Zum vorherigen / nächsten Tagebucheintrag
Zu den Kommentaren zu diesem Tagebucheintrag | einen Kommentar dazu schreiben
23.02.2006
Nach Gutsherrenart
Zum Revisionsbeschluß 2004
Was sich unter der fadenscheinigen Decke der Rechtmäßigkeit verbirgt, wird wohl nie ganz herauskommen.
In welcher Form wurde eigentlich die Revision 2004 vereinbart? In der Vorbemerkung der Kommission heißt es:
„Der letzte, vierte Bericht und die dazugehörige Ergänzung enthielten eine Reihe von Änderungsvorschlägen, denen die Kultusministerkonferenz (KMK) auf ihrer Sitzung am 4. Juni 2004 zugestimmt hat und über die Einvernehmen mit den zuständigen staatlichen Stellen in Liechtenstein, Österreich und der Schweiz hergestellt wurde. Auftragsgemäß hat nun die Zwischenstaatliche Kommission den amtlichen Text 'Deutsche Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis' entsprechend diesen beschlossenen Änderungen modifiziert und die vorliegende Fassung erstellt. Die zuständigen Instanzen in den vier deutschsprachigen Staaten haben bestätigt, dass die 1996 beschlossene Übergangsfrist hinsichtlich der Neuregelung für Schulen und öffentliche Stellen, für die der Staat Regelungskompetenz hat, mit dem 31. Juli 2005 endet. In der hier vorliegenden Fassung des amtlichen Regelwerks sind alle Modifikationsbeschlüsse der zuständigen staatlichen Stellen umgesetzt; sie ist die Grundlage für die Arbeit an der Weiterentwicklung der deutschen Rechtschreibung.“
Welche zuständigen Stellen waren beteiligt? In welcher Form wurde Einvernehmen hergestellt? Hat die revidierte Fassung diesen zuständigen Stellen vorgelegen und ist sie gebilligt worden? Es sieht so aus, als sei zwar der Beschluß zur Revision, nicht aber die Revision selbst Gegenstand des Einvernehmens gewesen. Etwas Ähnliches wiederholt sich in der Gegenwart.
Die Beteiligung der Schweiz und Österreichs scheint sich im wesentlichen als Telefongespräch zwischen KMK und den Ministerien der beiden Staaten abgespielt zu haben.
(Meine Überschrift soll keinen Gutsherren beleidigen. Kürzlich beschwerte sich ja in der FAZ ein Gutsherr über diese Redensart. Wir benutzen auch den Esel und die Gans als Symbol der Dummheit, obwohl beide Tiere viel gescheiter sind, als sie aussehen.)
Diesen Beitrag drucken.
Kommentare zu »Nach Gutsherrenart« |
Kommentar schreiben | älteste Kommentare zuoberst anzeigen | nach oben |
Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 02.05.2014 um 13.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=433#25746
|
Halten viele die Neuregelung vielleicht für "allgemeingültig", weil sie (eben doch) "allgemein gültig" ist?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.05.2014 um 12.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=433#25745
|
Das Vorwort zur amtlichen Regelung beginnt in allen bisherigen Fassungen so:
Das folgende amtliche Regelwerk, mit einem Regelteil und einem Wörterverzeichnis, regelt die Rechtschreibung innerhalb derjenigen Institutionen (Schule, Verwaltung), für die der Staat Regelungskompetenz hinsichtlich der Rechtschreibung hat. Darüber hinaus hat es zur Sicherung einer einheitlichen Rechtschreibung Vorbildcharakter für alle, die sich an einer allgemein gültigen Rechtschreibung orientieren möchten (das heißt Firmen, speziell Druckereien, Verlage, Redaktionen – aber auch Privatpersonen).
Die Reformer und die KMK haben also damals behauptet, daß ihr Werk außer den Schulen auch für Verwaltung gelte. Das ist vom Bundesverfassungsgericht 1998 zurückgewiesen worden:
Soweit dieser Regelung rechtliche Verbindlichkeit zukommt, ist diese auf den Bereich der Schulen beschränkt. Personen außerhalb dieses Bereichs sind rechtlich nicht gehalten, die neuen Rechtschreibregeln zu beachten und die reformierte Schreibung zu verwenden. Sie sind vielmehr frei, wie bisher zu schreiben.
