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27.10.2006
Die Schweiz unter Sitta
Eine neue Ausarbeitung der Erziehungsdirektorenkonferenz
Aufgrund langjähriger guter Beziehungen hat sich die EDK den Standpunkt der Sitta-Schule zu eigen gemacht.
Die Schweizer Mitglieder des Rechtschreibrates um Horst Sitta haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie den Rat und seine Revisionsbemühungen für überflüssig halten und am liebsten die ursprüngliche Reform von 1996 unverändert durchsetzen würden. Diese grundsätzlich ablehnende Haltung findet sich auch in der neuen Ausarbeitung der Erziehungsdirektorenkonferenz, mit der die Schweizer Lehrer zu einem äußerst restriktiven Umgang mit der Revision angehalten werden sollen. Das geht bis zu Empfehlungen, sich über die amtliche Regelung hinwegzusetzen. Die folgenden Anmerkungen greifen nur einige besonders bemerkenswerte Stellen der Handreichung heraus.
Thomas Lindauer, Afra Sturm, Claudia Schmellentin: Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung. Aktualisierte und erweiterte Auflage 2006, hg. von der EDK. (Download: http://www.edk.ch/PDF_Downloads/Dossiers/Rechtschreibung.pdf)
(Der Text der Handreichung folgt weitgehend der Vorlage von Gallmann und Sitta 2006 [siehe hier], auf die im Literaturverzeichnis auch hingewiesen wird. Die Angabe der Autorschaft von Lindauer u. a. ist kaum ernst zu nehmen.)
„Seit dem 1. August 2005 sind die neuen Regeln verbindliche Grundlage für Schule und öffentliche Verwaltung. Von dieser Verbindlich-Erklärung wurden am 1. August 2005 die Bereiche B (Getrennt- und Zusammenschreibung), E (Zeichensetzung), F (Worttrennung
am Zeilenende) ausgenommen, weil der Rat für deutsche Rechtschreibung für diese Bereiche Änderungen in Aussicht gestellt hatte.“
In Wirklichkeit hatte die KMK die Erwartung geäußert, zu diesen Bereichen werde es Änderungen geben. Der Rat selbst hat sich eine solche Themenbeschränkung zunächst nicht auferlegt, der Vorsitzende hatte im Gegenteil die Unabhängigkeit des Rates von solchen Vorgaben beteuert.
„Das amtliche Regelwerk ist als Grundlage für die Rechtschreibung innerhalb derjenigen Einrichtungen gedacht, für die der Staat Regelungsgewalt beansprucht. Im Prinzip sind das die Schule und die staatliche Verwaltung.“
Eine begrüßenswert offene Aussage: Der Staat beansprucht zwar die Regelungsgewalt, es bleibt aber offen, ob er sie auch besitzt. Der Ausdruck Regelungsgewalt (aus der Vorlage von Gallmann/Sitta übernommen) kam nur in der von beiden Autoren mitverfaßten Dudenbroschüre von 1996 vor, sonst wurde er durch Regelungskompetenz ersetzt.
Die Handreichung kommt wieder und wieder zu dem Ergebnis, daß die revidierte Reform gerade dort, wo sie Erleichterung schaffen sollte, weder lehr- noch lernbar ist.
„Die Neufassung der Getrennt- und Zusammenschreibung bereitet der Schule wie angedeutet gewisse Probleme. Die vom «Rat» 2006 ausgearbeiteten Festlegungen orientieren sich im Gegensatz zum Regelwerk 1996/2004 nicht mehr vor allem an formal
operationalisierbaren Regeln, sondern vermehrt am sogenannt Prototypischen. So werden in mehreren Fällen klare Anweisungen ersetzt durch Hinweise auf prototypische Fälle.
Dies illustriert das folgende Beispiel:
Klare Handlungsanweisung: «Partikeln, die auf ‹-einander› oder ‹-wärts› enden, werden getrennt von einem folgenden Verb geschrieben.»
Prototypischer Schreibhinweis: «Bei Zusammensetzungen liegt der Hauptakzent normalerweise auf der Verbpartikel […], während bei Wortgruppen das selbständige Adverb auch unbetont sein kann […]. Wenn das Betonungskriterium nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führt, hilft in manchen Fällen eine der folgenden Proben weiter: […]» (Amtl. Regelwerk § 34, 1.2).
