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04.07.2012
Geschichte und Wahrheit
Unbehagen an Fiktionalisierung
Ein ähnliches Unbehagen wie an der Romangattung, für die wir schon Kehlmanns "Vermessung" diskutiert haben, beschleicht einen ja auch anderswo.
In Bilderbüchern für Kinder wimmelt es von vierbeinigen Insekten und sechsbeinigen Spinnen. Vermenschlichte Schnecken haben irgendwo Augen, die sie physiognomisch faßlicher machen, aber die Fühler stehen auch noch irgendwie herum. Je besser man sich auskennt, desto weniger gelingt es einem, das niedlich zu finden, es sieht bloß noch verkrüppelt aus. Kupierte Hunde (heute verboten) wirken auf den Kenner wie Menschen, denen man die Zunge herausgeschnitten hat; schön ist das nicht.
Nun, das ist mir eingefallen, als ich mir gestern den berühmten Film "Gladiator" von Scott Ridley angesehen habe, den meine Töchter mir verordnet hatten. Als Film sicherlich gut gemacht, spannend, gute Schauspieler, dezente Animation usw. Aber wenn man einen Blck für historische Wahrheit hat, wird man ein Unbehagen nicht los. Es stimmt ja alles nicht, die Kleider, die Waffen, die Worte, die Bauwerke und die Handlung. Kann man darüber hinwegsehen? Wenn es um das Allgemeinmenschliche geht und einfach um eine spannende Handlung, warum müssen es dann die Römer und ganz bestimmte Kaiser usw. sein? Beim Publikum, das nichts Originales kennt, muß der Eindruck zurückbleiben, man habe nun doch etwas über die Römer gelernt. Der durchaus artikulierte Vorbehalt verliert sich, der Eindruck bleibt. Wenn ich an die Massen von Fernseh-Infotainment denke, die der Normalmensch in sich hineinschlingt, habe ich doch schwere Bedenken, ob diese suggerierte Augenzeugenschaft nicht eine falschere "Bildung" hinterläßt als früher die kritiklos tradierten Mythen vom Alten Fritz und Kaiser Friedrich lobesam.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.02.2024 um 04.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#52725
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Heftromane werden schon lange gleichsam am Fließband hergestellt. KI hilft jetzt oder übernimmt ganz. Warum nicht? Wenn der Verbraucher damit zufrieden ist... Urheberrechtsfragen werden erörtert, müssen aber den Verbraucher nicht interessieren. Das gleiche gilt für Musik und Filme. Bald wird jeder am eigenen PC seine Wunschgeschichten und -filme herstellen können, das wird die Unterhaltungsindustrie stark verändern. Firmen wie „Midjourney“ erzeugen wirklich erstaunliche Bilder.
Mit einem neuen Tool kann man KI-generierte Texte erkennen, auch absichtliche Rechtschreibfehler. Nicht absolut sicher, aber immerhin. Das Programm wertet ebenso wie ChatGPT viele Texte aus.
Man sagt, die KI simuliere vielleicht perfekt, sei aber nicht kreativ. Aber ist Kreativität etwas anderes als die lullische Kunst der Neukombination von bereits Vorhandenem? „Die Sprache ist kreativ. Das heißt, daß man beliebig viele neue Sätze produzieren und verstehen kann.“ (Gisela Szagun: Sprachentwicklung beim Kind. 4. Aufl. München 1991:15) Das gilt aber auch für Musikmachen, Treppensteigen, Kochen, Blumenpflücken und Fußballspielen. Affen können beliebig viele Verhaltensweisen zeigen. „‘Creativity’ was one of the shabbiest of explanatory fictions, and it tended to be used by the least creative of people.“ (B. F. Skinner: A matter of consequences. New York 1983:304)
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1477#19300
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1103#51100
In der Lokalpresse (online) steht jetzt immer öfter unter einem Artikel:
„Der Redakteur Felix Herz hat diesen Artikel verfasst und anschließend zur Optimierung nach eigenem Ermessen ein KI-Sprachmodell eingesetzt. Alle Informationen wurden sorgfältig überprüft. Hier erfahren Sie mehr über unsere KI-Prinzipien.“
Ich dachte immer, die automatisch erzeugten Texte würden von Hand nachbearbeitet, aber es ist umgekehrt. Die genannten „KI-Prinzipien von Ippen Digital“ findet man hier:
https://www.ippen.media/news/ki-prinzipien-ippen-digital-92499187.html
Diese Vorsätze zur Erzeugung von Textattrappen wirken ziemlich hilflos, wie ein Nachhutgefecht. Oder: Der Zug ist abgefahren und läß sich nicht mehr aufhalten.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.02.2024 um 09.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#52724
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Der Bericht über den nun gefällten „einsamsten Baum der Welt“ in der Sahara wird durch das Symbolbild eines einsamen Baums in der Namib illustriert (t-online.de 7.2.24). So wissen wir wenigstens, wie ein einsamer Baum aussieht. Besser wäre ein KI-generierter einsamer Baum in der dito Sahara, dann stimmt wenigstens der Ort.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.01.2024 um 08.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#52617
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In einem Theaterstück („rein fiktiv“, wie der Autor sagt), „ergründet Lukas Rietzschel den Werdegang eines AfD-Politikers“ (SZ 19.1.24). – Wie kann das sein?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.10.2023 um 04.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#51992
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Die vielen schönen Sturmflut-Fotos, mit denen die Artikel über eine erwartete (!) solche bestückt sind, sind teilweise als "Symbolbild" gekennzeichnet, aber psychologisch ist das irrelevant. Bilder prägen sich ein, und nicht jeder liest das Kleingedruckte. Wie man ja auch "Anzeige" über den sonst völlig gleichartig aufgemachten Beiträgen über Wundermittel usw. überliest.
Der Unterschied zwischen "Symbol" und "Fake" verschwimmt und soll es auch.
In den Überschriften wird unverfroren behauptet, die Ärzte, die Photovoltaik-Unternehmen usw. seien "verärgert" oder "schockiert" wegen dieser oder jener Erfindung, die ihnen die Existenzberechtigung entzieht. Das ist die tägliche Lüge, die presserechtlich bisher überhaupt nicht erfaßt wird.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.01.2023 um 08.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#50292
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„Wie funktioniert die Manipulation der Massen?“ Auf solche und ähnliche Fragen scheint der Rezensent Helmut Böttiger aus dem neuen Roman der jungen Österreicherin Raphaela Edelbauer, der vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs handelt, eine Antwort zu erwarten. (SZ 17.1.23) Ich verstehe das nicht. Es gibt doch Wissenschaften, die sich mit so etwas beschäftigen, und ein Roman ist ein Roman.
„Ein besonderes Augenmerk legt dieser Roman neben der Klassenfrage auf die Abweichungen von den landläufigen sexuellen Praktiken: so im erotischen Spiel zwischen Klara und Elisabeth unter dem Tisch.“ Huch! Aber kann man das Fummeln heute noch als Abweichung bezeichnen – falls es nicht immer schon landläufig war? Und woher kommt das bürokratische „Augenmerk“ (unterm Tisch!)?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.12.2022 um 08.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#50092
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Anna Wimschneiders "Herbstmilch" hat natürlich gleich die Experten auf den Plan gerufen, die sich mit der Frage der Authentizität beschäftigten und Genaueres über das Ausmaß der Bearbeitung durch die Verlagslektorin wissen wollten. Den erfahrenen Leser solcher Texte konnte das nicht besonders interessieren. Das Buch enthält viel Lebenswirklichkeit, die von Einheimischen dankbar wiedererkannt wurde und dem Ortsfremden eine Menge Tatsachen nahebrachte.
Ich wollte eigentlich nur etwas zur sauren Milch sagen. Sie stockt oder stöckelt, und bei uns in Niederhessen "hoddelte" sie, wie auch in Spezialwörterbüchern verzeichnet ist. Das ist das flockige Ausfällen, wenn man fremde Säure hinzufügt oder die sauer werdende Milch aufkocht. Das gehört zu den erstaunlich präzisen Vokabeln, mit denen der Alltag bestückt war.
