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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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04.01.2014
 

gern
Primäre und autoklitische Verwendung eines Adverbs

„gern (...) drückt eine Bestätigung, Billigung aus, ohne weiteres: das glaube ich dir g.; du kannst g. mitkommen" (DUW)

Die beiden Beispiele sind ganz verschieden. Im ersten ist gern ein normales Adverb, es modifiziert das Prädikat, zu dem es grammatisch gehört. Im zweiten geht es nicht darum, daß jemand gern mitkommt, auch nicht darum, daß der Sprecher es gern hat, wenn der andere mitkommt, sondern darum, daß er gern die Erlaubnis erteilt mitzukommen. Das Adverb kommentiert also den Sprechakt (wie eine Modalpartikel, von er es aber grammatisch verschieden ist). Weil der Kommentar nicht metasprachlich-explizit ist, sondern in die Äußerung integriert, handelt es sich um ein autoklitisches Sprachverhalten im Sinne Skinners. Es läßt sich nicht verneinen, weil eben gar keine Behauptung vorliegt: *Du kannst nicht gern mitkommen.

Davon ist der laxe Sprachgebrauch zu unterscheiden wie in:
bestimmte Fonds, die gerne 'Heuschrecken' genannt werden (SZ 31.10.07)
Man nennt sie gern Heuschrecken, aber sie werden eigentlich nicht gern so genannt.
Substantiv und Subjekt werden gern verwechselt. (Sprache und Literatur 53, 1984:72)
Hier hat gern einfach die Bedeutung "oft" übernommen.
Diese Fälle geben also für unser Thema nichts her.

Ähnlich, aber nicht genau gleich funktioniert meinetwegen.



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Kommentare zu »gern«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.06.2017 um 09.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1595#35309

Über meine Erklärung der Modalpartikeln (1994) sagt Peter-Arnold Mumm:

"Das ja in Du bist ja ganz naß! muß übrigens keineswegs immer (so offenbar, mit anderen, HELBIG l.c.) die Funktion tragen, Staunen oder Überraschung auszudrükken – auch Mitleid, Spott, sogar Ärger sind möglich. Die Vielfalt dieser emotiven Ausdrucksfunktionen zeigt, daß in ihr die Bedeutung des ja nicht liegt. Ganz verfehlt ist auch, die Interpretation von Sätzen dieses Typs nicht semantisch, sondern nur pragmatisch anzusetzen, etwa so, daß der Sprecher "eine Erklärung für den genannten Sachverhalt" (ICKLER 1994: 400) haben möchte." (1996 in Fs. Strunk)

Leider hat Mumm meine Argumentation nicht verstanden. Die Kategorie "nur pragmatisch" gibt es bei mir nicht, es ist alles semantisch, allerdings geschichtet, wie praktisch jeder annimmt und auch annehmen muß.
Aber weil jeder einen Text durch die Brille seiner eigenen Begriffe liest, ist es fast unmöglich, solche Fehldeutungen auszuschließen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2016 um 14.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1595#31174

Bisher ist nicht geklärt, was genau sich vor dem Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht abspielte. (zeit.de 6.1.16)

Das genau ist in den Nebensatz gerutscht, obwohl es logisch in den Obersatz gehört. Auch mit Was hat sich genau abgespielt? will man genau wissen, was sich abgespielt hat. Die Dinge selbst spielen sich ja nicht mehr oder weniger genau ab.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.01.2014 um 11.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1595#24774

Lieber Herr Schaefer, was Sie meinen, ist das gleichlautende normale Adjektiv, nicht die sogenannte "Modalpartikel". Zu diesem vielerörterten Thema gibt es einen alten Aufsatz von mir, den ich vielleicht mal hier einrücke, wenn ich ihn internettauglich gemacht habe. (Wikipedia nennt zwar das Phänomen, aber die Erkärungen sind ganz schlecht.)
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 07.01.2014 um 10.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1595#24773

Gehört ruhig wirklich zu den Modalpartikeln? Immerhin ist es durchaus erststellenfähig:

Ruhig gingen sie aufeinander zu.

Man kann es auch erfragen:

F: Wie war es gestern abend?

A: Ruhig.

Darüber hinaus läßt es sich negieren:

F: Wie hat sie geschlafen?

A: Nicht ruhig.

Das ist nicht unbedingt bestes Deutsch, aber es geht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.01.2014 um 06.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1595#24769

Ruhig verhält sich grammatisch wie die Modalpartikeln und wird daher auch zu diesen gerechnet. Gern ist wie meinetwegen erststellenfähig und betonbar und gehört daher in eine andere Klasse. Das besagt aber nicht, daß man beide Sprachmittel nicht in anderer Hinsicht zusammenfassen könnte.

Die Motive, warum jemand z. B. "gern" eine Erlaubnis erteilt, interessieren eigentlich nicht. Wie Skinner auch selbst sagt, kann Ironie hinzukommen, und es gibt noch andere Abstufungen des Pragmatischen. Er behandelt das Thema in den Kapiteln 12 bis 14 von "Verbal Behavior", und darin ist manche harte Nuß enthalten. Nur wenige Behavioristen haben sich daran gewagt.
 