Formulierungen wie «normalerweise» und «in manchen Fällen» sind für den schulischen Gebrauch wenig dienlich. Entsprechend sind die neuen Regeln im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung zum Teil in der Volksschule weder lehr- noch lernbar. Durch den Versuch, die Getrennt- und Zusammenschreibung vor allem mithilfe von Prototypen zu gestalten, kommt es zu einer höheren Varianz bei den Schreibungen: So können neu gewisse Verben sowohl getrennt als auch zusammengeschrieben werden. Auch solche
neuen Varianten erschweren in der Volksschule die Arbeit mit der Rechtschreibung.“
Die Handreichung bleibt nach Möglichkeit bei den Regeln von 1996, soweit dies im Rahmen der Revision möglich ist. Zum Beispiel soll für kennenlernen, sitzenbleiben, fallenlassen, obwohl wieder zusammengeschrieben werden darf, in der Schweiz nur die Getrenntschreibung unterrichtet werden, weil diese Regelung "einfacher" ist. Die Arbeit des Rechtschreibrates wird bewußt ignoriert: „Die Fassung des Regelwerks von 2006 erlaubt zwar bei einzelnen Verbindungen auch die Zusammenschreibung, sofern sie im übertragenen Sinn gebraucht sind. Im Sinne einer regelorientierten Variantenführung soll in der Volksschule sowie auf Gymnasialstufe
nur die Getrenntschreibung vermittelt werden, da die Getrenntschreibung ja
immer korrekt ist, während die Zusammenschreibung nur in ganz bestimmten Fällen erlaubt ist.“
„Im Zuge der Neuregelung durch den «Rat für deutsche Rechtschreibung» ist in diesem Bereich jedoch wieder eine grössere Vielfalt an Varianten festzustellen, wobei zum Teil auch Bedeutungsdifferenzierungen mithilfe der Getrennt- und Zusammenschreibung zum Ausdruck gebracht werden können – aber nicht immer müssen. In einigen Bereichen ist also durch diese Neufassung eine derart komplexe Situation entstanden, dass die davon
betroffenen Regelbereiche (Verbindung aus Adjektiv/Partizip und Verb, Partikel und Verb, Nomen und Partizip) nicht mehr in der Volksschule vermittelbar sind. Es wurde zwar vom
«Rat» versucht, mithilfe von «Proben» den Schreibern und Schreiberinnen Hilfen anzubieten, doch zeigt es sich, dass die meisten dieser «Proben», in erster Linie die Betonungsprobe, nicht operationalisierbar bzw. vermittelbar sind. Angesichts dieser komplexen Situation und des doch eher peripheren Status der betroffenen Bereiche muss
man für die Volksschule die Schreibung in diesem Bereich freigeben. Das heisst: Diese Bereiche sollen nicht unterrichtet werden. Entsprechend können sie bei der Korrektur ausgeblendet werden. Häufige Fälle können als Lernwörter fallweise
vorgegeben werden. Generell kann man die Faustregel vermitteln: Schreibe eher getrennt als zusammen.“
Die Handreichungen empfehlen gegebenenfalls aber auch ein klares Abweichen von den amtlichen Regeln:
„Generell sollen die Regel «Nomen und Verb werden immer getrennt geschrieben» und die wenigen
Ausnahmen vermittelt und angewendet werden. Bei den vier Einzelfällen soll man Toleranz walten lassen, da ein Unterschied wie bei nottun und Not leiden kaum vermittelbar ist. Ähnliches gilt für Bankrott machen (Bankrott = Nomen) vs. bankrottgehen (bankrott = Adjektiv) und Pleite machen vs. pleitegehen: Hier empfehlen wir, auch Bankrott gehen und Pleite gehen zu tolerieren.“
(Bankrott gehen und Pleite gehen sind bekanntlich grammatisch falsch. Vor der Reform ist niemand auf den Gedanken gekommen, solche Adjektive groß zu schreiben. Jedenfalls fordern Sitta und seine Schüler nun im Namen der EDK die Schweizer Lehrer dazu auf, gegen die amtlichen Vorschriften zu verstoßen.)
Zu Verbindungen aus Adjektiv und Verb empfiehlt die EDK:
„Da dieser Teilbereich so in der Volksschule nicht vermittelbar ist und es sich zudem um einen für die Volksschule wenig relevanten Bereich handelt, gilt hier die Freigabe der
Schreibung. Am besten hält man sich dabei an die schwache Faustregel: «Adjektiv und Verb schreibt man möglichst getrennt.»
Häufig gebrauchte Verbindungen wie zum Beispiel grossschreiben, schwarzfahren oder
wahrsagen sollen als Lernwörter behandelt werden. Auf Sekundarstufe I kann man auch die Faustregel vermitteln: «Adjektive auf -isch und -lich werden von einem folgenden Verb getrennt geschrieben.» Gegebenenfalls kann zusätzlich die Probe der Steigerbarkeit bzw. Erweiterbarkeit eingesetzt werden: «Kann das Adjektiv gesteigert oder erweitert werden, ist die Getrenntschreibung vorzuziehen.» In oberen Klassen des Gymnasiums kann dieser Bereich Gegenstand der Reflexion sein.“
Die Verfasser setzen sich also bewußt und provokativ über die Tatsache hinweg, daß der Rechtschreibrat die ig/isch/lich-Regel aufgehoben hat; sie soll an den Schweizer Schulen weiterhin unterrichtet werden.
Auch bei den Partikelverben kommt die EDK zu einem vernichtenden Urteil über die Revision und empfiehlt die weitgehende Freigabe für die Schule. Dasselbe gilt für Verbindungen wie Aufsehen erregend, Fleisch fressend usw. Dabei waren gerade hier zwingende grammatische Gründe das Motiv der Revision.
Zur Schreibung der Tageszeiten:
„Bei einem Einzelfall lässt das neue Regelwerk sowohl Klein- als auch Grossschreibung zu: gestern früh oder gestern Früh.“
Das ist ein Irrtum. Das Regelwerk läßt sinnvollerweise nur Kleinschreibung zu; mit der Großschreibung sympathisierte die Zwischenstaatliche Kommission eine Zeitlang.
