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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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16.05.2013
 

Schiefe Attribute I: Attribut zum Kompositum
Zu einem Dauerbrenner der Sprachkritik

In einem Determinativkompositum bestimmt das „Grundwort“ die grammatischen Eigenschaften des Gesamtwortes. Das Erstglied ist normalerweise nicht für syntaktische Operationen zugänglich. Als falsch gelten daher Attributionen wie die folgenden:
die männlichen und weiblichen Besucherzahlen in Gottesdiensten (Wolfgang Mentrup, Hg.: Fachsprachen und Gemeinsprache. Düsseldorf 1979:138)
Als freilaufender Hühnerhalter habe ich keine Absatzsorgen. (Ökotest 5/1989)
die Verhandlungsbereitschaft über den Preis (FAZ 4.3.85)

Annehmbarer sind solche Verbindungen, wenn sich das Attribut sinngemäß auf beide Bestandteile der Zusammensetzung beziehen läßt:
Zur Verhältnisbestimmung von Semiotik und Hermeneutik („Gedankenzeichen“, Fs. für Klaus Oehler. Tübingen 1988:123ff.)
Beiträge zur Wesenserhaltung der verwalteten Welt (Karl Korn: Sprache in der verwalteten Welt. München 1962:12)
das Kopftuchverbot an Universitäten (SZ 25.10.08)

Bezugsadjektive lassen sich wegen ihrer semantischen Unbestimmtheit leicht auf beide Bestandteile und damit auf das gesamte Kompositum beziehen:
tropische Waldtiere
psychologische Beratungsstelle


Abstrakte Grundwörter wie -möglichkeit, -tätigkeit, -prozeß kommen Suffixen nahe und mildern daher den Eindruck des falschen Bezugs:
Auswertungsmöglichkeiten des historischen Materials (Rudolf Wassermann, Hg.: Recht und Sprache Heidelberg 1983:25) (= Auswertbarkeit)

Anmerkungen

1. Das Erstglied ist auch für anaphorische Bezugnahme nicht erreichbar. Irregulär daher:
In der speziellen Relativitätstheorie wurde das Problem der Äthermechanik durch dessen Negierung aufgehoben. (Wirkendes Wort 21, 1971:416)
Heinz Oskar Vetter, Vorsitzender des DGB, ist ein alter Mitbestimmungsmann. Er hat sie in der IG Bergbau von der Pike auf gelernt. (SZ 26.7.80)
Dasselbe gilt für Derivationen:
Bei der Beschreibung tierischen Verhaltens erlaubt die Sprache jedenfalls, ihnen absichtliches Handeln zu unterstellen. (Heide Wegener: Der Dativ. Tübingen 1985:169)

2. Dagegen kann ein Erstglied ohne weiteres mit einem äquivalenten Adjektivattribut koordiniert werden:
Albrecht hatte leicht mit der Unterlippe an der oberen gesogen. (Thomas Mann: Königliche Hoheit. Fischer-TB:134)
Der Ölpreis steigt und vielleicht auch noch der für Kupfer. (SZ 13.6.09)

3. Eine ähnliche Beschränkung wie für Erstglieder gilt für pränominale Adjektive:
einführende Darstellungen in die germanistische Sprachpflege (Albrecht Greule/Elisabeth Ahlvers-Liebel: Germanistische Sprachpflege. Darmstadt 1986:VII)
statt: in die germanistische Sprachpflege einführende Darstellungen (→ Partizip I)

4. Um den grammatisch falschen Anschluß an das Erstglied zu vermeiden, benutzt man gern die semantisch undeutlichere, aber grammatisch unverfängliche Präposition für. Dies empfahl schon Theodor Matthias (Sprachleben und Sprachschäden. Leipzig 1914:177): Ausfuhrverbot für russisches Getreide. Aus unseren Tagen lassen sich zahllose ähnliche Beispiele anführen: Zugangserschwerung für Ausländer, Beteiligungsverbot für Banken, anonyme Abgabestelle für Säuglinge usw.



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Kommentare zu »Schiefe Attribute I: Attribut zum Kompositum«
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Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 23.11.2024 um 11.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#54255

Interessanter Fall einer doppelten Bezugsverschränkung:

»Meine erfolgreiche Genesungsgeschichte von Long COVID«
(https://www.youtube.com/watch?v=Ghg8fs2XjKg)

War die Genesung erfolgreich, oder ist die Geschichte es? Formal bezieht sich »erfolgreich« hier auf das Grundwort »Geschichte«. Es ist ja auch eine Erfolgsgeschichte. Denn hinter dem Titel steht die Frage: Wie hat die Patientin es geschafft, von Long COVID zu genesen? Man kann aber vermuten, daß hier an »erfolgreiche Genesung« gedacht war, auch wenn es eigentlich tautologisch ist. Letztlich läuft es auf dasselbe hinaus, denn auch bei dieser Lesart geht es um die gelungenen Anstrengungen der Patientin, wieder gesund zu werden (»Ich hab ’ne relativ schnelle Genesung hingelegt«).

Die »Genesungsgeschichte von Long COVID« ist eigentlich die Geschichte von einer Krankheit. Und die Patientin erzählt tatsächlich die Geschichte von ihrer Krankheit. Dennoch drängt sich auch hier der Verdacht auf, daß sich hinter der Konstruktion ein anderes Attribut versteckt, nämlich »Genesung von Long COVID«: sie erzählt die Geschichte von ihrer Genesung von Long COVID.

Man versteht, was gemeint ist, aber man versucht besser nicht, es aufzudröseln. Wahrscheinlich hätte »Meine Genesung von Long COVID« völlig ausgereicht.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.07.2024 um 08.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#53494

Die Floskel "in Wahrnehmung seiner Aufgaben" erinnert mich an das in Reden und Vorworten unvermeidliche "in Verwirklichung der Beschlüsse des soundsovielten Parteitages" oder "in Anerkennung seiner hervorragenden Leistungen".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.07.2024 um 04.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#53493

Entlehnungsprozesse ins Deutsche (Rechtschreibrat in der Einführung 2024). Die schiefe Konstruktion entspricht dem gravitätischen Stil des Rates, der übrigens das Regelwerk „in Wahrnehmung seiner Aufgaben“ neu bearbeitet hat. Wer hätte das gedacht!

