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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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18.02.2008
 

Zwischenprüfung
Folgen der Rechtschreibreform?

Uff! Gerade wieder einen Stapel Zwischenprüfungsklausuren weggearbeitet. Mehr als die Hälfte der Verfasser verwechselt ständig das und dass.
(Inzwischen schreiben sie alle in Reformorthographie, naturgemäß voller Fehler.) Am korrektesten schreiben übrigens, wenigstens orthographisch, die Studentinnen aus Osteuropa.



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Kommentare zu »Zwischenprüfung«
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Kommentar von Rob, verfaßt am 18.02.2008 um 23.53 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=971#11475

Keine erfreuliche Bilanz. Osteuropäische Studentinnen beherrschen die deutsche Sprache besser.... ich kann das einfach nicht glauben!!
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 19.02.2008 um 00.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=971#11476

Nicht die deutsche Sprache, die (neueste) deutsche Rechtschreibung.
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 19.02.2008 um 10.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=971#11477

Gibt es denn Studenten, die sich für die sog. alte Rechtschreibung interessieren, sie lernen, womöglich sogar (dadurch) rechtschreibsicherer werden?
Wie sieht es mit den anderen populären Fehlern aus, die ich in allerlei Internetforen lese? Ich denke da zuvorderst an "weil" statt "denn", "wen" statt "wenn" (oder umgekehrt), "möglicher Weise" und natürlich die hier schon reichlich dokumentierten Kollateralschäden durch Heyse und Augstsche Hirngespinste, also "Zeugniss", "notwändig" (gar "Not wändig") etc. pp.
Wie reagieren die Studenten, wenn sie auf ihre Fehler hingewiesen werden? Welche Bedeutung oder Wichtigkeit hat die Orthographie bei ihnen? Sind sie gar froh, daß sie die Rechtschreibreform mitgemacht haben, weil die ja so viele Erleichterungen gebracht habe? Sind sie überzeugt, daß sie ohne Rechtschreibreform sehr viel mehr Fehler machen würden?
 
 

Kommentar von b.eversberg, verfaßt am 19.02.2008 um 11.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=971#11478

So interessant die subjektiven Aussagen sein mögen, viel wertvoller und aussagekräftiger wäre eine repräsentative Untersuchung der Fehlertypen und ihrer Häufigkeiten vorher und nachher. Jetzt, 12 Jahre nach 1996, könnte der richtige Zeitpunkt erreicht sein, so etwas mal in Angriff zu nehmen. Dann nach vielleicht 5 und 10 Jahren weitere Auswertungen. Am besten mal einen Projektantrag bei der KMK stellen (tongue in cheek).
 
 

Kommentar von Borne, verfaßt am 19.02.2008 um 15.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=971#11481

Für die meisten Germanistik-Studenten ist die Sprachwissenschaft nicht mehr als ein lästiger Wurmfortsatz. Ein Wurmfortsatz, der nervt und um den man am besten einen großen Bogen macht!

Hierfür gibt es im wesentlichen zwei Gründe:

1. Die Literaturlastigkeit der Lehrpläne führt dazu, daß der Bereich 'Reflexion über Sprache' in vielen gymnasialen Oberstufenkursen nur eine untergeordnete Rolle spielt. Man bespricht einfache Kommunikationsmodelle und macht ein paar Übungen zu den "Vier Ohren" von Schulz von Thun. Die "schwere Kost" (Wittgenstein, Mauthner usw.) bleibt dabei oft auf der Strecke.

2. Die Geringschätzung der Sprachwissenschaft wird von einer "Studentengeneration" an die nächste weitergegeben. Ich erinnere mich noch genau an die "Beratungsgespräche", die die Fachschaft bei uns durchgeführt hat. O-Ton: "Macht ja einen weiten Bogen um diesen Mist. Geht am besten zu Prof. XY, der vergibt Blankoscheine!"

Zur Praxis im Studium:

Im einführenden Proseminar machen die Studenten an meiner Universität ein bißchen Sprechakttheorie, Zeichenlehre und Pragmatik. Die fleißigeren Studenten analysieren zusätzlich die Sportpalastrede von Goebbels. Das war es dann aber auch schon.