Bei adverbialen Wendungen wie seit langem/Langem soll nur die erst jüngst eingeführte Gallmannsche Großschreibung vermittelt werden, bei den zahllosen und geradezu stürmisch zunehmenden Nominationsstereotypen wie das schwarze/Schwarze Brett nur die Kleinschreibung. So auch Gallmann/Sitta 2006: "Wir empfehlen hier mit Nachdruck die Kleinschreibung nach der Grundregel." Die Schweizer Schüler werden damit gegen die allgemein verbreiteten Schreibweisen und damit gegen die erwachsene Sprachgemeinschaft erzogen.
Die Briefanrede du sollen Schweizer Schüler stets klein schreiben. Den bemerkenswerten ideologischen Hintergrund liefern Gallmann und Sitta 2006: „Das Regelwerk in der Fassung von 2006 lässt die Großschreibung von du und ihr in Briefen (nur in Briefen!) als Variante zu. Wir empfehlen, die Großschreibung höchstens in Briefen an ältere Personen zu verwenden, die sich nicht recht an die neuen Schreibungen gewöhnen können.“
Was die geistigen Väter dieser Handreichung betrifft, so ist noch folgende Geschichtsklitterung bemerkenswert:
„Bis zum Ende des Schuljahres 2004/05 sollten Schreibungen nach den alten Normen aber noch toleriert werden; es bestand also eine siebenjährige Übergangszeit. In der Zwischenzeit entfaltete sich allerdings einige Kritik am neuen Regelwerk, ausgehend von Journalisten des Feuilletons und einigen älteren Schriftstellern (kaum Schriftstellerinnen), aber auch einigen Linguisten. Die zuständigen Behörden der deutschsprachigen Staaten haben darum die Übergangsfrist etwas gestreckt und außerdem einen neuen "Rat für die deutsche Rechtschreibung" ins Leben gerufen, der auf Basis des Regelwerks von 2004, einer nur leicht veränderten Version der Regelung von 1996, eine revidierte Fassung des Regelwerks ausgearbeitet hat.“
(www.personal.uni-jena.de/~x1gape/Neuregel.htm)
War da nicht noch etwas? Die beiden Autoren haben sieben Jahre lang in der Zwischenstaatlichen Kommission gesessen, die auch hier – wie den jüngsten Verlautbarungen von Rechtschreibrat und KMK – mit Stillschweigen übergangen wird. Außerdem war die Revision von 2004, die Gallmann und Sitta mitgetragen haben, keineswegs eine "nur leicht veränderte Verson der Regelung von 1996", sondern warf besonders im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung bereits alle Grundsätze von 1996 über Bord (Einführung von Betonung und Bedeutung als Kriterien für Verbzusätze, Öffnung von Listen, Kappung des Zusammenhangs von Partizip und Infinitiv, Aufhebung der ig/isch/lich-Sonderregel u. a.).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.02.2016 um 09.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#31769
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„In der Schweiz, wo man sich besonders eifrig um geschlechtergerechte Sprache bemüht, werden für weibliche Vormunde die Formen Vormundin oder Vormündin empfohlen.“ (Wikipedia "Vormund")
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 02.07.2009 um 07.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#14716
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Lieber Herr Höher,
und nun zu den "trennbaren" Verben:
Ich will mich zu Drach nicht näher äußern, weil ich seine "Grundgedanken" nicht kenne. Ich halte es aber für sehr einleuchtend, daß die sogenannten "trennbaren" oder "unfesten" Verben in einem engen Zusammenhang mit den Regeln des deutschen Satzbaus stehen, denn diese Regeln sorgen ja dafür, daß es zu Kontaktstellungen kommt, die die Zusammenschreibung erst ermöglichen.
Ich halte auch den Begriff des "Verbzusatzes" für sehr nützlich und für einen Fortschritt gegenüber den herkömmlichen Darstellungen.
Zweifelhaft erscheint mir allerdings, ob es sinnvoll ist, zwischen "echten" und "unechten" Zusammensetzungen zu unterscheiden. Das würde einen Begriff von "Zusammensetzung" voraussetzen, der um nicht tautologisch zu sein, von der Getrennt- und Zusammenschreibung unabhängig sein müßte. Ich habe nicht den Eindruck, daß in der Fachwelt Einvernehmen über einen solchen Begriff besteht.
Wenn man "trennbare Zusammensetzung" nicht mag, könnte man ja auch von trennbaren und untrennbaren "Fügungen" sprechen. Ich sehe aber nicht, was das an der Sache ändern würde.
Um meine Haltung noch weiter zu verdeutlichen, möchte ich eine Frage aus Ihrem früheren Beitrag zitieren: "Warum gehen ... bestimmte Kontaktstellungen in einer Univerbierung auf – die dann natürlich eine Schreibkonvention ist –, andere jedoch nicht."
Das ist eben die orthographische Frage, um die es hier geht. Weder die Drachsche Satzbaulehre noch der Begriff des "Verbzusatzes" können (bisher) diese Frage beantworten, jedenfalls soviel ich weiß. Bislang ist es wohl niemendem gelungen, dies Frage halbwegs befriedigend zu lösen, den Reformern zu allerletzt. Auch der alte Duden hat hier letztlich nur lexikalisch, in den einzelnen Einträge, vorgehen können.
Ich glaube weiterhin nicht, daß sich die Reformer von einer "sprachgeschichtlichen Betrachtung" haben leiten lassen. Vielmehr haben sie sich ja bewußt über die geschichtliche Entwicklung hinweggesetzt. Wenn sie die "echten Zusammensetzungen ... beibehielten", so wohl einfach deshalb, weil diese kein nennenswertes orthographisches Problem darstellen.