Früher spielte aus naheliegenden Gründen die Verwertung der schnell sauer werdenden Milch eine große Rolle für die Ernährung, wie nicht nur aus Wimschneiders Erinnerungen hervorgeht. Auch wir hatten lange keinen Kühlschrank. Weiteres hier: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1103#38269
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.08.2022 um 05.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#49595
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Arte brachte gestern abend zwei Sendungen über die Shang-Dynastie und über Pekings „Verbotene Stadt“, die erste in diesem halbdokumentarischen Stil, der anscheinend heute obligatorisch ist: ein paar Interviews, nachgespielte Szenen, Musiksoße drüber – fertig. Als Gelegenheitsgucker ist man ziemlich angewidert. Sind die Zuschauer selbst auf diesem Kanal wirklich unfähig oder unwillig, eine ordentliche Dokumentation zu verarbeiten? Es ist, als wenn Geschichte nur in Romanform dargeboten werden könnte. Die fiktionale Aufbereitung hinterläßt wohl doch den Eindruck, man habe etwas mit eigenen Augen gesehen. In Wirklichkeit geht es um Skelette, Grabbeigaben, Orakelknochen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.01.2022 um 09.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#48298
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Die Wahrheit über Rotkäppchen ist nicht das Ende der Märchenforschung.
„Magical powers in the Harry Potter universe are passed through genetic inheritance, although the mechanism is not clear. A 2005 article in Nature suggested that magical aptitude is a recessive trait inherited on the classic Mendelian model.“ (Wikipedia zu J. K. Rowling)
Lit.:
Barratt, Bethany (2012). The Politics of Harry Potter. New York: Palgrave Macmillan.
Craig, Jeffrey M.; Dow, Renee; Aitken, MaryAnne (August 2005). "Harry Potter and the recessive allele". Nature. 436 (7052).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.01.2022 um 08.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#48287
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Filmbilder sind so gut wie immer ohne Nachdenken als solche zu erkennen, Schauspielerdialoge immer von wirklichen zu unterscheiden.
Das ZDF hat die Wannseekonferenz nachspielen lassen. Das Werk wird sehr gelobt. Das Standfoto in der Zeitung ist auf den ersten Blick als Filmbild zu erkennen, nicht nur wegen der Farbe und nicht wegen der erkennbaren oder gerade nicht erkennbaren Gesichter der Herrschaften. Woran liegt das? Der Film stützt sich selbstverständlich auf die Quellen, der Anspruch ist vergleichbar mit dem einer historischen Forschungsarbeit. Angestrebt und im besten, also schlimmsten Fall erreicht ist also die perfekte Täuschung. Die Fernsehzuschauer werden unvermeidlicherweise wie schon bei früheren Spielfilmen dieser Art nicht an der Illusion vorbeikommen, sie seien dabeigewesen – wenigstens ein kleines bißchen. Ich werde mir das auf keinen Fall ansehen.
Ich habe darüber gelesen und werde es weiterhin tun, kenne auch das Haus am Wannsee (nicht unbedingt nötig, aber Örtlichkeiten zu kennen kann nicht schaden). Aber ich weiß, daß viele meiner Zeitgenossen das Genre der Dokufiktion nicht anstößig finden.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.01.2022 um 06.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#48198
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Ein Spielfilm über Prinzessin Diana wird als „Studie königlicher Klaustrophobie“ bezeichnet (SZ 12.1.22). Spielfilme sind keine Studien. Eigentlich eine Banalität, die aber vom Feuilleton nie eingestanden wird; denn davon lebt es.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.07.2021 um 05.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#46469
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Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#45169
Der Vollständigkeit halber will ich erwähnen, daß ich mir "A Beautiful Mind" nun doch noch angesehen habe. Hollywood-Dutzendware, kaum Ähnlichkeiten mit der Biografie. Wie bei Kehlmanns Roman, von dem dieser Strang ausgegangen war, wird die wissenschaftliche Leistung des Protagonisten dem dummen Publikum nahezu vollständig vorenthalten. Es gibt nur ein paar Sekunden Tischgespräch über das Nash-Equilibrium und "Adam Smiths Irrtum". Die Wertschätzung, die ihm von anderen entgegengebracht wird und im Nobelpreis mündet, bleibt dadurch unverständlich.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.06.2021 um 11.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#46213
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... und lebte von Beeren und Pilzen.
Das haben wir als Kinder gern gelesen und uns ganz einfach vorgestellt. Aber wenn ich mir überlege, wie ich in den hiesigen Wäldern von Beeren und Pilzen leben sollte, wird mir ziemlich mulmig.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2021 um 04.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#45634
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US-Polizistin verwechselte offenbar Taser mit Dienstpistole (SPIEGEL 12.4.21)
Korrekt wäre: US-Polizistin soll Taser mit Dienstpistole verwechselt haben
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.02.2021 um 08.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#45205
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Sylvia Nasar („A beautiful mind“) erwähnt den römischen „Philosophen Valleius“, der als erster darauf hingewiesen habe, daß viele Geistesriesen sich in kurzer Zeit auf engem Raum gedrängt haben. Gemeint ist der Historiker Velleius Paterculus, und die Stelle findet man in den Historien I,16. Nasar schildert Princeton, und die Nachzeichnung der amerikanischen Wissenschaftsgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem die von Hitler bewirkte Verschiebung der Zentren für Physik und Mathematik von Göttingen und Berlin nach Amerika, der bis heute nicht überwundene brain drain, macht ihre Biographie von John Nash besonders lesenswert.
