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20.11.2006
Junge Kanoniere
Bemerkungen zu den Bildungsstandards Deutsch (KMK-Beschlüsse vom 4.12.2003)
Nachdem die Handreichung des ISB zu den Rechtschreib-Tests sich – wie in meiner Anmerkung zum vorigen Eintrag zitiert – so vorbehaltlos auf die pädagogische Folklore der siebziger Jahre berufen hat, möchte ich meinen drei Jahre alten Text, der vielleicht schon irgendwo im Netz herumgeistert, noch einmal hier einrücken – vielleicht erkennt mancher Lehrer die Verhältnisse als die seinen:
Die Unbedingtheit der Liebe ist darzulegen
Nach Lektüre der vielgerühmten einheitlichen Bildungsstandards kann ich die Begeisterung darüber nicht teilen. Ich beschränke mich auf die Standards für das Fach Deutsch, für die erste Fremdsprache müßte man weiter ausholen, um das „Leitziel“ des Fremdsprachenunterrichts, „Stärkung der eigenen Identität“, in seiner Verstiegenheit deutlich zu machen.
Aus der „Curriculum“-Diskussion der siebziger Jahre sind die „Lernziele“ (Leit-, Richt-, Grob- und Feinziele) in Erinnerung geblieben. Es wurde damals so eifrig gezielt, daß Lehrpläne und Unterrichtsentwürfe sich wie Anleitungen für die Artillerie lasen. Dasselbe martialische Vokabular kennzeichnet die neuen Bildungsstandards für das Fach Deutsch. Sechzehnmal ist von „zielgerichtetem“ und „gezieltem“ Verhalten die Rede, siebzehnmal von „Strategien“, welche die Schüler anwenden sollen. Texte sollen sie zielgerichtet durch den gezielten Einsatz sprachlicher Mittel verfassen, Informationen holen sie nicht einfach durch Fragen ein, sondern durch gezieltes Fragen; Fehler vermeiden sie selbstverständlich durch „Strategien zur Fehlervermeidung“. Auch zum Lesen verfügen sie über „Lesestrategien“. Zu dumm nur, daß solche Lesestrategien weitgehend Phantasieprodukte einiger Didaktiker sind. Die Lehrer selbst verfügen jedenfalls nicht darüber, sondern lesen langsam und gründlich, wenn sie Zeit haben, und schnell und flüchtig, wenn sie keine haben, und das ist auch schon alles. „Efficient teachers are known for their strategies, the darling new word at the Board of Education“ (Frank McCourt: 'Tis. London 2000, S. 410)
Die Bildungsstandards sind typische Produkte von Kommissionssitzungen. Da alles Konkrete umstritten ist, einigt man sich auf die weitschweifigste Umschreibung von Selbstverständlichkeiten. Der Text wird durch wissenschaftlich klingende Streckformen aufgebläht. „Schreiben“? Viel zu einfach! Man sagt jetzt: „einen Schreibprozess eigenverantwortlich gestalten“. „In der mündlichen Äußerung beachten sie wichtige Regeln des Aussprache, in den (sic) schriftlichen die der Orthographie und Zeichensetzung.“ Normal ausgedrückt: Sie sprechen und schreiben richtig.
Die angestrebten Verhaltensweisen sind nicht einmal im Ansatz operationalisiert, der Text ist mit Leerformeln übersät. Wann ist eine Aufgabe „differenziert“, „strukturiert“ und „angemessen“ gelöst, eine Meinungsäußerung „begründet“, „fundiert“, „sachkompetent“? Als Ersatz werden Musterlösungen geboten. Sie sind überaus konventionell. Zwei Liebesgedichte von Heine und Fried sollen verglichen werden: „Im Vergleich der Auffassung von Liebe in beiden Gedichten ist die Unbedingtheit und Absolutheit des Gefühls darzulegen, als Unterschied ist bei Fried darauf hinzuweisen, dass die Liebe ausschließlich im Ich erfahren und festgehalten werden kann, während alles andere vergänglich und flüchtig bleibt; bei Heine auf die Liebeserfahrung in der Verschmelzung von Ich, Natur und Liebe; für Fried gibt es keine Möglichkeit der Verschmelzung von Ich und Liebe mit der Natur mehr; möglich wäre eine knappe historische Einordnung oder Identifizierung.“ Das ist der überkommene Jargon der paraphrasierenden „Interpretation“, eine Welt für sich, deren „Beitrag zur Bildung“ und „Persönlichkeitsentwicklung“ junger Menschen doch sehr fraglich bleibt.
Recht bezeichnend ist auch der Umgang der Kultusminister mit der von ihnen verordneten Rechtschreibung. Max Frisch wird in Originalorthographie wiedergegeben, Heinrich Heine in Reformschreibung, weil die Urheberrechte erloschen sind. Die KMK schreibt durchweg „selbstständig“ (bis auf einen vereinzelten Ausrutscher), offenbar in der irrigen Meinung, diese Änderung habe etwas mit der Rechtschreibreform zu tun. „Litfasssäule“ und „Denkanstösse“ sind nicht korrekt; „weiterentwickeln“ wird auch nach der Rechtschreibreform zusammengeschrieben, „auseinandersetzen“ dagegen – unsinnigerweise – nur noch getrennt. Aber das spielt angesichts des Didaktiker-Galimathias ohnehin keine Rolle mehr.
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Kommentare zu »Junge Kanoniere« |
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.03.2008 um 12.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#11724
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Verwaltungsmenschen können heute nichts mehr tun, ohne es "gezielt" zu tun. Auch wenn die Google-Zahlen mit Vorsicht zu deuten sind, fällt es doch auf, daß ein Wort wie "gezielt", das von der Sache her zu den eher seltenen gehören sollte, ungleich häufiger belegt ist als Partizipien wie etwa "geträumt". Man wundert sich zu selten darüber, deshalb will ich es hier einmal erwähnen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.10.2012 um 13.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21748
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Gerade sind die Bildungsstandards für das Deutsch-Abitur erschienen. 264 Seiten aufgeblasener Unsinn, wie erwartet.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.10.2012 um 04.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21752
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Für die unterrichtliche Arbeit in der Sekundarstufe II sind eine vertiefte Beschäftigung und gründliche Auseinandersetzung mit Literatur, Sprache und Kommunikation charakteristisch. (Bildungsstandards Deutsch-Abitur)
Ich übersetze: In der Sekundarstufe beschäftigen sich die Schüler mit Sprache, Literatur und Kommunikation.
(Was ist der Unterschied zwischen vertiefter Beschäftigung und gründlicher Auseinandersetzung, und wann ist etwas vertieft und gründlich?)
Die „Lernziele“ waren vor Jahrzehnten eingeführt worden, weil man den Unterrichts- bzw. Lernerfolg objektivieren wollte. Man verstand darunter genau definierte Verhaltensweisen, die bis zu einem bestimmten Kriterium gezeigt werden mußten, damit das Lernen als erfolgreich gelten konnte (z. B. 75 % einer Reihe von Aufgaben lösen).
Die heutige Praxis der Bildungsstandards, aber auch der Niveaustufen im Fremdsprachenunterricht hat nur die äußere Hülle beibehalten, also die Begriffe, aber die definierten Verhaltensweisen sind verschwunden. Wir finden lauter Pseudoverhalten wie „sich auseinandersetzen“, „berücksichtigen“ usw., dies aber in ungeheuerer Häufung. Wenn die Lehrer und Prüfer nicht einigermaßen vernünftige Menschen wären, die mit beiden Beinen auf dem Boden der Wirklichkeit stehen, würde der Humbug sofort auffliegen.
In der Presse, die sich weder vertieft noch gründlich mit den Dingen beschäftigt hat, werden die Bildungsstandards wieder sehr gelobt werden.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.10.2012 um 06.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21756
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Die neuen Bildungsstandards schwelgen wieder in "gezielten", "strukturierten" und "differenzierten" Aktionen.
Die Schülerinnen und Schüler sollen eine eigene Vorstellung der unterschiedlichen Positionen entwickeln und in den beigefügten Texten gezielt nach Argumenten suchen.
Kann man nach etwas suchen, ohne gezielt zu suchen?
Lieblingswendungen sind strukturiert entfalten, differenziert erfassen.
Die Verfasser leben in einer eigenen Welt, in der das Absurde zur Normalität geworden ist. Wer zehn Seiten dieser verkommenen Fachprosa gelesen hat, wundert sich über gar nichts mehr.
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 21.10.2012 um 11.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21757
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Die schriftliche Beherrschung der deutschen Sprache gehört offensichtlich nicht zu den Bildungsstandards. Anders ist das, was in durchschnittlichen Foren geschrieben wird, schwer zu erklären. Oder die Lehrer scheitern großflächig an der Vermittlung, was sie in keinem guten Licht erscheinen ließe, heißt es doch, vermitteln kann man nur, was man selbst verstanden hat.
Vielleicht sind aber einfach die einzuhaltenden Standards nicht so gezielt strukturiert, daß die Anwender wirklich differenziert erfassen können, was eigentlich operativ zu entfalten ist.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.10.2012 um 06.00 Uhr
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Bei allen schriftlichen Abituraufgaben sehen die Bildungsstandards die Benutzung eines Rechtschreibwörterbuchs vor. Sollte es in 12 Jahren Schulzeit nicht gelingen, junge Menschen so passabel schreiben zu lassen, daß die Rechtschreibung in Prüfungsarbeiten keine Rolle mehr zu spielen braucht?
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 22.10.2012 um 11.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21760
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Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, leicht und automatisch lernte ich in jungen Jahren jene Dinge, wo es den Lehrern gelang, Spannung und damit Neugier aufzubauen. In allen anderen Gegenständen blieb relativ dazu wenig hängen. Lehrer zu schulen, Spannung aufbauen zu können, das wäre m. E. das lohnendste Gebiet für Didaktiker!
Als junger Mensch ist man nämlich unglaublich neugierig, wißbegierig und aufnahmefähig. Es gibt davor nur einen Filter, und der wird dadurch bestimmt, ob man die Sachen wissen will oder nicht. Diesen Filter immer wieder in die richtige Ausgangsstellung zu bringen ist die wichtigste Aufgabe von Lehrern, um unkompliziert Erfolg zu haben. Angeboren haben diese Kompetenz aber leider nur ganz wenige.
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 22.10.2012 um 12.01 Uhr
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Es gibt schon fiese Wörter und Namen. Gerade habe ich in einem Wikipedia-Artikel über Malerei Michelangelo Buonarotti korrigiert. Neulich ertappte ich mich dabei, daß ich nicht mehr sicher wußte, ob Obolus oder Obulus richtig ist. Wenn aber ein Schüler solche Klippen ohne Wörterbuch nicht meistern kann, ist das nachvollziehbar und wird ihn bei der Notengebung auch nicht ins Verderben reißen. Deshalb könnte man den Schülern die Benutzung eines Wörterbuchs verbieten.