Von der quasi-staatlichen Würde hat sich der Rat bis heute nicht lösen können. Er steht durch seine geliehene Macht gewissermaßen über all den kleinen Germanisten, die draußen auf dem Lande herumwerkeln. Mögen sie ihre Argumente vorbringen, wir machen Erlasse!
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 14.01.2024 um 00.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#52585

Auf dem Treffen in Potsdam wurden im November radikale Abschiebepläne von Menschen mit migrantischer Herkunft besprochen.
(https://www.spiegel.de/kultur/afd-geheimtreffen-peter-sloterdijk-verlaesst-verein-deutsche-sprache-a-5449aee6-029a-4b88-a147-c587053e82e3)
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 30.03.2023 um 08.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#50792

Impfschäden? Die Zweifel an den richtigen Zahlen werden lauter (welt.de, 30.3.23)

Das ergäbe nur dann einen Sinn, wenn es um Zweifel an Zahlen ginge, die die Autoren für richtig halten. Der Artikel gibt aber nicht die Meinung der Autoren wieder, sondern berichtet nur davon, daß sich die Zweifel an den veröffentlichten Zahlen allgemein mehren: die statistische Datenbasis stimme nicht, viele Fälle würden nicht erfaßt usw. Es geht also um Zweifel an den [offiziellen/veröffentlichten] Zahlen bzw. an der Richtigkeit der Zahlen.
 
 

Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 07.11.2022 um 11.59 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#49868

Überwältigender Wahlerfolg bei der Abwahlkampagne von Frankfurts Oberbürgermeister (welt.de 7.11.22)
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 06.11.2022 um 11.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#49864

USA fordern von Kiew wohl Verhandlungsbereitschaft mit Russland (faz.net, 6.11.22)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2022 um 15.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#49841

Wie gesagt, es geht nicht um den Genitiv.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 27.10.2022 um 14.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#49840

Die bairische Umgangssprache ist eindeutiger und kennt keinen Genitiv.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2022 um 11.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#49838

Beim letzten Beispiel gibt es noch eine dritte Möglichkeit: "der Vater als Geschenk" (explikativer Genitiv). Im übrigen stimme ich Herrn Riemer zu, und so hatte ich es auch im Haupteintrag vor 9 Jahren gemeint. Dort auch die Erklärung, warum wir manche Konstruktionen dieser Art als nicht so störend empfinden.

Bei der Häufigkeit der Verstöße habe ich mich oft gefragt, ob sie allmählich zur Norm werden könnten. Es wäre eine kapitale Änderung der Grundstruktur des Deutschen; darum glaube ich nicht daran, und die Beispiele nehmen auch nicht zu.

Übrigens ist in der Schriftsprache (Zeitungen...) auch der Genitiv unangefochten.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.10.2022 um 10.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#49837

Auf eine Doppeldeutigkeit kommt man ja nur, wenn man das schiefe Attribut zuläßt:
Versuche zur Einschüchterung iranischer Redaktionskollegen

Aber der Satz ist ja eigentlich grammatisch und syntaktisch völlig korrekt, er bedeutet:
Versuche iranischer Redaktionskollegen, jemanden einzuschüchtern

Daß diese einzig korrekte Lesart in Wirklichkeit nicht gemeint ist, kann nur der Kontext enthüllen.

Mit der Mehrdeutigkeit des Genitivs hat das natürlich nichts zu tun. Das Gemeinte ist ein schiefes Attribut, der tatsächliche Text ist inhaltlich falsch.
Ein doppeldeutiger Genitiv wäre zum Beispiel das Geschenk des Vaters, wo man nicht erkennen kann, ob es ein Geschenk vom Vater oder für den Vater ist.
 
 

Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 27.10.2022 um 10.26 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#49836

Korrektur: unterschiedlicher Kasus stimmt nicht, es ist ja zweimal der Akkusativ. Da bin ich in die Latein-Falle getappt.
 
 

Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 27.10.2022 um 10.00 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#49835

Ja, der Genitiv ist nicht das Problem. Wenn man von schreiben würde, wäre alles im Dativ, aber die Zweideutigkeit trotzdem nicht gelöst.
Meine Lösung wäre: durch und gegen, das wäre eindeutig und würde nebenbei auch zu einem unterschiedlichen Kasus führen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2022 um 04.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#49834

Das sehe ich anders. Es geht nicht um den Genitiv, sondern um die falsche Beifügung, weshalb Herr Metz das auch in dieser Rubrik eingetragen hat. Attribute können immer nur vom Grundwort abhängen, sollen semantisch aber auf das Bestimmungswort Bezug nehmen. Das ist nicht zweideutig, sondern objektiv falsch. Mit dem Adjektiv wäre es genau so, daher die sprichwörtliche "verregnete Feriengefahr" und mein alter "freilaufender Hühnerhalter".
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 26.10.2022 um 22.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#49833

"Einschüchterungsversuche iranischer Redaktionskollegen"

Ein schönes Beispiel für die Zweideutigkeit des Genitivs: partitiv oder objektiv, der Leser soll raten, was gemeint ist. So erhaltenswert ist der Genitiv nicht.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 26.10.2022 um 17.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#49832

»Deutsche Welle beklagt Einschüchterungsversuche iranischer Redaktionskollegen« (spiegel.de, 26.10.22). Beklagen allein nützt nichts, da muß man schon gegen die Kollegen vorgehen.

Erinnert ein wenig an die »Verhörmethoden irakischer Gefangener« (ZDF, heute, 16.05.2004, 0.30 Uhr) und die »Rettungsaktion eines schiffbrüchigen Konkurrenten« (mal irgendwo gelesen oder gehört).
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 02.06.2022 um 15.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#49175

Ich stutze auch immer bei unnötigen Negationen.
Warum kann man statt "Vertrauensverlust nimmt zu" nicht einfach "Vertrauen nimmt ab" schreiben?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.06.2022 um 03.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#49174

Der Vertrauensverlust in Medien nimmt zu. (Nils Minkmar in SZ 1.6.22 über den Fall Döpfner)

Im allgemeinen sind wir an schiefe Beifügungen (zu Komposita) gewöhnt, aber hier stutzt man doch: Es könnte ja durchaus sein, daß in den Medien der Vertrauensverlust zunimmt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.09.2021 um 23.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#47182

Ohne den Cockpitschutz, der seit 2018 auch gegen anfängliche Widerstände zur Pflicht an den Rennwagen gehört, wäre das Auto von Verstappen mit dem rechten Hinterrad ungebremst und ungeschützt auf den Kopf von Hamilton gekracht.
(MM, 14.9.21, S. 26)

Welch ein Segen für Verstappens Auto, daß es durch den Cockpitschutz vor dem Kracher auf Hamiltons Kopf geschützt war!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.05.2021 um 04.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#46037

Weil verärgert über Impf-Skepsis bei Schülern (ntv 26.5.21)

Man versteht das so, als seien die Schüler impfskeptisch. Das Gegenteil ist der Fall, wie im Text selbst klar wird. Skeptisch ist die Stiko.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.06.2020 um 06.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#43696

