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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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10.11.2006
 

Nachhilfe
Blühender Markt

Elternabend. In den Gängen des Gymnasiums hat die Buchhandlung (Thalia, was sonst?) ihre Tische aufgebaut. Angeboten werden hauptsächlich nicht die offiziellen (von uns mit dem Büchergeld bezahlten, aber gleichwohl nicht erworbenen) Schulbücher, sondern die Lernhilfen anderer Verlage (Stark usw.).
Auch die Lehrer empfehlen diese für die Nachhilfe konzipierten Werke, die erfahrungsgemäß praxis- und schülergerechter sind als die eigentlichen Schulbücher.

Der Nachhilfeunterricht hat enorm zugenommen, eigentlich eine Bankrotterklärung für die staatliche Schule. In Nachhilfestunden wird die Übung nachgeholt, für die sich die Schule zu schade ist oder die sie aus anderen Gründen (Disziplin, überfüllter Stundenplan, Stundenausfall) nicht leisten kann.

Das Ganze erinnert mich an meine ersten Semester vor über 40 Jahren, als meine juristischen Kommilitonen mir versicherten, die Jura-Vorlesungen müsse man zwar besuchen, aber das Examen bestehe man nur mit Hilfe der Repetitorien, die aus eigener Tasche zu bezahlen waren. Eine ähnliche Parallelwirtschaft entwickelt sich mit großer Geschwindigkeit auf dem Unterrichtsmarkt, weshalb sich ja auch die Schulbuchverlage längst bei Nachhilfe-Filialketten eingekauft haben.

Manchmal findet man auch Bedenkliches, z. B. eine Rechtschreibbroschüre auf dem Stand von 1996, die mit allen Fehlern immer noch heruntergeladen werden kann (hier; 2 MB).

Im allgemeinen kann man die schleichende Entwicklung eines Privatschulwesens nur loben, allerdings sollten die staatlichen Schulen daraus bald die Konsequenz ziehen und ihre Tore schließen. Das eingesparte Geld könnte in Form von Bildungsgutscheinen an die Eltern der Kinder verteilt werden, die mit Privatunterricht besser und billiger bedient werden.



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Kommentare zu »Nachhilfe«
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 10.11.2006 um 12.52 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=706#6697

Tore schließen oder munter werden

Natürlich wird der Vorschlag von Theodor Ickler ein großes Wutgeheul all derer auslösen, so da ewig meinen werden, daß Bildung staatlich zu vollziehen ist, damit niemand irgendwie oder -wo querläuft und die Finanzierung des Bildungswesens immer schön aus der Gieskanne kommt, so daß evtl. irgendwelcher Wettbewerb als Bedrohung für die Eingeschlafenen gar nicht erst entstehen kann. Es geht nach wie vor um das Bildungsmonopol des Staates. Alles andere wird nur als Experimentierstube vom natürlich immer weisen und nie verantwortbaren „Staat“ gnädiglich geduldet. Wie könnte man z.B. etwas so Unsinniges wie die RSR ohne eben dieses Monopol im catch as catch can durchboxen?
 
 

Kommentar von Herrmann Müller, verfaßt am 11.11.2006 um 11.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=706#6703

Nun ja, es ist schon viel Wahres an dem, was Herr Prof. Ickler oben geschrieben hat. Ich weiß, daß der Nachhilfemarkt auf Hochtouren läuft. Als Lehrer an einer öffentlichen Schule, der übrigens noch nicht eingeschlafen ist, kann ich wenig dagegen tun. Ich unterrichte regelmäßig Klassen mit bis zu 36 Schülern. Wie soll man da bitte die einzelnen Schülerinnen und Schüler wirksam fördern?

Da ich selbst viele Jahre Nachhilfeunterricht erteilt habe (ganz eigenständig sowie an einer sehr bekannten privaten Nachhilfeschule) weiß ich, daß Eltern ziemlich viel Geld für Nachhilfe ausgeben, daß aber die Ergebnisse des Nachhilfeunterrichts im allgemeinen auch oft zu wünschen lassen.