 

Kommentar von Andreas Blombach, verfaßt am 06.01.2014 um 19.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1595#24767

"Gewiß sind Einzelfälle nicht immer eindeutig, aber man muß nach Erklärungen suchen, die immer passen."
Führt das nicht zu unzulässigen Verallgemeinerungen?

"Das bedeutet nicht, daß die Mutter gern etwas gibt, auch nicht, daß sie es gern hat, wenn das Kind mehr davon ißt, sondern daß sie die Erlaubnis gern erteilt."
Und warum erteilt sie die Erlaubnis gerne? Das kommt ja nicht aus dem Nichts, und so dürfte das auch der Hörer verstehen.
"Du kannst dir übrigens gerne noch Kekse nehmen." -> Ich kann nicht mehr, die Kekse müssen weg, ich freue mich, wenn's dir schmeckt, ...
"Du kannst gerne nein sagen, aber ..." -> Hier sähe es der Sprecher vermutlich nicht gerne, wenn der andere tatsächlich nein sagte, aber er drückt mit dem gerne aus, dass er es dem anderen nicht übelnähme. Dass er deshalb gerne die Erlaubnis erteilt ... Ich weiß nicht.

Gern erfüllt oft eine ähnliche Funktion wie ruhig, die beiden Wörter sind oft austauschbar (nicht immer, und ihr Vorkommen unterscheidet sich durchaus, z.B. in Aufforderungssätzen: "Nimm dir ruhig noch Kekse."), beide haben sich von ihrem ursprünglichen Gebrauch gelöst.
"Du kannst ruhig mitkommen." "Du kannst gern mitkommen."
Ruhig ist vielleicht etwas stärker auf den Hörer bezogen (ruhigen Gewissens?), gern stärker auf den Sprecher, häufig macht das aber keinen Unterschied.
Interessant ist aber, dass gern noch verstärkbar ist: "Du kannst sehr gerne mitkommen!" Da lässt sich dann auch kaum abstreiten, dass der Sprecher es tatsächlich gerne sähe, wenn der andere mitkäme.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2014 um 04.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1595#24762

Gewiß sind Einzelfälle nicht immer eindeutig, aber man muß nach Erklärungen suchen, die immer passen. Der Übergang vom, sagen wir mal traditionell, Propositionalen zum Autoklitischen (wovon die "Grammatikalisierung" ein Teil ist) vollzieht sich graduell.
Kann ich das Brot haben? - Gern.
Hier versteht man die Frage wohl meist im Sinne von Gibst du mir das Brot? und die Antwort bedeutet "Ich gebe es dir gern". Aber wie steht es mit Mama, kann ich noch mehr davon essen? - Gern.? Das bedeutet nicht, daß die Mutter gern etwas gibt, auch nicht, daß sie es gern hat, wenn das Kind mehr davon ißt, sondern daß sie die Erlaubnis gern erteilt. Wenn sie gleichgültig ist oder sogar einen gewissen Widerstand überwinden muß, sagt sie vielleicht von mir aus oder meinetwegen. Als nicht-elliptische Äußerung kommt auch na, gut in Betracht, eine modalisierte Variante von ja.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 06.01.2014 um 00.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1595#24761

Wenn der Sprecher wirklich gern möchte, daß der andere mitkommt, sagt er nicht »Du kannst gern mitkommen«, sondern »Hast du Lust mitzukommen?«, »Ich würde mich freuen, wenn du mitkommst«, »Komm doch mit« oder etwas Ähnliches. Nach meinem Empfinden will der Sprecher in diesen Fällen vor allem signalisieren, daß er nichts dagegen hat, daß der Angesprochene mitkommt; er will möglichen Bedenken entgegenwirken. Meist wird er dabei nicht übermäßig große innere Freude empfinden, es sind aber Situationen denkbar, in denen er sich tatsächlich aufrichtig freut, zum Beispiel wenn er zuvor gar nicht an die Möglichkeit gedacht hatte, daß der Angesprochene mitgeht. Wie überall macht natürlich auch hier der Ton die Musik. Insofern gibt es tatsächlich einen Übergangsbereich. In der Regel scheint mir »gern« in diesen Fällen aber so etwas wie gleichmütige Billigung auszudrücken. Etwas anders, aber doch ähnlich sind Sätze wie »Sie können sich gern bei meiner Chefin beschweren«, mit denen der Sprecher sagen will, daß man ihm mit einer Beschwerde nichts anhaben kann.
 
 

Kommentar von Andreas Blombach, verfaßt am 05.01.2014 um 20.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1595#24759

"Im zweiten geht es nicht darum, daß jemand gern mitkommt, auch nicht darum, daß der Sprecher es gern hat, wenn der andere mitkommt, sondern darum, daß er gern die Erlaubnis erteilt mitzukommen."

Ich weiß nicht, ob man das wirklich derart aufdröseln kann. Die erste Möglichkeit scheidet natürlich aus, aber die zweite und dritte sind m.E. miteinander verbunden – der Sprecher gibt gerne die Erlaubnis, weil er es gern hat, wenn der andere mitkommt. Ich denke, da gibt es einen Übergangsbereich (und irgendwie musste es ja auch erst zu der Formulierung kommen).
 
 

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