Wenn man Sprachen vergleicht, wird man immer feststellen, daß die eine etwas hat, was der anderen "fehlt" (ich übergehe das zusätzliche Problem der Gleichsetzung: Bedeutet "Partizip" überhaupt das gleiche über die Grenzen der Systeme hinweg?). Das macht sich praktisch beim Übersetzen bemerkbar, wo man es ja oft "wörtlich" versucht, statt wie ein normaler Muttersprachler souverän von den Mitteln der eigenen Sprache Gebrauch zu machen.
Außerhalb dieser Sonderaufgabe empfindet man selten einen Mangel. Es wäre ja auch seltsam, wenn sich die Sprecher über längere Zeit mit einer Lücke abfänden, die sie doch mit Bordmitteln jederzeit schließen könnten. Das PPP zum Beispiel ist temporal einfach unterspezifiziert, so daß wir sagen können, der Garten sei von einem Zaun "umgeben", die Erde von der Sonne "beleuchtet" usw. Damit steht das Deutsche nicht allein. Ist das ein "Mangel"?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.06.2020 um 00.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#43695

Ist denn "the last living moments" im Englischen/Amerikanischen korrekt? Müßte es da nicht auch "the last moments in life" heißen?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 04.06.2020 um 21.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#43694

Das sind mißlungene 1:1-Übersetzungen (violent, the last living moments).
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 04.06.2020 um 19.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#43693

Es ist ein wesentlicher Mangel der deutschen Sprache, daß sie (im Gegensatz zu den slawischen Sprachen) kein Partizip Präsens Passiv und kein Partizip Perfekt Aktiv kennt.
 
 

Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 04.06.2020 um 19.09 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#43692

Dazu paßt auch dieser aktuelle SPON-Aufmacher:

Gewaltsame Demonstranten haben in Minneapolis mehr als 200 Gebäude angezündet und einen Millionenschaden verursacht. Und: Ein Freund beschreibt die letzten lebenden Momente von George Floyd.

Gewaltsame Demonstranten? Gewalttätige Demonstranten.
die letzten lebenden Momente? die letzten Momente im Leben (z.B.)

Fälle wie dieser nehmen rasant zu. Journalisten ist der souveräne Umgang mit der Sprache immer weniger gegeben.
 
 

Kommentar von ppc, verfaßt am 04.06.2020 um 18.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#43691

Ein Klassiker ist der abgebrochene Student.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.04.2020 um 18.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#43423

Neben dem Denkmal an das Schengener Abkommen bietet Schengen noch weitere Sehenswürdigkeiten.

(Wikipedia über Schengen)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.09.2019 um 03.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#42049

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#35443

Zur logischen Schwierigkeit des praktizierenden Christen kommt eine theologische, wenn es heißt:
Sind Sie praktizierender Atheist? (So fragte die ZEIT am 13.10.14 ihre Leser.) Denn was praktiziert jemand, der nicht an Götter glaubt?
(Der Artikel war überschrieben Leidet Deutschland an Religionsschwund? – was ebenfalls die Perspektive offenlegt: Auch Unglaube ist nur als Glaube vorstellbar.)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.06.2019 um 16.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#41699

Vielleicht war er ja in Versuchung geführt worden?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.06.2019 um 16.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#41698

Verdächtiger im Fall Lübcke als versuchter Totschläger verurteilt (zeit.de 17.6.19)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.05.2018 um 06.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#38654

Bei Verzichtserklärung auf... wäre die grammatisch korrekte Auflösung so umständlich, daß sich die "schiefe" Konstruktion im Juristendeutsch weitgehend durchgesetzt hat: Verzichtserklärung auf Steuererstattung usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.01.2018 um 17.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#37651

Zur Unbestimmtheit der Bezugsadjektive:

Die chinesische Niederlassung des US-Autokonzerns General Motors (GM) ist wegen Preisabsprachen zur Zahlung von 201 Millionen Yuan (27,69 Millionen Euro) verdonnert worden. (Handelsblatt)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.01.2018 um 06.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#37646

Bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe, wenn man von einem "polnischen KZ" spricht: Kürzlich beschloss das Parlament in Warschau ein entsprechendes Gesetz.

(Bezugsadjektive und Strafrecht. Übrigens protestiert Israel dagegen; es verschleiere den polnischen Anteil usw., das sind aber andere Bedenken als unsere sprachlichen.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.12.2017 um 04.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#37288

„Ja, Menschen können illegal sein“, sagt Gauland unter Buhrufen (Welt 14.12.17)

Es gibt illegale Einwanderer (Duden-Beispiel), Einwanderer sind Menschen, es gibt illegale Menschen. Das schiefe Attribut wie beim starken Raucher, wo sich die Qualifikation auf das Rauchen bezieht, wie dort auf das Einwandern. Logisch nicht ganz korrekt, sprachlich schon.
Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=783#30083
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.11.2017 um 07.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#37024

Schiefe Attribute wie der dreistöckige Hausbesitzer werden sich wohl nicht durchsetzen, aber bei einem anderen Typ bin ich mir nicht so sicher. Ich hatte schon auf die Zusammensetzungen mit abstraktem Grundwort hingewiesen, wo der Anstoß geringer empfunden wird. In der Zeitung liest man täglich massenhaft: Ausstiegsplan aus der Braunkohle, Nachfrageeinbruch nach Turbinen usw. – Je öfter auch in seriösen Medien, desto eher setzt ein Gewöhnungseffekt ein. Gewiß ist es ein Bruch mit einer Grundregel des Deutschen, aber wer weiß?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 04.10.2017 um 23.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#36461

Udo Lindenberg: "Ist das der Sonderzug nach Pankow?" (Melodie von Glenn Miller)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.10.2017 um 12.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#36452

Ich hatte mich zu kurz ausgedrückt (weil ich meinte, das sei anderswo schon klargestellt). Also ich meinte, genau genommen kann ein Gegenstand zwar irgendwo sein, aber nicht irgendwohin. Man nimmt es aber eben nicht so genau, sondern überträgt die Richtung, für die er bestimmt ist, auf den Gegenstand selbst. So kann auch ein Weg nach Nürnberg erklärt werden: als Weg, der nach Nürnberg führt. (Aber nicht mehr elliptisch.)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.10.2017 um 11.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#36451

Das hängt sehr vom Kontext ab. Unter bestimmten Umständen könnte man das alles schon sagen.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 04.10.2017 um 10.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#36450

Oder besser: eine Lehrerin, die nach Amerika zu reisen beabsichtigt.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 04.10.2017 um 10.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#36449

Von einem Zug, der gerade in den Pariser Nordbahnhof eingefahren ist, würde man aber auch nicht sagen Der Zug ist nach Paris. Umgekehrt würde man eine Lehrerin, die nach Amerika gereist ist, nicht als Lehrerin nach Amerika bezeichnen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.10.2017 um 10.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#36448

Einen kleinen Unterschied gibt es: Wenn sie nach Amerika ist, dann ist sie schon da. Der Zug nach Paris (der also nach Paris ist), soll erst hinfahren.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.10.2017 um 10.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#36447

Ein Zug kann nicht "nach" etwas sein?
Hier (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1278#17347) waren wir aber anders verblieben, "Sie" könne durchaus "nach" Amerika sein.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.10.2017 um 08.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#36444

Ja, das ist derselbe Fall. Unter dem Druck der feministischen Korrektheit neuerdings auch Teilnehmende an der Konferenz.
Grenzfall: Reisende nach Paris bitte zu Gate 14. Dazu der Zug nach Paris, obwohl ein Zug eigentlich nicht "nach" etwas sein kann.
Das Deutsche hat hier eine Lücke.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 04.10.2017 um 08.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#36443

Ist nicht Teilnehmer an der Konferenz ähnlich schief? Ich würde immer Teilnehmer der Konferenz sagen, aber davon wollen die Wörterbücher nichts wissen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.10.2017 um 07.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#36442

In die Rolle des obersten Kümmerers um die Demokratie, die der Bundespräsident als erster Mann im Staat einzunehmen hat, muss Steinmeier noch hineinwachsen. (welt.de 4.10.17)

Wer sich um die Demokratie kümmert, ist kein Kümmerer um die Demokratie.

