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17.09.2005
Viele Wege
Die Beharrlichkeit der Familie Ahrens hat sich gelohnt
Die vortreffliche Entscheidung des OVG Lüneburg wird auf jeden Fall Wirkung zeigen.
Ich habe es immer abgelehnt, alle Hoffnung auf den unmöglichen "Rat für deutsche Rechtschreibung" zu setzen, in dem Verbandsfunktionäre über Silbentrennung diskutieren und allenfalls ein zäher Rückbau allzu arger Schnitzer möglich ist. Es gibt noch Richter, es gibt die Presse, es gibt tapfere Schweizer. Niemand weiß heute, aus welcher Ecke morgen Hilfe kommt.
Übrigens ist die Meldung auf der ersten Seite der FAZ ein hübsches Geschenk auch für Heike Schmoll, die gestern den Deutschen Sprachpreis bekommen hat, nicht zuletzt für ihren unermüdlichen Kampf gegen die Rechtschreibreform.
Aber zunächst einmal ein herzlicher Dank an Gabriele, Carsten und Josephine Ahrens, die das alles jahrelang durchgestanden haben!
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Kommentare zu »Viele Wege« |
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Kommentar von Gabriele Ahrens, verfaßt am 17.09.2005 um 19.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=227#959
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Wir sind sehr glücklich (und auch überrascht) darüber, daß wir nach vielen fehlgeschlagenen Versuchen in den letzten Jahren, die sog. Reform zu stoppen, jetzt einen wichtigen (Teil-)Erfolg erzielen konnten, zumal, da er in der Öffentlichkeit einige Aufmerksamkeit zu erwecken scheint. Das alles wurde aber nicht zuletzt möglich gemacht durch die dauerhafte Unterstützung von seiten unserer Mitstreiter und Freunde und durch das große Fachwissen und den Einsatz von Prof. Gröschner.
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Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 19.09.2005 um 15.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=227#960
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Interessant ist erstens, was tatsächlich wörtlich in der Entscheidung des OLG steht. Dessen Pressemitteilung liest sich schließlich gänzlich anders als die Verlautbarungen in den Zeitungen.
Die Frage bleibt, was in der Berufung tatsächlich als Urteil herauskommt. Wird der Senat, der sich dann mit dem Thema befassen muß, zu demselben Schluß kommen, wie dieser Senat? Ich bin zu wenig mit Juristerei befaßt, als daß ich mir hier ein Urteil zutraue.
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Kommentar von Gabriele Ahrens, verfaßt am 20.09.2005 um 21.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=227#961
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Es wird derselbe Senat, der jetzt die Berufung zugelassen hat, auch in der Hauptsache entscheiden.
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 20.09.2005 um 23.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=227#962
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Th. Ickler: Ich habe es immer abgelehnt, alle Hoffnung auf den unmöglichen "Rat für deutsche Rechtschreibung" zu setzen, in dem Verbandsfunktionäre über Silbentrennung diskutieren und allenfalls ein zäher Rückbau allzu arger Schnitzer möglich ist.
An dieser Stelle möchte ich auf die Frage von Herrn Eversberg zurückkommen, ob es dabei bleibt, »daß alle im Zuge der Reform eingeführten Schreibungen als gültig erhalten bleiben? Dann läuft ja die ganze Tätigkeit des "Rates" nur auf Vermehrung der zulässigen Varianten hinaus.«
Das gehört allerdings inhaltlich nicht mehr direkt hierher; vielleicht schreiben Sie ja dazu einen neuen Tagebucheintrag, lieber Herr Ickler – oder hatten Sie das schon mal erläutert?
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Kommentar von R. M., verfaßt am 21.09.2005 um 00.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=227#963
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Absicht des Rates ist durchaus die vollständige Einziehung bestimmter Neuschreibungen wie z. B. Leid tun. Seine Beschlüsse haben aber bekanntlich nur empfehlenden Charakter.
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Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 21.09.2005 um 10.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=227#964
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Zitat: "Absicht des Rates ist durchaus die vollständige Einziehung bestimmter Neuschreibungen wie z. B. Leid tun. Seine Beschlüsse haben aber bekanntlich nur empfehlenden Charakter." (R. M.)
Kürzlich gab es ein schönes "Spiel über Bande": Die Rechtschreibreform habe verbindlich gemacht werden müssen, hieß es, damit sie durch ein Gericht für illegitim erklärt werden könne.
Jetzt zeichnet sich wieder ein Spiel über Bande ab: Der Rat empfiehlt nur. Vor diesem Hintergrund wäre es durchaus im Sinne der Reformgegner, würden die Potentatenzirkel die Regelungen entgegen diesen Empfehlungen ganz ignorant und starrsinnig per Ukas durchsetzen.