Die griechischen Stadtstaaten waren ja nach heutigen Verhältnissen winzig, und daß in einem Städtchen wie Athen die größten Gelehrten, Künstler und Schriftsteller sich gegenseitig auf die Füße traten, ist schwer zu erklären.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.02.2021 um 17.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#45169
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Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#21000
Das Umschlagfoto zur Biographie John Nashs „A beautiful mind“ zeigt naturgemäß nicht John Nash, sondern sein Filmdouble Russell Crowe, obwohl es keineswegs das Buch zum Film ist, sondern dessen Vorlage. Ich empfinde dieses Ranschmeißen an das Massenpublikum immer als peinlich, mag der Film noch so gut sein.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.01.2021 um 05.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#45030
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Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1507#32688
und http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=783#37979
Vorgefertigtes Spielzeug nimmt dem Kind einen Teil seines Phantasie-Spielraums weg, einen „healthy youngster“ stört das, während ein modernes Medienkind womöglich nichts anderes erwartet. Ähnlich wirkt die Verfilmung eines Romans; fast nie sind wir damit zufrieden. Besonders die Identifikation mit dem Helden, der ja im Buch oft absichtlich unbestimmt gelassen wird, leidet unter der Konkretisierung durch einen Schauspieler. So gern ich Mia Wasikowska an sich sehe – Jane Eyre hatte ich mir anders vorgestellt, werde es aber nun nie wieder können. Dagegen stört es mich nicht, dieselbe Schauspielerin in Tim Burtons „Alice in Wonderland“ zu sehen, weil dieser Film klugerweise darauf verzichtet, sich eng an die Vorlage zu halten (deren Sprachakrobatik sich nicht visualisieren läßt). Text und Film bleiben in meiner Vorstellung getrennt, wie ich kürzlich beim Wiederlesen feststellen konnte.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.05.2020 um 04.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#43543
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Elon Musk erinnert immer mehr an Howard Hughes. An den kann ich nicht denken, ohne daß sich Scorseses "Aviator" dazwischenschiebt. Gerade weil mich beide nicht übermäßig interessieren, wird mir das Unausweichliche dieser Überlagerung besonders deutlich.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2020 um 04.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#43403
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Harald Staun kritisiert in der FAS (12.4.20) nicht nur den Fernsehfilm „Die Getriebenen“, sondern auch die Vorlage, den historischen Roman von Robin Alexander. Das Ganze ist Geschichtsfälschung von der heute beliebten Art. Viele werden glauben, sie seien dabeigewesen. Und dafür zahle ich auch noch. Das hat mir den ganzen Ostersonntag verdorben.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.09.2019 um 04.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#42081
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Zu unserer Diskussion über Mocking birds und Spötter (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#31746):
Der Liedtext (Vogelhochzeit) mag im Widerspruch zur biologischen Systematik stehen, in der die Amsel zur Familie der Drosseln gezählt wird. Es kann allerdings davon ausgegangen werden, dass mit „Drossel“ in diesem Lied ein Vogel gemeint ist, der „Drossel“ als Bestandteil seines Namens, z. B. „Spottdrossel“, „Singdrossel“, „Misteldrossel“ usw. trägt. Einer Hochzeit zwischen Amsel und Drossel stünde somit nichts im Wege. Fraglich bleibt allerdings weiterhin, wer das „Drosselein“ ist, das die Braut ins Kämmerlein führt. Nach der derzeit herrschenden Meinung dürfte es sich um den jüngeren Bruder der Braut handeln. Die kurzen Strophen beschreiben das Verhalten der Hochzeitsgäste, von denen jeder einer anderen Vogelart angehört. Auch die den Feierlichkeiten folgende Hochzeitsnacht wird in einigen Versionen des Textes angedeutet.
