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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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19.01.2014
 

Grammatica ancilla orthographiae
Germanisten und die Lust am Gehorchen

„(Der Orthographus bestimmt nicht), wie die Wörter heißen und abgeändert werden; sondern nur bloß, wie man die einmal festgesetzten schreiben soll.“ (Luise Gottsched, 89. Brief; dann in Gottscheds „Abhandlung von der Rechtschreibung“).

Im geschichtlichen Wandel des Schreibgebrauchs spiegelt sich zwar manchmal ein Wandel der Grammatik (z. B. in der Kleinschreibung ehemaliger Substantive), aber das hebt die eigenständige grammatische Analyse nicht auf. Außerdem unterliegt die Schulorthographie den Beschlüssen der Kultusminister. d. h. den Einfällen der von ihnen beauftragten Rechtschreibreformer. Davon kann die grammatische Analyse erst recht nicht abhängig gemacht werden. Genau dies geschieht aber seit 1996 in Deutschland.

„Wir folgen in unseren Satzgliedanalysen den orthographischen Regeln und auch der aktuellen Schreibung.“ (Klaus Welke: Einführung in die Satzanalyse. Berlin, New York 2007:233)

An anderer Stelle (231) weist Welke auf mögliche Widersprüche hin, bleibt aber trotzdem bei der Unterwerfung der Syntax unter die Schulorthographie. Über die Zusammenrückung schreibt er:
„Deren orthographischer Reflex ist die Zusammenschreibung. Wir nehmen daher Zusammenschreibung als Indiz für das Vorliegen komplexer Prädikate.“ (239)

„Ein Wort ist eine solche Einheit, die von Zwischenräumen oder von Satzzeichen umgrenzt ist.“ (Henning Bergenholtz/Burkhard Schaeder: Die Wortarten des Deutschen. Stuttgart 1977:19)

(Zu den Folgen vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134)

„Bei Verb-Komposita hängt es von den geltenden Regeln der Zusammen- bzw. Getrenntschreibung ab, ob sie formell überhaupt Komposita sind.“ (Wolfgang Boettcher: Grammatik verstehen. Band 1: Wort. Tübingen 2009:212)

„Die Wortbildungslehre wiederum hatte auf die Neuregelung der amtlichen deutschen Rechtschreibung seit 1996 zu reagieren.“ (Irmhild Barz u. a.: Wortbildung – praktisch und integrativ. 4., überarb. Aufl. Frankfurt u. a. 2007:73)

Die Verfasserinnen stellen daher auch folgende Übungsaufgabe: „Kompositum oder syntaktische Fügung? Begründen Sie Ihre Entscheidung mit der entsprechenden Rechtschreibregel.“ (75)

Ebenso verfährt Barz im Wortbildungsteil der Dudengrammatik.

„Da es schwer fällt, hier ein allgemeingültige Regel zu finden, sollte im Zweifelsfall die jeweils gültige Zuordnung eines Wortes zur Wortklasse der Substantive stets in einschlägigen orthographischen Lexika überprüft werden.“ (Elke Hentschel/Harald Weydt: Handbuch der deutschen Grammatik. Berlin 2003:492)

„So wurde kennen lernen bis zur Rechtschreibreform 1996 als ein Wort aufgefaßt und entsprechend zusammengeschrieben; seither wird es als zwei Wörter betrachtet und getrennt geschrieben.“ (ebd. 14)

„So wurde kennen lernen bis zur Rechtschreibreform 1996 als ein Wort aufgefaßt und entsprechend zusammengeschrieben; nach den nun geltenden Regeln kann es wahlweise auch als zwei Wörter betrachtet und getrennt geschrieben werden.“ (Dasselbe 2013:12)

Auch die Lehre von den Verbzusatzkonstruktionen als „Komposita“ stützt sich auf die Schreibweise: „Zweitens sind die hier betrachteten Verben die einzigen, die Verbkomposita bilden können, die einen Infinitiv als Erstglied haben: kennenlernen, spazierengehen, sitzenbleiben.“ (Nanna Fuhrhop)

„Diachron ist fest stellen ein Syntagma, Feststellung damit eine Zusammenbildung; synchron ist feststellen dagegen ein Verb und Feststellung ein Derivat.“ (Jan Bruners: "Zusammenbildungen und Klammerparadoxa". http://janeden.net/pdf/2290.pdf)

„Die Rechtschreibreform brachte es mit sich, dass viele bisher einfache zweiteilige Prädikate im Infinitiv nicht mehr zusammengeschrieben werden; damit kommt es zu Änderungen in der Klassifikation: Du hackst die Kräuter klein. (alt: kleinhacken; neu: klein hacken.)“ (Katja Kessel/Sandra Reimann: Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache. Tübingen, Basel 2005:13) (Inzwischen ist beides möglich, Duden empfiehlt Getrenntschreibung.)