Damit würden sich die Betreiber über alles hinwegsetzen:
- über eine Volksabstimmung,
- über alle Umfragen,
- über alle Aufrufe von Wissenschaftlern usw.,
- über ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die allgemeine Akzeptanz einfordert,
- über die geschriebene Praxis der Literatur und Wissenschaft,
- über zwei Urteile in der Causa Ahrens,
- über den Beschluß des Deutschen Bundestags, daß der Staat nicht über Schreibweisen zu entscheiden hat,
- schließlich sogar über die Fachempfehlungen des eigens dafür eingesetzten "Experten-"Rats!
Ich finde, ein besseres Rezept für ein baldiges Scheitern der RR kann man sich doch überhaupt nicht denken! Wichtig ist nun die vollständige Negierung der Ratsbeschlüsse durch die MPK und die KMK, denn ein Einlenken würde zu einem Teilerfolg der Reformer führen. Dementsprechend müßte der Rat Empfehlungen aussprechen, die auch das Eingemachte berühren, also auch die Trennung von ck/kk und st sowie vor allem die symbolschwere Doppel-s-Schreibung (die übrigens nicht wirklich kongruent zur Heyse'schen s-Schreibung ist).
Die Zeit wird's dann richten.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.09.2005 um 16.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=227#965
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Es ist durchaus möglich, daß die Politiker alle Empfehlungen des Rates zurückweisen bzw. auf St. Nimmerlein vertagen. Zunächst haben sie ja noch eine Befragung weiterer Verbände vorgesehen, wobei zweifellos die "Verbändeallianz" der Schulbuchverleger ein Wörtchen mitzureden hat. Der Vorsitzende des Rates versteht es auch nicht, warum nach den Verbänden, die den Rat dominieren, noch weitere Verbände gehört werden sollen. Unabhängig davon können die Kultusminister aber alle Änderungen zurückweisen mit den bekannten Argumenten: die problemlose Umsetzung an den Schulen, die Begeisterung der allermeisten Lehrer, Vermeiden erneuter Beunruhigung der Schüler usw. - all diese Lügen sind so oft wiederholt worden, daß sie den Status ewiger Wahrheiten gewonnen haben. (Wer von uns kann sie denn widerlegen?)
Gestern hat sich übrigens die AG Worttrennung und Zeichensetzung in Mannheim getroffen. Sie wird dem Rat etwas vorschlagen, womit die Kritiker zufrieden sein können.
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Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 21.09.2005 um 16.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=227#966
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> Der Vorsitzende des Rates versteht es auch nicht, warum nach den Verbänden, die den Rat dominieren, noch weitere Verbände gehört werden sollen.
Das verstehe ich nicht. Der ist doch sonst so ein Fuchs.
Nun gut. Das mit dem St.-Nimmerleinstag scheitert zum Glück daran, daß man noch die Duldung der herkömmlichen Schreibung in Bayern und NRW beseitigen muß. Damit können zwar die Schulbuchverleger leben, aber nicht die Lehrer, jedenfalls nicht auf Dauer. Betrifft diese Duldung eigentlich auch die ß-Schreibung?
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Kommentar von Sebastian Surner, verfaßt am 21.09.2005 um 16.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=227#967
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Um bei Herrn Glücks Vorschlag zu bleiben:
Herr Ickler, wäre es für Sie vorstellbar, daß der Rat tatsächlich solche grundlegenden Reformteile angreift, um so zu verhindern, daß die Beschlüsse des Rates umgesetzt werden?
Bei den grundlegenden Reformteile handelt es sich eben um die s-Schreibung Heyses, die Dreier-Konsonantenregelung (Schifffahrt, Brennnessel etc.), die Trennung "-ck" und vielleicht noch die f-Schreibung anstelle des ph (nur noch Telefon, wahlweise Orthografie, Geografie usw.) und vielleicht noch die Eindeutschungen im allgemeinen (Portmonee, Kommunikee, Buklee u.v.m.).
Würde der Rat beschließen, auch in diesen Punkten zurückzukehren, wäre sicher, daß dies nie durch die KMK käme - die Vorschläge würden verworfen. Was, auch wenn es nicht so klingt - gut für uns wäre.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.09.2005 um 05.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=227#968
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Ich habe selbstverständlich gemeint, daß der Vorsitzende sein Unverständnis darüber geäußert hat; was er wirklich denkt, entzieht sich meiner Kenntnis.