Viele meiner heutigen Schüler lehnen eine Empfehlung meinerseits, für eine begrenzte Zeit Nachhilfeunterricht zu nehmen, mit der Begründung ab, sie hätten das schon mehrfach probiert und es hätte nie etwas gebracht. Eine Schülerin meinte unlängst: „Der Nachhilfelehrer hat Kleingruppen von ca. sechs Schülern betreut; der hatte nie wirklich Zeit für mich ...“ Dieser Satz spricht für sich, wie ich meine. – Was soll denn ich da erst sagen?

Generell stehe ich einer gesunden privaten Konkurrenz im Bildungswesen aufgeschlossen gegenüber. Wenn ich mir allerdings vergegenwärtige, daß die Menschen heute lauthals nach einem umfassenden Bildungs- und Betreuungssystem rufen, das für alle Eltern – selbstverständlich – kostenlos sein soll, dann wird mir klar, daß wir uns in den nächsten Jahren bzw. Jahrzehnten unabwendbar in eine (fast) vollständige Verstaatlichung der Kindererziehung verrennen werden, die ich absolut verkehrt finde.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.11.2006 um 12.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=706#6704

Natürlich habe ich ein bißchen übertrieben, der sarkastische Schluß ist ja wohl nicht mißzuverstehen. Das Problem gibt es aber, und es wird meist mit viel zu höflichem Schweigen übergangen. Es gibt Klassen, in denen mehr als die Hälfte der Schüler Nachhilfe bekommen, und der Rest wird von den unbegrenzt belastbaren Eltern versorgt. Die Schule erwartet von den Eltern das, was sie selbst nicht mehr leisten kann (und umgekehrt, das stimmt natürlich auch). Ich will aber das Klagelied nicht fortsetzen und auch keinem Lehrer zu nahe treten. Irgendwas stimmt mit der ganzen Konstruktion nicht. Wenn wenigstens die Ergebnisse erfreulicher wären!
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.11.2006 um 15.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=706#6705

Weil Eltern (und Großeltern) zur Hausaufgabenhilfe verpflichtet sind, wie es die Schule sieht, wurden diese und die Nachhilfelehrer mit zur Übernahme der reformierten Rechtschreibung gezwungen. Die Eltern und Großeltern haben immerhin die Möglichkeit, zu sagen: "Diese Schreibweisen sind unsinnig, aber neue Rechtschreibung. Lernt sie in dem Bewußtsein, daß die bald wieder geändert wird!" So kann man Kinder zu kritischen Staatsbürgern erziehen. Manche so genannte Reformen sind ja in Wirklichkeit Restaurationen längst vergangener Zustände.
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 13.11.2006 um 23.20 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=706#6717

"Diese Schreibweisen sind unsinnig, aber neue Rechtschreibung. Lernt sie in dem Bewußtsein, daß die bald wieder geändert wird!"

Genau so sage ich das meinen Nachhilfeschülern. Und nicht gerade selten. Und wenn ich dann erkläre, warum solche Sachen wie "heute Abend" unsinnig sind, dann verstehen die das mitunter auch schon ganz gut.
Jahaa, man kann da ganz gut infiltrieren! Böse, böse, die KMK so zu hintergehen...!

Ganz nebenbei: Ja, Nachhilfe ist zu einer Dienstleistung geworden. Spreche da aus Erfahrung. Und bald wird es vielleicht auch wieder Hauslehrer geben.