(Das GG enthält übrigens nichts von dieser Rollenbeschreibung.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2017 um 09.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#35886

1969 wurde er Verwaltungsratsmitglied der Landwirtschaftlichen Rentenbank und war von 1974 bis zu seinem Ausscheiden 1998 dessen Vorsitzender. (Wikipedia über den kürzlich verstorbenen Heereman)

Wessen? Nun, des Verwaltungsrats, aber der ist als Erstglied einer Zusammensetzung eigentlich syntaktisch nicht mehr zugänglich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2017 um 10.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#35635

Der islamistische Fundamentalismus verbreitet seit einiger Zeit im vermeintlichen Namen Allahs, »des einen Gottes«, überall auf der Welt Schrecken und Tod. (Gerhard Roth in Martin Urban: Ach Gott, die Kirche! München 2016)

Das klingt so, als hätte Allah in Wirklichkeit einen anderen Namen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.06.2017 um 09.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#35443

Der praktizierende Katholik (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#28732) ist ein Katholik, der praktiziert – aber was? Natürlich seinen Katholizismus. Oder er ist jemand, der ALS Katholik praktiziert. In jedem Fall muß man etwas ergänzen.
Auf das Partizip kommt es nicht an, man könnte ja auch sagen aktiver Katholik, aktives Kirchenmitglied.
Es ist eine gestauchte Ausdrucksweise, die einer logischen Semantik, die die Gesamtbedeutung kompositionell aus der Bedeutung der Teile herleitet, unlösbare Schwierigkeiten bereitet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.06.2017 um 06.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#35442

Unter "Gliederungsverschiebung" bespricht Hermann Paul auch folgendes:

„Eine Verschiebung ganz anderer Art haben wir in Wendungen wie ein sein wollendes Original (Herder), so viele sein wollende Kenner (Ebert an Lessing), sein sollende griechische Simplizität (Iffland), ein sich dünkender Eigentümer (Kant), alle Torheiten eines sich dünkenden Genies (Gottw. Müller), einem sich stellenden Tauben (Le.), ein gewesener Soldat, ein geborener Franzose, eine geborene Müller, ein angeblicher Vetter, der vermeintliche Baron, mit anscheinender Gleichgültigkeit, die sogenannte Heide; franz. un nommé Richard. Hier sind die Substantiva, die eigentlich Prädikate zu nicht genannten Subjekten sind, an die Stelle dieser Subjekte getreten und haben damit auch die Form des Partizipiums bestimmt. Auch in Fällen wie sein früherer (ehemaliger) Herr, seine spätere (zukünftige) Frau sind die Substantiva eigentlich Prädikate.“ (Prinzipen 289f.)

(Die Beispiele angeblich, vermeintlich gehören eigentlich zur zweiten Gruppe.)

Das ist so zu verstehen: sein früherer Herr ist "ein X, der früher sein Herr war". Der Herr selbst ist natürlich nicht früher. Adverbien werden in eine flektierbare Form gebracht, also zu Adjektiven.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 06.06.2017 um 09.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#35279

Beobachtung aus einem landwirtschaftlichen Museum:

Es gibt so etwas wie eine "Dreireihige Kartoffel-Legemaschine". Dabei ist nicht die Maschine selbst dreireihig, sondern der Acker wird von der Maschine in drei parallelen Reihen (Furchen) mit der "Aussaat" bestückt.

Eine oberflächliche Durchsicht der einschlägigen Literatur sowie eine Google-Suche ergaben, daß das schiefe Attribut es in diesem Fall zum Fachbegriff geschafft hat.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.11.2016 um 05.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#33867

Über unser Beiratsmitglied schreibt Wikipedia:

Burkhart Friedrich Ernst Kroeber ist ein deutscher Übersetzer und gelegentlicher Autor.

Auch der gelegentliche Autor gehört in die Rubrik starker Raucher oder noch besser geschickter Dieb, denn Autor ist nicht einmal ein Nomen agentis.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.11.2016 um 22.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#33866

Unter örtlicher Betäubung entnahm ein plastischer Chirurg bei jedem Patienten zunächst ein winziges Knorpelstück aus der Nasenscheidewand.

(FAZ, 16.11.2016, S. N2)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.10.2016 um 21.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#33453

Man sollte es nicht für möglich halten, wie viele Internetseiten heute melden, daß "drei theoretische Physiker" den Physik-Nobelpreis bekommen haben. Zum Glück wenigstens nicht den theoretischen Physik-Nobelpreis. Im DLF kam die Formulierung kurz vor sieben gleich dreimal im selben Beitrag.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.10.2016 um 18.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#33442

Das Ventil befindet sich meist auf der gegenüberliegenden Seite des Thermostats.

Die starke Deklination liegt im Trend, aber wie steht es mit dem Genitivattribt? Korrekt wäre auf der dem Thermostat(en) gegenüberliegenden Seite – eine ziemlich unbequeme Konstruktion.
 
 

Kommentar von Georg Hilscher, verfaßt am 29.08.2016 um 16.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#33200

Laut der deutschen Wikipedia ist die türkische Luftwaffe Eigentümer des Stützpunkts.
Trotzdem wäre "Nato-Luftwaffenstützpunkt im / nahe dem türkischen Incirlik" wohl die bessere Bezeichnung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.08.2016 um 05.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#33196

Von der Leyen besuchte vor ein paar Tagen den "türkischen Luftwaffen-Stützpunkt in Incirlik". (FAZ)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.08.2016 um 13.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#33148

Das kommt drauf an. Die Amerikaner könnten von ihrem deutschen Stützpunkt sprechen oder von ihrer kubanischen Enklave. Bei Personen kommen vorrangig andere Gesichtspunkte ins Spiel (Herkunft, Staatsangehörigkeit). Das ändert nichts an der Vieldeutigkeit der Bezugsadjektive.
 