„Die Beherrschung von Teilen der geltenden Orthografieregeln ist Voraussetzung zur korrekten Klassifikation des Prädikats.“ (ebd. 14)

„Durch die neue Rechtschreibung hat sich besonders im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung vieles geändert. Das betrifft vor allem Verben (alt: kennenlernen, neu: kennen lernen) und Adjektive (alt: kochendheiß, neu: kochend heiß). Diese ehemaligen Wörter und heutigen Wortgruppen fallen nun aus der Wortbildung heraus, da sich die deutsche Wortbildung an grafischen Wortgrenzen, d. h. an Leerzeichen vor und nach einem Wort, orientiert.“ (ebd. 114f.)

„Durch die Rechtschreibreform (Stand Februar 2005) hat sich die Zahl der Verbalkomposita erheblich verringert.“ (Michael Lohde: Wortbildung des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen 2006:222)

„Der Anteil verbaler Komposita mit substantivischem Erstglied ist gering. (Anm.:) Als Folge der Rechtschreibreform ist deren ohnehin begrenzte Zahl noch weiter zurückgegangen, denn einige geläufige Komposita werden jetzt getrennt geschrieben: Rad fahren, Kopf stehen, Halt machen.“ (ebd. 227

Einige Beispiele sind im Zuge der Revisionen schon wieder geändert worden, so daß auch die entsprechenden Teile der Grammatik revidiert werden mußten.



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Kommentare zu »Grammatica ancilla orthographiae«
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Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 01.10.2020 um 23.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1598#44397

Zu #34503: Laut dem Rechtschreibduden e-mailen/emailen und (nur so!) geemailt. Initialkurzwörter werden normalerweise in Großbuchstaben geschrieben, doch hier ersetzt E keine Nominalphrase, sondern lediglich das Adjektiv electronic, und im Englischen wird e-mail (oder ohne Bindestrich: email) ja auch nicht mit großem E geschrieben (aber: A-bomb).

Dagegen hat das DWDS-Wörterbuch ge-e-mailt (emailen ist dort als ungültige Schreibung vermerkt). Von Dr. Bopp (damals canoonet) erhielt ich die Auskunft: „Wir gehen von der Annahme aus, dass die Schreibung ‚Email‘ für das Englische ‚e-mail/email‘ gem. amtl. Wörterliste nicht in Frage kommt, weil sie mit dem Schmelzüberzug ‚Email‘ verwechselt werden könnte. Beim Verb (engl. ‚e-mail/email‘) schlagen wir […] beide Schreibungen vor. Das [Partizip] ‚ge-e-mailt‘ muss dann bestehen, wenn es nur ‚e-mailen‘ geben darf. Sonst nimmt man besser nur ‚geemailt‘, weil ‚ge-e-mailt‘ eine sehr spezielle, einmalig vorkommende Schreibweise für ein Partizip ist. Auch hier gilt die allgemeine Aussage, dass es mehr als eine Interpretationsmöglichkeit gibt […].“

Auf ähnliche Weise könnte man sich bei I-Node den Bindestrich sparen (englisch inode/i-node), da keine Verwechslungsgefahr besteht. Das Verb e-biken kommt noch vor, Lexico kennt e-bike nur mit Bindestrich, geebik(e)t würde somit nicht gehen.

Zwischen allen Bestandteilen mehrteiliger Zusammensetzungen, in denen eine Wortgruppe oder eine Zusammensetzung mit Bindestrich auftritt, wird ein Bindestrich gesetzt (§ 44 (1)), bei Flexionsendungen spart man sich jedoch einen zusätzlichen Bindestrich, so schreibt man S-Kurven-reiche statt S-Kurven-reich-e. Man könnte zwar argumentieren, hier werde das Letztglied des Wortes flektiert, allerdings heißt es auch „n-te“ und Lay-outs. Layouter (mit dem Ableitungssuffix -er) kennt Duden dagegen nicht mit Bindestrich. Im Englischen kommt come-outer vor, man könnte daher auch Lay-outer akzeptieren. Warm-Upper wird oft so geschrieben – die Schreibweise ist wegen des großen U abzulehnen, korrekt wäre Warmupper, wobei ich auch Warm-upper nicht beanstanden würde. Geht man nun synchron von einem Flexem ge-…-t (Zirkumfix) aus und wendet auch dafür das Prinzip an, keinen zusätzlichen Bindestrich zu setzen, landet man bei gee-bik(e)t (trotz des komischen Gebildes gee). Ursprünglich diente ge- jedoch als Ableitungspräfix der Perfektivierung von Verben (vgl. frieren und gefrieren), das -t bleibt als Flexionsendung, so gesehen: ge-e-bik(e)t.

