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18.11.2006
Knirscht Zähne, nickt Kopf
Kostproben aus dem S. Fischer Verlag
J. M. Coetzee: Zeitlupe. Roman. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2005
Er kann nicht schreien, weil er seine Kiefer nicht auseinander bekommt, aber das passt ihm, das passt zu seinem Zähne knirschenden Zorn. (S. 16)
Marijana hockt auf dem Bettrand, drückt mit der linken Hand gegen seine Leiste und beobachtet Kopf nickend, wie er den Beinstumpf beugt (S. 75)
An solchen Beispielen stört nicht nur die falsche Auslegung der reformierten Rechtschreibregeln, sondern noch mehr die Tatsache, daß Lektoren angesehener deutscher Verlage eine solche Schreibweise und Grammatik überhaupt für möglich halten – und daß Verlage einer staatlichen Sprachregelung, wie sie sie verstehen, folgen zu müssen glauben.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 26.11.2006 um 02.41 Uhr
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Wer die Zusammenschreibung nicht goutiert, muß sich wie Karl May behelfen: „Normann sollte mit einer Reserveabtheilung, die nur mit arabischen Flinten bewaffnet war, nach rückwärts liegen.“ (Deutsche Herzen, deutsche Helden, 1886) In der deutschen Rechtschreibung, behaupten manche, gibt es nur eine Richtung: nach abwärts hin.
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Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 25.11.2006 um 22.37 Uhr
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In § 39 ist zunächst mal die Zusammenschreibung von Wörtern wie flussabwärts geregelt. In flussabwärts fahren usw. sehen die Wörterbuchredakteure vermutlich eine ganz gewöhnliche Wortgruppe aus Adverb und Verb, deren Getrenntschreibung nicht besonders geregelt zu werden braucht. Darüber hinaus finden sich im Wörterverzeichnis unter bergabwärts, flussabwärts und stromabwärts Beispiele für die Getrenntschreibung.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 25.11.2006 um 21.44 Uhr
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Ich halte es nicht für sehr erfreulich, daß jetzt Bildungen mit -wärts – ja selbst seitwärts – mit dem Verb zusammengeschrieben werden müssen. Das entspricht keineswegs dem herkömmlichen Gebrauch und ist keinen Deut weniger dogmatisch als das Verbot dieser Zusammenschreibungen in den Regeln von 1996.
Aus der Tatsache, daß abwärts und rückwärts nun in der Liste der adverbialen "Verbzusätze" aufgeführt sind, schließen offenbar die Bearbeiter des Wörterverzeichnisses und der Wörterbücher, daß diese und alle anderen Bildungen mit -wärts zusammenzuschreiben seien. Das soll aber wiederum nicht für dreiteilige Bildungen wie flussabwärts gelten, wofür ich den Regeln aber keine Grundlage finden kann.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.11.2006 um 07.03 Uhr
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"rückwärts" bedeutet in südlichen Regionen auch einfach "hinten", also ohne die Bedeutungskomponente der Richtung. Als Richtungszusatz bedeutet es einerseits "mit dem Rücken voran", aber auch "nach hinten". Am besten sind die Verhältnisse in Duden Bd. 9 dargestellt, wo allerdings – in meiner reformierten Ausgabe – dann gleich folgt, daß man den Zusatz stets vom Verb getrennt schreibt. Das ist vielleicht inzwischen geändert worden, denn nun muß man es ja zusammenschreiben, eine an sich erfreuliche, für den Duden aber nicht einmal einträgliche Rückwärtsentwicklung.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 25.11.2006 um 02.19 Uhr
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WÄRTS, adv., die richtung bezeichnend, jetzt nur in fester verbindung mit adverbien und nominibus . . . (DWb)
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 24.11.2006 um 23.57 Uhr