Der Vorschlag, die Ratstätigkeit sozusagen bewußt gegen die Wand zu fahren, indem man Vorschläge macht, die auf keinen Fall angenommen werden können, geht mir gegen den Strich. Das ist politisch gedacht, und so haben es seinerzeit die Reformer gemacht: Man schlägt etwas vor, um bei Ablehnung etwas anderes durchzubringen usw. Meine Mitarbeit im Rat beruht zwar auf einer strategischen Überlegung (besser drin als draußen), aber meine konkreten Beiträge sind ausschließlich von sachlichen, also sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt. Das verstehe ich unter dem Ethos des Wissenschaftlers, und der Sündenfall mancher Kollegen und auch der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung bestand gerade darin, daß sie anfingen, "politisch" zu denken ("angesichts der Machtverhältnisse" - aber was gehen den Wissenschaftler oder die DASD die "Machtverhältnisse" an?). Dies ist auch der Grund, warum ich ein Sondervotum einreichen werde, obwohl es - politisch gesehen - vielleicht nicht klug ist, das Votum des Rates durch ein Sondervotum zu schwächen (man könnte das immerhin so sehen, obwohl ich die Gefahr für gering halte). Auf die Dauer fährt man nach meiner Überzeugung am besten, wenn man nur die Wahrheit und die ganze Wahrheit sagt. Unser ganzes Bündnis mit der Sprache selbst beruht auf dieser Haltung. Man konnte uns eine Zeitlang überdröhnen, aber auf längere Sicht setzt sich die Wahrheit eben doch durch. Wir erleben es gerade. Augst hatte noch die Stirn, auf "sehr Leid tun" mit der Antwort zu reagieren "Damit kann ich leben". In den jetzigen Arbeitsgruppen und im Plenum traut sich schon niemand mehr, für die grammatisch falschen Neuschreibungen ein gutes Wort einzulegen. So kam es zum Rückbau der GZS, und so wird es hoffentlich weitergehen.
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Kommentar von Alexander Glück www.glueck.eu.tt, verfaßt am 22.09.2005 um 09.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=227#969
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Ich möchte mit meiner Einschätzung nicht falsch verstanden sein!
Mir ging es vielmehr darum, jene Kompromißbereitschaft aufzugeben, die nur dem Prinzip geschuldet ist: "Fordern wir wenig, um wenigstens einiges durchzubringen."
Meiner Ansicht nach tendieren die Obrigkeiten sowieso nicht dazu, die Vorschläge des Rats umzusetzen. Und wenn das so ist (was sich überprüfen läßt), sollte der Rat eben genau das einfordern, was er aus dem Ethos des Wissenschaftlers heraus für geboten hält — und auch nicht weniger. Die Doppel-s-Schreibung ist dabei durchaus ein Thema, das aber — auch aus politischen Gründen — einstweilen vertagt wurde.
Forderungen, "die auf keinen Fall angenommen werden können", kann ich mir im Zusammenhang mit dem Rückbau der Rechtschreibreform gar nicht vorstellen. Welche sollten das sein? Nicht einmal die Forderung nach der kompletten Wiedereinführung des Status quo der 20. Dudenauflage wäre unannehmbar, sondern — liest man etwa das Vorwort zum Rechtschreibwörterbuch, S. 10 unten — momentan eine vernünftige Lösung.
Ich habe nicht gemeint, daß der Rat die Wiedereinführung von "Thür" und "roth" fordern soll, aber er sollte nicht aufgrund von "Undurchsetzbarkeit" auf gebotene Reparaturen verzichten.
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Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 22.09.2005 um 09.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=227#971
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Noch einmal zu A. Glücks Vorschlägen zur Ratspolitik.
Zu den Realitäten des Rates gehört es, daß solche strategischen Vorstellungen dort nicht mehrheitsfähig sind, schon gar nicht einer 2/3-Mehrheit, wie es für derartige Beschlüsse notwendig wäre. Wir sollten Prof. Ickler dankbar sein, daß er die mühsame Arbeit, die innere Morschheit der RSR aus einer Minderheitsposition unübersehbar offenzulegen, auf sich nimmt. Die bisherigen Erfolge übersteigen das von mir für möglich Gehaltene bei weitem. Allein, daß die KMK-Front so offensichtlich aufgeweicht werden konnte, daß Bayern und NRW einen Viertelschritt langsamer gehen, ist goldwert.
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 22.09.2005 um 14.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=227#972
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Die Arbeit des Rates ist nicht überflüssig, auch wenn sie möglicherweise nicht direkt zu greifbaren Ergebnissen im Sinne einer restitutio ad integrum führen mag. Wenn demnächst die Gerichte sprechen - und sie werden es öfter tun - ist es gut, wenn der Rat genügend Material bereitgestellt hat, um das Loch zu füllen, das durch die Liquidierung von Reformteilen entstehen wird. In der Stunde Null sind die gut dran, die vorbereitet sind.
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