Ich sehe andererseits die Erlaubnis, ein Wörterbuch zu konsultieren, nicht als indirektes Eingeständnis, daß der Rechtschreibunterricht nicht ausreichend war. Sie ergibt sich als Konsequenz etwa aus folgender Haltung:
"Die Rechtschreibung sollte bei Prüfungen möglichst gut aussehen. Aber wir können von Schülern nicht verlangen, daß sie sie perfekt beherrschen. Es gibt viele schwierige Wörter. Wir möchten nicht, daß die Schüler beim Schreiben in Panik geraten, nur weil sie merken, daß sie sich bei einigen Wörtern nicht sicher sind. Also erlauben wir, daß sie nachschlagen können. Wenn ein Schüler bei einem bestimmten Wort zweifelt, ist das schon besser, als wenn er einfach falsch schreibt, ohne sich etwas dabei zu denken. Es wäre ungerecht, den zweifelnden Schüler genauso schlecht zu bewerten wie denjenigen, der gar nicht merkt, daß eine Schreibweise falsch ist bzw. falsch sein könnte. Der Vorteil der Schüler mit guter Rechtschreibung bleibt erhalten. Denn diese Schüler verlieren keine Zeit mit dem Nachschlagen und können sich besser auf die eigentliche Aufgabe konzentrieren."
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.10.2012 um 14.35 Uhr
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Ja, wenn es die Schüler beruhigt, sollen sie ihre Wörterbücher in Gottes Namen mitbringen. Ich meine nur, daß gerade die Beschränkung auf die Rechtschreibung, also etwas Notwendiges, aber doch Untergeordnetes, nach zwölf Jahren intensiver Bildung (auch ausgedehnter Lektüre, sollte man meinen), etwas unsouverän wirkt. Es entspricht der vieldiskutierten Tatsache, daß für die Deutschen der Duden DAS Wörterbuch ist (vgl. Sick und Konsorten). Die Benutzung anderer Wörterbücher mit höherem Anspruch, z. B. einer distinktiven Synonymik, wird ja nie geübt, und das ist der Grund, warum es im Deutschen keine distinktive Synonymik gibt, die eigentlich die Hohe Schule des Sprachgebrauchs wäre – und eines angehenden Akademikers würdig. Nein, es muß die Rechtschreibung sein, damit ein Spießer wie Sick nichts zu spotten hat. Aber wenn wir zu den Bildungssstandards zurückkehren, sehen wir ja, daß die Herren von eigentlicher Spracherziehung gar keine Ahnung haben.
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 22.10.2012 um 17.04 Uhr
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In freien Texten verwendet man (wenn man nicht ohnehin am PC schreibt) üblicherweise keine seltenen Wörter, über deren Schreibung man im Zweifel ist. Und zur das/dass/daß-Schreibung gibt weder Wörterbuch noch PC Sicherheit, auch die Beistrichsetzung wird offensichtlich nicht nachgeschlagen. Was bleibt also übrig?
Daß ein erweiterter Wortschatz Ziel von Bildungsstandards wäre, hab ich auch noch nie gehört. Neu dazu kommen doch nur Modeausdrücke.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 22.10.2012 um 17.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21764
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Ich denke auch, es hat vor allem mit Beruhigung zu tun. Was heißt "vorsehen", damit ist sicher keine Pflicht gemeint. Es geht wohl einfach darum, was erlaubt ist. Oft fragen ja Schüler vor Prüfungen, was dürfen wir benutzen. Wenn es hieß, keinerlei Hilfsmittel sind erlaubt, dann war das für manche schon wie ein Todesurteil. Wenn sie aber hörten, ah, der Duden in Deutsch oder der Rechenschieber in Mathe (Vorgänger des Taschenrechners) dürfen verwendet werden, hatte das dieselbe Wirkung wie heutzutage ein Betablocker.
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Kommentar von Karl Hainbuch, verfaßt am 22.10.2012 um 22.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21765
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Das Wort deutsch schwebt im Raum.
Bei einigen schriftlichen Äußerungen von Leuten, die es eigentlich einigermaßen können sollten, wundere ich mich über die vielen Fehler. Mein Eindruck ist, daß man es cool findet. Warum soll man noch mal korrigierend drüberlesen? Das sieht man doch heute ganz locker. Nicht nur der lachhaft troddelige Gutmensch gibt sich einige Mühe, nicht sekundärtugendhaft zu sein.
Wert auf korrekte Rechtschreibung legen – das ist deutsch. Und wie alles, was zu ordnen und zu bewahren sich bemüht, irgendwie faschistoid. So sagte man in der alten BRD, heute genügt: Rechts.
Ein Chor, der Ännchen von Tharau ohne rhythm section gibt, wirkt auf die Neuen Blauäugigen so, wie ein hot jazz rag auf einen Deutschen in den goldenen Zwanzigern. Fremdartig und Abwehr hervorrufend.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.10.2012 um 12.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21767
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Wird eigentlich bei Verwendung englischer Wörter in Deutschaufsätzen die englische Rechtschreibung bewertet?
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Kommentar von Karl Hainbuch, verfaßt am 23.10.2012 um 19.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21768
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Für rhythm section fällt mir kein deutscher Ausdruck ein. Rhythmusabteilung klingt nach Kaufhaus, Sektion ist zu weit weg. Es geht um Bass und Schlagzeug, die für die rhythmische Grundlage im Blues, Jazz und Rock sorgen.
Das Volksmusik genannte mainstreaming der Volksmusik basiert auf der rhythm section. Vor einigen Jahren hörte ich gar, ein hardrock-drummer habe die Fakultät gewechselt und trommle heute für Volksmusik. Im TV bei Florian Silbereisen.
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Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 23.10.2012 um 20.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21769
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Daß zu bewertendes Verhalten gewünscht „zielgerichtet“ bzw. „gezielt“, „differenziert“, „strukturiert“, „angemessen“ etc. sein soll, führt zu einer Inflation von Füllseln, die „zeitgemäße" Redebeiträge zugleich schmücken und tarnen. Sie haben eine ähnliche Wirkung wie Partei-Jargon (etwa in der DDR) oder die allgegenwärtige Werbesprache: Der Gewöhnungseffekt entschärft die Phrasen, sie werden ähnlich „blaß" wie andere Füllsel: „denn", „eigentlich" etc.
In diesen Zusammenhang möchte ich auch die Inflation der „Kompetenzen" stellen: Vermittelt und bewertet werden sollen nicht mehr Kenntnisse, Sprachrichtigkeit etc., sondern „Kompetenzen". U. a. geht das einher mit einer stärkeren Betonung von Handlungen und Mündlichkeit. Überspitzt gesagt: Wenn der Prüfling es irgendwie schafft, z. B. einen Burger zu bestellen, hat er bestanden. Das bedingt eine Unschärfe in der Bewertung solchen Lernerfolgs, die eine „objektive", von anderen nachvollziehbare Bewertung nicht einfacher, sondern schwieriger macht. In der Praxis dürfte sich, falls Korrektor und Ko-Korrektor überhaupt einmal unterschiedlicher Meinung (!) sind, die freundlichere durchsetzen.
Kürzlich wies mich eine Englisch-Kollegin aus der Regelschule darauf hin, daß der Fehlerquotient im Abitur mittlerweile abgeschafft worden sei. Trifft das für den Fremdsprachenunterricht tatsächlich zu?
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Kommentar von R. H., verfaßt am 24.10.2012 um 05.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21773
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"Für rhythm section fällt mir kein deutscher Ausdruck ein."
Diesen Teil einer Band nenne ich Rhythmusgruppe.
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Kommentar von Karl Hainbuch, verfaßt am 24.10.2012 um 19.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21775
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Rhythmusgruppe hat den Nachteil, daß z.B. Rockgruppe synonym mit Rockband verwendet wird. Drum kann eine Rhythmusgruppe auch eine Formation sein, die nur mit Rhythmusinstrumenten auskommt.
Präsent sind solche Rhythmusgruppen auf Gewerkschafts- und anderen Demos, oft im Zusammenspiel mit Trillerpfeifen.
In den 80er Jahren hielt noch ein Linksradikales Blasorchester auf politischen Veranstaltungen die Fahne der Melodie hoch, doch das führt wohl jetzt ein wenig...
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Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 24.10.2012 um 21.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21776
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Rhythmusfraktion?
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 25.10.2012 um 06.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21777
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Percussion oder Perkussion?
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Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 27.10.2012 um 16.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21795
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Die Rhythmusgruppe einer Formation heißt nun mal Rhythmusgruppe.
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Kommentar von Karl Hainbuch, verfaßt am 28.10.2012 um 19.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21802
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Niemand wird Pauke und Tuba einer Blaskapelle Rhythmusgruppe nennen. Wir haben es mit angloamerikanischer Kultur zu tun und die dazugehörige Terminologie ist englisch.
Wir Vasallen (Brzeziński) können übersetzen und das klappt mal problemlos, der Computer hieß schon Rechner, als noch kaum einer einen hatte, und mal nicht so gut, wie beim Laptop. Klapprechner ist fast so peinlich wie T-Hemd.
Die Eindeutschung Rhythmusgruppe ist sehr mäßig und rhythm section hätte sich durchgesetzt, wenn da nicht das th wäre. Vor dem machen die Anglizismusförderer halt.
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Kommentar von Karl Hainbuch, verfaßt am 28.10.2012 um 19.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21803
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Auch das Kopieren schwieriger Namen aus Wikipedia klappt manchmal gut, und manchmal nicht so gut.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.10.2012 um 05.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21805
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Das Lehramtsstudium Deutsch umfaßt Neuere deutsche Literatur, Mediävistik und Linguistik. Soweit ich sehe, werden aber die Abituraufgaben nur aus NDL (allenfalls Gegenwarts-Texte zur rhetorischen Analyse) gewählt. Das versteht sich eigentlich nicht von selbst.
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Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 30.10.2012 um 10.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21810
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Die Musiker, die ich kenne (Rock und Pop), würden auch Pauke und Tuba einer Blaskapelle Rhythmusgruppe nennen (wie sonst?). Die Bezeichnung ist probat, die Frage, ob sie eine mäßige Eindeutschung darstellt, müßig. Der Hinweis auf das für Deutsche unbequem auszusprechende "Rhythm section" ist aber richtig. Bei der täglichen Arbeit setzt sich Unprätentiöses durch, das gut von der Zunge geht.
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Kommentar von Karl Hainbuch, verfaßt am 30.10.2012 um 20.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#21816
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Sie haben recht, Herr Virch, und auch R.H.hat recht. Rhythmusgruppe heißt nun mal Rhythmusgruppe.
Mir hingegen paßt die ganze Richtung nicht, würg.
Vor allem ist rhythm section kein Deut besser als die Übersetzung. Peter Hook Teil einer "rhythm section"?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.03.2013 um 06.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22819
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Allgemeine Bildungsziele behalten ihre eigene Funktion, aber die ist nicht so sehr konstruktiv oder operativ, sondern kritisch und begleitend. Hartmut von Hentig hat in seinen Reflexionen über „Bildung“ jüngst vorgeschlagen (Hentig 1996, bes. S. 71ff.), solche allgemeinen Ziele nicht als messbare Vorgaben für Bildungsprozesse, sondern als Kriterien zur Prüfung ihrer Geltung zu interpretieren. Sie sollen als „Maßgaben“ fungieren, mit deren Hilfe sich die Wünschbarkeit und Legitimität von Bildungsprozessen und ihren Ergebnissen im Medium der allgemeinen, politisch-gesellschaftlichen Verständigung grundlegend diskutieren lassen.