Lay-out-er ist vielleicht selbst im Vergleich zu Schiff-Fahrts-Weg zu viel des Guten, da das Suffix -er in derselben Sprechsilbe gesprochen wird wie ein Teil von -out. Immerhin kann auf Layout ohne Bindestrich ausgewichen werden, andererseits kann man auch „zu n-t“ oder „n-t-letzte“ sagen – im Englischen besteht das Problem nicht: „nth“.

Duden: „Werden Teile eines zusammengesetzten Substantivs eingeklammert, kann auch ein Ergänzungsstrich gesetzt werden.“ Ich würde hier nicht unbedingt von einem Ergänzungsstrich sprechen, bei (Wieder-)Eintritt werden ja zwei Varianten angeboten, nämlich Eintritt und Wieder-Eintritt, und bei Wieder-Eintritt liegt ein gewöhnlicher Bindestrich vor. Eine andere Möglichkeit ist die Schreibweise (Wieder)eintritt, wobei hier aber ohne die Klammer eintritt in Kleinschreibung herauskommt, das spricht für die Variante mit Bindestrich. Bei (pseudo-)wissenschaftlich besteht der Beweggrund nicht, denn wissenschaftlich und pseudowissenschaftlich sind beide in Ordnung, allerdings macht Duden an anderer Stelle folgende Unterscheidung: „Gelegentlich möchte man bei einem zusammengesetzten Wort dem Adressaten zwei Lesarten anbieten: Der Leser soll dem Text sowohl dann einen Sinn abgewinnen können, wenn er die gesamte Zusammensetzung liest, als auch dann, wenn er nur einen Teil davon liest. Dazu verwendet man runde Klammern und setzt innerhalb der Klammern einen Bindestrich[.] […] Will man aber nur kenntlich machen, dass ein Wort-, Satz- oder Textteil auch ausgelassen werden kann, verwendet man eckige Klammern. Bei weglassbaren Wortteilen setzt man in die Klammern keinen Bindestrich[.]“ (Hoch-)Schulfreund wäre problematisch, denn ohne die Klammern kommt Hoch-Schulfreund heraus, gemeint ist aber Hochschul-Freund. Es bleiben als Möglichkeiten (Hoch-)Schul-Freund, was aber recht bindestrichlastig ist, und (Hoch)schulfreund, wobei hier außerhalb Klammer schulfreund in Kleinschreibung steht. Na ja.

Kobler-Trill (Das Kurzwort im Deutschen: Eine Untersuchung zu Definition, Typologie und Entwicklung): „Vielleicht steht das KWₚₐᵣₜ Obus < Oberleitungsomnibus⁹⁵ deswegen ohne Bindestrich, da bei Vokalen Lautwert und Buchstabenname zusammenfallen und so keine Aussprachegrenze markiert werden muß.“
Nach § 40 wird aber in Zusammensetzungen mit Einzelbuchstaben und Abkürzungen ein Bindestrich gesetzt. Vokalbuchstaben sind hierbei nicht ausgenommen, zum Beispiel wird auch E-Gitarre geschrieben. Ich würde Obus in dieser Schreibweise entsprechend nicht als Zusammensetzung aus O ansehen. Drei Erklärungen habe ich gefunden:

• FAQL: „[…] womöglich weil O anderenfalls für Oberleitungsomni stünde. Dies ist eingestandenermaßen eine schwache Rechtfertigung, und der tatsächliche Gebrauch neigt sich in Richtung O-Bus, was wohl (systematisch) als Oberleitungsbus interpretiert wird.“ (Mittlerweile empfiehlt Duden O-Bus.)

• Flexionstabelle (korrekturen.de-Forum): „Das zunächst gebildete Kurzwort lautete […] Obbus. Es wurde erst später um einen Buchstaben gekürzt.“

• Ich ergänze eine dritte Beobachtung: Obus wird wie Oberleitungs(omni)bus mit hauptbetontem [oː] gesprochen. Man denke sich das [bɐlaɪ̯tʊŋs(ˌʔɔmni)] weg, voilà, Obus! U-Bahn wird im Gegensatz zu Untergrundbahn mit [uː] statt [ʊ] gesprochen, E-Gitarre im Gegensatz zu Elektrogitarre auf der ersten Silbe betont.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.03.2017 um 19.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1598#34772

„Schreibunsicherheiten können auftreten, wenn nicht klar ist, ob der erste Teil tatsächlich ein selbständiges Wort ist oder nicht. Beim Verb gérnhaben ist gérn kein selbständiges Wort: gérnhaben, gérngehabt; weil er sie gérnhat; Er hat sie gérn. Die Bestandteile gern und haben bilden eine trennbare Zusammensetzung.“

(Peter Eisenberg: Deutsche Orthografie. Regelwerk und Kommentar. Verfasst im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Berlin, Boston 2017:70)

Warum sollte gern kein selbständiges Wort sein?