 

Kommentar von Georg Hilscher, verfaßt am 20.08.2016 um 13.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#33147

Vom "deutschen Luftwaffenstützpunkt Ramstein" oder dem "kubanischen Gefangenenlager Guantanamo" zu reden wäre irreführend. Und obwohl Simon Rattle seit Jahren in Berlin lebt und arbeitet, wird er nicht als deutscher Dirigent bezeichnet.
(Ob das geplante polnische Gesetz sinnvoll ist, ist natürlich noch mal eine ganz andere Frage.)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.08.2016 um 11.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#33146

Mit derselben Begründung müßte man auch die Bezeichnung "Polnische Teilungen" verbieten. (In Wikipedia heißen sie "Teilungen Polens".)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.08.2016 um 07.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#33145

In Polen soll es künftig strafbar sein, die KZs auf polnischem Boden als polnische Lager zu bezeichnen. Nun ist polnisch (auch im Polnischen) ein Bezugsadjektiv; es besagt nicht zwingend, daß die Lager von Polen betrieben worden sind.
Diese sprachwissenschaftliche Argumentation dürfte allerdings hier wie auch sonst nichts bewirken. Der politische Wille, immer mehr Ausdrucksweisen aus dem Verkehr zu ziehen, setzt sich letzten Endes durch.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 19.08.2016 um 14.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#33140

Ralph Waibel [Stadtrat] sieht vor allem in der Freiburgerstraße eine starke Gefahrenzone.
("Stadtteilzeitung NeckarBlick", Mannheim, 17.8.16, S. 1)

Typisches Beispiel eines schiefen Attributs (Attribut zum Erstglied).
Aber was ist folgendes?

Er ist langsam und in starken Schlangenlinien gefahren ...
(MM, 17.8.16, S. 25)

Das Attribut paßt weder zum Erst-, noch zum Zweitglied, also eigentlich auch nicht zum Kompositum, trotzdem versteht jeder gleich, was damit gemeint ist - stark geschlängelte Linien.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.02.2016 um 04.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#31816

Zum Erstglied eines Kompositums kann weder ein Attribut gestellt werden, noch kann man sich darauf wiederaufnehmend beziehen, aber es gibt Ausnahmen ("Fehler"):

São Paulo leidet unter Wassermangel, es muss aus der Nachbarregion importiert werden. (SZ 17.3.09)

Zaid kennt alle Lausbubentricks, weil er selbst einer war. (Jürgen Todenhöfer: Warum tötest du, Zaid? München 2008:77)

Die Serie „Roots“ war einer der größten Fernseherfolge in der Geschichte dieses Mediums. (ZEIT 6.8.82)

Man kann das mit "sloppy reference" und Constructio ad sensum zusammenbringen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.12.2015 um 04.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#30724

Noch einmal zum Bezugsadjektiv (hier u. ä.):

Beim muttersprachlichen Erwerb (Richard Köhring/Klaus H. Beilharz: Begriffswörterbuch Fremdsprachendidaktik und -methodik. München 1973:140) wissen wir genaugenommen nicht, was da eigentlich muttersprachlich erworben wird. Beim christlich-jüdischen Verhältnis wissen wir nicht, zwischen wem ein solches Verhältnis besteht. Grammatisch gesagt: die Aktanten sind in Attributen versteckt. Für meine zahnärztliche Bemühung berechne ich Ihnen wie folgt... Schrott gilt als altertumswissenschaftlicher Dilettant.

Andererseits dient das Adjektivattribut der Täterverschweigung. Robert Leicht schrieb einmal: "Wir reden ja merkwürdigerweise noch immer gerne von den drei polnischen Teilungen, als seien es die Polen gewesen, die da irgendetwas geteilt haben." (ZEIT 5.5.14) Darin steckt ein Körnchen Wahrheit. Bei der deutschen Teilung haben wir es allerdings nie so empfunden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2015 um 04.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#30711

Erstmals seit Wochen geht die Zahl von Migranten in Deutschland gravierend zurück. (Welt 30.11.15)

Abgesehen vom gravitätischen gravierend (= stark) ist das Attribut nicht ganz richtig. Die Zahl der Migranten IN Deutschland geht nicht zurück, sondern nur die Zahl der NACH Deutschland Kommenden. Aber Migranten nach Deutschland wäre grammatisch falsch, wird allerdings immer üblicher. Eine echte Lücke im Deutschen, vgl. das schon besprochene Reisende/Passagiere nach Frankreich usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.10.2015 um 17.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#30334

Vermeiden Sie mangelnde Bewegung!

Was zum Teufel soll ich tun, mich bewegen oder mich nicht bewegen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.10.2015 um 04.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#30321

der schwarzafrikanische Kardinal Robert Sarah (FAZ 24.10.15)

Das Bezugsadjektiv bedeutet eigentlich nur, daß er aus Schwarzafrika kommt, nicht aber, daß er schwarz ist.

Kanzlerin hält Bundestagsmandat für unnötig, die SPD schon. (SZ 17.1.13, Untertitel)

Das einräumende schon bezieht sich sinngemäß auf das Wort nötig, das aber im Satz gar nicht vorkommt. un- ist eben nicht dasselbe wie nicht, der Satz mit un- ist gar nicht verneint.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.09.2015 um 16.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#30020

Ein Leser der "Welt" schreibt zum einsturzgefährdeten Berliner Flughafen-Neubau:

Eine kleine Anmerkung: es gibt keine "Statik-Probleme". Statik ist die Lehre der Kräfte, die als solches natürlich keine "Probleme" aufweist. Was problematisch oder falsch sein kann, ist die statische Berechnung oder der sog. Trag- bzw. Standsicherheitsnachweis.

Manche Laien haben eine klare, wenn auch falsche Vorstellung von der Deutung der Komposita. Man könnte dem guten Mann ebenso beckmesserisch entgegenhalten, daß es keine Lehre der Kräfte gibt, denn die Kräfte lehren nichts.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.09.2015 um 17.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#29912

Zu den "pronouns of laziness" paßt auch, was die FAZ einmal über Erich Kästner schrieb:

Er emigrierte nicht. Aber seine Bücher waren es.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 10.08.2015 um 18.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#29681

Zu Herrn Riemer (#29654): Das „so“ gehört zum „do“, und diese Wortgruppe ist im Deutschen mit „(sie) tun dies“ wiederzugeben. Die sprachliche Seltsamkeit Ihres englischen Beispielsatzes rührt daher, daß es kein anderes Verb gibt, auf das sich das „do so“ bezieht, vielmehr bezieht es sich auf „Users“ bzw. einem diesen gedanklich zugeordneten „to use“.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.08.2015 um 11.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#29655

Herr Ludwig hat in diesem Faden die "pronouns of laziness" schon genannt (#26605). Interessant bleibt auf jeden Fall die Frage, wie verbal die Verbalnomina sind. Danach bemißt sich ja die Schiefheit der Attribute. Unter Einschluß der Komposita:

*Reisebuch durch Rußland
?Reisender durch Rußland
Reisende/Passagiere nach Rußland ("bitte zu Gate 7")
Reise nach Rußland
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 08.08.2015 um 11.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#29654

Man weiß natürlich oft, was gemeint ist, aber ist es auch sprachlich richtig? Mir kommt der Satz vor allem wegen des Wörtchens 'so' seltsam vor, denn das bezieht sich doch auf eine bestimmte Art und Weise des Handelns, die gar nicht explizit genannt wird.