Diese „möglichen Maßstäbe“ heißen für Hentig im Blick auf die Bildung des Subjekts und seine Fähigkeiten: „Abscheu und Abwehr von Unmenschlichkeit; die Wahrnehmung von Glück; die Fähigkeit und den Willen, sich zu verständigen; ein Bewusstsein von der Geschichtlichkeit der eigenen Existenz; Wachheit für letzte Fragen; und – ein doppeltes Kriterium – die Bereitschaft zu Selbstverantwortung und Verantwortung in der res publica.“ Hentig weiß, das diese „Bildungskriterien“ nicht messbar sind, er unterstellt auch nicht, dass sie als Leistung von der Schule allein erwartet werden können, weil Schule nur einen der „Lernanlässe“ des Lebens darstellt, aber dennoch will er diese Kriterien nutzen, und zwar unter der Frage: „Was auch immer den Menschen bildet – verändert, formt, stärkt, aufklärt, bewegt –, ich werde es daran messen, ob dies eintritt“, und dieses „dies“ ist mit seinen „Maßstäben“ bezeichnet.
Mit solchen Ansprüchen hat man aber die Diskussion über messbare und basale Bildungsstandards verlassen und das Feld der allgemeinen Bildungsziele betreten. Der Ort der Diskussion solcher „Bildungskriterien“ ist – mit Hentig gesprochen – die polis selbst, die aufgeklärte, moralisch verantwortlich argumentierende Öffentlichkeit. (Bundesministerium für Bildung und Forschung: „Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards“, Expertise. Bonn 2007)
Die Hentig-Zitate zeigen sehr schön, wie selbst die gebildeten unter den Verächtern der Pädagogik lange Zeit bezirzt werden konnten.
Was mich aber in diesem Fall besonders stört, ist die bildungshuberische Flucht ins Lateinische und Griechische. Statt einfach über unsere Zeit und ihre Gegebenheiten zu diskutieren, müssen wir nun erst einmal nachdenken, wie weit der römische Begriff der res publica und der griechische der polis (beide klein geschrieben, also nicht als Fremdwörter zu verstehen) überhaupt auf diese Gegebenheiten übertragen werden können. Der Pfau schlägt sein Rad, aber wir sind radlos.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.04.2013 um 06.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22952
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Die Bildungsstandards Deutsch schwelgen, wie gesagt, in nichtoperationalisierbaren Begriffen wie "sich auseinandersetzen", "adressatengerecht" usw. (www.kmk.org/.../2012_10_18-Bildungsstandards-Deutsch-Abi.pdf)
Natürlich sollen die Schüler "zielorientiert" handeln, also das tun, was sie tun wollen, und nicht irgend etwas anderes.
Das Anhäufen von Beispielen (Textanalysen usw.) ist an sich schon ein Debakel in solchen doch sehr allgemeinen Richtlinien. Wie soll denn das die Vergleichbarkeit sichern? Man hat eben keine Theorie, daher die Beispiele. Deren Darstellung in einer bürokratische schematisierten und verfremdeten Sprache ist auch abstoßend. Die politisch korrekte Sondersprache tut ein Übriges, um die Lebensfremdheit des Unternehmens zu bekräftigen. Eben Didaktiker unter sich. Ob da jemals wieder frische Luft hineinkommen kann?
Interessanterweise kommt die Kunst des einfachen und klaren Schreibens nicht vor. Einfach wird auf den 260 Seiten nur als Abtönungspartikel gebraucht. Kein Wunder. Die Übersetzung der Bildungsstandards in einfaches Deutsch würde ja die Windbeutelei sofort enthüllen.
Übrigens heißt der Mann, der die Gesellschaft für deutsche Sprache auf Reformkurs brachte, Rudolf Hoberg und nicht Hoburg, wie die ahnungslosen Bildungsstandardisierer meinen.
In der Presse kann man oft lesen: Die Bildungsstandards mögen unvollkommen sein, aber wenigstens haben wir jetzt welche. Das ist ein wohlmeinender irrtum. Wir haben eben keine, sondern bloß diese uferlosen Texte, die so tun, als wären sie welche, die aber Satz für Satz keiner kritischen Befragung standhalten.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.04.2013 um 10.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22956
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Jedem Leser dürfte auffallen, wie oft die KMK in den Bildungsstandards ihr neues Lieblingswort komplex verwendet, nämlich 80mal auf 260 Seiten.
Komplex bedeutet "wir wissen es doch auch nicht".
Zum "Schreiben" sagen die Standards:
Die Schülerinnen und Schüler verfassen inhaltlich angemessene kohärente Texte, die sie aufgabenadäquat, konzeptgeleitet, adressaten- und zielorientiert, normgerecht, sprachlich variabel und stilistisch stimmig gestalten. Dabei schreiben sie entsprechend der jeweiligen Aufgabe in unterschiedlichen Textformen.
Keines dieser Kriterien ist definiert. Niemand kann sagen, wann sie erfüllt sind. Wie könnten solche Standards zur Vergleichbarkeit der Schulleistungen beitragen? Haben Lehrpläne eines Bundeslandes bisher die Konzeptgeleitetheit, aber nicht die stilistische Stimmigkeit verlangt? Haben die Lehrer selbst, haben die Verfasser der Standards je gelernt, die beschriebenen "Schreibstrategien" anzuwenden? Sind sie nie von der Absurdität ihrer eigenen Texte berührt worden?
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Kommentar von Karl Hainbuch, verfaßt am 11.04.2013 um 12.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22959
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Komplexitätserziehung
Exemplarische Schwervokabel aus dem neueren Pädagogendeutsch – und ein Prachtexemplar dazu. Die dazugehörigen Sätze lauten z.B.: "Je dichter die Vernetzung von Systemzusammenhängen wird, desto mehr wird Komplexitätserziehung zum Kern der Bildungsanforderungen" (Die höhere Schule, 8/81). Gemeint ist wahrscheinlich das alte Humboldtsche Universalbildungsideal, und verbessern ließe sich die Bauernregel vielleicht so: "Je vernetzter die Stringens von Syndromen, desto nuklearzentrierter die Komplexität des Wrrdlbrmpfd." (aus: EH, Dummdeutsch, 1985)
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.04.2013 um 13.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22961
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Zu "komplex": Wenn man die Grundbedeutung vergessen hat oder nicht ableiten kann, scheint das ein Angeberwort für "schwierig" zu sein. Aber es bedeutet nur "zusammengefügt, zusammengeflochten, umschlungen" von lat. complector, complexus sum umschlingen, umarmen, einschließen; mittellateinisch complexus dicht, geflochten. Es ist also ein ganz harmloses Wort, dem man eine geheimnisvolle Bedeutung hinzugefügt hat. So etwas kommt in den Geistes- und Sozialwissenschaften öfter vor, um sich vom gewöhnlichen Volk abzugrenzen. In der Mathematik sind die komplexen Zahlen und Funktionen auch nur die um die imaginären Zahlen ergänzten. Das braucht man z.B. in der Wechselstromtechnik, um Wirkwiderstände, Blindwiderstände und Scheinwiderstände zu unterscheiden.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.04.2013 um 16.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22963
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Vielleicht weil man im Lateinunterricht so viel Grammatik lernen mußte, glauben viele, daß sprachliche Komplexität etwas Gutes sein müsse.
„Was die linguistische Form anbelangt, geht Plato Seite an Seite mit dem mazedonischen Schweinehirten, Konfuzius mit dem Kopfjäger von Assam.“ (Edward Sapir: Die Sprache. München 1961 [1921]:194)
„Die letzten Wilden, die am Amazonas und auf Neuguinea leben, gestatten uns zwar mit ihren Werkzeugen und ihren Bräuchen einen Blick in unsere eigene Vorzeit; aber ihre Sprachen sind nicht primitiv, sondern reich an Vokabeln, Ausdrucksschattierungen und Flexion.“ (Wolf Schneider: Wörter machen Leute. München 1976:34)
„Das ehrwürdige Indogermanische hat nichts von Primitivem an sich. Es ist eine sehr komplizierte, sehr entwickelte Sprache.“ (Jules Marouzeau: Das Latein. München 1969:96)
„Every human society has complex grammar. There's no such thing as a Stone Age language. Often you'll find that the most materially primitive culture has a fantastically sophisticated, complex language.” (Steven Pinker)
Erst neuerdings setzt sich der gegenteilige Standpunkt durch, den allerdings schon Otto Jespersen vertreten hat. Vgl. jetzt Geoffrey Sampson/David Gil/Peter Trudgill [Hg.]: Language complexity as an evolving variable. Oxford 2009.
Man kann wohl sagen, daß Sprachen einfacher werden, wenn viele Menschen (auch Ausländer) sie lernen und zu verschiedenen Zwecken gebrauchen. Im Vedischen gab es Dutzende von Infinitiven, im klassischen Sanskrit ist nur noch einer übrig geblieben. Usw.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 12.04.2013 um 00.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22964
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Manchmal denke ich, ob die Ur-Indogermanen intelligenter als heutige Europäer waren, weil sie eine so komplizierte synthetische Sprache gesprochen haben. Genauso frage ich mich, warum die Angelsachsen nach ihrer Seßhaftwerdung in England so schnell zu einer grammatisch stark vereinfachten analytischen Sprache, dem Altenglischen, übergingen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.04.2013 um 05.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22966
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Es gibt wohl kein Maß für die Gesamtkomplexität einer Sprache. Schon der Begriff hat wahrscheinlich keinen Sinn.
Bezogen auf die Lernschwierigkeit kann man einzelne Verfahren aber sehr wohl einstufen. Die Erlernbarkeit durch Ausländer ist ein eher künstliches Kriterium, denn Sprachen entwickeln sich nicht für Fremde (obwohl der Sprachkontakt eine sehr wichtige Erscheinung in der Sprachgeschichte ist). Aber die Erlernbarkeit für die eigenen Kinder darf man heranziehen, auch die Kluft zwischen den Registern derselben Sprachgemeinschaft.
Ich unterscheide (man verzeihe die Fremdwörter) zwischen struktureller und kollokationeller Komplexität. Die erste betrifft die freie Kombinierbarkeit der Elemente, die zweite gerade umgekehrt deren Einschränkung durch gewohnheitsmäßige Bindung.
Man könnte das übrigens – näher an unserem Generalthema – auch auf Schriftsysteme anwenden. Alphabetschriften sind nahezu vollkommen kombinatorisch, während zum Beispiel die chinesischen Schriftzeichen stark kollokationell sind; man braucht daher Jahre, um sie zu erlernen, aber wenn man sie endlich kann, ist es eine feine Sache. Ähnlich kann man Englisch strukturell in vier Wochen lernen, aber um es kollokationell zu können, braucht man vierzig Jahre.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.04.2013 um 06.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22967
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In den Bildungsstandards wird so geredet:
Verbesserung distinkter Kompetenzen im Kontext konkreter fachlicher Gegenstände
Verallgemeinerung des Gelernten durch Dekontextualisierung distinkter Kompetenzen – Dieser Schritt ist nötig, um das Gelernte auch in anderen Zusammenhängen zu nutzen und fruchtbar zu machen. Er ist schwierig, denn er ist mit Abstraktion verbunden und das fällt vielen Schülerinnen und Schülern schwer. Solche Abstraktionsprozesse müssen im Verlauf des Kompetenzaufbaus immer wieder realisiert werden.
