Zum vorherigen / nächsten Tagebucheintrag
Zu den Kommentaren zu diesem Tagebucheintrag | einen Kommentar dazu schreiben
02.07.2006
Sprachreport extra
Zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ab 1. August 2006
Vier Wochen vor dem Verbindlichwerden erfahren die Lehrer in groben Zügen, was sie unterrichten sollen.
Zum Sprachreport extra Juli 2006 (hier erhältlich)
(Anmerkungen von Th. I. in Klammern)
(Im Beschluß der KMK vom 2.3.2006 hatte es geheißen:)
„Die Geschäftsstelle des Rats für deutsche Rechtschreibung und das Institut für deutsche Sprache werden gebeten,
- Regeln und Wörterverzeichnis entsprechend den Empfehlungen des Rats im Netz zugänglich zu machen und
- die vorgelegte synoptische Übersicht in Form einer Sonderausgabe des „Sprachreports" zu veröffentlichen und als Informationsmittel insbesondere auch für die Schulen zur Verfügung zu stellen.“
(Die Reform von 1996 war im Bundesanzeiger und in den Amtsblättern der Kultusministerien veröffentlicht worden, da sie als verbindliche Grundlage des Schulunterrichts galt. Schon die revidierte Fassung von 2004 wurde nicht mehr in dieser Weise bekanntgemacht. Die Fassung von 2006 ist wiederum rund 300 Seiten lang und nur im Internet greifbar. Die nun vorgelegte synoptische Übersicht im „Sprachreport“ läßt naturgemäß noch mehr Fragen offen als die amtliche Fassung; ohne die Auslegung in den großen Wörterbüchern, deren Zuverlässigkeit jedoch nicht überprüft werden kann, läßt sich der Inhalt der Reform nicht erfassen.
Während die Synopse beispielsweise die geänderte Schreibweise entlegenster Fremdwörter wie Drapee auflistet, fehlt der Hinweis, daß dagewesen seit 2006 zusammengeschrieben werden kann – als einzige Ausnahme vom Verbot der Zusammenschreibung mit sein. Der Text geht auch mit keinem Wort darauf ein, daß die Arbeit des Rechtschreibrates vorzeitig abgebrochen wurde und die Bearbeitung der Groß- und Kleinschreibung, der Laut-Buchstaben-Beziehung und des Bindestrichs noch bevorsteht.
Als Anwendungsbereich werden einleitend die Schule und die Medien genannt. Damit soll aufs neue suggeriert werden, daß die Zeitungen in besonderem Maße betroffen seien. In diesem Sinne reiste der Vorsitzende Zehetmair im Winter 2005/2006 bei den großen Zeitungsverlagen herum und überredete sie, die Zusage des Dudenverlags auf rechtzeitige Bereitstellung des neuen Wörterbuchs in der Tasche, zur Übernahme der Revision ab August 2006.)
[zwei] Armvoll, Arm voll [Reisig]; ebenso: Fingerbreit, Fußbreit, Haarbreit, Handbreit, Handvoll, Mundvoll, Spaltbreit, Zeitlang, Zollbreit (S. 3)
(Diese Auflistung der ganzen Gruppe findet sich nur hier.)
Die Reform 1996/2004 hat für einzelne, zumeist selten gebrauchte Wörter neue Schreibungen eingeführt mit dem Ziel, eine tatsächliche oder angenommene
Wortverwandtschaft herzustellen. (S. 5)
(Bemerkenswertes Eingeständnis, daß auch angenommene Wörterverwandtschaft hergestellt werden sollte.)
Die Reform 1996/2004 trägt dem insofern Rechnung, als sie bei Fremdwörtern wie z. B. Attaché, Philosophie, Restaurant und Theater an der fremdsprachigen Schreibung festhält. Sie lässt Variantenschreibungen nur für eine Fallgruppe, in der die integrierten Formen bereits sehr verbreitet waren, grundsätzlich zu (a) und beschränkt sich ansonsten auf Einzelfälle (b), deren wesentliche im Folgenden angeführt werden. Ein Nachschlagen im Wörterbuch für den konkreten Einzelfall ist damit weiterhin unerlässlich.
