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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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25.03.2006
 

Neu und definitiv
Für 2,50 Euro kann man sich bei Duden acht Seiten herunterladen

Die neue Übersicht „Die neue deutsche Rechtschreibung ab 1. August 2006 kurz gefasst“ (23.3.2006) ist wie schon die Vorgängerin von 2004 so abgefaßt, als gehe es um Neuerungen gegenüber 1991.
Die ganze Reform wird ignoriert, obwohl die Neuschreibung doch angeblich seit zehn Jahren flächendeckend eingeführt ist. So heißt es jetzt wieder, ß werde nach kurzen betonten Vokalen durch ss ersetzt. Ebenso werden die Neuerungen gegenüber 1991 rot hervorgehoben. Rund 20mal heißt es, „jetzt“ werde so oder so geschrieben – im Gegensatz zu 1991, z. B.: „Wie schon früher irgendein, irgendwie u. a. schreibt man jetzt auch irgendetwas und irgendjemand.

Der Dudenverlag schreibt noch so genannt und kurz gefasst – als wolle er nicht allzu deutlich erkennen lassen, daß er sich die ganzen zehn Jahre über verrannt hatte.

„Werden Verbindungen mit bleiben oder lassen in übertragener Bedeutung gebraucht, ist auch die Zusammenschreibung möglich: wegen schlechter Noten sitzen bleiben / sitzenbleiben, den Hut liegen lassen / liegenlassen u. a. Dasselbe gilt für kennen lernen / kennenlernen.“
Was ist die übertragene Bedeutung bei den Hut liegenlassen oder die nichtübertragene bei kennenlernen?

„Das ph kann in phon, phot und graph und in einigen Einzelfällen durch f ersetzt werden; neben -ial und -tiell sind in einigen Fällen auch -zial und -ziell möglich, wenn es ein verwandtes Wort mit z gibt. Vereinzelt können gh, rh, th zu g, r, t werden. Man kann jetzt schreiben: Diktafon oder Diktaphon, Fotometrie oder Photometrie, Geografie oder Geographie, Delfin oder Delphin; Differenzial oder Differential, essenziell oder essentiell, substanziell oder substantiell; Spagetti oder Spaghetti, Katarr oder Katarrh, Panter oder Panther, Tunfisch oder Thunfisch.
Ansonsten bleibt die Schreibung der Fremdwörter im Wesentlichen unverändert. Man schreibt also weiterhin Philosophie, Rhetorik, Rheuma, Apotheke, Strophe, Diskothek, Leichtathletik, Mathematik, Theater u. a.“

Die Eindeutschung von ph usw. war schon im alten Duden nach R 53 zulässig. Aber davon abgesehen: was für eine großartige „Reform“!

Außerdem nennt der Verlag die jüngsten Empfehlungen des Rates „definitiv“ und weiß schon, daß sie am 1. August für die Schulen verbindlich werden, obwohl die MPK noch gar nicht darüber entschieden hat.



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Kommentare zu »Neu und definitiv«
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Kommentar von Rainer Nies, verfaßt am 03.04.2006 um 19.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=468#3662

Kommentator(in?) R. M. [=Reinhard Markner; Red.] hat ein schönes Beispiel gebracht, an dem man aufzeigen kann, wie die Reform die Schriftsprache vergewaltigt.

Sie nahm sich vor ihre Eltern zu besuchen ist nach neuer Schreibung (leider) zulässig. Denn die Reform hat die einfache Regelung vom "Erweiterten Infinitiv" gekippt. Diesen regiert seit 1996 der § 76, nach dem die Kommasetzung hier nur noch Kann-Vorschrift ist, "um die Gliederung des Ganzsatzes deutlich zu machen bzw. um Missverständnisse auszuschließen". Immerhin ist es nicht verboten, hier ein den Satzaufbau klärendes Komma zu setzen.

Ersetzt man in dem Beispielsatz das erste Verb durch stellte, gesellt sich dieser Satz allerdings zu den unzähligen ärgerlichen Schreibmustern, die man täglich in den Zeitungen zu verdauen hat (leider auch in den anspruchsvollen):

Sie stellte sich vor ihre Eltern zu besuchen wird zu einem jener (hier noch relativ kurzen) Sätze, nach deren lesender Aufnahme ich mich regelmäßig verarscht fühle. Was ist passiert? Gutgläubig und auf alte Lesegewohnheiten vertrauend, habe ich angesetzt zu lesen:
"Sie stellte sich vor ihre Eltern..." und habe nun erwartet, dass sie, das Satzsubjekt, die Eltern beschützt oder ihnen sonstwas Gutgemeintes antut, aber nein, dieser boshafte Satzautor hat auf etwas ganz anderes hinausgewollt und war nur zu faul, mir durch gnädiges Setzen eines Kommas das Lesen zu erleichtern.

Ich weiß, ein Reformbefürworter würde mir sogleich antworten: Ja, wieso regen Sie sich auf? Erstens ist doch vieles aus dem Kontext erklärlich. (Nichts gegen "ganzheitliche" Betrachtungen, aber Rechtschreibung hat nichts mit Anthroposophie zu tun.) Und zweitens: Da beim Lesen dieses Satzes ein Missverständnis aufkommen könnte, darf ein Komma gesetzt werden. Ja prima. Da der Erweiterte Infinitiv eine sehr verbreitete Satzkonstruktion ist, sollen also Millionen Deutschschreibende fortan über Abermillionen verschiedener Sätze mit Erweitertem Infinitiv brüten, ob für sie der Kann-Fall eintritt oder nicht. Einen Teufel werden sie sich um § 76 scheren und die Kommas schön weglassen.