Das ist die typische Mischung von pseudowissenschaftlicher Exaktheit und dann wieder ganz nachlässigen Wendungen wie fruchtbar machen, die das Ganze als Humbug bloßstellen.
Unser sehr engagierter Deutschlehrer bot uns in der 12. Klasse außerhalb des Deutschunterrichts noch eine freiwillige Arbeitsgemeinschaft über den Faust-Stoff an. Von der heutigen "Methodenreflexion" wußte er noch nichts. Wir lasen alles vom Volksbuch bis zu Thomas Manns Roman (vollständig natürlich!). Der Höhepunkt war eine mehrtägige Reise nach Wolfenbüttel zur Bibliothek und in die Umgebung mit vielen schönen Besichtigungen (Braunschweig, Goslar). Neulich zeigten wir noch Fotos herum nach über 50 Jahren. Das war guter Unterricht, mögen heutige Didaktiker auch die Nase rümpfen über unser "identifikatorisches" Lesen. Übrigens brachte unserer kleinen Gruppe die Teilnahme keinerlei "Punkte" ein. An so etwas dachten wir gar nicht, wir wollten bloß alles über Faust wissen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.04.2013 um 15.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22968
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In der FAZ steht heute ein besonnener Artikel von Josef Kraus über Inklusion an Schulen. Ich möchte auch noch auf seinen Beitrag über die Allmacht der Bertelsmannstiftung hinweisen:
www.lehrerverband.de/aktuell_Dossier_Bertelsmannstudien_Dez_12.html
Darin wird auch die Rechtschreibreform erwähnt.
Allgemein kritisch zu manchem pädagogischen Unfug:
http://bildung-wissen.eu/
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Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 12.04.2013 um 19.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22969
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Das Altenglische ist, wenn auch schon mit manchen Verlusten, durchaus noch gut flektierend. Die Verbformen des Plurals sind zwar schon zusammengefallen, aber bei der Deklination muß man noch fleißig die ganzen Formen wie foot – footes – footum – footen lernen. (Ich kann es jetzt spontan auch nicht ganz auswendig hersagen.) Der Verfall der Endsilben, genauso wie parallel im Deutschen, führte dann im Frühmittelenglischen, d.h. im 12. Jahrhundert, zu einem stark vereinfachten Flexionsschema foot – footes – feete – foot und im Plural feet – feeten (oder so ähnlich, zeitlich und räumlich schwankend).
Der Verlust der Kategorie Genus brachte dann eine völlige Verwirrung der Flexionsklassen (so drang die ursprünglich nur den starken Maskulina zukommende Genitivendung -es in alle Klassen ein), der weitere Verfall der Endsilben bis zu ihrem völligen Verschwinden ließ das System zusammenbrechen, die einsetzende Verwirrung der Kasus untereinander tat ihr übriges. Im Laufe des 13. Jahrhunderts blieb dann das bis heute gültige Schema foot – feet übrig, nur die Aussprache hat sich während der Tudorzeit ("Great Vowel Shift") noch zu [fu:t] – [fi:t] verschoben. Bei Singular der Verben gilt aber im Prinzip bis heute I go – thou goest – he/she/it goes.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2013 um 05.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22970
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Unter den Beispielanalysen der Bildungsstandards findet man Paul Zechs bekanntes Gedicht "Fabrikstraße Tags". Wir haben das im Deutschunterricht auch schon gelesen, neben anderem aus der "Menschheitsdämmerung". Deshalb wundert es mich auch, daß die Standards nur vermerken:
Synthese/Verallgemeinerung und Ansprache: Übertragung des Arbeiterschicksals
(„Fabrikstraße“) auf alle Menschen (V. 12: „Trägst du Purpur oder Büßerhemd“):
die Stadt/die Industrialisierung als ein auf allen lastender, immer währender
göttlicher Fluch, ohne Ausweg, ohne Trost
Was sollen die Schüler mit dem "Purpur" anfangen? Wissen sie ohne weiteres, daß es die Farbe der Kardinäle ist, entsprechend dem Büßerhemd? Und warum "Gottes Bannfluch"? Die sakrale Metaphorik, die nicht gerade naheliegt, wird einfach übergangen.
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Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 13.04.2013 um 14.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22972
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Einige Textbeispiele zum zuvor Gesagten. Ich habe leider nicht die Sonderzeichen, die eigentlich zum Schriftbild gehören (j bezeichnet den Buchstaben "Joch", der für heutiges g oder y stehen kann; NE = neuenglisch).
Gegen Ende des 9. Jahrhunderts wurde ein Hymnus des 200 Jahre zuvor lebenden nordhumbrischen Dichters Cädmon in westsächsischer Mundart aufgeschrieben. Darin heißt es u. a.:
He ärest sceop eorthan bearnum / heofon to hrofe, halij scyppend.
Er schuf erst den Erdenkindern / den Himmel zum Dache, der heilige Schöpfer.
Mit:
eorthan (= "der Erden") Genitiv zu eorthe
bearnum Dativ Plural zu bearn "Kind"
heofon Akkusativ zu heofon (NE heaven, das in dieser profanen Bedeutung allerdings durch skandinavisches sky ersetzt ist)
hrofe Dativ zu hrof (NE roof)
Über den Dichter wird gesagt:
sonj he ärest middanjeardes jesceape ond bi fruman moncynnes ond eal thät [Akkusativ Neutrum] stär Genesis (thät is seo ["die"; boc ist Femininum!] äreste Moyses boc), ond eft bi utjonje Israhela folces of Äjypta londe ond hi injonje thäs jehatlandes ond bi othrum monejum spellum thäs haljan jewrites canones boca
Er sang erst von ("bei", daher immer Dativ) der Erschaffung der Erde ("Midgards") und dem Anfang des Menschengeschlechts (NE mankind) und die ganze Geschichte (NE story) der Genesis, das ist das erste Buch Mose, und danach (NE thereafter) von dem Ausgange des Volkes Israel aus dem Lande der Ägypter und seinem Eingange in das verheißene Land und über manche anderen Erzählungen des Bücherkanons der heiligen Schrift ("des hl. Geschreibes")
Oder in Bedas lateinischem Original: Canebat autem de creatione mundi et origine humani generis et tota Genesis historia, de egressu Israel ex Aegypto et ingressu in terram repromissionis, de aliis plurimis sacrae scripturae historiis
Mit:
fruman Dativ zu fruma "Anfang"
othrum manejum spellum Dativ Plural
boca Genitiv Plural zu boc
In der "Final Continuation" der Chronik von Peterborough, geschrieben 1155 oder kurz danach, ist die Adjektivflexion bis zur Unkenntlichkeit verwischt, sie kennt aber noch die Pluralformen der Verben, die Dative tune (etym. = "dem Zaune", NE town) und lande sowie die Mehrzahl sume des Indefinitpronomens sum "jemand, irgendeiner, ein gewisser" (der substantivische Gebrauch ist eine Neuerung des Mittelenglischen, das heutige some ist eine erstarrte Form, die ursprüngliche Einzahl muß mit dem etwas oxymorotischen some one wiedergegeben werden):
... tha räueden hi 7 brendon alle the tunes, that wel thu myhtes faren al a däis fare, sculdest thu neure finden man in tune sittende ne land tiled. [...] Sume ieden on älmes the waren sum wile rice men. Sume flugen ut of lande.
(Die 7 ist der "und"-Haken der damaligen Schreiber.)
... da plünderten ("beraubten", NE bereft) und brannten sie alle Städte, daß du wohl eine Tagesreise ("Tagesfahrt") fahren mochtest und konntest ("solltest") finden weder (neure) einen Menschen in der Stadt wohnen ("sitzend") noch (ne) bebautes (NE tilled) Land. [...] Manche gingen (ieden) auf Almosen, die waren vor einiger Zeit reiche Männer. Manche flohen (grammatischer Wechsel! NE flee – fled ist in die schwache Klasse mit sekundärem Ablaut übergetreten) aus dem Lande.
(Es geht um die Bürgerkriegssituation des Jahres 1137.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2013 um 18.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22975
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Von einem altindischen Verb soll man über 600 Konjugationsformen bilden können. Ich habe es nicht nachgezählt, aber manchmal muß ich doch schlucken. Gestern bin ich auf die Form cikîrschuh (hier notdürftig transkribiert) gestoßen, das ist ein Desiderativ zur Wurzel kar- (karoti – tun, handeln, wie in Karma).
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 13.04.2013 um 21.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22976
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HInweis: Ich habe zwei Korrekturhinweise von Herrn Strowitzki in dessen Beitrag eingearbeitet und die entsprechenden Beiträge gelöscht (daher fehlen zwei Nummern). Im längeren Beitrag habe ich spitze Klammern durch runde ersetzt, weil spitze Klammern als Bestandteil von Programmierzeichen interpretiert wurden und nachfolgende Textstücke verschluckt wurden.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 13.04.2013 um 22.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22977
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Ich danke Herrn Strowitzki für die korrekte wissenschaftliche Antwort auf meine fehlerhafte Aussage über das Altenglische. Es bestätigt meine Erfahrung, daß fehlerhafte Aussagen korrekte Antworten bewirken können, die man sonst nicht bekommen hätte. Danke.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.04.2013 um 17.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#23003
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Wenn man die Texte zur "Kompetenzorientierung" liest, die ständig aus dem Irrenhaus der Schulpädagogik hervorsprudeln, spürt man ständig das unterschwellige Wissen der Verfasser, daß sie keineswegs etwas Neues mitzuteilen haben. An Weinerts Begriffsakrobatik anknüpfend, geben sie bloß bombastische Umschreibungen des Hergebrachten, etwa hier:
www.ls-bw.de/Handreichungen/pub_online/Lernen%20im%20Fokus%20der%20Kompetenzorientierung.pdf
Deutlicher wird es hier eingestanden:
www.hss.de/fileadmin/media/downloads/Berichte/111027_RM_Leisen.pdf
"Es ist nicht möglich, nicht kompetenzorientiert zu unterrichten." Toll!
Am Ende wird eine andere Sitzordnung als große Errungenschaft dargestellt. Du lieber Himmel! Das hatten wir schon in den 50er Jahren und haben kein großes Geschrei deswegen angestimmt.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.07.2013 um 06.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#23566
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Als eine unserer Töchter noch zur Schule ging, berichtete sie, daß der Deutschlehrer unter Übungsprotokolle abwechselnd Zu kurz! und Zu lang! geschrieben hatte. Unter ihrem stand nur Zu!
