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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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04.11.2005
 

Pneumatische Rechtschreibung
Leo Weisgerbers Rechtschreibdogma

Leo Weisgerber hat bekanntlich die ideologische Grundlage der Rechtschreibreform gefestigt.
Auch in seiner Rede zur Verleihung des Duden-Preises („Der Buchstabe und der Geist“, 1961; Duden-Beiträge 4) geht er von seinem Dogma aus, daß die Buchstabenschrift ihre Erfüllung in der Lautschrift finde. Das allmähliche Auseinanderdriften führt zu einem „Rückfall in die Wortschrift“. Wenn die Sprachgemeinschaft sich ihrer „Pflicht“, dies zu verhindern, nicht bewußt wird, dann muß, wie W. anderswo ausführt, eine Elitetruppe mit Hilfe der Staatsmacht das Notwendige tun, eine Rechtschreibreform also. Die nicht erwähnte chinesische Schrift muß für W. der absolute Tiefpunkt gewesen sein, aber auch die englische und französische Orthographie sieht er bedenklich nahe dran. An vielen Stellen wird die Katastrophe beschworen, auf die die englische Sprachgemeinschaft zutreibt.
In der Rede legt W. den zweiten Korintherbrief zugrunde: „Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“ Das kommt ihm entgegen, weil er in der Schrift sowieso die Gefahr der „Versteinerung“ sieht. Es bleibt aber wie immer alles etwas vage, man sieht weder die Gefahr noch die Rettung deutlich genug, um darüber reden zu können. Letzten Endes schwebt W. die „muttersprachliche Gemeinschaft“ vor, in die jeder hineinwächst und die ihm „Sicherheit“ zu verbürgen scheint, weil alle gleich reden und daher dasselbe denken, fühlen und wollen.



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Kommentare zu »Pneumatische Rechtschreibung«
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 04.11.2005 um 22.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=277#1387

Armer Weisgerber! Umgekehrt wird ein Schuh draus! In unserer westlichen Verschriftungsgeschichte fangen wir mit einer versuchten Lautschrift an, und von da fallen wir vorwärts zu einer "Wortschrift" ("historische Schreibung"). Unsere deutsche Schreibung hat seinen Ursprung in dem Versuch, mit einer unvollständigen Anzahl von Lautzeichen, denen des lateinischen Alphabets, die Laute des Germanischen wiederzugeben. Nun sprachen aber einmal nicht alle germanischen Stämme das Germanische gleich, noch blieb die Aussprache dieselbe über die Jahrzehnte hinweg, selbst nicht beim gleichen Sprecher, vor allem dann nicht, wenn der oft auf Reisen ging. Wenn man jedoch nicht für jeden Dialekt eine eigene standardisierte Verschriftung anwenden will, dann empfähle sich vielleicht schon die reine "Laut"-Schrift. Nur ist die eben nicht leserfreundlich und wäre deshalb großer Blödsinn. Konsequent und gerecht wäre dann nämlich auch die lautschriftliche Aufzeichnung eines jeden Ideolekts, nicht wahr, ja. Wenn Weisgerber das aber nicht meint, sondern als erstes die "muttersprachliche Gemeinschaft" und sogar die Staatsmacht zum Verbürgen der leicht leslichen Wiedergabe des Gesprochenen aufruft, — nun, das haben wir ja: Alle verstehen bei der bewährten Schreibung, was gesagt werden soll, und dazu ist es nicht nötig, auch den Dialekt oder sogar den Ideolekt des Sprechers mit wiederzugeben. Denn dazu würden nicht mal die vielen, vielen Lautzeichen des Internationalen Phonetischen Alphabets ausreichen! (Und Kenner hier wissen ja, daß auch das "phonetische" Alphabet der API letztlich nur ein phonemisches Alphabet ist.)
Bleibt Weisgerber also nur die Wiedergabe durch Tonträger, wenn der Buchstabe tötet, aber der Geist lebendig macht. Aber bloß Geschreibe durch Gerede ersetzen, das garantiert doch noch kein Leben des Geistes! Und wenn er seine "Versteinerung" fürchtet, — das zeigt nur, daß er halt gern öfter mal was Neues hätte, während andere eben etwas Solides, Bewährtes vorziehen. Menschen sind eben verschieden. Aber deswegen allein gibt man ihnen doch nicht gleich einen großen Preis. Preiwert ist, was den andern wirklich hilft; hier, was die schriftliche Mitteilung wirklich klarer macht. Aber das tut diese Rechtschreibreform doch nicht! Daß ich nicht lache!
 
 

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