(Auch dies bedeutet ein Versagen der Reform. Insgesamt werden im Bereich der Laut-Buchstaben-Beziehungen vor allem Einzelfälle aufgezählt und auch als solche gekennzeichnet. Das bedeutet umgekehrt, daß es hier an allgemeinen Regeln fehlt; die Prinzipienlosigkeit der Reform wird so besonders deutlich.)
Daneben ist in wenigen Fällen neu eine Variantenschreibung neben der überkommenen Schreibung zugelassen: (...) Mesmer oder Mesner oder Messner
(Die Schweizer Form Mesmer ist natürlich keine „Variantenschreibung“ für Mesner.)
In der jüngeren Geschichte des Deutschen hat sich die Tendenz durchgesetzt, syntaktisch benachbarte Einheiten in bestimmten Fällen zusammenzuschreiben. Zusammenschreibung tritt u. a. ein, wenn ein Bestandteil seine Selbständigkeit verloren hat (z. B. ‹teil› in teilnehmen) oder wenn eine neue Gesamtbedeutung entsteht (z. B. freisprechen im Sinne von für unschuldig erklären). (S. 6)
(Diese Formulierung löst jeden Zusammenhang mit der Unterscheidung von Zusammensetzung und Wortgruppe. Die Beispiele sind syntaktische Gruppen, keine Zusammensetzungen im Sinne der Wortbildung – ein Begriff, der im ganzen Text kein einziges Mal vorkommt, auch nicht im amtlichen Regeltext; die Reformer haben eigentlich keinen Begriff von Wortbildung. Daran krankte die Reform von Anfang an.
Wenig später werden die „trennbaren Verben“ als „zusammengesetzte Verben“ bezeichnet. Immerhin wird dies nicht kurzerhand mit Zusammenschreibung gleichgesetzt, sondern diese ist, wie Güthert mit Recht feststellt, gesondert zu regeln. Demnach wäre die Konstruktion Rad fahren ohne weiteres als „trennbares Verb“ und im Sinne des Regeltextes a fortiori sogar als „Zusammensetzung“ anzusehen, womit der überlieferte Begriff allerdings seine Bedeutung einbüßt; richtiger wäre es, allgemein von Verbzusatzkonstruktionen zu reden. Später wird noch der ebenfalls ungeklärte Begriff der „Verbindung“ eingeführt: „(Schreibungen von Verb + Verb:) Hierhergehörige Fälle können können grundsätzlich als Verbindung aufgefasst, d. h. (!) getrennt geschrieben werden.“ Gleich darauf heißt es aber in Übereinstimmung mit dem amtlichen Regelwerk, daß „Verbindungen“ dieser Art durchaus auch zusammengeschrieben werden können, nämlich solche mit bleiben und lassen sowie kennenlernen. Der ganze Abschnitt über die GZS bei Verben ist sehr nachlässig formuliert. Die „Handreichung“ mit ihrer Unterscheidung von Subjekts- und Objektsprädikativen hat bemerkenswerterweise keine Spuren hinterlassen.)
Zusammengesetzte Verben können trennbarer oder untrennbarer Art sein (d. h. mit bzw. ohne Wechsel der Reihenfolge der einzelnen Bestandteile).
(Verben „trennbarer Art“ sind einfach trennbare Verben.)
Während Zusammensetzungen aus Verbzusatz und Verb einen Hauptakzent tragen, können bei Verbindungen aus Adverb und Verb beide Bestandteile betont werden, z. B.:
abwärtsfahren – rückwärts einparken, aufeinanderstapeln – aufeinander achten, querlesen – quer (im Bett) liegen, (jmdn.) wiederbeleben – (die Wirtschaft) wieder beleben
Diese Regel gilt ausnahmslos und erfasst mithin Fälle, die nach der herkömmlichen Rechtschreibung bzw. nach der Rechtschreibreform getrennt zu schreiben waren, so z. B. Einzelfälle wie abhandenkommen und zunichtemachen, aber auch ganze Gruppen wie z. B. die mit ‹einander› und ‹wärts› gebildeten Verbzusätze.