An dem Satz 'Autofahrer handeln auf eigene Gefahr' hätte ich gar nichts auszusetzen, aber bei 'Autofahrer handeln so auf eigene Gefahr' - fehlt da nicht etwas, kommt da nicht automatisch die Frage auf: Ja, wie handeln sie denn? Ist das nicht im Englischen genauso? (Dort kommt noch dazu, daß 'do' kaum Inhalt hat, sondern nur eine Art Hilfsverb ist.)
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 07.08.2015 um 23.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#29649

Zu "Ja, wie oder was tun sie denn eigentlich?":
a. users = sie parken ihr Auto da, sonst sind sie ja keine *user*.
b. Umstände: Es ist der Besucherparkplatz einer Whisky-Distillery, und da kann vieles geschehen. Man sei also nicht allzu erstaunt, wenn a. was passiert, und b. ist man erstmal selbst schuld, jedenfalls nicht die Whisky-Distillery, ja lt. Schild-Information. Am besten läßt man also einen *designated driver* im Auto zurück.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.08.2015 um 18.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#29647

Während bei uns freilaufende Hühnerhalter wohl mit Recht belächelt werden, braucht man sich in England darüber weniger Sorgen zu machen. Ob das Schild mit der Aufschrift "Blue badge holders only" (oft an Parkplätzen zu sehen) nun Inhaber von blauen Ausweisen oder blaue Ausweisinhaber meint, die richtigen werden's schon wissen.

Zwar in eine andere Kategorie gehört das folgende Schild (gesehen am Besucherparkplatz einer Whisky-Distillery in Campbeltown), aber wenn ich schon mal dabei bin:

Users of this car park do so at their own risk.

Ja, wie oder was tun sie denn eigentlich?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.05.2015 um 04.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#28945

Bei den Grünen herrscht "Scham über pädophile Blindheit". (FAZ 21.5.15)

Das ist nur als Bezugsadjektiv allenfalls zu verstehen und erinnert damit an die humanitäre Katastrophe.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.04.2015 um 12.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#28732

Die sonderbare Verschiebung wie in starker Raucher, kleiner Angestellter, guter Freund, praktizierender Katholik kommt auch in anderen Sprachen vor. So heißt der gute Freund im Chinesischen hao pengyou, also wörtlich ebenso wie im Deutschen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.04.2015 um 09.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#28578

Die beiden späteren erfolgsbedingten Studienabbrecher... (Wikipedia „Vobis“)

Während es mit späterer keine Schwierigkeiten gibt (denn man spricht auch vom ehemaligen Bundeskanzler, späteren Minister usw.), ist der erfolgsbedingte Studienabbrecher schief konstruiert. Gemeint ist jemand (-er), der erfolgsbedingt sein Studium abgebrochen hat. Obwohl Abbrecher keine Zusammensetzung ist, paßt das Attribut nicht recht zum Ganzen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.03.2015 um 06.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#28445

Dave Eggers will mit seinem neuen Roman die Schuldigen am Leid der Welt zu Antworten zwingen. (FAS 29.3.15)
Zu den unangenehmen Eigenschaften des Deutschen gehört, daß schuldig am Leid der Welt nicht in dieser Weise substantiviert werden kann. Während adjektivisch beides möglich ist: mit sich zufrieden und zufrieden mit sich, entfällt die Nachstellung des valenzgesteuerten Attributs (bzw. Objekts, Komplements) bei Substantivierung. Die obligatorische Voranstellung führt jedoch zur schwerverständlichen, in der Umgangssprache vermiedenen Konstruktionen. Alternativ bietet sich nur der Relativsatz an, aber von Nebensätzen haben wir ohnehin schon genug.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 28.12.2014 um 19.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#27628

Kinseys Studie war überhaupt kein »Befreiungsschlag« – wenn solche militärischen Metaphern auf die Wissenschaft Anwendung finden, schwant einem schon Böses.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.12.2014 um 15.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#27626

Mir scheint, ich habe jetzt selbst eine ungenaue Bezugnahme eingeführt. Der Befreiungsschlag galt irgendwie schon dem Thema Sexualität. Deshalb eine kleine Korrektur meines Kommentars mit den im Zitat gebrauchten Worten:

Der Befreiungsschlag war ja nicht gegen das Thema Sexualität, sondern gegen die Tabuisierung des Themas gerichtet.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.12.2014 um 14.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#27624

Auch eine schiefe Bezugnahme aufs Erstglied
(MM, 27.12.14, Wochenendbeilage S. 9):

Alfred Kinseys legendärer Report "Das sexuelle Verhalten des Mannes" von 1948 gilt als erster großer Befreiungsschlag gegen das Tabuthema Sexualität.

Der Befreiungsschlag galt ja nicht dem Thema Sexualität, sondern der Tabuisierung des Themas.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 28.08.2014 um 07.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#26617

Doppelt schief ist die Formulierung Dieter Graumanns, der von einer "warme[n] Willkommenskultur" spricht (http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/juden-in-deutschland-schauderhafte-schockwellen-von-antisemitismus-13079233.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2).

Hier vermischt sich das schiefe Attribut mit einem Anglizismus ("warm welcome"), was heutzutage aber auch in der Presse nichts Ungewöhnliches mehr ist.

Interessant sind jedoch auch die schiefen Attribute, die es in den allgmeinen Sprachgebrauch geschafft haben, und die sich nicht auf ein Kompositum beziehen, z.B. "Kalter Krieger". Letzteres läßt sich kaum erweitern, denn *Kalter-Kriegsveteran oder *Kalter-Kriegsopfer sind, wenn nicht inakzeptabel, so doch zumindest grenzwertig.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 27.08.2014 um 16.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#26613

Hier jedoch ist's schon schwieriger: "Damaskus (dpa [heute]) – [...] Die Milizen hätten nach heftigen Kämpfen mit Dutzenden Toten und Verletzten die syrische Armee vom Grenzübergang vertrieben." Das hat allerdings etwas mit dem germ. "mit j-m kämpfen / fight with s.o." zu tun, wo man beim "eng zusammen mit" auch klar sehen muß, ob's Rücken an Rücken oder Brust an Brust ist. Instrumental wär's fast unglaublich.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 25.08.2014 um 17.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#26605