Wieso ist aufheben EIN Wort?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 12.02.2017 um 11.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1598#34510

Ein Problem bei eingedeutschten englischen zusammengesetzten Verben scheint mir die Perfekt-Bildung zu sein (wohin mit dem "ge-"?).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.02.2017 um 17.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1598#34504

Geht es um den Ausdruck oder um die Schreibweise?

Man sagt wohl eher mailen, und damit entfallen auch die Probleme.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.02.2017 um 12.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1598#34503

Ich E-maile, habe ge-E-mailt, E-gemailt?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.02.2017 um 09.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1598#34500

Zu: Auto fahren, kehrtmachen, preisgeben: „Es handelt sich dabei um syntakt. Strukturen auf dem Weg zur Zusammenrückung.“ (Hans Altmann: Syntax fürs Examen. Opladen 1999:64)

Offenbar schriftverführt. In Wirklichkeit gibt es keine Anzeichen, daß wir sagen könnten er autofährt, ich kehrtmache, sie preisgab ihn.

Verbzusatzkonstruktionen müssen ganz aus der Wortbildung herausgehalten werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.12.2016 um 03.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1598#34021

„Von einer Satzverbindung oder Satzreihe spricht man, wenn mehrere Hauptsätze aufeinander folgen, wobei nur der letzte Hauptsatz ein Satzschlusszeichen aufweist:

Das Wasser ist knapp geworden, die Lebensmittel gehen zur Neige, und nun kommt die anstrengendste Etappe.

Der Begriff der Satzverbindung ist an der geschriebenen Sprache entwickelt worden. Das Problem daran ist, dass die Begriffe der Satzverbindung und des Satzschlusszeichens zirkulär aufeinander bezogen werden: (...)“
(Dudengrammatik § 1640, dasselbe auf Gallmanns Website)

Das stimmt doch gar nicht. Keine namhafte Grammatik definiert die Satzreihe unter Bezug auf Schrift und Interpunktion.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.07.2016 um 04.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1598#32849

Zur Dudengrammatik 2005: Der Satzbauplan jemandem feind sein ist gestrichen, weil die Rechtschreibreformer diese Konstruktion nicht mehr verstanden und aus der deutschen Sprache getilgt haben. Dazu paßt, daß wie schon in der vorigen Auflage feind, freund, not aus der Liste nur prädikativ gebrauchter Adjektive entfernt worden sind, weil die Kultusminister dekretiert haben, daß es sich um Substantive handelt.

Mir ist nicht bekannt, daß Germanisten diesen Skandal angeprangert hätten, im Gegenteil, sie machen alle mit, wie hier dokumentiert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2016 um 09.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1598#31911

Den Haupteintrag habe ich inzwischen ergänzt, vor allem um die Lächerlichkeit der Nachführung bei Hentschel/Weydt erkennbar zu machen.

Früher war es der Stolz der Sprachwissenschaftler, die grammatische Analyse selbst vorzunehmen; heute überläßt man das den Kultusministern und zeichnet deren Dekrete nur noch auf.
 
 

Kommentar von ppc, verfaßt am 26.05.2015 um 15.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1598#28994

Das "aufgrund" ist ein besonders penetrantes Modewort (statt: wegen, durch, weswegen, wodurch, anhand, dank ...):

>Aufgrund dessen, dass die Stützpfeiler verfault sind, muss das Fundament ganz neu konzipiert werden.

Weil ..., muß ...

>Ihre Vorlesung fiel aus, aufgrund dessen hatte sie frei.

... daher/deswegen ...

Vieles läßt sich vereinfachen, wenn man auf derartige Klauseln verzichtet. Typisch: "Aufgrund von Krankheit geschlossen" ist länger als "Wegen Krankheit geschlossen", aber natürlich nicht so modisch.