Wahrscheinlich kann die Verwaltung vom jeweiligen Dienstherren auf die Neuschreibung verpflichtet werden, aber es gilt nicht automatisch. Diese Frage ist nie höchstrichterlich geklärt worden, weil sich kein Kläger gefunden hat. So behaupten nicht nur die Reformer selbst die weiterreichende Verbindlichkeit, sondern so steht es auch in Dudentexten (z. B. in Band 9 s. v. Rechtschreibreform) und anderswo.
Ich möchte aber noch auf einen Widerspruch aufmerksam machen. Wie kann man sich "an einer allgemein gültigen Rechtschreibung orientieren" wollen, wenn diese gar nicht "allgemein gültig" ist? Es trifft zu, daß viele, fast alle nun der Neuregelung folgen, aber nur deshalb, weil sie sie irrigerweise für allgemeingültig halten.
|
Kommentar von Anita Schühly, verfaßt am 25.02.2006 um 14.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=433#2879
|
Zunächst einmal gebührt Herrn Prof. Ickler unser aller Dank für die innerhalb und außerhalb des Rechtschreibrates geleistete Arbeit. Daß er nun ausscheidet, war im Grunde zu erwarten, nach den vielen Anpöbeleien, denen er ausgesetzt war. Trotzdem, vergeblich ist seine Arbeit nicht gewesen, und vielleicht öffnet seine Erklärung in der FAZ vom 25.2.06 noch einigen weiteren Leuten die Augen darüber, daß von Anfang an mit gezinkten Karten gespielt wurde.
Angesichts all der Klüngelei, der vielen Absprachen interessierter Kreise und undurchsichtigen Erklärungen der KMK muß man bedauern, daß das Kartellamt gegen dubiose Netzwerke nur dann einschreiten kann, wenn es um die Gefährdung des wirtschaftlichen Wettbewerbs geht. Dabei liegt auf der Hand, daß auch die KMK einen Wettbewerb um die bessere Schreibweise nicht zuläßt, offenbar auf Druck interessierter Kreise, die an der Reform verdient haben und weiterhin verdienen wollen.
Aber diese Tatsache hat nur indirekt mit wirtschaftlichen Interessen zu tun, vordergründig mit dem hohen Gut unserer Sprache.
Gibt es Möglichkeiten zu prüfen, ob die Art und Weise, wie die Reform nun dennoch durchgesetzt werden soll, rechtmäßig ist?
In der Nummer 12/01 (2005/2006) der Schweizer Monatshefte (in diesem Forum empfohlen) geht aus dem für unser Anliegen wichtigen Gespräch zwischen Stefan Stirnemann und Christoph Stalder hervor, daß sich auch in der Schweiz zunehmender Widerstand gegen die Reform regt. Wäre es nicht gut, wenn Herr Prof. Ickler z.B. die Neue Zürcher Zeitung und etwa die Schweizer Monatshefte über die Vorgänge informieren würde, die zu seinem Austritt aus dem Rat geführt haben? Dies würde wohl auch in Österreich gelesen werden, wo die NZZ ebenfalls verbreitet ist. Die Abberufung Sittas ist übrigens von mehreren Seiten gefordert worden.
|
Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 23.02.2006 um 17.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=433#2859
|
Genaugenommen sind Fragen nach der Legalität im jetzigen Stadium müßig.