(http://www.deutsche-lieder-online.de/vogelhochzeit-volkslied.html)
Weitere Forschungen sind notwendig.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.09.2019 um 18.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#42054
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Wie zu erwarten, melden sich Kritiker des "Dokudramas", die entweder wie die Rechten die "Heiligsprechung" und den "Heldenkult" um Merkel bemängeln oder Unstimmigkeiten in Details, wie die Kanzlerin selbst oder der ungarische Botschafter. Ich habe die Sendung nicht gesehen und brauche auf Einzelheiten nicht einzugehen. Das ganze Genre ist von Grund auf verfehlt. Das sieht das Fernsehen bestimmt nicht ein, sondern wird, wie die FAZ voraussagt, auf der "wesentlichen" Richtigkeit seiner Darstellung beharren. Heillos eben.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.09.2019 um 06.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#42050
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Im ZDF läuft ein Spielfilm "Stunden der Entscheidung" über die "Grenzöffnung" am 4.9.2015. Er wird als "Doku" ausgegeben und von den Medien, z. B. der FAZ, auch als solche kommentiert, als vermittele er Einsichten in politische Entscheidungsprozesse im allgemeinen und Merkels politische Arbeit im besonderen. Selbst wenn Merkel sagen sollte, so sei es gewesen, ist das kein Beweis der geschichtlichen Wahrheit. Erstens bauen auch die Beteiligten – mit und ohne Absicht – nachträglich am Bild ihrer Geschichte, zweitens wissen auch sie nicht alles über die damaligen Umstände. Geschichtsforschung muß darum immer offen bleiben und kann nicht durch Simulation fixiert werden. Unbekannte Dokumente können auftauchen, aber durch genauere Untersuchung des Spielfilms kann man sie nicht auffinden. Das Medium erzeugt eine Pseudo-Augenzeugenschaft und trägt daher auch bei den besten Absichten zur Geschichtsfälschung bei.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2019 um 12.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#41250
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Weltpresse-Foto 2018: Dieses Bild ist eine klare Botschaft an Donald Trump (welt.de 13.4.19)
(Wohl eher Welt-Pressefoto.) Ausgewählt wurde es gerade deshalb, weil es eine Botschaft an Trump ist, nicht wegen besonderer Fotokunst.
Nach Mitteilung des Grenzschutzes und des Vaters zeigt das Foto ein Kind, das NICHT von seiner Mutter getrennt wurde, als Beispiel für Kinder, die von ihrer Mutter getrennt wurden. Es ist also nur eines dieser „Symbolfotos“, deren guter Zweck die Mittel heiligt. Die Bildunterschrift Dieses Foto wurde zu einem Symbolbild für Trumps Einwanderungspolitik ist treffender als beabsichtigt. Solche gutgemeinten Fälschungen sind allgemein üblich und werden nicht zum erstenmal mit Preisen bedacht. (Zur Diskussion im vorigen Sommer: t-online 23.6.18 https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/usa/id_83990126/familientrennung-an-us-grenze-das-steckt-wirklich-hinter-dem-foto.html)
Für Trump und seine Leute ist das natürlich ein gefundenes Fressen; sie können auf die flächendeckende Fake-Presse hinweisen, die auch gar kein Hehl daraus macht, daß sie fälscht.
Darf ein Pressebild symbolisch für eine Sache stehen, die es in Wahrheit gar nicht darstellt? Ja, findet die Jury. (srf.ch 13.4.19)
Das ist der springende Punkt. Wozu dann überhaupt ein Foto und nicht eine Karikatur?
Unsere Zeitungen tun größtenteils so, als wüßten sie gar nichts von den Hintergründen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.01.2019 um 06.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#40713
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Die Zeitung berichtet eine Posse um Filme eines gewissen v. Donnersmarck. In einem davon glaubt sich der Schriftsteller Christoph Hein (ein Pionier der Reformschreibung bei Suhrkamp, wie wir uns erinnern) wiederzuerkennen, beschwert sich aber zugleich darüber, daß er nicht richtig dargestellt sei. Das ist recht komisch. Gerhard Richter scheint mehr Grund zu haben, sich über einen anderen Film zu beklagen, weil der Filmemacher in diesem Fall ausdrücklich erklärt, Richter sei das Vorbild des fiktionalen Malers.