(wieder herstellen – wiederherstellen werden gleich betont.)
Darüber hinaus sind in vier Übergangsfällen beide Schreibungen zugelassen: Acht geben/achtgeben, Acht haben/achthaben, Halt machen/haltmachen, Maß halten/maßhalten
(Wahrig hat achthaben – habt acht als Variante. Daraus muß man folgern, daß dasselbe auch für die anderen drei gilt. Bei Güthert und im Regelwerk ist das nicht deutlich ausgesprochen.)
(Zur neuen Großschreibung:)
eine Platte mit Gebratenem [= nähere Bestimmung im Dativ] (S. 11)
(Es handelt sich um ein präpositionales Attribut, der Dativ ist von der Präposition regiert, die Beschreibung daher ungenau.)
die Bedenken Verschiedener [= nähere Bestimmung im Genitiv]
(Hier wird die Sinnwidrigkeit der neuen Schreibweise besonders greifbar. Es handelt sich ja nicht um die Bedenken von Leuten, die verschieden sind, sondern um die Bedenken einiger oder mancher.)
Einen Grenzfall zwischen Ableitungssilbe und Bestandteil einer Zusammensetzung stellt ‹fach› dar. Daher können Verbindungen aus Ziffern mit ‹fach› sowohl mit als auch ohne Bindestrich geschrieben werden, z. B.: die 3fache oder 3-fache Menge (S. 9)
(Wieso? Das Substantiv Fach kommt doch hier gar nicht in Betracht.)
Die Hauptänderungen in diesem Bereich liegen bei der Schreibung von formalen Substantivierungen; Substantive sind von Änderungen nur insofern betroffen, als (kleingeschriebene) Zwischenstufen zugunsten der Generalregel: „Entweder getrennt und groß oder zusammen und klein“ aufgegeben wurden. (S. 11)
(Diese – auf den Amateurlinguisten Eugen Wüster zurückgehende – Generalregel ist im amtlichen Regelwerk nicht enthalten, man findet sie nur in Reformentwürfen, die Jahrzehnte zurückliegen.)
Für die Schreibung von Substantivierungen ist das sog. Konzept der modifizierten Großschreibung maßgeblich. Dieses Konzept sieht vor, dass bei formaler (auch scheinbarer) Substantivierung Großschreibung eintritt.
(Im Unterschied zur GZS ist also bei der GKS nicht die Semantik, sondern die formale grammatische Kategorie maßgebend. Damit geht ein Riß durch die Neubearbeitung.)
Wesentlich für das Konzept der modifizierten Großschreibung ist folglich die generelle Großschreibung auch der nur scheinbaren, formalen Substantivierungen nach den oben genannten Kriterien. (S. 12)
In Verbindung mit den Verben sein/bleiben/werden gibt es eine Reihe von Wörtern, die wie Substantive aussehen, bei denen es sich aber um (alte) Adjektive oder Adverbien handelt. Diese sind in einer Liste erfasst, die 2006 ergänzt und geöffnet wurde, da nur wenige dieser Wörter im Blick der Diskussion sind. Dies betrifft: angst, bange, feind, freund, gram, klasse, leid, not, pleite, recht, schnuppe, schuld, spitze, unrecht, weh, wurst/wurscht
(Hier wird also anerkannt, daß leid kein Substantiv ist, während es bei der GZS als ein verblaßtes Substantiv bezeichnet wurde. Ähnlich die anderen Beispiele. Güthert äußert sich nicht zu wie Recht du hast.)