Noch eine terminologische Frage: Ich hatte den Begriff "Univerbierung" bisher im Sinne "echter" Zusammensetzung verstanden. Sie scheinen ihn im obigen Zitat aber Sinne bloßer Zusammenschreibung zu verwenden.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 29.06.2009 um 10.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#14702
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Es gibt auch noch die Präpositions-Präfix-Verben. Nach Herrn Höher sind die Präpositionspräfixverben, bei denen die Betonung auf dem Verbstamm verbleibt, zuerst dagewesen und haben die Beugung des Stammverbs beibehalten: umfáhren, er umf´ährt, umfúhr, hat umfáhren; untergráben, er untergr´äbt, untergrúb, hat untergráben; übersétzen, er übersétzt, übersétzte, hat übersétzt, usw. Wenn sich aber die Betonung auf das Präpositionspräfix verschiebt, entstand danach ein zusätzliches ganz neues Verb: úmfahren, er fährt um, fuhr um, hat úmgefahren; úntergraben, er gräbt unter, grub unter, hat úntergegraben; ´übersetzen, er setzt über, sezte über, hat ´übergesetzt; usw. Weil die Schrift die Betonung nicht abbildet, sehen die Infinitiv-Formen scheinbar gleich aus, aber weil sie beim Sprechen verschieden betont werden, sind es nicht die gleichen Infinitive. Die mehreren Präpositions-Präfix-Verben gibt es nur in der Form mit der Betonung auf der Präposition und haben deswegen die dadurch verursachte Beugung. Nur aus der Schriftsprache kann man also nicht Deutsch lernen.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 29.06.2009 um 09.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#14700
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Lieber Herr Höher,
natürlich streiten wir nicht, wir diskutieren, und das ist auch gut so. Ich bin Ihnenja auch dankbar, daß Sie sich darauf einlassen. Vertiefte Dikussionen über sprachliche Gegenstände sind in in diesem Forum leider eher selten geworden. Aber vielleicht ist darüber ja schon alles gesagt ...
Zunächst zu den Etymologien. Ich weiß immer noch nicht recht, ob ich Sie richtig verstehe. Was verstehen Sie unter "echten", "nachweisbar falschen" und "erfundenen" Etymologien? Meinen Sie mit "echten" die historischen Etymologien? Sie wollen doch wohl nicht einer historischen Orthographie das Wort reden?
Augst behauptet ja nicht, daß "verbleuen" historisch von "blau" abgeleitet sei. Er meint aber wohl, daß heutige Deutsche hier einen Zusammenhang empfänden. Wenn es tatsächlich so wäre, daß die meisten Deutschen bei "verbleuen" unwillkürlich an blaue Flecken dächten, so wäre die Schreibung "verbläuen" ja durchaus plausibel. Ob man dehalb die althergebrachte Schreibung ändern sollte, ist natürlich eine ganz andere Frage. Die Beantwortung dieser Frage hängt m.E. davon ab, ob hier ein wirkliches Rechtschreibproblem vorliegt. Wenn es tatsächlich so wäre, daß die ehemals "falsche" Schreibung "verbläuen" früher häufig aufgetreten wäre, und wenn die meisten Deutschen intuitiv "verbläuen" geschrieben hätten, wenn ein Blick in den alten Duden sie nicht davon abgehalten hätte, dann würde ich auch die Schreibung "verbläuen" befürworten, "echte" Etymologie hin oder her. Ein einigermaßen verläßlicher empirischer Nachweis, daß die Dinge so liegen, wäre aber schon früher sehr schwierig gewesen, und Augst hat eines solchen Nachweis m.W. auch nicht erbracht. Jetzt, nach der RSR, wäre ein solcher Nachweis ganz unmöglich.
Zusammengefaßt geht es mir nur um folgendes: Ich halte es nicht für zweckmäßig, den Augstschen "Volksetymologien" mit dem Hinweis auf die "echten", historischen Etymologien entgegenzutreten("verbleuen" stammt nicht von "blau", "Quentchen" nicht von "Quant" ab). Ein solches Argument wäre nur vom Standpunkt einer historischen Orthographie aus schlüssig, und wir würden uns dadurch dem Vorwurf des Sprachpurismus aussetzen. M.E. sollten wir vielmehr darauf abstellen, daß die meisten Augstschen "Volksetymologien" teils nicht ausreichend begründet oder unbegründet sind, teils dem heutigen Sprachempfinden völlig widersprechen (Stengel, behende). Hinzu kommt natürlich die völlig unsystematische, ja willkürliche Umsetzung der Augstschen Vorstellungen in der RSR.
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 28.06.2009 um 16.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#14699
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Lieber Herr Achenbach,
warum geraten eigentlich wir beide immer mal wieder streitend aneinander? Aber diese Frage ist bitte nur rhetorisch zu verstehen, ebenso wie ich das Verb „streiten“ hier im positiven Sinne des Wortes auffasse.