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.08.2013 um 06.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#23940
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Die Kompetenzorientierung des Unterrichts besteht darin, in die Beschreibung möglichst oft das Wort "kompetenzorientiert" einzuflechten, das ist alles:
Vertiefungsfach Latein
Modul 1: „Martial – Menschliches Allzumenschliches“:
Kompetenzorientiertes Arbeiten im Bereich der Morphologie am Beispiel ausgewählter Epigramme Martials
Modul 2: „Hass als Leit(d)motiv des Lebens“: Kompetenzorientierte Satzanalyse am Beispiel der Hannibal-Vita des Cornelius Nepos
Modul 3: „Die Entdeckung der Neuen Welt – Segen oder Fluch für die Menschheit?“: kompetenzorientierter Umgang mit satzwertigen Partizipialkonstruktionen am Beispiel ausgewählter Textstellen lateinischer Literatur der Renaissance
Modul 4: „Die Macht der Gefühle“– ein zentraler Bestandteil antiker und heutiger Welterfahrung: kompetenzorientierte Wortschatzarbeit an ausgewählten Textstellen aus Ovids Ars amatoria
Thema: „Die Entdeckung der Neuen Welt – Segen oder Fluch für die Menschheit?“: kompetenzorientierter Umgang mit satzwertigen Partizipialkonstruktionen am Beispiel ausgewählter Textstellen lateinischer Literatur der Renaissance
Ziel: Kompetenzentwicklung im Bereich „Grammatik“ (Sprachkompetenz)
Stundenumfang:12 Doppelstunden à 90 Minuten
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Quelle: Vertiefungsfach Latein - Standardsicherung NRW (www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de)
Im Haupttext geht es dann so weiter:
"Um die Texte verstehen zu können, sind u.a. Kompetenzen im Bereich des Wortschatzes und der Grammatik, hier vor allem der Satzgrammatik, erforderlich. Zu Beginn der Einführungsphase werden diese Kompetenzen an mittelschweren Texten entfaltet, sie müssen aber bis zum Ende der Einführungsphase sukzessiv auf anspruchsvollere lateinische Originaltexte erweitert werden."
Im Literaturverzeichnis dann Weinert und Baumert.
Es ist nicht möglich, darüber eine Satire zu schreiben.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.08.2013 um 05.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#23962
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Die österreichische Regierung hat die Folgen der Bildungsstandards und anderer neuerer Maßnahmen untersuchen lassen. Das Ergebnis scheint ziemlich vernichtend zu sein. Jochen Krautz berichtet darüber in der FAZ vom 30.8.13.
„Schließlich referiert der Bildungsbericht in entlarvender Offenheit, dass auch die Reformen in Österreich durch die Top-down-Steuerung von EU und OECD zustande kamen. ‚Trotz eingeschränkter inhaltlicher Zuständigkeit‘ der internationalen Organisationen seien die Reformen aufgrund von ‚Soft-Governance-Prozessen‘ durchgesetzt worden.“
„Nun können Eltern, Lehrer, Wissenschaftler und alle interessierten Bürger die Verantwortlichen zur Räson rufen, Rechenschaft einfordern und beginnen, die tatsächlichen Bildungsprobleme anzugehen. Dann wäre Österreich fortschrittlicher als Deutschland, das immer noch am Gängelband der internationalen Organisationen den Reformverheißungen weiter nachläuft.“
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.07.2014 um 12.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#26383
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Ein alter Schulfreund hat gerade unsere Abi-Aufgaben von 1963 losgeeist. Beispiele:
Deutsch: "In der künstlichen Welt der Bühne träumen wir die wirkliche hinweg, wir werden uns selbst wiedergegeben." Erläutern Sie diese Auffassung Schillers, und setzen Sie sich mit ihrer Problematik in der Praxis der dramatischen Kunst auseinander !
Mathe: (Die Formel in der Mathematikaufgabe kriege ich hier nicht hin und umschreibe sie deshalb etwas; Kenner werden es sich zurechtlegen.)
"Diskutieren Sie den Kurvenverlauf zu der Funktion y = 32 . (x – 2) geteilt durch x hoch 3! x3
In welchem Punkt und unter welchem Winkel schneidet die Wendetangente diejenige Tangente, deren Berührungspunkt auf der x-Achse liegt?
..."
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.07.2014 um 04.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#26413
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Eine mathematische Aufgabe löst man, mit einer literarischen setzt man sich auseinander. Das eine ist Wissenschaft, das andere Rhetorikübung. Einen Aufsatz über Schiller könnte ich heute noch aus dem Handgelenk schütteln, sogar besser als damals, obwohl ich nach der Schule nicht mehr viel von Schiller gelesen habe (alle Dramen und einige Aufsätze schon während der Schulzeit). Dagegen wäre ich vermutlich schon ein Jahr nach dem Abitur nicht mehr imstande gewesen, eine Kurve zu diskutieren. Ich weiß nicht, woran das liegt, und bedauere es sehr. Dabei ist mein Interesse an Naturwissenschaften nie geschwunden, ich lese in meiner freien Zeit fast nur einschlägige Sachbücher, zur Zeit alles von Dawkins.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2014 um 15.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#26478
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Andreas Platthaus stellt „die fünf großen Bücher der Herbstsaison“ vor (FAZ 2.8.14) – alles mehr oder weniger schöngeistig, belletristisch. Geschieht denn sonst nichts Großes in der weiten Welt? Wetten, daß sich im nächsten Herbst niemand mehr an ein einziges dieser fünf großen Bücher einnern wird? Was für ein lärmendes Unterfangen!
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 04.08.2014 um 08.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#26480
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Werter Prof. Ickler,
bitte um ergänzende Erläuterungen zum Nenner in Ihrer Funktion, also zum Term nach „geteilt durch“ in #26383.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.08.2014 um 12.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#26481
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Ich hätte es so interpretiert: y = 32(x - 2) / x^3
(^ bedeutet hoch, also hier x zur dritten Potenz. Das Ausrufezeichen gehört wohl zum Satz, nicht zur Formel. Das x3 am Ende kann ich mir auch nicht erklären, evtl. ein Tippfehler.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.08.2014 um 12.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#26482
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Entschulden Sie bitte das Durcheinander. Es ist so, wie Herr Riemer vermutet, das Ausrufezeichen gehört nicht zur Formel, sondern zum Satz. Also: 32 mal (x - 2) geteilt durch x hoch 3.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2015 um 06.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28282
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In der FAZ vom 10.3.15 diskutiert Sandra Kegel die Frage, warum im Deutschunterricht kaum Gegenwartsschriftsteller gelesen werden. Der Kanon der Ministerien endet bei Brecht. Büchner und Kafka sind allgemein verbindlich, in Hessen wird noch Süskinds "Parfum" gelesen (warum eigentlich?).
Aber man kann nicht einerseits nach dem Kanon rufen und gleichzeitig Sibylle Berg, Juli Zeh, Feridun Zaimoglu haben wollen.
Gadamer wollte bekanntlich nichts lesen, was nicht wenigsten 2000 Jahre abgehangen ist. Das wird mir jetzt fast sympathisch, weil es immerhin ein Kriterium hat. Andererseits verbietet es das durchorganisierte Schulwesen, jedem Deutschlehrer (der ja ein Studium absolviert haben muß) zu überlassen, was er mit den Schülern liest. Dann wären die Abschlüsse nicht mehr "vergleichbar". Vergleichbarkeit ist das oberste Gebot, der Fetisch. Und doch: Ich könnte mir vorstellen, daß die Schüler den Hobbies einiger verrückter Lehrer folgen und nichts weiter als Gottfried von Straßburg, E. T. A. Hoffmann, Karl May, Armin Wegner und Kurt Tucholsky lesen. Was wäre verloren? Die Vergleichbarkeit, aber ist das ein Wert?
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 10.03.2015 um 08.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28283
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"Ich könnte mir vorstellen, daß die Schüler den Hobbies einiger verrückter Lehrer folgen und nichts weiter als Gottfried von Straßburg, E. T. A. Hoffmann, Karl May, Armin Wegner und Kurt Tucholsky lesen." Vorstellen könnte ich mir das auch; unterschreiben würde ich es wohl nicht, einfach weil ich auch für meine Töchter z. B. doch gern mehr solide Einführung in Stile und einflußreiche Gedankengänge der "Vergangenheit" hätte, als nur die bei einem bzw. fünf Autoren der Vergangenheit, welche der zwei Zahlen hier immer gemeint sein mag. "Vergleichbarkeit" hat natürlich keinen Bildungswert an sich, und das "durchorganisierte Schulwesen" erweckt ganz bestimmt auch nicht mein Vertrauen. Aber es ist das, das wir haben; und ein Glück ist, daß so mancher Lehrer wirklich etwas Gutes dabei macht. (Ich hoffe, das ist auch heute noch so; ich denke jedenfalls heute noch an so manchem meiner Lehrer mit ganz persönlichem Dank zurück.) Und ich würde beim Literaturkanon nicht bei Brecht aufhören, sondern bei Frisch und Dürrenmatt, schon um zu zeigen, wie sie von Brecht beeinflußt sind und wie Themen gängig bleiben, weil es eben wichtige Themen im Leben des Abendlandes sind und sie von Autoren mit großer Sprachbeherrschung dargestellt sind. Niemand verbietet Schülern, Literatur zu kaufen, die in den Buchläden ausliegen, oder ins Theater zu gehen oder sich einem Filmklub anzuschließen, der von einem verrückten, aber begeisteren Lehrer ins Leben gerufen worden ist. (Letzterer war in meinem Fall "an einer anderen Schule", und ich machte seinen Filmabend einmal im Monat mit, auch wenn das nicht ganz zu meinem Leichtathletiktrainung paßte, das ich im Sportverein ja auch aus einfachem jugendlichen Eigeninteresse [an "Meisterschaft"] und nicht als Hausarbeit für die Schule absolvierte.) Was erstmal "2000 Jahre" abhängen lassen ist also m. E. doch wohl etwas viel, aber wenigstens 20 Jahre – wenigstens! – sind fürs Prüfungsfach Deutsch schon sinnvoll, – natürlich auch, damit der Kultusministervertreter dem folgen kann, was da beim Abitur vor sich geht.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2015 um 09.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28284
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Ich hatte eigentlich das Wichtigste vergessen. Meine Frau erinnert mich gerade daran. Wenn Lehrer Literatur "durchnehmen" müssen, weil sie im Lehrplan steht, ohne selbst die geringste Begeisterung dafür aufzubringen, merken das die Schüler unweigerlich, mit fatalen Folgen. Den Kultusministern ist das egal. Sie betrachten den Lehrer als einen Handwerker, der völlig gleichgültig gegen die Inhalte einfach alles mit der gleichen Professionalität vermitteln kann und muß. Das erinnert mich an den Apotheker, der Tabletten verkauft und sogar noch dafür werben muß, obwohl er aufgrund seiner Ausbildung genau weiß, daß sie nicht wirken.
Ich selbst war in meiner Schulzeit und später eine Leseratte und hatte mich schon vor dem Abitur durch große Teile der Weltliteratur gefressen. Was die Schule auswählte (ich glaube immer noch, daß die Lehrer damals viel Freiheit hatten), war sowieso nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Ganzen, von dem ich ziemlich viel schon damals überblickte (aber immer noch einen winzigen Teil dessen, was es überhaupt gibt, selbstverständlich!).
Ihre Beispiele, lieber Herr Ludwig, zeigen, daß man hier endlos diskutieren könnte. Es mag interessant sein, welchen Einfluß Brecht auf Dürrenmatt hatte. Es gibt Millionen ebenso interessante Fragen.