(Die Großschreibung der Adjektive innerhalb von festen Begriffen ist jetzt deutlicher als 1996 eingeschränkt auf:)
Klassifikationsbezeichnungen in der Biologie und Zoologie, z. B.: Fleißiges Lieschen, Grüner Veltliner, Schwarze Witwe
Bei Verbindungen, die einer Fachsprache zuzurechnen sind, richtet sich die Schreibung wie bisher nach dem Gebrauch in der jeweiligen Fachsprache. (S. 13)
(Statt „Biologie“ muß es offensichtlich „Botanik“ heißen. In der Biologie muß also immer, in anderen Fachgebieten nur gelegentlich groß geschrieben werden. Es muß daher heißen „einer anderen Fachsprache zuzuordnen“. Übrigens gehört der Grüne Veltliner allenfalls am Rande zur Botanik, nämlich so wie der Trollinger oder der Gewürztraminer.)
(Der Text ist in einem recht ungelenken Deutsch abgefaßt:)
Geändert wurden die Regeln zur Schreibung von adjektivischen Dubletten (z. B. freund sein), von festen Verbindungen aus Adjektiv und Substantiv sowie von den Anredepronomina du und ihr (samt den besitzanzeigenden Fürwörtern dein und euer) in Briefen. (S. 3)
(„zur Schreibung von den Anredepronomina"?)
Sie dient dem Lesenden als zusätzliche Informationshilfe. (S. 6)
(„Informationshilfe“? Verständnishilfe)
Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat sich im Einklang mit der Entwicklung für einen Angang ausgesprochen, in dem die unterscheidende Leistung von Getrennt- und Zusammenschreibung akzentuiert wird. (S. )
(Das Wort „Angang“ – später noch einmal benutzt – steht in keinem Dudenwörterbuch.)
(Güthert schreibt übrigens durchweg selbständig, während der neue Wahrig sich für selbstständig entschieden hat, was wahrscheinlich keinen Bestand haben wird.)
Innervokalisch vorkommendes ck in einfachen und suffigierten Wörtern wird bei der Trennung als Ganzes auf die neue Zeile gesetzt. (S. 15)
(„Innervokalisch“? Zwischenvokalisch!)
(Zu guter Letzt: der Geist des IDS)
Die Zeitschrift SPRACHREPORT, die viermal im Jahr erscheint, richtet sich an sprachinteressierte Bürgerinnen und Bürger, an Lehrerinnen und Lehrer, an Politikerinnen und Politiker sowie an Journalistinnen und Journalisten, die wissen möchten, womit sich die germanistische Sprachwissenschaft dieser Tage beschäftigt. (S. 16)
Diesen Beitrag drucken.
Kommentare zu »Sprachreport extra« |
Kommentar schreiben | älteste Kommentare zuoberst anzeigen | nach oben |
Kommentar von Senatsverwaltung Berlin, verfaßt am 30.08.2006 um 17.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#5415
|
(...) Rechtschreibung
Eine AV mit Hinweisen zu verbindlichen Regelungen und Fundstellen ist an die Schulen gegangen.
Professor Dr. Peter Eisenberg hat eine Handreichung unter dem Titel „Deutsche Orthografie 2006 – Was in Zukunft gilt“ verfasst, die jeder Kollegin und jedem Kollegen übergeben wird.
Der „Sprachreport – Extraausgabe Juli 2006“ des Instituts für deutsche Sprache ist erschienen und kann im Internet heruntergeladen werden: www.ids–mannheim.de (...)
(Aus: Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin / Landesinstitut für Schule und Medien
Fachbrief Nr. 6 / Deutsch, 10. August 2006)
(PDF-Datei)
|
Kommentar von borella, verfaßt am 09.07.2006 um 17.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4658
|
Zwischenfrage:
Wurde die Frage, was "adjektivisch gebraucht" bedeutet, zwischenzeitlich eigentlich schon geklärt?
Im Sprachreport wird auch oft von "adjektivischen Ableitungen" gesprochen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.07.2006 um 11.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4652
|
Ergänzendes zum Sprachreport:
"Mit seiner Einrichtung wurde der Rat damit beauftragt, als Erstes (d. h. vor der langfristigen Aufgabe der Sprachbeobachtung) eine konsensuelle Lösung auf der Basis des amtlichen Regelwerks 2004 zu entwickeln. Dies bedeutete, Entweder-oder-Positionen aufzugeben und für eine ausgewogene Berücksichtigung der Interessen der Schulen, in denen die Regeln der Rechtschreibreform zum Teil seit dem Schuljahr 1996/97 gelehrt werden, einerseits und der professionellen Schreiber andererseits Sorge zu tragen."