Ich folge in vielem Drach, ohne das jetzt im einzelnen mit sehr vielen Zitaten aus seinen „Grundgedanken der deutschen Satzlehre“ belegen zu können. Daher in gebotener Kürze nur folgendes: Es gibt Zusammensetzungen (also zusammengesetzte Verben, die man analog zu den Komposita sehen muß, mit er-, ver-, zer-, ge-, über- unter-; vgl. Drach Nr. 123, S. 59), die Drach „echte Zusammensetzungen“ nennt. Daneben gibt es noch Zusammenschreibungen, die Drach „verbale Gefüge mit Klammerfähigkeit“ (Nr. 122, S. 59 und ausführlicher Nr. 116–122, der historische Überblich mit Hinweis auf Adelung in Nr. 118, S. 56) nennt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts bildete sich bei vielen „verb-nahen“ (ebd., S. 57) Adverbien die Zusammenschreibung aus, die jedoch – wie Drach hervorhebt – durchaus nicht „folgerichtig durchgeführt wurde“ (ebd.). Ich würde jedoch nicht so weit gehen, diese Unterscheidungen als „Unsinn“ (ebd.) zu bezeichnen. Immerhin sehe ich wie er hier ein Problem der Rechtschreibung, und somit der Schreibkonvention, und nicht der Wortbildung, und damit der Grammatik. Und genau deshalb ist es wichtig, die historische Wortbildung im Auge zu behalten, um genau diese erst später gebildeten Zusammenschreibungen von den tatsächlichen Zusammensetzungen unterscheiden zu können. Da es jedoch nur Zusammensetzungen gibt, ist es falsch diese „untrennbar“ zu nennen. Drach bringt es auf den Punkt: „Es ist überflüssig, die echten Zusammensetzungen als „untrennbar“ zu benennen. Komposita sind immer untrennbar; sonst sind sie keine.“ Wenn es keine „untrennbaren Verben“ gibt, kann es folglich auch keine „trennbaren“ geben. Ich denke, das ist nun kein bloßer Kampf um Worte, sondern vielmehr eine Präzisierung des Problems.
Zu den Zusammenschreibungen der „verbalen Gefüge“ schreibt Drach übrigens noch (Sperrung im Original hier kursiv, Antiqua erscheint hier fett): „Verbale Gefüge bestehen aus einem einfachen oder zusammengesetzten Verb und einem gewohnheitsmäßig beigefügten Adverb. Sie sind, wie alle Gefüge, wesenhaft zweiteilig. Doch hat sich die Rechtschreibgewohnheit eingebürgert, wenn die Partner benachbart stehen, sie als ein Wort zu schreiben. Der verbale Partner bildet sein Partizip Perfekt sowie den Infinitiv völlig regelmäßig […].
Aufzählen, emporheben, übersetzen, und all die zahllosen anderen „trennbaren Verben“ sind im Wörterbuch nicht unter a, e und ü, sondern unter zählen, heben, setzen einzuordnen. Ihre Betrachtung gehört nicht der Formenlehre an, sondern der Satzlehre.
Hat man einmal erkannt, daß die Schwierigkeit bei ihnen weder im Wortkörper noch in der Funktion liegt, sondern ausschließlich in der Rechtschreibung der Nachbarformen, so ordnen sie sich der Formen- wie der Satzlehre völlig mühelos ein. Sie bilden ein für den deutschen Denkaufbau sehr kennzeichnendes, vielverwendbares Ausdrucksmittel.“ (Nr. 124, S. 60)
Und hierbei haben die Reformer angefangen, sich von der sprachgeschichtlichen Betrachtung der echten Zusammensetzungen leiten zu lassen, indem sie diese beibehielten. Leider haben sie jedoch die inzwischen ebenfalls historisch gewordene Rechtschreibgewohnheit der Univerbierung ignoriert. Dadurch haben sie die deutsche Sprache dieses sehr kennzeichnenden, viel verwendbaren Ausdrucksmittels beraubt, das wir hier gerne bedeutungsdifferenzierende Schreibung nennen.
Noch ganz kurz zu den Augstschen „Volksetymologien“, bei denen wir prinzipiell einer Meinung sind, uns jedoch wohl mißverstanden haben. Natürlich waren unter den vielen Märchen (wie ich es böse nannte) auch einige echte Etymologien, aber wiederum war das Problem die über 90jährige Rechtschreibgewohnheit. Dazu kamen so viele nachweisbar falsche, oder erfundene Etymologien (Etymogeleien), die das ganze Unternehmen schließlich der Lächerlichkeit preisgaben. Umso mehr, je brachialer dieser Blödsinn durchgeprügelt wurde.
(Übrigens wissen wir hoffentlich beide, daß das Thema hier die Schweiz unter Sitta ist, weshalb wir mit unserer Verschiebung rechnen müssen. Zumal es bereits einen Strang zu den Verbzusätzen gibt, in dem wir beide uns auch schon mal tummelten.)
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 28.06.2009 um 07.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#14698
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Lieber Herr Höher,
ich glaube nicht, daß "es darum geht, wie diese Zusammenschreibungen entstanden sind". Das mag nützlich sein, ja zu vertieften Einsichten führen, aber zunächst geht es darum zu verstehen, warum so geschrieben wird, wie eben geschrieben wird. Historische Betrachtungen mögen dabei helfen oder auch nicht.
Ich glaube auch nicht, daß sich die Reformer von einer "sprachgeschichtlichen Betrachtung" haben leiten lassen. Ganz im Gegenteil, Augst wollte ja gerade die diachronische (historische) Etymologie durch eine synchronische Volksetymologie ersetzen. Das ist ja zunächst kein absurder Gedanke, aber an der Durchführung hat es gehapert, weil die Augstsche Volksetymologie weitgehend spekulativ und ohne ausreichende empirische Basis ist.