Zum ersten Satz fällt mir noch eine Verschlimmbesserung ein. "... muss das Fundament komplett neu konzipiert werden".
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.05.2015 um 13.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1598#28959

"zuhause" und "nachhause" haben nicht unmittelbar etwas mit einem Haus zu tun, sondern können auch einen Ort oder eine Gegend meinen. Nur mit "im Hause" und "ins Haus" wird unmittelbar ein Haus gemeint. Deshalb halte ich "zuhause" und "nachhause" nicht für eine Wortgruppe, sondern für die Wortart Adverb.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.05.2015 um 08.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1598#28958

GRAMMIS weist einigen Wortgruppen eine Wortart zu, weil sie auch zusammengeschrieben werden, z. B. ist auf Grund als Präposition geführt. Durch die Getrenntschreibung bekennt man sich jedoch dazu, daß es kein Wort ist, sondern eben eine Wortgruppe. Wortgruppen lassen sich auch kategorisieren, aber nicht als Wortarten. Wenn alle Phrasen, die die Funktion einer Präposition erfüllen, ebenfalls Präpositionen sind, ist kein Halten mehr.
Die weitere Darstellung geht nur noch von der "alternativen Schreibweise" aus, also der Zusammenschreibung.

Außerdem soll auf Grund ein "Pronominaladverb in Konnenktorfunktion [sic]: aufgrunddessen / aufgrund dessen" bilden, wobei die erste Schreibweise nicht der amtlichen Regelung entspricht.

Dann wird noch ein Homonym angesetzt:
"Subjunktor aufgrund dessen (...), dass: Aufgrund dessen, dass die Stützpfeiler verfault sind, muss das Fundament ganz neu konzipiert werden.
nicht nacherstfähiger Adverbkonnektor aufgrund dessen: Ihre Vorlesung fiel aus, aufgrund dessen hatte sie frei.

Aber wieso homonym? Es ist doch immer dasselbe.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.05.2015 um 05.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1598#28946

GRAMMIS führt leidtun unter den Verben an, nur weil es neuerdings zusammengeschrieben werden soll, kann sich allerdings auch von spazieren gehen, sauber machen, Rad fahren nicht trennen. Das sind nun "Verben", weil sie mal zusammengeschrieben wurden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.07.2014 um 14.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1598#26454

Ist es nicht interessant, daß Kant in seiner schwungvollen Abhandlung über "Aufklärung" ausgerechnet dieses Zitat verwendet: "Caesar non est supra grammaticos"? Gemeint ist natürlich die Grammatik, das Sprachsystem, das sich auch vom mächtigsten Herrscher nichts befehlen läßt.

Der Wikipedia-Eintrag über die Aufklärung beginnt übrigens so:

"Die Aufklärung war eine Epoche in der modernen westlichen Philosophie. Sie steht für das Bestreben, durch den Erwerb neuen Wissens Unklarheiten zu beseitigen, Fragen zu beantworten und Irrtümer zu beheben."

Irgendwo muß man anfangen, aber so nichtssagend? Im weiteren Verlauf wird es dann besser.

Kant läßt keinen Zweifel, worum es nicht nur ihm fast ausschließlich geht:

"Ich habe den Hauptpunkt der Aufklärung, d. i. des Ausganges der Menschen aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit, vorzüglich in Religionssachen gesetzt, weil in Ansehung der Künste und Wissenschaften unsere Beherrscher kein Interesse haben, den Vormund über ihre Untertanen zu spielen, überdem auch jene Unmündigkeit, so wie die schädlichste, also auch die entehrendste unter allen ist."

Bis auf das Herrscherlob am Ende könnte der Text heute geschrieben sein, abgesehen von der Sprache, die zwar auch längere Perioden und ein paar veraltete Ausdrucksweisen enthält, aber in ihrer Klarheit immer noch heilsam zu lesen ist.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 17.02.2014 um 16.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1598#25161

Wenn die Grammatik die Magd der Rechtschreibung ist, steht ein metaphysisches Axiom der Reform in Frage. Es gibt dann offensichtlich etwas, das zwar auch irgendwie noch in den Gegenstandsbereich der Sprachwissenschaft fällt, der Sprache aber noch äußerlicher ist als die Schrift. Statt "Die Schrift ist nur das äußer(st)e Kleid der Sprache" müßte es jetzt "Die Grammatik ist nur das äußer(st)e Kleid der Sprache" heißen. Weiter könnten Zweifel aufkommen, ob solche Sätze überhaupt sinnvoll sind. Wenn schon der Basaltblock "Die Schrift ist nur das äußer(st)e Kleid der Sprache" in Trümmern liegt, ist es mit der Solidität des Nachfolgesatzes ja möglicherweise auch nicht weit her. Die Sprache wäre dann so etwas wie eine Zwiebel ohne Kern, die sich in immer peripherere Schalen verflüchtigt.
 
 

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