Ich für meinen Teil finde, Herrn Icklers Schlußbemerkung müßte sich auch ohne ihren sarkastischen Ton nicht verstecken. Meiner Ansicht nach sollten Privatschulen viel mehr Freiheiten bekommen. Es wird sich doch langfristig ohnehin nicht vermeiden lassen, daß diejenigen, die eben zusätzlich Zeit und Geld investieren, eine deutlich bessere Ausbildung für ihre Kinder erhalten als diejenigen, die sich ganz und gar nur aufs Staatliche verlassen (natürlich weil ihnen vielleicht auch gar nichts anderes übrigbleibt).
Mittlerweile ist es doch ziemlich offensichtlich, daß der Versuch kläglich gescheitert ist, allen gleiche Chancen zur erfolgreichen Partizipation in einer immer globaler sich entwickelnden Gesellschaft zu geben, indem alle gleichermaßen eine qualitativ hohe Ausbildung erhalten, ohne daß auch nur irgendein sozialer Faktor dabei eine Rolle spielen könnte.

Sehe ich auch so: es hakt ganz gewaltig im Getriebe.
 
 

Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 14.11.2006 um 09.34 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=706#6718

Solche Sachen wie "heute Abend" sind in der Tat unsinnig und keineswegs nur unter orthographischem Aspekt zu betrachten: Vor allem handelt es sich hier um einen Grammatikfehler, weil die Präposition fehlt. Gestern "im Morgengrauen", heute "zur Mittagszeit", also auch heute "am Abend" (neben "heute abend"). "Heute Abend" entspricht dem neuerdings zu hörenden ungrammatischen Gestammel von der Sorte "ich gehe Schule" und sollte deshalb als Grammatikfehler gewertet werden. Wenn wir nur Deutschlehrer hätten, die sich mehr als Sprachwissenschaftler und weniger als rückgratlose Mitläufer verstehen …
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 14.11.2006 um 11.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=706#6719

In Texten der Erstausgaben von Fontane kommt "heute Abend" sehr oft vor. Ebenso auch "Recht haben". Aber ab dem Ende der 1880er Jahre (ca.) ändert sich das sukzessive, und in späten Romanen kommt nur noch "heute abend" und "recht haben" vor.
Jetzt ist das aber alles schon über hundert Jahre her... Ich kann es immer wieder aufs neue nicht begreifen, daß man solch einen Anachronismus, der darüber hinaus auch noch grammatisch – gelinde gesprochen – nicht auf der Höhe ist, unbedingt in Schülerhirne prügeln will.

Erst neulich hatte das ein Nachhilfeschüler von mir (9. Klasse, Hauptschule) für eine Arbeit zu lernen. Gerade für die Wenigschreiber wäre doch die Regel "Zeitangaben immer klein" viel leichter zu lernen. Aber nein: es gibt da dann extra Aufgaben, mit denen zwei verschiedene Arten der Zeitangaben geübt werden sollen: nämlich einmal die kleingeschriebenen und dann die "klein- und großgeschriebenen". Also: gestern, heute, morgen genauso mittags, morgens usw., und dann kommen die "Wortgruppen" (was ist das eigentlich?) heute Abend, gestern Mittag usw.
Der arme Knabe kommt da ganz durcheinander! Ohne Reform wäre es wirklich einfacher, jemanden in Deutsch aufzupeppeln...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.09.2009 um 08.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=706#14966

In einem Beitrag "Privatschule für alle" berichtete die Zeitung vorgestern, daß z. B. von den Gymnasiasten schon jeder neunte eine Privatschule besucht. Immer mehr private Schulen werden gegründet, obwohl der Staat es nach Kräften behindert. Nimmt man die Nachhilfe-Industrie hinzu, ist das Schulwesen noch weitgehender privatisiert, als es offiziell erscheint. Wie der Staat auf diese "Abstimmung mit den Füßen" zu reagieren gedenkt, ist nicht erkennbar. Er steckt seine Energie lieber in Rechtschreibreformen ...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.01.2010 um 17.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=706#15655