Die Neuschreibung "Stängel" ist ja nicht deshalb verfehlt, weil sie historisch falsch wäre, ganz im Gegenteil. Sie ist deshalb verfehlt, weil heute kaum jemand bei dem Wort "Stengel" an eine kleine Stange denkt.
Es bleibt die Frage, welche Bedeutung es für die Rechtschreibung hat, ob ich etwas als Zusammensetzung oder als bloße Zusammenschreibung auffasse. Welche operativen Folgerungen ergeben sich daraus? Solange das nicht klar ist, bleibt das ganze ein Theorienstreit.
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 27.06.2009 um 11.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#14696
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Das ist insofern mehr als ein Streit um Worte, als es darum geht, wie diese Zusammenschreibungen entstanden sind. Bei der Wortbildung ist es schon wichtig zu wissen, ob etwa ein Verb, das aus mehreren Teilen besteht, auch so entstanden ist, oder ob im Laufe der Zeit erst ein Verb in Kontaktstellung zu einer Präposition eine Einheit gebildet hat. Warum gehen (durch die RSR müssen wir richtiger sagen "gingen") bestimmte Kontaktstellungen in einer Univerbierung auf – die dann natürlich eine Schreibkonvention ist –, andere jedoch nicht.
Gerade auch im Gefolge der menschheitsbeglückenden Rechtschreibreformen ist es wichtig zu wissen, was genau aus was hervorgegangen ist. Denken Sie daran, lieber Herr Achenbach, sonst kommt womöglich wieder ein Augst daher und erklärt uns die Welt aus seiner Sicht.
Sprachgeschichtlich war mit Sicherheit einiges, was die Deformer bei der Getrennt- und Zusammenschreibung als Zwangsauseinanderschreibung vorgeschrieben haben, korrekt oder zumindest nachvollziehbar. Aber leider geschah es ähnlich wie bei den Eindeutschungen wieder nur nach dem Lotterieprinzip, und zudem haben sie bei ihrer sprachgeschichtlichen Betrachtung nur den Aspekt der Herkunft betrachtet. Nicht jedoch die nachfolgende sprachgeschichtliche Entwicklung genügend berücksichtigt. Wir mögen vielleicht nicht mehr in allen Fällen im einzelnen nachweisen können, warum eine Zusammenschreibung entstanden ist, aber wir haben zunächst die Tatsache derselben zu akzeptieren. Einfach zu sagen, daß eine Zusammenschreibung aus einem bestimmten Verb und einem ebenfalls bestimmbaren Zusatz entstanden ist und daß man ab sofort wieder diese Einheiten in der Getrenntschreibung glasklar erkennen muß, ignoriert gerade die Lebendigkeit einer Sprache.
Und insgesamt ist es in meinem Falle vor allem diese ungesunde Mischung, die mich die Mißgeburt Rechtschreibreform nicht akzeptieren läßt: hier ein paar richtige sprachgeschichtliche Ansätze, dort Rückfälle ins tiefste 19. Jahrhundert (Heyse, Wüstersche Großschreibung, wobei in beiden Fällen die zwingenden Gründe nicht vorhanden sind), dann wieder Auflösung von grammatischen Strukturen in der Interpunktion (bzw. nicht mehr erkennbaren Interpunktion) und schließlich Onkel Gerhards Märchenstunde vom erfundenen Laien und seinen Ansichten nebst Eindeutschungen, wie sie vielleicht Klein-Susi einleuchten mögen, wenn sie niemals älter als vier Jahre wird.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 27.06.2009 um 07.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#14695
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Noch zu den Verbzusätzen:
Welchen Unterschied macht es denn, ob man in diesem Zusammenhang von "trennbaren Verben" oder von bloßen "Zusammenschreibungen" spricht? Inwiefern ist das mehr als ein Streit um Worte?
Und inwiefern hat die zunehmende Zusammenschreibung bei Verbzusätzen zu dem Drachschen "Gespenst" der trennbaren Verben "geführt"? Solche trennbaren Verben gibt es doch schon seit Jahrhunderten. Das Drachsche Gespenst gab es also so oder so, auch ohne die Tendenz zur Vermehrung dieser Verben.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 26.06.2009 um 08.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#14689
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Merkwürdig erscheint mir doch die Formulierung Gallmanns "wenn die Wörterbücher unter alleiniger Berufung auf § 34 (2.2) nur Zusammenschreibung vorsehen".
Wieso alleinig? Welche andere Berufungsgrundlage könnten die Wörterbücher denn wohl haben? 2.2 ist die einzige Regel in §34(2), die nur die Zusammenschreibung vorschreibt. Regeln 2.1 und E5 lassen die Getrenntschreibung zu, Regel 2.3 schließt die Zusammenschreibung aus.
Denkt er vielleicht an die in den Abschlußbericht des Rates hineingeschmuggelte Ausnahmeregel zu den Verbzusätzen fest, voll und tot? Diese ist aber kein Bestandteil der amtlichen Regeln und hat außerdem mit Regel 2.2 nichts zu tun, sondern ist eine Ausnahme zu Regel 2.1.
Mithin betreibt Gallmann doch nichts anderes als die schlichte Abschaffung der Regel 2.2.