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Rückwärtig liegend. Aber auch das ist noch schief, weil Artilleristen selbst im Gefecht normalerweise nicht liegen, sondern stehen oder sitzen, ausgenommen natürlich die Mannschaften von unter Beschuß liegenden Feldgeschützen. Da trifft das Bild dann schon wieder fast ("resultatives Prädikativ" beim Rückwärtsliegen hin oder her). Gemeint ist wohl "die rückwärtig liegende Artillerie", was aber auch noch nicht ganz stimmt, da der Militärjargon, an den der angesprochene Bildband Anschluß sucht, zwar (an diesem oder jenem Ort) liegende Einheiten, aber nicht liegende Waffengattungen kennt, soweit er nicht trivial ist: "Die Artillerie" steht (oder liegt) immer hinter den anderen Kampftruppen, jedenfalls solange der Feind nichts daran ändert.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 24.11.2006 um 21.35 Uhr
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Ich meine nicht, daß Bildungen mit -wärts notwendig eine Bewegung ausdrücken, man denke etwa an "rückwärtig" oder "rückwärtsgewandt". Das attributive "rückwärtsliegend" wäre, wie "fleischfressend", schon besser, wenn nicht die Erweiterung "weiter" hinzugekommen wäre. Deshalb ist an der Rechtschreibung nichts auszusetzen. Es handelt sich schlicht um eine Stilblüte.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 24.11.2006 um 18.21 Uhr
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rückwärtsliegend wäre nicht besser; -wärts drückt eine Bewegung aus, die dem Liegen nicht nur im Stellungskrieg abgeht.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 24.11.2006 um 17.59 Uhr
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Auch schön: "Aufrauen". Das hat Herr Augst wohl nicht bedacht. Au!
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 24.11.2006 um 17.37 Uhr
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Besonders eindrucksvoll gestaltet sich die Lektüre des in schrecklichem orthographischem Mischmasch erschienenen Bildbandes von Dr. Christian Zentner: Der Erste Weltkrieg.
"Wodurch konnte er ein militärisch so kraftvolles Land im ersten Ansturm nieder zu werfen hoffen?" (Seite 15)
"Dort, so mutmaßte der hochmütig drein blickende und wartkarge Schüler des älteren Moltke ..." (ebenda)
Es kommt noch besser: die liegend stehenden Artilleristen
"Nicht nur die Infanteristen starben zu Tausenden, auch die weiter rückwärts liegenden Artilleristen standen im verlustreichen Duell mit der französischen Artillerie." (Seite 184)
Dann wieder folgen Passagen mit normal zusammengeschriebenen "Wortgruppen". Die Kästen sind grundsätzlich in Adelungscher s-Schreibung gehalten, vermutlich deshalb, weil die Umsetzung in ss-Wörter mehr Platz benötigt hätte als die kleinen Kästen mit Winzig-Schrift boten. Gerade Kriegsliteratur wird durch die Auseinanderschreibung regelrecht zu einer Lachnummer. Ich lese zur Zeit zwei weitere Werke zum Ersten Weltkrieg, beide sind Neuerscheinungen aus dem dtv Verlag in klassischer Rechtschreibung. Offensichtlich ist dem Lektorat bewußt, welche lächerlichen Folgen der Reformschrieb für Texte dieser Literaturgattung hat.
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 19.11.2006 um 22.42 Uhr
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Aus einem Interview der OÖN mit dem Autor Thomas Baum (17. 11. 2006):
OÖN: Wie wichtig ist ein Lektorat?
Baum: Sehr wichtig! Ein Autor ist ja in seinem Text gefangen, der Lektor liefert die notwendige Außensicht dazu. Das darf natürlich nicht in einen gegenseitigen Kampf ausarten, sondern es geht um den gemeinsamen Dienst an der Geschichte. Furchtbar ist es, einer Person gegenüberzusitzen, die glaubt, alles besser zu wissen.
OÖN: Wie ergeht es Ihnen als Autor mit der neuen Rechtschreibung?
Baum: Welche? Ich tu mir da sehr schwer. Um die Reform der Reform kümmert sich bei mir die Software im Computer. Und bei guten Verlagen sollte es natürlich auch ein Korrektorat geben. Das ist sicher noch wichtiger geworden als vor ein paar Jahren.
(Link)
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