Die siebenjährige Arbeit der Zwischenstaatlichen Kommission wird übergangen, diese ganze folgenreiche, in der Gründungsurkunde der Reform, der Wiener Absichtserklärung, festgelegte Einrichtung wird nicht einmal erwähnt. Der ahnungslose Leser fragt sich, wie es 1996 zur Einführung des Regelwerks von 2004 kommen konnte. Der Rechtschreibrat wurde 2004 nicht wegen der anhaltenden Reformkritik eingerichtet, sondern weil die Zwischenstaatliche Kommission ihrer Aufgabe nicht gewachsen war und den Kultusministern untragbar schien.
Auch ist zu sagen, daß die Kommission keineswegs eine Entweder-Oder-Position vertrat und aufzugeben hatte, denn die amtliche Regelung von 2004 ist bereits ein Kompromiß, der viele Positionen von 1996 aufgegeben hatte. Güthert darf aber nicht sagen, wie es zur Fassung von 2004 gekommen war, weil sie dann die Kommission erwähnen müßte.
Es scheint in KMK-Kreisen eine Verabredung zu geben, die Zwischenstaatliche Kommission totzuschweigen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2006 um 19.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4648
|
Für die "unlogische" Abkürzung gibt es Vorbilder, z. B. "usw.". Das ÖWB hatte sich die Sache übrigens anders zurechtgelegt: "so gen.". Davon abgesehen, wird die Getrenntschreibung sich nicht durchsetzen. Wahrig empfiehlt ausdrücklich Zusammenschreibung.
|
Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 08.07.2006 um 13.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4640
|
[ggf. dies ins "Forum" umsetzen]
| Wie kürzt man jetzt eigentlich "so genannt" ab?
Man kürzt die Wortgruppe wie bisher "sog." ab, dafür habe ich eine höchstreformerliche Aussage.
Im Zentraldokument der RSR, der Datei "Regel.doc" (die es damals auf der Internetseite des IdS zu saugen gab), kommt die Wortgruppe "so genannt" zweimal vor, nämlich im Text des Paragraphen §95 und im Paragraphen 102 unter (2) – beide Male war die Wortgruppe ursprünglich zusammengeschrieben. Nun weiß ja jeder, daß eine Zusammenschreibung dieser Wortgruppe das Seelenheil unserer armen Erstklässler beeinträchtigt. Also schrieb ich eine E-Mail an den Gralshüter der RSR, Herrn Dr. Klaus H., und fragte ihn, was es mit der Zusammenschreibung der Wortgrupppe "so genannt" im Text der Amtlichen Regelung denn auf sich hätte. Ich fragte ihn weiterhin, wie im Falle einer Getrenntschreibung mit der gängigen Abk. "sog." zu verfahren sei.
Er antwortete mir, daß die Zusammenschreibung in der Amtlichen Regelung ein Fehler sei. Rechtschreibreformer seien schließlich auch nur Menschen. Die Wortgruppe müsse zwingend auseinandergeschrieben werden. Die Abk. "sog." gelte fort. Auf meine Entgegnung, das fände ich unlogisch, kam keine Antwort mehr.
Keine zehn Minuten übrigens nach der E-Mail-Antwort aus dem IdS war die Schreibung in "Regel.doc" geändert (erkennbar am Dateidatum).
In der Folgezeit habe ich mir das Vergnügen gemacht, in verschiedenen Kompilationen der Amtlichen Regelung nach der Wortgruppe "so genannt" zu suchen. Ich habe alle denkbaren Varianten gefunden: Im ersten Reformduden beispielsweise steht es einmal so, einmal so, dito in meinem Exemplar des "Bertelsmann" (dessen genaue Auflage bekanntermaßen nicht feststellbar ist).
|
Kommentar von Ballistol (Wilhelm Busch-Verehrer), verfaßt am 08.07.2006 um 12.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4639
|
Dem Wilhelm Busch ist da nichts am Zeug zu flicken, der schrieb auch von der "Witwe Klicko" (Veuve Cliquot). Das ist mehr als Humorismus: genaue Beobachtung, wie man es bei uns mit den französischen Wörtern hielt und hält. In Mainz gibt es eine Anekdotenfigur "Schandattel", das war genau so ein Franzose wie der Herr Rizambeaud, Namensgeber des sehr populären Rizamba-Marschs.