Der Begriff "Variantenführung" ist sehr entlarvend. An sich ist die Tolerierung von "Fehlern" ja keine Variantenführung. Gallmann geht es offenkundig nicht wirklich um die Fehlertolerierung, sondern um die weitere Förderung der Getrenntschreibung - ganz im Geiste der Reform von 1996.
Und wieso "regelgeleitet"? Die Außerkraftsetzung der amtlichen Regel 2.2 ist doch wohl das absolute Gegenteil von "regelgeleitet".
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.06.2009 um 04.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#14687
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Nichts Besonderes, nur die alte Geschichte, daß vor allem bei den Verbzusätzen die Zusammenschreibung mächtig um sich gegriffen und zu dem "Gespenst" (Drach) der trennbaren Verben geführt hat. Auch sonst klaffen graphische und grammatische "Univerbierung" auseinander (ein und derselbe usw.) Es ist wie bei der Substantivgroßschreibug, die im Laufe der Zeit durch textsemantische Gesichtspunkte überbaut worden ist.
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 25.06.2009 um 23.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#14686
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Th. Ickler: "Das ist eben (schon lange nicht mehr) der alleinige Gesichtspunkt der GZS."
Steckt darin nicht ein Widerspruch? Was genau meinen Sie damit?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.06.2009 um 16.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#14668
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Auf die "regelgeleitete Variantenführung" beruft sich Gallmann auch in einem Internettext vom Winter 2008/09:
„Empfehlung für Schulen und Medien
Regelgeleitete Variantenführung:
Getrenntschreibungen, die mit § 34 (2.1), § 34 E5 oder § 34 (2.3) begründet werden können, sind auch dann zu tolerieren, wenn die Wörterbücher unter alleiniger Berufung auf § 34 (2.2) nur Zusammenschreibung vorsehen.
Diese Variantenführung ist in der Schweiz offizielle Schulpolitik.“
Die offizielle Schulpolitik hat sich die Schweiz von Gallmann bzw. Sitta vorgeben lassen, insofern ist dieser Satz selbstreferentiell.
Ursprünglich hatten die Reformer eine "gezielte Variantenführung" bei der Fremdwortschreibung angestrebt, um ihre Eindeutschungsziele gegen den Widerstand der Bevölkerung doch noch durchzusetzen. Das mußten sie aufgeben. Aber die Möglichkeit, über die amtliche Regelung hinaus nicht-beschlossene Zusatzregeln einzuführen, ist nach wie vor verlockend. Die Macht von Sitta und Gallmann in der Schweiz hat diesen Weg geöffnet. Es scheint aber, daß in der SOK eine Gegenmacht erwachsen ist.
Richtig an Gallmanns Artikel ist, daß die Verbzusätze, Objektsprädikative usw. keine Wortbildungserscheinungen sind, also keine zusammengesetzten Verben schaffen. (Das sagen wir mit Drach schon immer, die Reformer haben es aber nicht glauben wollen, weshalb sie auch den Begriff "Verbzusatz" erst nach zehn Jahre langem Zureden in ihr Werk aufgenommen haben.) Falsch ist die weitere Voraussetzung, daß im Deutschen Wörter zusammen- und Wortgruppen getrennt geschrieben werden. Das ist eben (schon lange nicht mehr) der alleinige Gesichtspunkt der GZS.
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Kommentar von Ballistol, verfaßt am 30.10.2006 um 08.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#6577
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"Laut dem BZWW gewinnen die Kursteilnehmer Sicherheit beim Schreiben."
(Eigentlich gewinnt man sowas in der vierten Klasse Grundschule!)
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Kommentar von Thurgauer Zeitung, verfaßt am 27.10.2006 um 20.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#6559
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Neue Rechtschreibung: Die Regeln kennen
Weinfelden - Das Bildungszentrum Wirtschaft Bereich Weiterbildung führt im Berufsbildungszentrum Weinfelden einen Kurs durch, der das Thema «Die neue deutsche Rechtschreibung» aufgreift. Anhand praktischer Beispiele werden den Kursteilnehmern gemäss Mitteilung des BZWW folgende Themen näher gebracht: Die Regeln und die wichtigsten Änderungen der neuen Rechtschreibung und wo bei Zweifelsfällen nachzuschlagen ist. Laut dem BZWW gewinnen die Kursteilnehmer Sicherheit beim Schreiben. Der Kurs findet am Samstag, 4. November, von 08.30 bis 11.45 Uhr statt. Es sind noch letzte Plätze frei. (mgt.)
Auskunft und Beratung: Tel. 071 626 86 10 oder www.wbzw.ch
(Thurgauer Zeitung, 27. Oktober 2006)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2006 um 17.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#6555
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Hier noch ein kurzer Einblick in die laufenden Geschäfte (aus den "PH-Notizen"):
"Die Vorschläge des 'Rates für deutsche Rechtschreibung' vom Februar 2006 sind im Juni 2006 auch von der EDK, der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, angenommen worden. Die Änderungen betreffen folgende Bereiche:
- Getrennt- und Zusammenschreibung: zahlreiche Änderungen
- Gross- und Kleinschreibung: wenige Einzelfälle sowie Liberalisierungen bei attributiven Adjektiven
- Zeichensetzung: nur Komma bei Infinitivgruppen
- Silbentrennung: nur Wiedereinführung des Verbots der Abtrennung einzelner Vokalbuchstaben
Die EDK erteilte Prof. Dr. Thomas Lindauer, Prof. Dr. Claudia Schmellentin und Dr. Afra Sturm vom IFE, Zentrum Lesen ein Mandat, Empfehlungen für die Schweizer Schulen auszuarbeiten, welche die Umsetzung mit den neuen Regeln erläutern und die Verteilung des Rechtschreibstoffs auf die einzelnen Schulstufen vornehmen. Als Beirat zum Mandat fungierten Peter Feller (ilz), Dr. Roman Looser (Gymnasien) und Max Müller (LCH).