Das ganze Genre ist hoffnungslos.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.01.2019 um 07.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#40547
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Nachdem man Menasses EU-Roman als einen Text gelesen und gefeiert hat, der Erkenntnisse über die EU enthalte, muß man auch andere Texte von ihm in pragmatischer Absicht lesen und diskutieren, und so kommt es zu einem "Fall Menasse". Er hat immerhin seine 15 Minuten Ruhm.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.01.2019 um 08.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#40452
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Nun beschäftigen sich viele mit dem Schriftsteller Robert Menasse. Der hat Walter Hallstein eine Rede in den Mund gelegt, die nie gehalten wurde usw.
Das Grundproblem ist aber doch, daß man Leute ernst nimmt, die ausdrücklich Narrenfreiheit für sich in Anspruch nehmen, unter welchen schönen Umschreibungen auch immer.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2018 um 05.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#40272
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Historiker bemühen sich, die Geschichte, wie sie wirklich war, unter der Decke von Legenden hervorzuziehen ("War Karl der Kahle wirklich kahl?"). Zugleich tauchen in unserem postmodernen Zeitalter unzählige Romanschreiber die Geschichte wieder in einen Nebel aus mehr oder weniger übermütigen Fiktionen. Beinahe täglich werden "historische Romane" angekündigt, gerade eben zum Beispiel einer, der Johann Sebastian Bach nach Dresden kommen läßt und eine Episode schildert, die nicht stattgefunden hat, wie in einem Nachwort aus befreundeter Feder auch klargestellt wird. Etwas wird trotzdem hängenbleiben. "Wem schadet es?" könnte man fragen. Ich weiß nicht recht. Aber wer würde eine solche Geschichte lesen, wenn sie nicht schon im Titel an den berühmten Namen angehängt wäre? Früher war die Legendenbildung naiv und unvermeidlich, heute ist sie verspielt und kommerziell.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.11.2018 um 16.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#40130
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Alle drei Tage wird eine Frau von ihrem Partner oder Expartner getötet. Dazu ein Foto (zusammengekrümmte Frau, zwischen den breiten Beinen eines Mannes hindurch fotografiert):
Gewalt gegen Frauen: Eine Frau versucht, sich vor der Gewalt eines Mannes zu schützen. (Symbolbild) (Quelle: Maurizio Gambarini/dpa)
Jetzt wissen wir endlich, wie so etwas aussieht.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.07.2018 um 19.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#39215
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In einem Rückblick auf 20 Jahre Rechtschreibreform schreibt Anja Kühne:
Und heute? „Vieles ist einfacher geworden, weil viele Ausnahmen abgeschafft wurden“, sagt Andrea Watermeyer, Verlagsleiterin Grundschule des Schulbuchverlags der Westermann Gruppe. Schüler müssten sich nun nicht mehr lauter Sonderregelungen und Ausnahmen merken. „Heute geht es vielmehr darum, Strukturen zu verstehen, Analogien zu erkennen und sich so die korrekte Schreibung selbst herleiten zu können.“ (Potsdamer Neueste Nachrichten 29.7.18)
und läßt es unkommentiert stehen, so daß die Leser es für wahr halten müssen.
Der Rest ist Hofberichterstattung vom Rechtschreibrat.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2018 um 20.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#39024
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NZZ über Bachmann-Preisträgerin:
"Unspektakulär, aber mit poetischer Genauigkeit zeichnet die Autorin das Porträt eines Flüchtlings, der sich wie die titelgebenden Frösche am falschen Ort befindet."
Wie kann man die "Genauigkeit" erkennen, wo es sich doch um eine erfundene Geschichte handelt?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.10.2017 um 07.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#36405
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Der etwas matte Film "Elvis & Nixon" beansprucht sicher nicht, historisch genau zu sein, und dennoch wirft er dasselbe Problem auf. Während einige Szenen hinzuerfunden sind, werden sicher überlieferte andere überhaupt nicht gebracht. Zum Beispiel kramte Elvis selbst in der Schublade des Präsidentenschreibtischs, um Souvenirs für die Ehefrauen herauszusuchen; und der lässige Kernsatz fehlt ganz ("Sie haben Ihre Show und ich habe meine.") Daß Elvis in Washington noch jemanden traf (Joyce Bova, mit Folgen), kommt gar nicht vor. Elvis wirkt auch viel abgeschlaffter, als er 1971 war. Daß er über seinen totgeborenen Zwillingsbruder nachsinnt, entspricht der modischen Twinless-twin-Psychoanalyse. Die Rolle Jerry Schillings, der als Berater mitwirkte, wird zu sehr in den Vordergrund gerückt. Usw. – Andererseits bleibt der Film zu nahe am Dokumentarischen, um wirklich lustig zu sein.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.07.2017 um 14.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#35659
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Stets reicherte Härtling das recherchierte Material mit den Erfindungen seiner Phantasie an, um es auf authentische Weise zum Sprechen zu bringen. (NZZ 10.7.17 Nachruf)
Die übliche Geistreichelei, gerade das Erfundene "authentisch" zu nennen. Ich mache mir nichts aus dem Genre der Romanbiographie. Wäre ich Historiker, hätte ich unüberwindliche Hemmungen, den Gestalten, die es wirklich gegeben hat, wörtliche Rede in den Mund zu legen. Daran merke ich, daß ich kein Schriftsteller bin.