Der Busch war definitiv einer von uns. Schrieb bekanntlich ja auch alles unreformiert, nicht wahr?
|
Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 08.07.2006 um 12.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4637
|
> Ein falsch geschriebenes tête-à-tête wäre ein Fall für
> die Académie française. Da hätten die Franzosen
> wenigstens etwas zu lachen.
Mir ist das Wort das erste Mal bei Wilhelm Busch begegnet, einem Mann, dem man mangelnde Sprachbeherrschung eigentlich nicht vorhalten kann.
Er schrieb es "Tätatät".
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2006 um 12.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4635
|
Gegen den "Angang" ist ja an sich nichts einzuwenden, das Wort ist so ähnlich schon althochdeutsch belegt. Es ist nur ein bißchen abgelegen und paßt insofern zum Germanistendeutsch der Geschäftsführerin. Ich glaube, es soll den "Approach" ersetzen, was ja gar nicht so übel wäre, denn davon haben wir wirklich genug.
Die Kultusminister und ihre Helfer bemühen sich, die Reichweite der Korrekturen als "unwesentlich" herunterzuspielen. Der neue WAHRIG beteiligt sich dankenswerterweise nicht sehr eifrig daran. Ein Gang durch das Wörterbuch straft die Behauptungen der Ministerien Lügen: Die Wendung von formalen zu inhaltlichen Kriterien, die Heranziehung der Betonung bei der GZS, die Aufgabe des Grundsatzes "im Zweifel getrennt", die Abwendung von dem Grundsatz, Partizipien ebenso zu schreiben wie die Infinitive (jetzt auch ratsuchend, aber Rat suchen), die Streichung der „Teilsatz“-Kommatierung, die Fremdwortschreibung nach Akzent, die Orientierung am Schreibbrauch vor der Reform – das sind ganz wesentliche Kursänderungen, die bis auf die Zeichensetzung im Wörterbuch an Tausenden von Stellen Folgen zeitigen. Die Schüler müssen in mehreren Bereichen nun genau das Gegenteil dessen lernen, was zehn Jahre lang als große Errungenschaft gepriesen wurde. Da gibt es nichts zu beschönigen. Zehn Schülerjahrgänge haben gelernt, daß man lahm legen getrennt schreiben müsse; nun heißt es plötzlich, nur Zusammenschreibung sei zulässig. Bei genau gleich gebauten Fügungen wie fertigstellen/fertig stellen gilt wieder etwas anderes. Die Zahl solcher Änderungen läßt sich nicht einmal annähernd schätzen.
|
Kommentar von borella ;-(, verfaßt am 08.07.2006 um 09.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4634
|
Einige der kritisierten Ungenauigkeiten sind mittlerweile beseitigt in dem Dokument. Allerdings nicht alle, das "innervokalisch" wurde auf Seite 15 korrigiert, auf Seite 4 steht es noch.
Das Wort "Angang" interpretiere ich als Abkürzungsform: "an eine Sache herangehen" wird zu: "eine Sache angehen", und die Substantivierung ist dann der "Angang" (oder?). Das ist der Versuch, Mundart hochdeutsch zu schreiben ...
|
Kommentar von borella ;-), verfaßt am 07.07.2006 um 23.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4629
|
Und ich dachte bis jetzt immer, der Grüne Veltliner sei ein Wein.