Dieses Dossier erscheint im Oktober 2006 und kann bei der EDK bezogen werden: www.edk.ch.
Ebenfalls in enger Beziehung zu diesem Mandat hat Afra Sturm den Schweizer Schülerduden nach didaktischen und sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten erarbeitet: Zum einen wurden bereits die EDK-Empfehlungen umgesetzt, zum andern wurde insbesondere der schweizerische Sprachgebrauch berücksichtigt (Wörterauswahl, Bedeutungen, Besonderheiten in der Schreibweise usw.). Beraten wurde die Arbeit von Prof. Dr. Peter Gallmann (Universität Jena) und Prof. Dr. Thomas Lindauer. Der Schweizer Schülerduden wird von der 'ilz' herausgegeben und erscheint zusammen mit den EDK-Empfehlungen.
Afra Sturm"
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 27.10.2006 um 16.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#6554
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Der Kampf geht also weiter: bisher regelorientierte gegen herkömmliche Rechtschreibung; jetzt regelorientierte gegen herkömmliche Varianten. Bisher Reformer gegen Reformgegner; jetzt Dudenverlag gegen Zehetmair und Rechtschreibrat. Rechtschreibfrieden wie damals Sowjetfrieden: Frieden durch Unterwerfung.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 27.10.2006 um 13.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#6553
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Mir fällt an den zitierten Texten die besondere Vorliebe für das neugeschaffene Wörtchen "mithilfe" auf. Ich empfinde es als überflüssig und gestelzt, da in den allermeisten Fällen einfache Päpositionen wie "mit" oder "durch" vollkommen ausreichen würden.
Stilistisch besonders unschön finde ich die Formulierung "mithilfe von «Proben» den Schreibern und Schreiberinnen Hilfen anzubieten".
Der Duden treibt es aber noch ärger. Auf seiner Internetseite fand ich vor einiger Zeit die Wendung: "Mithilfe der Rechtschreibhilfe...". Nicht nur ist die doppelte Hilfe eine Stilblüte, auch die Großschreibung "Mithilfe" am Satzanfang stellt ein Lesehemmnis dar.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 27.10.2006 um 13.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#6552
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Regelorientierte Variantenführung: Jetzt haben wir einen Begriff für das, was auch schon die Duden-Redaktion ansatzweise betreibt. Aus Sicht der Regelfetischisten hat der Rat keine Regeln formuliert, sondern nur Ausnahmen benannt, die im außerschulischen Bereich als normgerechte Schreibungen toleriert werden können.
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Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 27.10.2006 um 12.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#6551
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Friedensfürst Z. muß angesichts dessen vollends verzweifeln, lautet doch seine Aufgabe, "die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren". Wie will er das noch hinkriegen?
Kann niemand mal amtlich und offiziell feststellen und zu Protokoll sowie an die Medien geben, daß die Einheitlichkeit dahin ist und diesbezügliche Verlautbarungen entweder weltfremd sind oder an Betrug grenzen?
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Kommentar von heute.de, verfaßt am 27.10.2006 um 12.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#6550
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Miss Verständnis
So voll hatte man das Willy-Brandt-Haus selten erlebt - und gewiss nicht für eine Buchvorstellung. Das Haifisch-Lächeln war wieder da, das Talent des Polit-Schauspielers, Fragen bewusst miss zu verstehen, aber auch die leisen Töne, mit denen Gerhard Schröder sein Publikum neben aller Kraftmeierei immer für sich einnehmen konnte.
...
(www.heute.de)
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Kommentar von Ballistol, verfaßt am 27.10.2006 um 11.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#6548
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Der Verlag von Jan Thorbecke hat sich etwas ganz besonders Elitäres einfallen lassen, nämlich die Verbindung von Buchstaben zu Ligaturen im Wege der Verrüsselung (st, sp, ck und noch ein paar andere).
Aber ach, es ist nur die typographische Fehlgeburt eines wildgewordenen Nostalgiedesigners. Denn verrüsselt wird munter auch über Wortfugen hinweg, wie etwa bei "Wachspuppe", "Informationstechnologie" und vielen anderen echten Ärgernissen.
Aber wenigstens in alter Rechtschreibung.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 27.10.2006 um 11.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#6547
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Oder auch so (am Institut für Medien und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen):
»ScientificCommons.org ist eine Plattform die den freien Zugang zu allen wissenschaftlichen Ergebnissen weltweit fördern und ermöglichen will.
Ziel ist es, dass weltweit grösste Kommunikationsmedium für wissenschaftliche Informationsprodukte aufzubauen und gleichzeitig die Inhalte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.«
http://de.scientificcommons.org/about
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 27.10.2006 um 10.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=691#6546
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Und so schreibt die Schweiz:
"Dieselrussgasausstoss"
NZZ vom 26. Oktober 2006
Das wollen wir auch!
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