Im Hauptstudium wählen sie dann ein seichtes Seminar, möglichst bei einem Professor, bei dem man keine Hausarbeit schreiben, sondern nur ein armseliges Referat halten muß. Sehr beliebt sind hier Themen wie z. B. 'Zeitungssprache', 'Fernsehsprache' und 'Stilistik'.

Allerdings gab es bei uns auch eine positive Ausnahme. Hier eine Auswahl der Seminarthemen meines Examensvaters: Variation und Norm in der deutschen Sprache, Parodien, Textsorte Tagebuch, "Die Fackel", Leitartikel zum Thema Sprache, Karl Kraus und die Sprache.

In allen Seminaren gelang es dem Professor, Detail- und Überblickswissen zu vermitteln. Als Student erlangte man einen tiefen Einblick in bestimmte Themenfelder. Die einzelnen Gegenstände wurden allerdings nicht isoliert betrachtet, sondern aus verschiedenen linguistischen Perspektiven untersucht und schließlich verzahnt.

In zwei Hauptseminaren wurde auch die sogenannte Rechtschreibreform "zerpflückt" – und das wiederum aus verschiedenen sprachwissenschaftlichen Perspektiven (u.a. Pragmatik, Sprachsoziologie, Syntax). Ich erinnere mich noch genau an zwei bemerkenswerte Sätze meines Professors: "An dem Tag, an dem man mich hier [an der Universität] zwingt, reformiert zu schreiben, nehme ich meinen Hut. Jeder Student, der seine Hausarbeit in bewährter Orthographie abliefert, verdient meine Hochachtung."

Seine Seminare liefen übrigens nie nach der "Faulenzer-Methode" ab. Mit "Faulenzer-Methode" meine ich die gängige Praxis, daß hochbezahlte Professoren ihre Arbeit in Form von Referaten an die Studenten abgeben.

Ich empfand die Seminare dieses Professors immer als sehr angenehm, was wohl auch daran lag, daß die Runde aus "natürlichen Gründen" immer ziemlich übersichtlich blieb.

95 Prozent der (Lehramts-)Studenten sitzen ihre Zeit in den überfüllten Faulenzer-Seminaren ab. Sie lassen sich wochenlang berieseln und heucheln Aufmerksamkeit, indem sie auf die "Handouts" der Referenten starren.

Für die Examensprüfung bereitet man sich dann mit dem "Studienbuch Linguistik" vor und erzählt ein paar auswendig gelernte Sachen über Austin und Searle.

Da muß man sich doch nicht wundern, daß eine Kollegin von mir neulich meinte, das phonologische Prinzip regele die Kommasetzung...
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 19.02.2008 um 17.32 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=971#11482

Letztens erhielt ich aus Leipzig von einer deutschen Germanistikstudentin eine E-mail mit einem Fragebogen in recht schütterem Deutsch. Die Studentin schreibt ihre Magisterarbeit bei zwei Betreuern, von denen keiner Zeit hatte, das in die Welt Gestreute sprachlich zu sichten. Das generelle Problem der Enquete war sinngemäß, wie es denn an den polnischen Universitäts-Germanistiken um die "Rephilologisierung" der Studiengänge bestellt sei. Im Klartext: Wie viele Stunden "Linguistisches" sensu largissimo müssen Studenten, also auch angehende Dichter!, über sich ergehen lassen. Nach den aus solchen Unterweisungen folgenden Psychotraumata wurde nicht gefragt!

Der Dame konnte nur beschieden werden, daß ihre Frage – wie Morgensterns Glockenton – in falscher Richtung fliegt, denn in Polen befinden sich die Fremdphilologien (rückständig, wie zu erwarten) gerade erst in der Phase der "Entphilologisierung" ihrer Studiengänge, weil hierorts (vorerst wenigstens) größter Bedarf besteht nach Absolventen, die einen Satz etwa in einem Vertragstext – analytisch – wirklich zu knacken imstande sind, recht selten indessen sucht man solche, die z.B. dekonstruktivistische von destruktionistischer Lyrik zu unterscheiden wissen. Allerdings wird wegen zu knappem Deputat für Literaten in allen Philologien permanenter Druck ausgeübt, die Linguistik wieder zum "Bandwurmfortsatz" (bon!) der "rächten" Philologiestudien zu degradieren und ihr ein paar Knochen über Austin und Searle in dritter Auskochung oder über das sprachliche Zeichen als solches und überhaupt zum Abnagen zu überlassen, u.a. vielleicht über den – Pawlow kongenial nachempfundenen – "perlokutiven Akt", den nicht etwa der Sprecher, sondern der (evtl. knurrende, aber willenlose) Hörer vollzieht. In diesem Sinne dann weiter bis zur Identifikation von Entscheidungsfrage und Entscheidungsfragesatz oder von Aufforderung und Aufforderungssatz.