Thukydides läßt seine Akteure Reden halten, erklärt aber ausdrücklich, daß dies nur ein Kunstmittel ist, um die Standpunkte besonders klar herauszuarbeiten.
Kehlmanns Buch legt sich wie ein Schleier über unser Bild von Humboldt und Gauß. Ich habe zwar versucht, mich dagegen zu wehren, aber mit dem zeitlichen Abstand merke ich, daß ich mich lange mit den Quellen beschäftigen müßte, um den Schleier völlig loszuwerden.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.12.2016 um 16.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#34199
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Noch einmal zu Turing: Ganz gut kommt im Film heraus (naheliegenderweise), daß der Geheimdienst, wenn er die gegnerische Kryptographie entschlüsselt hat, zunächst von diesem Wissen keinen Gebrauch machen darf. Deshalb kann es dann zu weiteren Opfern kommen usw., echt tragisch.
Angesichts der gegenwärtigen Meldungen über Hacker denke ich mir, daß die gewaltigen Geheimdienste (z. B. der billionenteure amerikanische) wahrscheinlich längst wissen, wie man in die vernetzte Welt eines anderen Staates eindringt und das ganze Land lahmlegt oder sogar in eine Katastrophe stürzt. Dieses Wissen hebt man sich aber für den Ernstfall auf. Jedenfalls ist es billiger, als Bombenteppiche zu legen, mit eigenen Verlusten.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.04.2016 um 12.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#32447
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Der Film über Bobby Fischer und die Schach-WM in Reykjavik scheint ja, nach Jürgen Kaubes Besprechung in der FAZ, ziemlich fehlerhaft zu sein, aber selbst wenn es nicht so wäre, bekäme man wieder mal ein Bild eingeprägt, das sich über die Wirklichkeit legt und sie verdrängt.
In seiner (schlechten, angeberischen) Autobiographie berichtet Jerry Weintraub über seinen Besuch bei Fischer in dessen Hotel; das ist immerhin ganz interessant, kommt aber im Film bestimmt nicht vor.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.04.2016 um 06.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#32358
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Noch einmal zu den "Symbolbildern":
In der FAZ vom 21.4.16 steht ein längerer Bericht von Heike Schmoll über Rechtschreibunterricht mit Ausländerkindern, gegen die Methode Reichen usw. Darüber sieht man ein Foto der Agentur imago: ein Ringbuch und einen Kugelschreiber der folgendes zustande gebracht haben soll: Ich fare mitt Fata im Audo inn die Färrien. Die Fehler wirken künstlich eingebaut, vor allem aber verrät die trotz aller Verstellung ausgeschriebene Erwachsenenschrift, daß es sich wieder mal nur um ein „Symbolbild“ handelt. (Man beachte besonders das kleine „a“ und „r“!)
(Viele Beobachter scheinen froh zu sein, in der Methode "Schreiben nach Gehör" den Schuldigen gefunden zu haben, aber das ist ein anderes Kapitel.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.04.2016 um 06.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#32222
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Wie ich lese, sind zeitgeschichtliche Vorgänge verfilmt worden, während noch Gerichtsverfahren dazu laufen oder Untersuchungsausschüsse tätig sind. Man kann niemanden daran hindern. Der Kunstvorbehalt deckt alles, und die Behauptung, man erhebe ja keinen Anspruch auf Wahrheit, ist schwer zu widerlegen, auch wenn die "Ähnlichkeit mit lebenden Personen" usw. nicht zufällig, sondern der Kern des Interesses an solchen Produkten ist. Jeder weiß auch, daß die fernsehgerechten Simulationen nie wieder aus der Welt und aus dem Gedächtnis zu schaffen sind.