Ich hatte ja noch verhältnismäßig große Namen erwähnt. Nun, wir haben hier eine Schule, die nach dem nicht sehr bedeutenden Lokalhelden Ernst Penzoldt benannt ist, und aus der Gegenwart ist Fitzgerald Kusz hier recht bekannt. In meinem Heimatort gab es den auch nicht umwerfenden Dichter Ernst Koch. Sollte ein Lehrer aus persönlicher Begeisterung sich im Unterricht mit deren Werken beschäftigen, hätten die Schüler vielleicht einen unauslöschlichen Eindruck. Sie würden vielleicht noch bei 50. Abitur-Jubiläum von den kauzigen, aber begeisterungsfähigen Lehrern erzählen, auch wenn sie nicht wüßten, welchen Einfluß Brecht auf Dürrenmatt gehabt hat.
Die Zeitung rezensiert vielleicht ein Promille der Neuerscheinungen, berichtet über fast jede Theateraufführung, die höchstens 0,1 Promille der Bevölkerung sehen. So wird am Kanon geschnitzt, und nach einigen Jahren glauben wir alle zu wissen, was man gelesen und gesehen haben muß. Muß man aber nicht.
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Kommentar von Gunther Chmela, verfaßt am 10.03.2015 um 10.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28285
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Eine Frage am Rande, Herr Professor Ickler. Sie schrieben "Hobbies", in einem deutschen Text. Ist es wirklich richtig, zum englischen Wort auch die englische Grammatik zu übernehmen?
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 10.03.2015 um 11.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28286
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Ich könnte mir vorstellen, daß die Schüler den Hobbies einiger verrückter Lehrer folgen und nichts weiter als Gottfried von Straßburg, E. T. A. Hoffmann, Karl May, Armin Wegner und Kurt Tucholsky
Ich hatte so zum Glück derart verrückte Deutschlehrer. Gottfried von Straßburg haben wir zwar nicht behandelt, dafür aber das Nibelungenlied übersetzt und interpretiert (in der zehnten Klasse!), wenn auch auch nur die erste Aventiure. E.T.A. Hoffmann und Kurt Tucholsky waren ebenfalls Gegenstand des Unterrichts.
Karl May wäre angesichts seines Rufes als Autor von Trivialromanen als Schullektüre wohl nur schwer durchsetzbar gewesen, obwohl sein kaum verkäufliches Spätwerk (z.B. "Das Geldmännle") durchaus respektabel ist.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2015 um 13.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28287
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Erfreulich zu hören!
Und die "Hobbies" sind mir ohne Nachdenken so rausgerutscht, vielleicht ein unbewußter Protest gegen die reformierten "Ladys"...
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.03.2015 um 01.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28289
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Ich bin jetzt auch ein bißchen überrascht, habe nämlich bisher immer gedacht, die Mehrzahl solcher Wörter wie Baby, Lady, Hobby, Teddy, City, Party, Story, ... würde herkömmlich im Deutschen wie im Englischen, also auf -ies geschrieben. Aber auch schon in meinem alten Duden von 1969 wird im Plural ein einfaches -s angehängt. Na gut. Andererseits, warum soll man nicht die englische Schreibweise auch in der Mehrzahl nehmen? Man kann sich ja auf den Standpunkt stellen, das englische, nicht eingedeutschte Wort zu verwenden, wie auch bei Tip, Stop, Hit. (M. E. ist der Plural auf -ies keine Frage der engl. Grammatik, sondern der engl. Rechtschreibung.)
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.03.2015 um 12.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28292
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Wer griechische Fremdwörter gewöhnt ist, wird bei "Handys" und "Ladys" zuerst an das griechische "dys" denken, das [düs] mit kurzem [ü] gesprochen wird. Das "-dies" in "ladies" und "handies" wird aber lang gesprochen. Gibt es andere deutsche Wörter, in denen ein "y" als langes [i] gesprochen wird?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.03.2015 um 16.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28293
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Das habe ich jetzt nicht verstanden, komme auch nicht ohne weiteres aufs Griechische, obwohl oder weil ich es ziemlich gut verstehe.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 15.03.2015 um 18.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28316
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Die Schreibung der englischen Fremdwörter mit der Endung -y wird in den amtlichen Regeln von 1901 nicht behandelt. Dementsprechend ist die Behandlung in nachfolgenden amtlichen oder halbamtlichen Rechtschreibbüchern der Länder zunächst uneinheitlich. Dagegen neigt der Duden allgemein zur eindeutschenden Schreibung, läßt aber in einigen Fällen, wenn er das Fremdwort noch nicht für voll integriert hält, auch die englische Schreibung als Variante zu. Die Regelungen des Duden zu den Einzelfällen haben im Laufe der Jahre geschwankt.
Schon 1908 gibt der Duden nur die Mehrzahl Ladys an, verweist aber darauf, daß in Bayern auch und in Österreich nur Ladies erlaubt ist. Neben Torys läßt der Duden aber auch Tories zu.
Der Duden 1961 nennt nur Ladys, Babys, Hobbys
und Storys, gibt aber auch die Varianten Lobbys/Lobbies und Torys/Tories an.
Der Duden 1991 kennt zwar auch nur Babys und Hobbys, ist aber etwas toleranter gegenüber der englischen Schreibung und läßt sie in den vier anderen Fällen zu. Außerdem läßt er bei short stories nur diese zu. Dazu schweigt sich der Duden 1961 aus.
Die Reformer machen eine Kehrtwende und lassen in § 21 nur noch die strikt eindeutschende Schreibung zu, mit der einzigen Ausnahme: „Bei Zitatwörtern gilt die englische Schreibung, zum Beispiel: Grand Old Ladies.“
Auch soll man nun nur Short Storys oder - horribile dictu - Shortstorys schreiben. Allerdings läßt der Duden 2006 noch die Varianten Torys/Tories und nur Genderstudies zu.
Die Rückwendung der Reformer zur ausschließlich eindeutschenden Schreibung war schon 1996 ein Anachronismus und ist es jetzt angesichts nahezu universeller Englischkenntnisse erst recht.
Aber auch der alte Duden entsprach nicht überall der Sprachwirklichkeit. Genaue statistische Ergebnisse sind nur schwer zu erhalten, da man kaum zwischen „Zitatwörtern“ und sonstiger Verwendung unterscheiden kann. Aber Tories ist doch die deutlich vorherrschende Schreibung und Stories scheint auch häufiger als Storys geschrieben zu werden. Ladies und Ladies scheinen etwa gleich häufig zu sein. Dagegen sind Babys und Hobbys die eindeutig überwiegenden Schreibungen (ich stütze mich hierbei auf die DWDS-Korpora).
Ich sehe bei diesen Wörtern überhaupt keinen Regelungsbedarf. Soll doch jeder selbst entscheiden, ob er sich nach der Ausgangssprache oder nach deutschen Schreibgewohnheiten richten will.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 15.03.2015 um 18.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28317
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Korrektur:
Im vorletzten Absatz soll es "Ladys und Ladies" heißen.
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Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 15.03.2015 um 21.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28318
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Wenn schon eindeutschen, dann richtig, also Ladye oder Ladyen, mithin ein richtiger deutscher Plural.
Das geht bei Themen schließlich auch.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 16.03.2015 um 00.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28319
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Zu #28318: Na, so weit würde ich nicht gehen. Schließlich haben wir auch Büros, Marsalas und Gurus, ja, sogar Geishas, welch letzteres ja nicht mal die Japaner haben.
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Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 16.03.2015 um 16.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28320
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Es fällt bei betonten oder langen Endsilben in der Tat schwer, den S-Plural zu vermeiden. Dann müßte man schon auf einen Suffix wie -ten oder -nen zurückgreifen wie bei Bauten und Euronen.
Lady hat aber keine betonte Endsilbe.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 16.03.2015 um 18.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28321
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Was würden Sie als Plural vorschlagen: Ladyten oder lieber Ladyen?
Wenn schon eindeutschen, dann richtig: Bebi, Ledi, Tori usw.
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Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 16.03.2015 um 18.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28322
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Ladyten legt eine Betonung auf der zweiten Silbe nahe, somit Ladyen.
Reichlich eingedeutscht müßte es allerdings Läidie heißen, und dann wäre der Plural klar: Läidien.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.03.2015 um 23.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28323
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Es gibt im Deutschen keine Pluralendungen -ten und -nen.
Bauten ist der Plural von Baute, Bau heißt im Plural Baue.
Euronen ist eine Scherzbildung, angelehnt an Neuronen, Neuron.
Der Plural von Euro ist Euros.
Wie soll man denn zu Wörtern eine "richtige" deutsche Mehrzahlendung finden, wo es noch nicht einmal die Einzahl auf -y im Deutschen gibt? Deutsche Wörter auf Vokal außer -e bekommen im Plural die Endung -s, die ebenfalls zu den deutschen Pluralendungen gehört. Deshalb liegt es sehr nahe, englische Fremdwörter auf -y genauso zu behandeln, und deshalb ist es so auch üblich, wenn nicht sowieso der englische Plural auf -ies gewählt wird. Weitere deutsche Wörter außer solche auf Vokal, bei denen im Plural auch ein -s angehängt wird, sind z. B. Deck, Wrack sowie alle deutschen Vor- und Familiennamen.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 16.03.2015 um 23.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28324
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Man muß sich erst einmal einigen, ob die Endsilbe von Handy, Lady, Baby usw. lang oder kurz ist und ob sie im Plural kurz bleibt zu Handys, Ladys, Babys oder verlängert wird zu Handies, Ladies, Babies. Lang ist sie z.B. in am. prairie.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.03.2015 um 23.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28325
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Kleine Korrektur, bei Vornamen gibt es auch andere Plurale, aber Familiennamen enden im Plural immer auf -s (Scherzbildungen ausgenommen).
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.03.2015 um 22.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28327
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Sollte es neben dem Plural Bauten von Baute tatsächlich auch die beiden Plurale Baue und Bauten von Bau geben? Es scheint so zu sein, aber selbst dann kann man m. E. nicht ohne weiteres von einer Pluralendung -ten sprechen. Gibt es außer diesem noch mehr solche Fälle? Das t könnte wegen der leichteren Aussprache eingeschoben sein, etwa wie das t in wesentlich, wo es auch nicht zur Endung zählt.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.03.2015 um 09.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28329
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Bei wesentlich usw. stellt sich der Verschlußlaut automatisch (mechanisch) ein, als Übergangsartikulation, während Bauten eine entlehnte niederdeutsche Form ist, die suppletiv als Plural von Bau (in einigen Bedeutungen) hergenommen wird.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 18.03.2015 um 15.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28330
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Bei dieser faszinierenden Diskussion ist bisher allerdings die Pluralendung -ken unberücksichtigt geblieben. So etwa Oma, pl. Omaken nach dem bekannten Muster Rabau, pl. Rabauken.
Man muß aber darauf achten, den Plural Omaken nicht mit der niederdeutschen Verkleinerungsform Omaken zu verwechseln.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.03.2015 um 18.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28333
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Ich habe den Eindruck, daß das Plural-s bei Familennamen nur für eine oder mehrere ganze Familien gilt, aber für mehrere Einzelpersonen nicht verwendet wird.
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Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 22.03.2015 um 19.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28368
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Hier ist an anderer Stelle schon über den S-Plural im Deutschen diskutiert worden, und nichts überzeugt mich, in ihm mehr zu sehen als eine Krücke, einen Behelf, wenn nichts anderes in Frage kommt.