Polnische Germanistikstudenten – unter ihnen auch Dichter in spe (nicht im Waschmittel!) – zerlegen im Rahmen von Übungen zur Beschreibenden Grammatik in ihren drei Hauptebenen mehrseitige Texte komplett "tief vom Beginne bis zu des Daches goldenem Grate", inklusive morphologischer "Diffizilitäten" wie Derivateme und Flexeme.

Deutschen Germanistikstudenten bleibt das erspart, denn sie können ja Deutsch (notfalls hilft Sick). Daher dürfen sie gleich in die Tiefen der deutschen Stilistik zu deren filigranen Korallenriffen (ab)tauchen und dort bleiben.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 19.02.2008 um 19.22 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=971#11483

Rob (#11475) ist wohl einem Mißverständnis erlegen. Daß osteuropäische Student(inn)en – trotz starker Feminisierung der Philologien – "die deutsche Sprache besser [beherrschen]" war nicht behauptet worden, denn es ging um Wissen über Sprache, was in deutschen (Hoch)schulen als eher überflüssig oder auch suspekt gilt. Am wichtigsten an der Sprache ist die Beachtung der "neuen" Orthographie. Sprachkenntnis ist (noch) hinreichend gegeben.

Aus demselben Mißverständnis seitens der steuernden Didaktiker resultiert offenbar die Struktur der Studienpläne für "LA Deutsch (+ Religion / Sport / ...)" bzw. "Germanistik" an deutschen Hochschulen: Wer eine Sprache kann, so der unausrottbare Irrglaube, weiß auch so ziemlich alles über sie und korrigiert einen stolpernden Ausländer nicht nur, sondern ergänzt seine Korrektur noch mit der entsprechenden Regel, die hoffentlich beim nächsten Beispiel nicht umfällt. Daher brauchen deutsche Germanistikstudenten auch keine Grammatiken.

Ihnen genügt eine der vielen die Zutaten leicht verschieden dosierenden oder anordnenden Bücher mit dem Etikett "Einführung in die Linguistik / Sprachwissenschaft", die all inclusive und querfeldein (von) jedem etwas bringen: einen Klecks Semiotik, ein Häppchen Pragmatik, ein Löffelchen Syntax, ein Quentchen Morphologie, ein Tüpfelchen Semantik und zur Abrundung ein Dressing namens "die sozialen Aspekte der Sprache" oder – etwas metaphysischer – "Sprache als Herrschaft" ("General Semantics" werden als zu peinlich verschwiegen). Das war's dann.

Zöge Sebastian Sick seine Tiefflugshow vor Germanistikstudenten höherer Semester in Osteuropa ab, würde er von diesen belächelt oder einfach ausgelacht. So ist Sick z.B. der Begriff der Varietäten noch nicht untergekommen, dennoch schwatzt er laufend über solche, ohne es zu wissen oder gar ihre Konstitution zu verstehen. Germanistikstudenten in Osteuropa könnten ihn darüber und über einige ihn falsch dünkende / deuchende Flexionsweisen hinreichend aufklären, notfalls auch über Satzzeichensetzung und andere Fisimatenten.

Man gerät als deutscher Germanist im Ausland zuweilen in eine peinliche Situation, wenn man von (freilich besseren) Studenten zu grammatischen, orthographischen oder einfach sachlichen Fehlern in aktuellen ("rezenten") deutschen Hochschullehrbüchern befragt wird, die diese Studiosi einfach viel zu genau lesen. Um solchen Situationen zu entgehen, kann man nur noch Originalwerke zur Lektüre empfehlen oder – umgekehrt – Pflichtkurse für "schnelles Lesen" anordnen. Eins davon hilft vielleicht, bevor Brüsseler Dampfwalze das Ganze ohnehin levelt.
 
 

Kommentar von Rob, verfaßt am 25.02.2008 um 14.38 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=971#11554

Ich bedanke mich für die freundlichen Hinweise und gelobe Besserung! Versprochen!
 
 

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