Auf der ersten Seite der Süddeutschen Zeitung wird über das Milliardengeschäft mit der Nachhilfe berichtet. Natürlich ist das ein Beleg für das Versagen der staatlichen Schulen. Die GEW, die schon hinter der Rechtschreibreform stand (und die dümmsten Kommentare dazu lieferte), möchte auch die privaten Nachhilfeinstitute unter die Aufsicht des Staates stellen. Das würde ihr auch dort den Einfluß sichern, den sie jetzt nicht hat. Die Bertelsmannstiftung, die das Nachhilfewesen dokumentiert hat, stellt fest, daß es kaum Untersuchungen über dessen Qualität gibt. Wozu auch? Die Kunden wissen recht gut, welche Institute und Lehrer Erfolge haben und welche nicht, das regelt sich von selbst und braucht nicht zum Forschungsgegenstand unterbeschäftigter Bildungssoziologen und Pädagogikprofessoren gemacht zu werden.

Übrigens bringen die Schulbuchverlage (z. B. Buchner mit Duden/Paetec) neben den Schulbüchern auch gleich die Lernhilfen heraus, in denen der Stoff besser und klarer dargestellt ist als in den ministeriell zugelassenen Werken. Das ist dieselbe Entwicklung wie schon seit Jahrzehnten bei den Repetitorien im Jurastudium. Bald wird niemand mehr ohne Nachhilfe durch die Schule kommen. Meine Töchter geben auch Nachhilfe, und zwar an gute Schüler, genau wie in der Zeitung beschrieben.

Wahrscheinlich wird auch diesmal das Schlechte durchgesetzt: Der Staat und die GEW beaufsichtigen die Nachhilfeinstitute, und die Bildungssoziologen erforschen das Ganze ...
 
 

Kommentar von Badische Zeitung, 29. Januar 2010, verfaßt am 29.01.2010 um 14.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=706#15656

Gute Noten sind teuer

STUTTGART (lsw). Für den Schulerfolg ihrer Kinder greifen die Eltern im Südwesten besonders tief in die Tasche. Mit 131 Euro pro Schüler und Jahr liegt Baden-Württemberg in einer Studie der Gütersloher Bertelsmann Stiftung zusammen mit Hamburg auf Platz eins aller Bundesländer. Der Durchschnitt in ganz Deutschland liegt bei 108 Euro. Die private Nachhilfe beginnt wegen der Einteilung für weiterführende Schulen in Baden-Württemberg sehr früh: Fast jeder fünfte Viertklässler bekommt bezahlte Deutsch-Nachhilfe, jeder sechste erhält Zusatzunterricht in Mathematik. Die Autoren der Studie, Klaus und Annemarie Klemm, schätzen, dass 180 000 der 1,2 Millionen Schüler im Südwesten Nachhilfe bekommen und dafür zwischen 161 Millionen und 250 Millionen Euro ausgegeben werden. Diese Bandbreite ergebe sich aus der schwierigen Datenlage, heißt es in der Studie. Bei der Höchstschätzung ergeben sich sogar 204 Euro Nachhilfeausgaben pro Schüler und Jahr in Baden-Württemberg.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.01.2010 um 15.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=706#15657

Die "204 Euro Nachhilfeausgaben pro Schüler und Jahr in Baden-Württemberg" beziehen sich allerdings auf alle Schüler. Bei 180 000 von 1,2 Millionen Schülern und der o.g. Bandbreite geben betroffene Eltern in BW etwa 900 bis 1400 Euro pro Nachhilfeschüler und Jahr aus.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.02.2010 um 10.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=706#15685

Der Mannheimer Morgen brachte am 29.1.2010 entsprechende Zahlen für den gesamten Bund: 942 bis 1500 Mio. Euro für 1,1 Mio. Nachhilfeschüler (etwa jeder achte Schüler bzw. 12,2%).
Das ergibt im bundesweiten Durchschnitt ziemlich genau die gleichen Kosten pro Nachhilfeschüler wie für BW, nur daß deren Anteil an allen Schülern in BW mit 15% deutlich höher ist.
 
 

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