Deutsche Nomina auf -a erhalten nicht den S-Plural, sondern werden mit -en gebildet: Saunen, Pizzen, selbst die Studentenausschüsse heißen Asten.
Was sollte mich daran hindern, Familiennamen normal zu pluralisieren? Das Argument, das noch am stärksten für den S-Plural spricht, ist die Erkennbarkeit des Grundworts. Die ist jedoch ohne weiteres gegeben, wenn ich von den Hartmännern, den Wölfen oder den Müllern spreche. Selbst bei Namen, die an sich nichts aussagen, geht das: die Schnerkern, die Merkeln.
Bei Vornamen ist es noch deutlicher. Abgesehen von den Namen auf -s, die natürlich nicht noch ein S angehängt kriegen (Heinze, Felixe usw.), kann ich das lustig machen, ohne daß unklar ist, von wem die Rede ist: Norberte, Stefanien. Die Namen auf Vokal machen die gleichen Schwierigkeiten wie andere Wörter auf Vokal.
Der ganz und gar nicht scherzhafte Gebrauch von Euronen spricht dagegen, daß es eine Scherzbildung ist. Aber selbst wenn es eine ist, greift es zu kurz, den Fall damit abzutun. Der Scherz würde nicht funktionieren, wenn die Sprachgemeinschaft den Begriff nicht als Plural von Euro erkennen würde. Euronen muß also zumindest regelkonform gebildet sein.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 22.03.2015 um 21.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28369
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Zu "Deutsche Nomina auf -a erhalten nicht den S-Plural, sondern werden mit -en gebildet: Saunen, Pizzen, selbst die Studentenausschüsse heißen Asten": Ich muß zugeben, daß ich mir, als ich meinen Beitrag #28319 schrieb, durchaus dessen bewußt war, daß ein Berliner Freund von mir ganz natürlich von japanischen "Geishen" gesprochen hatte. Der sprach ja auch von "Datschen". Ich sehe mich also zu Recht korrigiert. Aber der Plural vom gutdeutschen Oma ist doch nicht nur der möglichen Interferenz wegen nicht *Omen, denn auch bei Opa haben wir ja den s-Plural.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 22.03.2015 um 23.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28370
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Saunas, Pizzas, AStAs, Datschas, alle diese Plurale nennt Duden immerhin zuerst, vor denen auf -en. Wie können Sie da so strikt behaupten, deutsche Nomina auf -a erhielten nicht den S-Plural, bzw. er sei nur eine Krücke?
Datschen klingt mir eher wie der Plural von eingedeutscht Datsche.
Asten empfinde ich als unlogisch, weil da eigentlich das A von Ausschuß fehlt.
Egal, wie man den S-Plural bei Namen wertet, es gibt ihn jedenfalls gerade da sehr häufig.
Ich würde Ihnen aber zustimmen, lieber Herr Mahlmann, wenn Sie meinten, daß der Plural im Falle mehrerer Möglichkeiten auch etwas Geschmackssache ist.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.03.2015 um 05.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28371
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Der AStA ist, soweit ich mich erinnere, zuerst in studentischen Kreisen mit dem Plural Asten ausgestattet worden, vielleicht auch weil die Auflösung in den vollen Namen nicht mehr gegenwärtig und auch nicht erwünscht war - mich erinnert sie immer an die Französische Revolution...
Bei Datsche als Grundform neige ich zu Herrn Riemers Ansicht, aber das kann natürlich auch eine Rückbildung aus dem "normalisierten" Plural Datschen sein.
(Erinnerung: Der von radikalen Linken eroberte AStA an meiner Universität versuchte seine Legitimation dadurch zu erhöhen, daß er jedem Studenten, der zur Wahl geht, eine Cola schenkte. Also damals schon Überlegungen wie heute von Frau Fahimi. Ich habe damals sogar ein Flugblatt dagegen verfaßt und verteilt. Auch die Überweisung eines Teils der Zwangsbeiträge an die Vietcong war mir nicht recht. Man forderte damals ein allgemeines politisches Mandat der Asten!)
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.03.2015 um 11.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28377
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In meiner Schulgrammatik von 1952 steht, das Plural-s bei Familiennamen sei ursprünglich kein Plural, sondern ein Genitiv: Schumanns Haus, Familie usw. und der in der Umgangssprache übliche Plural auf -s sei niederdeutscher Herkunft: Fräuleins, Jungens, Kerls, Mädels, Docks, Knicks, Wracks. (Bei der Pluralbildung unterscheidet sich Niederdeutsch von Niederländisch sehr stark.)
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 23.03.2015 um 16.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28379
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Lieber Herr Mahlmann,
darf man daraus schließen, daß die Pros und Kontras eigentlich falsch ist, weil es bei diesen „deutschen Nomina“ eigentlich die Pronen und Kontren heißen müßte?
Daß Euronen leicht als scherzhafter Plural von Euro zu erkennen ist, dürfte doch schon durch die Ähnlichkeit mit Neuronen leicht zu erklären sein.
Wenn Euronen „regelkonform“ gebildet wäre, träfe das auch Demonen und Schuponen zu?
Bei Wörtern lateinische Ursprungs kann die Endung -nen korrekt sein, etwa Pharaonen von lat. pharao, -nis. Ich vermute, daß auch die Mehrzahl Ottonen so zu erklären ist.
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Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 23.03.2015 um 17.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28380
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Auch das hatten wir schon mal. Demo und Schupo sind Kurzwörter; die Plurale lauten Demonstrationen und Schutzpolizisten.
Pro und contra sind für sich genommen keine Hauptwörter; es sind wohl Pro- und Contra-Argumente gemeint.
Von Euronen auf Neuronen zu kommen, ist ja schon Augstsche Etymologie.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 23.03.2015 um 18.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28381
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Hatten wir auch schon Mungonen und Eskimonen?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.03.2015 um 19.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#28384
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Nicht zu vergessen die Hochs und die Tiefs.
Manche haben schon versucht, im s-Plural den "Default-Plural" zu sehen, dagegen spricht aber, daß er wohl doch nur in bestimmten Fällen eintritt. Kinder verallgemeinern ihn allerdings gern.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.07.2015 um 05.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#29466
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Nachtrag zu #22975:
Zufällig stoße ich auf eine recht witzige Seite: http://twitpic.com/4tbk82
Der Vers aus dem Pantschatantra, der bei uns zur Familiensprache gehört, bedeutet "Zu welcher Schandtat ist ein Hungriger nicht imstande?" Allerdings ist in diesem Fall das Desiderativ falsch gebildet, denn bei der Reduplikation der ersten Silbe müssen die beiden behauchten Laute dissimiliert werden (Grassmannsche Hauchdissimilation; gilt auch im Altgriechischen, daher thrix, "Haar" aber Genitiv trichos, und Trichinen statt *Thrichinen). Also: bubhukshitah kim na karoti pâpam.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.11.2015 um 05.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#30649
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Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#23940
Ovid, Metamorphosen (Classica: kompetenzorientierte lateinische Lektüre)
Ovid, Metamorphosen: Kopiervorlagen für kompetenzorientierte Lektüre
(beide Vandenhoeck und Ruprecht 2015)
(Im vorangestellten Katalog der Kompetenzen fehlt die Kompetenz, Kopiervorlagen zu kopieren...)
Wie ist der Bildungswert eines Schulfaches zu beurteilen, das sich bedenkenlos dem Gefasel der Kultusminister unterwirft? Ist die Angst vor dem "kann wegfallen" so groß?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.11.2015 um 05.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#30650
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Es wird behauptet, die bisherige lernzielorientierte Pädagogik sei „input-orientiert“ gewesen und habe darauf abgezielt, möglichst viel „Wissen“ in die Köpfe hineinzustopfen (wie es abschätzig heißt). Kompetenzorientierung lege das Gewicht auf das Können der Schüler. Allerdings sind Prämisse und Schlußfolgerung falsch. Gerade die „Lernziele“ waren ihrem behavioristischen Ursprung (vgl Saul Robinsohn) gemäß auf ein testbares Können der Schüler ausgerichtet; auch die Wiedergabe von „Wissen“ bestand in ein einem Können, das sich im Test überprüfen ließ. Zudem ist die ganze Unterscheidung von Wissen und Können nicht haltbar. Man hat selbst in kompetenzdidaktischen Schriften eingestanden, daß zum Beispiel der Lateinunterricht schon immer auf Fähigkeiten, also Kompetenzen, ausgerichtet war (Kuhlmann); das Abfragen von Vokabeln mag ein Teil des Unterrichts sein, aber in Prüfungen wird es nicht praktiziert, dort wird hauptsächlich übersetzt und kommentiert.
Die Lehrmaterialien und Lehrerhandbücher beweisen endgültig, daß sich der Unterricht unter der „Kompetenzorientierung“ nicht geändert hat.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.11.2015 um 14.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#30657
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Schon seit Sokrates weiß man, daß die Leute sich das am besten merken können, auf das sie scheinbar selbst gekommen sind, in Wirklichkeit durch geschickte Fragen des Lehrers. Auch im Berufsleben nehmen Vorgesetzte das am besten auf, auf das sie selbst gekommen zu sein glauben. Aber für Schule und Studium wäre das wohl zuviel Aufwand. Warum langweilen sich Schüler in der Schule? Wegen des Frontalunterrichts.
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Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 24.11.2015 um 10.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#30666
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Frontalunterricht? Wo gibts denn den noch? Selbst ich hatte nie welchen.
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Kommentar von Pt, verfaßt am 24.11.2015 um 12.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#30668
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Ich finde Frontalunterricht gut, da kann man unter der Bank Perry Rhodan lesen!
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 24.11.2015 um 13.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#30669
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An (manchen) bayerischen Realschulen gibt es den Frontalunterricht noch.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.11.2015 um 13.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#30670
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Allein das Wort Frontalunterricht weckt negative Vorstellungen. Das ist so etwas wie toter Fisch, den möchte auch niemand essen. Wer Frontalunterricht sagt, will damit Vorurteile befördern.
Eine Alternative für ernsthafte Diskussionen wäre Normalunterricht oder herkömmlicher Unterricht oder der Lehrer unterrichtet vor der Klasse oder so ähnlich. Vielleicht müßte sich ein allgemein bekannter Begriff dafür erst etablieren.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 24.11.2015 um 16.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#30671
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In meiner Schulzeit bekamen wir von Zeit zu Zeit von Referendaren Unterricht, die frisch von der PH kamen und dort offenbar gelernt hatten, daß die Schüler selbst die Lösung eines Problems "erarbeiten" sollten – natürlich unter Anleitung des Lehrers.
Wir Schüler hatten schnell raus, wo der Lehrer hinwollte. Wenn wir den Referendar mochten, machten wir das Spiel mit und gaben die erwarteten Antworten. Wenn wir ihn nicht mochten, ließen wir ihn auflaufen, indem wir die erwünschten Antworten verweigerten. Das brachte die armen Referendare völlig aus dem Konzept. Das, was Sie sich vorher so schön zurechtgelegt hatten, scheiterte an unserem passiven Widerstand.
Ich weiß nicht mehr sicher, ob wir so grausam waren, die Referendare auch in der Prüfstunde in Anwesenheit des Schulrats derart auflaufen zu lassen.