Da ich die 2,50 Euro für das Herunterladen der neuesten Nachrichten des Dudenverlages noch nicht ausgegeben habe, weiß ich nicht, ob diese unglücklichen Kommasetzungsfreiheiten weiterhin Bestand haben. Vielleicht kann es mir ein Informierter vorab verraten. Ich vermute jedoch, ich werde weiter in diese boshaften Lesefallen tappen, mich ärgern und die Zeitung - entgegen der Empfehlung des Herrn Prof. Ickler - dennoch nicht abbestellen, weil ich mich nicht vom geliebten Kulturgut Zeitung abbringen lassen will. ("Die Faust in der Tasche")

 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 25.03.2006 um 17.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=468#3502

Was der Duden schreibt:
Sie nahm sich vor ihre Eltern zu besuchen ist richtig.
Was er nicht sagt: Es muß andererseits heißen:
Sie nahm es sich vor, ihre Eltern zu besuchen. [§ 77(5)]
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 25.03.2006 um 11.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=468#3501

Es gibt noch unendlich viele Ortsnamen mit "-thal". Die Kommunen haben sicher genügend Geld übrig, um den armen Schulkindern (oder sind es schon die Armen Schulkinder) nach 10 Jahren endlich diese altmodischen Schreibweisen zu ersparen und alle diese Ortstafeln zu erneuern. Vielleicht bezahlen es ja die Schülereltern gerne im Interesse ihrer Kinder, und man muß nur eine entsprechende "Sammlungsbewegung" starten. :(

 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 25.03.2006 um 11.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=468#3500

Der Rat hat das Beispielwort ei|nander (vormals § 112) getilgt, die zugehörige Regel aber nicht. Duden bleibt bei seiner Darstellung.

 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 25.03.2006 um 10.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=468#3499

. . . der zwischen genereller Rücknahme der Neuregelung und eisernem Beharren auf ihr gefundene Kompromiss . . .
Die Redaktion produziert die abschreckenden Beispiele für den Stil-Duden inzwischen selbst.

 
 

Kommentar von Calva, verfaßt am 25.03.2006 um 10.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=468#3498

Der Duden-Verlag macht momentan Werbung für sein neuestes Produkt in Form von "Lehrerprüfstücken". Der Duden, 24. Auflage, und die Software Duden-Korrektor zum Preis von jeweils 10 Euro.

Im Begleitschreiben heißt es u.a.:

"Wie Sie wissen, haben die Kultusminister der deutschen Bundesländer auf ihrer Frühjahrstagung den Vorschlägen des Rates für deutsche Rechtschreibung und damit einer Änderung des neuen amtlichen Regelwerkes zugestimmt.
Damit ist nach Ansicht der Dudenredaktion ein wichtiger Schritt zurück zu mehr Verlässlichkeit in der neuen Rechtschreibung getan, auch wenn der zwischen genereller Rücknahme der Neuregelung und eisernem Beharren auf ihr gefundene Kompromiss nicht alle befriedigen mag."

So kritische Töne hat man schon lange nicht mehr von der Redaktion gehört. Der Rest des Textes ist allerdings wieder höchstes Eigenlob.

 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 25.03.2006 um 10.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=468#3497

@ j.k.:

Wenn Sie sich das nächstemal schriftlich an Ihre Direktorin wenden, dann reformieren Sie doch einfach ihren Namen. Und wenn sie dann nachfragt, antworten Sie in ihrem Sinne. Sie werden sehen: das wirkt Wunder! ;)

Zum Duden:
Vor Jahren wurde bei Ebay eine "Geschäftsidee" versteigert. Einstiegsgebot lag bei 10.000 DM. Der Mensch meinte das anscheinend ernst. Warum auch nicht, ist ja auch ein probates Mittel, um ein Geschäft zu machen.
Jedenfalls sollte man dem Duden vielleicht mal stecken, daß er die gesamte Konkurrenz locker abschütteln könnte, wenn er jetzt die Reform kippt, also den ganzen Mist endlich drangibt. Das wäre dann eine Geschäftsidee, die noch um einiges mehr wert wäre.

Huch, jetzt habe ich sie ja öffentlich ausgeplaudert! Na so'n Pech...

 
 

Kommentar von j.k., verfaßt am 25.03.2006 um 08.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=468#3496

So doof er ist, mit dem Mist kann er sich trotzdem durchsetzen – erschreckend.

Im übrigen finde ich die Reformfreudigkeit mancher Lehrer noch erschreckender! Meine "neue" Direktorin z. B. hat, als ich ihr meinen Wohnort gesagt habe, den man noch in alter bayerischer Rechtschreibung vor 1901 schreibt (...tt + thal = ...tthal), gesagt, das schreibe man ja eigentlich ...tttal! Schrecklich ist so was.

 
 

Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 25.03.2006 um 07.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=468#3495


Sinngemäß das gleiche steht im Rundbrief ("Newsletter"), der – wie immer – ein kleines Häppchen Information mit viel Werbung verbindet:

| NEU im Downloadshop

| Die Dudenredaktion hat die wesentlichen Rechtschreibregeln,
| so wie sie ab 1. August 2006 in Kraft treten, übersichtlich
| zusammengestellt und mit vielen Beispielen versehen. So kann
| sich jeder schnell und zuverlässig den Überblick über den
| definitiven Regelungsstand in allen Teilgebieten der deutschen
| Rechtschreibung verschaffen. Die Übersicht "Duden - Die neue
| deutsche Rechtschreibung ab 1. August 2006 kurz gefasst" gibt
| es ab sofort zum Herunterladen unter:
| http://www.duden.de/newsletter/tipp

Ich werde mir das Downloaden der zuverlässigen Tipps für alle Teilgebiete wohl verkneifen, also den Shop (Die Engländer schreiben 'Shoppe', wenn sie eine alte Anmutung des Wortes erzielen wollen) eher nicht besuchen.

 
 

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