Neu zu lernen, daß es sich eigentlich um eine Klassifikationsbezeichnung der Biologie (oder Zoologie?) handelt, auch das ist ein Verdienst der Rechtschreibreform!
|
Kommentar von GL, verfaßt am 03.07.2006 um 13.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4565
|
Ein falsch geschriebenes tête-à-tête wäre ein Fall für die Académie française. Da hätten die Franzosen wenigstens etwas zu lachen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.07.2006 um 08.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4562
|
Inzwischen ist mir noch aufgefallen: Wahrig 2006 hat wie das amtliche Wörterverzeichnis Tete-a-tete (zu erwarten wäre Tete-a-Tete, wie es in einigen, aber nicht in allen Wörterbüchern aus dem Hause Brockhaus/Duden zu finden ist). Offenbar hat man hier nur das neuerdings erlaubte Wegfallen der Akzentzeichen beachtet, nicht die Wortart.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.07.2006 um 08.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4561
|
Bei den Übersichten zur Revision scheint sich fast jedes Kultusministerium einen eigenen Text zusammengebastelt zu haben. Tatsächlich hebt der hessische Text fast zwanzigmal hervor, daß alles beim alten bleibe und sich nicht viel geändert habe, während zum Beispiel der bayerische Text (identisch mit dem brandenburgischen) die Änderungen ziemlich unverblümt herausstellt und überhaupt nichts vertuscht. Der hessische Text wirkt im Vergleich besonders fremdartig; selten dürfte etwas Vergleichbares in einem Amtsblatt erschienen sein.
|
Kommentar von Germanist, verfaßt am 02.07.2006 um 18.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4560
|
"innervokalisch" statt "intervokalisch": Falsche Freunde bei Präfixen. Schlamperei. Sollen die Schweizer etwa statt "Interlaken" (zwischen den Seen) jetzt "Innerlaken" (in den Seen) schreiben?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.07.2006 um 17.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4559
|
Danke, Herr Brünner. Das mit der Speicherung war mir schon klar, ich dachte nur, der Hinweis sei hinzugefügt worden.
Was die hessischen Texte betrifft, so habe ich keine wirkliche Abweichung vom amtlichen Regelwerk feststellen können, nur eine Verknappung, die diese "Informationen" praktisch wertlos macht; sie dienen wohl hauptsächlich der Beschwichtigung. Irre ich mich, oder merkt man dem Text eine gewisse Verdrossenheit an? Der rechte Propagandaschwung und Kampfgeist scheint Stillemunkes vergangen zu sein. Vielleicht muß er schon in wenigen Wochen einen neuen Text formulieren, der die nächste Revision ankündigt. Oder was will Zehetmair nach der Septembersitzung in München eigentlich verkünden? Daß nun die Phase der langfristigen Beobachtung beginnt?
Der ausführlichere Sprachreport reicht natürlich auch bei weitem nicht aus, und der Hinweis auf die Originalfassung aus dem Internet kommt fast einer Verhöhnung der Lehrer gleich. Sie müssen sich die neuen Wörterbücher kaufen, wenn sie gerichtsfest korrigieren wollen. Die Versicherung, es bleibe im wesentlichen alles beim alten, ist zweischneidig. Ich habe schon im Rechtschreibrat gespürt, daß die Blockadestrategie der Reformvermarkter nicht aufgehen kann, und mir war auch nicht klar, was sie sich davon versprechen.
Nachträglich wird noch unverständlicher, warum Zehetmair auf Betreiben der KMK die Arbeit des Rates vorzeitig abgebrochen hat. Was wäre denn für die Reformer verloren gewesen, wenn sie auch bei den verbliebenen zweieinhalb Bereichen die "schlimmsten Fehler" ausgebessert hätten? Zum Beispiel hätten sie das Dutzend Augstscher Volksetymologien doch einfach für fakultativ erklären können. Dann könnte der Duden heute die herkömmlichen Schreibweisen empfehlen, und die Kritiker hätten es wieder etwas schwerer.
Ich habe aber auch nicht verstanden, warum entgegen meinem Drängen alle Ratsmitglieder sich weigerten, die falsche Behauptung über das "verblaßte Substantiv" in "leid tun"/"leidtun" herauszunehmen. Wozu gibt man sich solche Blößen? Und dabei sitzen ein paar Sprachhistoriker im Rat.