Die Undurchsichtigkeit, um nicht zu sagen Nonchalance, mit der das Unternehmen Rechtschreibreform samt Revisionen in rechtlicher Hinsicht betrieben wird, spiegelt nur die äußerst zweifelhafte Rechtsgrundlage überhaupt wider. Was gibt es denn? Es gibt eine völkerrechtlich unverbindliche "Absichtserklärung" und Erlasse, das sind behördeninterne Verwaltungsanweisungen, die nur diese binden. Das ist den politisch Verantwortlichen voll bewußt, und deshalb wird mit allerlei Tricks versucht, auch der Gesamtbevölkerung, besonders aber Presse und Buchverlagen eine Allgemeinverbindlichkeit zu suggerieren. Dies trifft sich nahtlos mit den Geschäftsinteressen der Wörterbuchverlage, die nur zu gern "amtlich" auf ihre Produkte schreiben.
|
Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 23.02.2006 um 16.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=433#2858
|
Zur Frage der "Verbindlichkeit", "Amtlichkeit" usw. mal ein Beispiel aus der Werbung
Ein Hersteller wirbt für seine Zahnpasta DENTODONT mit dem Slogan: "Die gibt auch der Zahnarzt seiner Familie" - Das beanstandet die Konkurrenz als unlautere Werbung. -
Erste Änderung: "Die empfiehlt auch der Zahnarzt seiner Familie"- Immer noch zu diskriminierend.
Letzte Fassung: "Auch der Zahnarzt hindert seine Familie nicht daran, DENTODONT zu verwenden."-
Das ließe sich doch auch auf die neuesten Wörterbücher übertragen.
|
Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.02.2006 um 12.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=433#2856
|
Was in der Rechtschreibung "richtig" ist, ändert sich doch dauernd. Bei vielen Rechtschreibbüchern, auch bei solchen, die noch im Laden angeboten werden, ist das Verfallsdatum längst abgelaufen. Eine entsprechende Liste als Merkzettel wäre sehr nützlich.
|
Kommentar von Johannes Faupel, verfaßt am 23.02.2006 um 12.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=433#2854
|
Klappentext
„Rechtmäßige“ Rechtschreibung ist inhaltlich falsch. Richtig muß es also heißen (weil der Inhalt falsch ist):
Recht mäßige Rechtschreibung.
|
Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 23.02.2006 um 11.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=433#2853
|
"Juristisch verbindlich?" Zweifellos kauen die Bertelsmänner jetzt am Bleistift, um eine griffige Phrase für das Cover zu finden, mit der man das Produkt schmackhaft machen kann, ohne eine Abmahnung fürchten zu müssen. "Von führenden Kultusministern für gültig erklärt" oder so. Oder "KMK hipp hipp hurra!", oder auch distinguiert "Rechtmäßige Rechtschreibung"
|
Kommentar von Johannes Faupel, verfaßt am 23.02.2006 um 10.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=433#2852
|
"Nicht ganz einfach nachzuvollziehen", sagt auch Bertelsmann
Dr. Sabine Krome per E-Mail am 15. Juli 2005
„Die richtige Schreibweise ist eindeutig zu erkennen, da nur richtige Schreibweisen angegeben sind. Altschreibungen sind mit "alt" markiert. Allerdings werden in einigen Bereichen, d. h. in der Getrennt- und Zusammenschreibung und der Worttrennung" bis auf Weiteres auch die alten Schreibweisen noch toleriert. Diese Regelung ist in dem Kultusministererlass vom 3.6.2005 festgehalten. Diese Regelung ist zugebenermaßen nicht ganz einfach nachzuvollziehen, aber sie entspricht der Rechtslage ab dem 1.8.2005.
(...)
"Im WAHRIG sind die Beschlüsse des "Rates für deutsche Rechtschreibung" nicht eingearbeitet, da sie juristisch noch nicht verbindlich sind und es auch nicht sicher ist, ob sie verbindlich werden. In zwei von der KMK benannten Bereichen (Zeichensetzung und Worttrennung) sind noch gar keine Beschlüsse gefasst worden, die Vorschläge in der Getrennt- und Zusammenschreibung sind noch nicht von den entsprechenden politischen Stellen gebilligt worden. Der WAHRIG verzeichnet die zum 1.8. für Schulen und Behörden gültige Regelung auf der Basis des amtlichen Regelwerks von 2004 und der Beschlüsse der KMK vom 3.6.2005.“
Die allgemeine Verwirrung basiert auf der Anmaßung und der Inkompetenz der Urheber des amtlichen Desasters ab der ersten Fassung.
|
nach oben
Zurück zur vorherigen Seite | zur Tagebuchübersicht
|