Ich habe diese Art des Unterrichts damals für reinen Zeitverlust gehalten. Wenn der Lehrer die Antwort ohnehin schon wußte, warum hat er sie nicht selbst gegeben?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.11.2015 um 17.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#30673
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Das nannte man "fragend-entwickelndes Verfahren" und leitete es vom sokratischen Dialog ab, mit dem Lehrer als Geburtshelfer ("Mäeutik"). Nur daß Sokrates in den lebendigeren Dialogen, den "aporetischen", eben beim Nichtwissen (oder vielmehr der Einsicht in das eigene Nichtwissen) endete und die späteren Lehrdialoge nicht mehr wirklich dialogisch sind, auch nicht fragend, sondern bloß pro forma die Zustimmung des Statisten einholen ("ei ja fürwahr doch", wie die Pennäler das karikierten).
Der Lehrer soll keine Vorträge halten, aber paradoxerweise den Schülern beibringen, welche zu halten ("Referate"). Inzwischen sieht man das vielleicht ein bißchen undogmatischer. Manchmal ist ja ein kurzer Vortrag die ökonomischste Form, etwas zu vermitteln, und schließlich besteht das spätere Leben zu einem guten Teil darin, Vorträge anzuhören. Wie Herr Achenbach andeutet, ist es auch viel natürlicher als das Versteckspiel mit dem fingierten "Selbsterarbeiten". Wenn der eine etwas weiß, was der andere nicht weiß, warum sollte er es ihm nicht kurzerhand mitteilen?
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Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 24.11.2015 um 18.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#30674
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Kurze (kurzweilige!) Vorträge sind wichtig, aber sie allein wecken auf Dauer keine Aufmerksamkeit.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.02.2016 um 16.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#31781
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Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22963
GEO: Verfügen denn auch die Khoisan über hochentwickelte sprachliche Konzepte?
Kilian-Hatz: Selbstverständlich. Schon die Morphosyntax - das heißt die Art und Weise, wie Wörter gebeugt und im Satz zusammengefügt werden - ist ein äußerst schwieriges Kapitel der Grammatik. Nehmen Sie nur den Satz //ìì.b ge` g`ò m`ù~u`.si aus dem Nama, einer Sprache Namibias. In Einzelteile zerlegt, heißt dieser Ausdruck wörtlich "er-3.Person-maskulin-Singular-Subjekt hat-Prädikat gerade gesehen-3.Person-feminin-Singular-Objekt" - also: "Er hat sie gerade gesehen (sie)". Die "Kultursprache" Latein ist da kaum komplizierter. (Geo 27.9.04)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.07.2016 um 07.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#32890
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Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22963
Eine weitere Paraphrase von Sapirs berühmtem Satz:
The languages spoken by the hunter-gatherers who still inhabit certain parts of the Earth are every bit as sophisticated as our own. (Jean-Louis Dessalles: Why we talk. Oxford 2007:48)
"Komplex", "sophisticated" - was heißt das schon? Wenn es einen Fortschritt in der Sprache gibt, ist er anderswo zu suchen. Ein Knoten im Taschentuch hilft dabei, sich etwas zu merken, aber ein Speicherchip leistet mehr (demnächst sämtliche je geschriebenen Bücher auf einem briefmarkengroßen Chip, nach Meldungen vom Juli 2016). Also gibt es doch wohl den Fortschritt. In der Sprache sehe ich ihn so: Der "Gebrauch der Sprache" (schiefer Ausdruck!) kann rationaler und in diesem Sinn moderner werden. Zaubersprüche hat es immer gegeben, aber ein Lehrbuch über Festkörperphysik ist erst nach Hunderttausenden von Jahren möglich geworden und wäre sogar dem genialen Aristoteles unverständlich, wenn er es mit einer Zeitmaschine ins heutige Athen geschafft hätte.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.08.2016 um 05.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#33048
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Ungerechterweise habe ich das Kompetenzgefasel am Lateinunterricht festgemacht (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#30649), es geht aber durch alle Schulfächer und -bücher:
Kompetenzorientiert unterrichten: Das Praxisbuch für den Religionsunterricht usw., Musik, Mathe, Kunst, einfach alles.
Das wird man nie wieder los, außer durch eine neue Mode, vielleicht "Resilienzorientierung".
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.08.2016 um 15.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#33051
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Eduard Engel hat einige Zeitgenossen durch die Behauptung vor den Kopf gestoßen, daß der Lateinunterricht den deutschen Stil verdorben habe.
Unfreiwillig bestätigt es ein berühmter und sehr verdienstvoller Altphilologe:
Die Volks-und Umgangssprache bleibt in weitgehendem Maß auf diesem älteren Stadium stehen; ihre Abneigung gegen Nebensätze entspringt teils einer für den Alltagssprecher typischen Denkbequemlichkeit und Streben nach Energieersparung (man bedenke, wie die kunstvolle Periodenbildung des Lateinischen ganz auf die Hoch- und Schriftssprache beschränkt ist, und wie rasch selbst in der Literatursprache der nachklassischen Zeit bei vielen Schriftstellern die Fähigkeit, breite Perioden zu bauen, wieder verloren geht), teils dem subjektiv-affektischen Grundzug der Alltagssprache die abgehackte, kurze Sätze, entsprechend der stoßweise sich entladenden Erregung, aneinanderreiht, den Bedürfnissen des Dialogs entsprechend den logisch geschlossenen Satz durch Lockerung der Glieder und Pausenbildung in kleine embryonale Fragen und Kurzsätze zerlegt und auch da, wo Zusammenhängendes berichtet oder Geschehnisse erörtert werden, nicht nur die Beiordnung der Unterordnung vorzieht, sondern auch gegenüber der schriftsprachlichen Verknüpfung der Sätze durch Konjunktionen in der Regel entweder der Kennzeichnung durch außersprachlichen Faktoren wie Betonung, Pause, Mienenspiel und Gebärden, Erläuterung durch die Situation den Vorrang läßt (Anreihung durch Asyndeton oder Chiasmus), oder doch durch anaphorische Wiederholung sowie durch Pronomina und Pronominaladverbia wie is, idem, nunc, die der Identifizierung der Handlung oder ihrer Träger bzw. deren Gegenüberstellung dienen, der demonstrativen Grundlage ständig nahe bleibt, auf der im Ineinandergreifen von Rede und Gegenrede sich aufbauend und an die gemeinsame äußere und Seelensituation anknüpfend sich alles umgangsprachliche Sprechen vollzieht.
(Johann Baptist Hofmann: „Zum Verhältnis von Bei- und Unterordnung in der lateinischen Volks- und Umgangssprache“, Phil. Wochenschrift 52, 1932:1063-1068, S. 1063)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.09.2016 um 10.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#33318
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Auf den Umschlag des "Meier Helmbrecht" hat der Reclam-Verlag neuerdings gesetzt:
Diese Ausgabe bietet den mittelhochdeutschen Text mit sprachlichen und grammatischen Erläuterungen zum Erwerb von Sprach- und Übersetzungskompetenz.
Auch dieser Text muß also den Schulbehörden noch durch das Zauberwort Kompetenz schmackhaft gemacht werden.
Früher lernten wir Mittelhochdeutsch und konnten es dann. Heute lernt man es kompetenzorientiert.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.01.2017 um 07.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#34326
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Ovid, Metamorphosen: Kopiervorlagen für kompetenzorientierte Lektüre (2015)
Ausgangspunkt für die Ausgabe ist ein Fragebogen für die Schülerinnen und Schüler: Welche Kompetenzen bringen sie mit? Welche Kompetenzen müssen noch entwickelt werden? Anschließend werden diese Kompetenzen gezielt trainiert. Die Kopiervorlagen bieten dazu Übersetzungstexte und umfangreiches Zusatzmaterial zu vielen Mythen. Einen zusätzlichen Service bietet das Download-Material, das Empfehlungen für die Umsetzung im Unterricht und einen Erwartungshorizont für die Aufgaben bereithält.
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Ovidkompetenz? Mythenkompetenz? Verwandlungskompetenz? Difficile est saturam non scribere. (Nicht Ovid)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.04.2019 um 17.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#41198
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In der FAZ spricht sich ein ehemaliger Deutschlehrer (Rainer Werner) für die Stärkung des schriftsprachlichen Unterrichts aus:
An theoretischen Vorgaben fehlt es beileibe nicht. Die „Bildungsstandards im Fach Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife“ machen klare Aussagen zum Beherrschen der Schriftsprache:
„Die Schülerinnen und Schüler verfassen inhaltlich angemessene kohärente Texte, die sie aufgabenadäquat, konzeptgeleitet, adressaten- und zielorientiert, normgerecht, sprachlich variabel und stilistisch stimmig gestalten.“
Diesen Abschnitt habe ich schon zitiert: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22956
– als Beispiel übler Gremienprosa. Ein Deutschlehrer sollte doch zwischen einer „klaren Aussage“ und einem sinnfreien Phrasendrusch unterscheiden können.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.04.2019 um 16.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#41265
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Alan Barnard: Language in prehistory. Cambridge 2016.
Legt Wert darauf, daß die Sprachen von Jägern und Sammlern ebenso komplex sind wie die unsrigen, also nicht primitiv. Zitiert den bekannten Ausspruch Sapirs (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#22963). Von dieser Idee sind fast alle Sprachethnologen (Kulturanthropologen) besessen.
Fast nur Jespersen hat zu sagen gewagt, daß das Komplexe gerade das Primitive ist.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.02.2022 um 05.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#48484
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Zum erwähnten Axiom Sapirs (When it comes to linguistic form, Plato walks with the Macedonian swineherd, Confucius with the head-hunting savage of Assam)
Die Komplexität moderner Sprachen könnte von anderer Art sein als die der Sprachen der Naturvölker und unserer Vorfahren. Statt komplex sagen manche sophisticated:
The languages spoken by the hunter-gatherers who still inhabit certain parts of the Earth are every bit as sophisticated as our own. (Jean-Louis Dessalles: Why we talk. Oxford 2007:48)
Often you’ll find that the most materially primitive culture has a fantastically sophisticated, complex language. (Pinker)
Ist es sophisticated, einen Dual, Trial, Paucal zu unterscheiden, dazu Abschattungen des Aspektsystems, Schwiegermuttersprachen usw., oder ist es sophisticated, darauf zu verzichten?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.05.2023 um 06.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#51094
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Kann es sein, daß die "Kompetenz", die in Lehrplänen und Unterrichtsentwürfen mindestens dreimal pro Seite vorkommen mußte, allmählich wieder verschwindet? Ich lese solche Texte nicht mehr, aber in Hörfunksendungen zur Pädagogik scheint mir etwas zu fehlen. Auch die "Resilienz" übrigens.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.07.2023 um 08.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=719#51381
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Im Deutschunterricht sollen die Schüler lernen, möglichst lange und komplexe Sätze zu bilden. Das Komplexe muß etwas sehr Gutes sein, denn in den Bildungsstandards Deutsch kommt es auf 260 Seiten nicht weniger als 80mal vor.
"Resilient" wiederum ist im Deutschen nie richtig populär geworden. Viele halten es anscheinend für ein besonders feines Synonym von "resistent", obwohl es beinahe das Gegenteil bedeutet.
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