Die nächste Revision kommt bestimmt, aber es ist alles unendlich langwierig, quälend und kostspielig.
|
Kommentar von Arndt Brünner, verfaßt am 02.07.2006 um 16.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4558
|
An Herrn Ickler:
Am 21.6. wurde die Impressumseite des Rechtschreibrates von Google gespeichert.
Dort ist der Passus bereits enthalten.
Auf http://web.archive.org/ ist kein Abbild gespeichert.
Zur Speicherung der IPs aller Aufrufenden sind übrigens alle Provider gesetzlich verpflichtet. Die Anonymität des Internets ist eine Legende. Alles kann nachvollzogen werden. Auch wird beispielsweise mit Sicherheit irgendwo gespeichert, wer diese Seiten hier besucht.
Die hessischen Lehrer werden übrigens auch dieses Mal auf die Seiten des Rechtschreibrates verwiesen. Allerdings gibt es im jüngsten Amtsblatt eine längere Darstellung der Änderungen, die mir von den Ratsvorlagen in manchen Details abzuweichen scheint. Es wäre schön, wenn ein Fachmann das einmal überprüfen könnte (hier bzw. direkt hier). Auffällig (und einigermaßen ungewöhnlich für ein Amtsblatt) sind die zahlreichen Beteuerungen, wie wenig sich geändert habe — wie wenig also umgelernt werden muß — da die meisten der alten Neuschreibungen beruhigenderweise weiterhin als Varianten existieren.
Geändert hat sich im Erlaß übrigens die alte Formulierung, die Neuregelung sei „Grundlage des Rechtschreibunterrichts“. Nun heißt es: „Grundlage des Unterrichts“. Schade.
|
Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 02.07.2006 um 15.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4557
|
Mir scheint, daß beim Impressum nur etwas an der Gestaltung und nichts am Inhalt geändert wurde: Im „Wegweiser“ sind die Verknüpfungen nicht mehr unterstrichen, und der blaue Querbalken am unteren Rand der Seite ist jetzt genauso dick wie der am oberen Rand. Diese Unterschiede weisen die bei Google und Yahoo gespeicherten Versionen gegenüber der aktuellen auf.
|
Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 02.07.2006 um 15.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4556
|
„die Bedenken Verschiedener“ – ah, ja, Tote geben etwas zu bedenken ...
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.07.2006 um 15.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4553
|
Auf der Internetseite des Rechtschreibrates ist kürzlich auch das Impressum geändert worden. Hat jemand zufällig die alte Fassung gespeichert? Ist vielleicht der folgende Passus hinzugekommen?
"Alle Zugriffe auf diesen Server werden registriert. Es wird Datum, Rechneradresse und gelesenes Dokument gespeichert. Diese Daten werden für statistische Zwecke ausgewertet. Persönliche Daten werden darüber hinaus nicht gespeichert."
|
Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 02.07.2006 um 10.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=541#4544
|
Es ist höchst zweifelhaft und wäre noch aus beamtenrechtlicher Sicht zu klären, ob eine Internetveröffentlichung bzw. ein letztlich privatwirtschaftliches Produkt wie der "Sprachreport" eine Verbindlichkeit für Lehrer begründen können. Da die Rechtschreibung für die Schule in Form eines Erlasses, also einer behördeninternen Verwaltungsanordnung vorgeschrieben wird, die etwa einer außerbehördlichen Rechtsverordnung gleichzusetzen ist, muß auch der formale Weg strikt eingehalten werden. Allenfalls könnte man für Lehrer eine Fortbildungspflicht postulieren, die heute sicher auch das Internet als Quelle umfassen dürfte. Eine Rechtsverbindlichkeit läßt sich daraus jedoch nicht ableiten. Kurz gesagt: Was nicht in den Gesetzes- und Verordnungsblättern oder Schulverwaltungsblättern steht, existiert rechtlich gesehen nicht.
|
nach oben
Zurück zur vorherigen Seite | zur Tagebuchübersicht
|