Zu #26598 und Mathematiker-Ticken: Interessant. Im Zusammenhang versteht man gleich richtig, was gemeint ist, vor allem im Gespräch. Erst wenn man's liest und drüber nachdenkt, wird's eigenartig. Das ist ein bißchen wie bei «"Hans hat keinen Computer, aber Grete benutzt ihn gern." Das ist logisch nicht in Ordnung, weil der Computer, den Grete gern benutzt, im Vordersatz gar nicht erwähnt ist. Die Sprachwissenschaft nennt so etwas "pronouns of laziness". (Logisch richtig wäre: aber Grete benutzt ihren gern.)"» (Ickler) Hier also "adjectives of laziness" (in den Grammatiken in den USA nennt man auch die Attribute "adjectives").
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.08.2014 um 16.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#26604

Einen anderen Sachverhalt als das reziproke Quadratgesetz, manchmal auch genauso schief quadratisches Abstandsgesetz genannt, beschreibt das quadratische Reziprozitätsgesetz. Das ist aber schon ein sehr fest etablierter mathematischer Ausdruck, d. h. man muß das schiefe Attribut wohl als fachsprachlich entschuldigen.

Dabei geht es um Unterscheidung quadratischer Reste von quadratischen Nichtresten.
Quadratischer Rest geht ja von der Bezeichnung her in Ordnung, aber an einem "quadratischen" Nichtrest gibt es gar nichts Quadratisches. Das ist, als wenn es auf dem Mars zwei Arten von Lebewesen gäbe. Beide sehen völlig gleich und grau aus, aber die einen tragen gern grüne Mützen, weshalb sie auch grüne Mützen genannt werden. Die andern heißen zur Unterscheidung grüne Nichtmützen, obwohl sie überhaupt nichts Grünes an sich haben. Ganz genauso ist das mit den quadratischen Nichtresten. Na ja, so ticken wir Mathematiker eben.

Aber auch wieder nicht immer. Die Methode der kleinsten Quadrate heißt m. W. nur so, einer *kleinsten Quadratemethode bin ich noch nicht begegnet. Das wäre selbst für Mathematiker zu durchsichtig.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 23.08.2014 um 16.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#26598

Vorbeugende Krankheitskosten können hingegen nicht abgesetzt werden.
(MM, 23.8.14, S. 7)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.08.2014 um 23.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#26565

Messungen am CERN zeigen, dass die elektromagnetischen Kräfte im Vergleich zum reziproken Quadrat-Gesetz effektiv um rund zehn Prozent stärker sind, wenn sich zwei Ladungen auf einen Abstand von einem 100 Millionstel des Radius eines Wasserstoffatoms nähern, 1000-mal kleiner als die Größe des Atomkerns.
(Frank Close, Das Nichts verstehen, Übersetzung aus dem Englischen, Spektrum, Taschenbuch 2011, Seite 148)

Das reziproke Quadrat-Gesetz ist so etwas wie das erneuerbare Energiengesetz, also auch schiefes Attribut.
Eine "Augenweide" sind auch die Zahlwörter ein 100 Millionstel und 1000-mal.
Auf der Seite davor steht die Trennung das rezip-roke Quadrat-Gesetz.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.08.2014 um 06.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#26555

Grenzregion zu Ungarn – das erregt kaum Anstoß, obwohl es ein Fall von "schiefem Attribut" ist, denn die Konstruktion mit zu hängt ja von Grenze ab. Aber das Grundwort Region ist semantisch so blaß, daß es fast wie ein Suffix empfunden wird, durch das die Valenz des Erstgliedes hindurchregiert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.07.2014 um 04.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#26354

Religion ist Kontingenzbewältigungspraxis handlungssinntranszendenter Kontingenzen.

Das kann nur von Hermann Lübbe sein, der seine Kompositumsriesenschlangen zum Markenzeichen gemacht hat. In diesem Fall ist es nicht so gelungen, weil mit schiefer Attribution verbunden; außerdem steht das Attribut Kontingenzen in gleicher Funktion als Erstglied der Zusammensetzung.

(Vielleicht steht es aber auch nicht ganz genau so im Originaltext, den ich gerade nicht vor mir habe, nur ein Zitat im Wikipediaartikel über Kontingenz.)

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.01.2014 um 05.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#24951

Doch bisher ist die Schleppnetzfischerei nach Schrott im Orbit vor allem eine Zukunftsvision - von der es auch unzählige andere gibt. (Spiegel.de 27.1.14)

"Von" der Zukunftsvision kann es eigentlich nicht unzählige andere geben. Wir verstehen aber schon, was gemeint ist. Man könnte es eine constructio ad sensum nennen oder unter "sloppy reference" abhaken. Ähnlich im "Faust":

Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
Doch ihre Weine trinkt er gern.


Eigentlich sind die Franzosen, auf die sich das Pronomen im Plural bezieht, gar nicht genannt. Man liest sie in den generischen Singular hinein.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.10.2013 um 05.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#24293

Es hat in den vergangenen 40 Jahren unzählige Suchaktionen danach gegeben. (FAZ 29.6.13; es geht um eine als ausgestorben geltende Pflanzenart)

als Kontaktmann zu schwierigen Mitarbeitern (Spiegel 18.8.03)

Suchaktionen ist offenbar nur der Plural von Suche, und beim Kontaktmann kommt es auch nicht auf den Mann an; beide Fälle zeigen also noch einmal, daß das Zweitglied nicht viel mehr als ein Suffix ist, daher die Unanstößigkeit des "schiefen Attributs".
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 16.07.2013 um 13.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#23680

Zwar kein Bezug zu einem Kompositum, aber auch schön: Berufsbezeichnung „zeitgenössische Tänzerin“.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.07.2013 um 11.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#23678

Man glaubt kaum, wie oft man erneuerbare(s) Energiengesetz im Netz findet. Immerhin gut 2% aller Google-Fundstellen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.07.2013 um 15.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#23665

Vielen Dank für die Antworten. Ich hatte mir auch schon gedacht, daß es vielleicht aufgrund der heutigen elektronischen Speicherung nicht mehr unbedingt erforderlich bzw. nicht mehr üblich sein könnte. Dann weiß ich aber jetzt, daß ich auch bei Zeitungen die Seitennr., soweit sie mir bekannt ist, ruhig mitschreiben kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.07.2013 um 14.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#23664

