es den "Voraus des Ehegatten" (siehe im Diskussionsforum), ein echtes Substantiv im Gegensatz zum adverbialen "im voraus".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.11.2012 um 09.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#21973

Wir alle haben uns frühzeitig darüber gewundert, daß adverbiale Floskeln wie im Voraus jetzt wieder groß geschrieben werden sollten, nachdem man schon im 19. Jahrhundert wieder davon abgekommen war. In einer Schrift zum Erbrecht lese ich:

Jede Nachfolgeregelung sollte zum Ziel haben, mögliche Konfliktbereiche im Voraus zu erkennen und zu lösen. (Erbfolge und Familie – ein Leitfaden)

Im selben Text ist immer wieder vom Voraus die Rede. Natürlich klärt der Kontext einigermaßen, was gemeint ist, aber eine Verwechslung ist nicht ausgeschlossen und vor allem bei der automatischen Archivierung störend.

Dies alles war vollkommen unnötig und zeigt, wie wenig Umsicht die Reformer hatten. Die Weigerung der Reformer, selbst nach so vielen Jahren den Fehler zu korrigieren und zu einer fortschrittlichen Schreibweise zurückzukehren, ist schwer zu begreifen.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 17.01.2012 um 23.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#19884

Die »inoffiziellen Eigennamen« nach § 60 (5) des Regelwerks sind nicht unbedingt geographische Namen, wie es die Einordnung von K 140 im Duden unter »Geografische (erdkundliche) Namen« und die aufgeführten Beispiele nahelegen. Geographische Eigennamen werden im Regelwerk in § 60 (2) behandelt.

§ 60 (5) lautet:

»inoffizielle Eigennamen, Kurzformen sowie Abkürzungen von Eigennamen, zum Beispiel:
Schwarzer Kontinent, Ferner Osten, Naher Osten, Vereinigte Staaten, Hohes Haus
A. Müller, Astrid M., A. M. (= Astrid Müller), J. W. v. Goethe; SPD
(= Sozialdemokratische Partei Deutschlands), DGB (= Deutscher Gewerkschaftsbund), EU (= Europäische Union), SBB (= Schweizerische Bundesbahnen), ORF (= Österreichischer Rundfunk)«

Wenn Hohes Haus als Synonym für das Parlament unter diese Vorschrift fällt, dann kann man auch den Blanken Hans als Bezeichnung für die sturmgepeitschte See, also nicht im Sinne eines geographischen Eigennamens wie Nordsee, darunter fassen. Solange nicht klar ist, was eigentlich ein »inoffizieller Eigenname« sein soll, kann man aufgrund von § 60 (5) alle möglichen obligatorischen Großschreibungen fordern, z. B. Grüne Minna oder Grüne Lunge. Tatsächlich aber läßt der Duden auch grüne Minna und grüne Lunge gelten. Zu Recht. Die einseitige Festlegung auf Blanker Hans erscheint mir willkürlich und durch das Regelwerk nicht gedeckt.

(Übrigens ist das Beispiel Hohes Haus erst 2006 dem Regeltext hinzugefügt worden. Für mich ein Indiz dafür, daß man gerade dem Eindruck entgegenwirken wollte, § 60 (5) beziehe sich außer auf Kurzformen und Abkürzungen ausschließlich auf geographische Namen.)
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 17.01.2012 um 18.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#19883

Ich stelle gerade fest, daß der blanke Hans (laut Duden: "die stümische Nordsee") schon 1996 zum Blanken Hans reformiert wurde. Duden begründet das mit R 140: "Adjektive und Partizipien, die Bestandteil eines geografischen Namens sind, werden großgeschrieben <§ 60 (2)>. Das gilt auch für inoffizielle Namen <§ 60 (5)>."

Es soll sich also um einen Parallele zu Neue Welt oder Schwarzer Kontinent handeln. Nicht daß die Großschreibung bei Blanker Hans grundsätzlich abzulehnen wäre, aber störend fällt auf, daß die Kleinschreibung gar nicht mehr zulässig sein soll – und die Einordnung als "inoffizieller geografischer Name". Es stellt sich die Frage, ob man die Nordsee auch bei Windstille als Blanker Hans bezeichnen kann; der Name eines Gewässers sollte nicht vom Wetter abhängig sein. Mir scheint, daß mit Blanker Hans das stürmische Meer als solches bezeichnet wird, und das ist hier nur zufällig die Nordsee. Anders gesagt, es handelt sich nicht um die Nordsee im geographischen Sinn.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 15.06.2006 um 07.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#4310

Was ist eigentlich in oder bei Langem geschehen und in oder bei Kurzem und wo liegen diese? Es müssen welterschütternde Ereignisse sein, denn immer wieder liest man die Zeitangaben "seit Langem" und "seit Kurzem". Warum habe ich im Geschichtsunterricht davon gar nichts mitbekommen?
 
 

Kommentar von borella, verfaßt am 11.02.2006 um 15.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=405#2553

Irgendwie vermisse ich jene Regeln, die die Ausage von Hrn. Zehetmair repräsentieren, daß es nämlich auf die Betonung, ja auf den Akzent ankommt, ob man groß oder klein schreibt (siehe Pressekonferenz vom 3. 2. 2006) ...
 
 

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