Das ist eine sehr berechtigte Frage. Ich habe im Laufe der Jahrzehnte zu allem möglichen eine große Menge von Belegen gesammelt, die ich für grammatische und andere Untersuchungen heranziehe (oder irgendwann einmal heranziehen möchte ...). Ursprünglich waren sie alle mit Seitenzahlen versehen, auch bei Zeitungen. Vor ungefähr 15 Jahren habe ich damit aufgehört und sogar schon einen großen Teil der alten Angaben bei Zeitungsbelegen getilgt, vor allem während der Übertragung von Zetteln auf Dateien. Ich habe mir überlegt: Die Belege dienen nur als Beispiele, da ist es wichtig, in welchem Medium sie erschienen sind und um welche Zeit. Niemand wird wahrscheinlich in ein Archiv gehen und sich die Augsburger Allgemeine vom 1.6.1987 heraussuchen. Wozu auch? Ich gebe stets soviel Kontext, daß in diesem Punkt alles klar ist, und wer nur die Zuverlässigkeit meiner Angabe überprüfen will, ist vielleicht ohnehin nicht der richtige Leser meiner Arbeiten. Inzwischen sind die Zitate auch großenteils im Internet auffindbar. Bei Büchern ist das in vieler Hinsicht anders, außerdem habe ich hier meine "philologischen" Gewohnheiten nicht so schnell ablegen können wie bei den ephemeren Zeitungen. Die großen alten Grammatiker wie Hermann Paul fanden nichts dabei, "Schi." oder "L." hinter einen Beleg zu setzen. Die Leser glaubten unbesehen, daß es bei Schiller oder Lessing so steht.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 14.07.2013 um 14.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#23663

Lieber Herr Riemer,

da Sie nicht ausschließlich Herrn Ickler ansprachen, erlaube ich mir eine einfache Antwort. Ja, ich begrüße grundsätzlich genaue bibliographische Angaben. Denn nur sie ermöglichen das gezielte Nachschlagen. Alles andere ermöglicht nämlich oftmals nur das etwas ziellose Suchen.
Belegen möchte ich diese Antwort mit einem längeren – und zudem nicht unproblematischen – Zitat aus Walter Benjamins Rezension von Eva Fiesels Buch „Die Sprachphilosophie der deutschen Romantik“ (Tübingen: J.C.B. Mohr 1927), die zuerst im Literaturblatt der Frankfurter Zeitung erschien (Jg. 61, Nr. 9, 26.2.1928):

Die Arbeit zitiert ausschließlich Quellenschriften. Sie tut es auf die ungewohnteste Art, ohne genaue Angabe der Edition; vor allem ohne Hinweis auf den Fundort der Stelle. […] Wenn je, so ist hier Anlaß es auszusprechen, daß Wissenschaft nicht Ermittelung von Informationen über Gewesenes (und sei es auch gewesenes Denken) ist, sondern in einem Traditionszusammenhang steht, dessen Gesetze sie wenn nicht zu achten, so zu kennen hat. Die Bibliographie als Wissenschaft ist das Zeremonial dieses Raumes und hat wie jedes andere seinen guten Grund. […] Wer eingeladen ist und die Tür, durch die er eintrat, hinter sich zuschlägt, verfährt nicht anders, als wer über die „Sprachphilosophie der deutschen Romantik“ ein Buch ohne Literaturangaben verfaßt. Nämlich unerzogen.

Soviel zu dem berühmten Zitat zur Bedeutung der genauen bibliographischen Angaben. Nicht unproblematisch ist das freilich, weil Benjamin selbst in seiner eigenen Dissertation gelegentlich ungenaue bibliographische Angaben macht, bzw. sogar aus dem Gedächtnis und daher ungenau zitiert. In seinen Rezensionen ist Benjamin übrigens klar wie selten und vermeidet seinen hier schon angesprochenen „Jargon der Eigenstlichkeit“.

Darüber hinaus könnte man diese Rezension auch noch gut in den Strang zur Geschlechtergerechtigkeit stellen. Aber ich habe nun genug zitiert und lasse daher nur noch meinen Zitatnachweis folgen: Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd. III, Kritiken und Rezensionen, hrsg. von Hella Tiedemann-Bartels, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972, S. 96–97, hier: S. 97.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.07.2013 um 13.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#23661

Der Fall Snowden, der in Russland Asyl beantragen will, bewegt die Weltpolitik.
(MM, Sonntag Aktuell, 14.7.2013, S. 3)

Oder gehört das eher zum künftigen Thema "Schiefe Attribute II"?

Ich habe noch eine technische Frage. Mir ist aufgefallen, daß Sie, lieber Prof. Ickler, bei Zeitungsbelegen nie die Seitennummer nennen. Ich zweifle nicht daran, daß das ganz korrekt ist. Aber angenommen, jemand wollte aus irgendeinem Grund meinen Beleg im Original nachlesen, sei es, weil er Zweifel hat oder weil er sich für den Kontext interessiert. Wie auch immer, ohne Seitenangabe kann er einen kurzen Beleg in einer normalen Zeitung kaum finden. Es sei denn, wie hier, daß das Zitat schon sehr deutlich auf den Inhalt oder den Titel des Artikels hinweist. Ist es daher in Ordnung, wenn ich beim Zitieren aus Zeitungen die Seite trotzdem nenne? Würde das allgemein begrüßt oder ist es unnötig?
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 09.07.2013 um 22.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#23592

Ich finde, über Fügungen kann man doch nur urteilen, wenn man den ganzen Satz kennt. Wenn ich sage, die Abfahrtszeit nach Kassel verschiebt sich technisch bedingt um 10 Minuten auf 14:27, wüßte ich nicht, was daran auszusetzen wäre.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.07.2013 um 10.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#23584

Da ich den ganzen Tag damit beschäftigt bin, Texte zu vereinfachen, hätte ich spontan vorgeschlagen, einfach Abfahrt nach Kassel zu schreiben. Wenn eine Zeitangabe folgt, ist in fast allen Fällen klar genug, was gemeint ist. Übrigens drücken sich die meisten Menschen mündlich ohnehin so aus.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 09.07.2013 um 10.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#23583

Im Deutschen ist ist es doch ganz einfach: Bevor man lange nach geeigneten Präpositionen sucht, bildet man einfach ein zusammengesetztes Substantiv ohne Präpositionen, die "Kasselabfahrtszeit", ganz korrekt nach den Regeln für Grundwort und gestuften Bestimmungswörtern. Die WBK ist erweirterbar.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2013 um 09.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1553#23579

„Fügungen wie die Abfahrtszeit nach Kassel gelten als standardsprachlich nicht korrekt, weil das Präpositionalttribut (nach Kassel) fälschlicherweise vom Grundwort (-zeit) statt vom Bestimmungswort (Abfahrt-) abhängig gemacht wird. Richtig ist eine Formulierung wie die Abfahrtszeit für den Zug nach Kassel.“ (Duden Richtiges und gutes Deutsch 2001; in der Neuauflage 2011 ist hinzugefügt, daß sich die falsche Fügung häufig findet.)

Die Darstellung ist nahezu unverständlich. Was heißt „abhängig gemacht“? Es klingt so, als sei eine andere Abhängigkeitsbeziehung richtiger. Die Diskrepanz zwischen Form und Bedeutung müßte ganz anders erklärt werden. Die Konstruktion mit für ist nur eine mehr oder weniger linkische Ausweichstrategie, mit der man schiefe Beifügungen vermeidet.
 
 

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