Das ist wie mit den "Symbolfotos", nur eben ins Überdimensionale gesteigert. Ich hatte schon Sophie Scholl erwähnt – sah sie etwa nicht so aus, wie man sie auf der Leinwand und dem Bildschirm gesehen hat? Und Anne Frank? Und nun die links- und die rechtsradikalen kriminellen Vereinigungen?
Nicht jeder hat das Glück, wie Elvis Presley so bekannt zu sein, daß ein alberner Spielfilm die Erinnerung nicht zudecken kann.
Das Genre bleibt problematisch, und ich halte mich fern davon, soweit möglich.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.03.2016 um 09.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#32111
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Gestern abend allein zu Haus, bin ich gleich auf Allotria verfallen und habe mir "The Imitation Game" angesehen, also den Film über Alan Turing. Noch einmal das Problem mit Historienfilmen, Kriegsbilder kurz eingeblendet.
Einiges fiel mir gleich auf, anderes habe ich in Wikipedia nachgelesen, in der englischen Fassung auch die übliche Rechtfertigung der Eingriffe: es gehe um die innere Wahrheit usw.
Wer überhaupt noch nichts von dieser Geschichte weiß, ist hinterher ein bißchen weniger unwissend. Im übrigen ist man besser dran, wenn man das ganze nur als Unterhaltung nimmt. Das Thema Kryptographie ist ja auch wenig geeignet für einen Film, Mathematik schon gar nicht, die spiegelt sich nur in zergrübelten Gesichtern. Die Maschinen sind hübsch anzusehen und werden ausgekostet. Human interest wird hinzuerfunden, weil die Sache selbst eben für Hollywood so wenig hergibt.
Sobald man als Zuschauer anfängt, sich zu identifizieren und mitzufühlen (und wie anders könnte es bei Spielfilmen sein?), ist man verloren. Wenn etwas daran läge, würde es mir schwerfallen, die Bebilderung wieder loszuwerden.
Die Lösung wäre, einen fiktiven Helden in einer erfundenen Umgebung zu zeigen. Dann wäre der Film auch freier, Liebesgeschichten, Homosexualität usw. einzuführen oder wegzulassen und brauchte sich auch nicht mit dem Problem des vorab feststehenden Endes herumzuschlagen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.03.2016 um 07.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#31977
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Und noch etwas: Als ich kürzlich die Verfilmung noch einmal sah, fiel mir wieder mal auf, wie verwöhnt wir heute sind. Ich sehe ja nicht oft Filme, höchstens mal Harry Potter und so, aber ich bewundere immer sehr die Technik, die z. B. computergenerierte Figuren so geschickt in wirklich aufgenommene Szenen einbaut, daß sogar der Schattenwurf stimmt (soweit mein Auge es beurteilen kann, wir sind ja nicht besonders gut darin). Nun, in "To kill a mocking bird" und anderen Filmen jener Zeit werfen die Figuren ihre Schatten nach allen Seiten, auch auf Hauswände und Baumstämme, außer dem richtigen Schatten, den das Sonnenlicht verursacht. Das haben wir damals hingenommen wie in der Stummfilmzeit, als die Cowboys samt Pferden von mehreren Schatten begleitet durch die Prärie zogen. Die Scheinwerfer waren einfach notwendig, darüber sah man dann hinweg.
Die Begrenzung der technischen Mittel (Schwarzweiß, geruhsames Tempo usw.) ist in unseren Augen kein Mangel, aber Jugendliche lassen sich schwer für die Kunst der guten alten Zeit gewinnen.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 22.02.2016 um 21.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#31752
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Muckefuck ist aber ursprünglich wohl rheinisch und nicht etwa hamburgisch, wo man eher englische Einflüsse annehmen könnte.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2016 um 17.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#31751
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Noch zum mockingbird: Vor ungefähr 50 Jahren ist mir eingefallen, daß Muckefuck von mock coffee kommen könnte, aber auf mich hört ja keiner.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2016 um 07.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#31747
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Eine Bürgerinitiative möchte den Gedenkstein für Atticus Finch vor dem Gerichtsgebäude von Monroeville entfernen lassen, nachdem sich durch jenes andere Buch herausgestellt hat, daß Finch eigentlich ein Rassist war...
Das ist wohl der Preis, den es kostet, wenn ein Roman zum Nationalepos aufrückt.
Ähnlich hat ja Christa Wolf die Wahrheit über Medea enthüllt, nur daß sich niemand dafür interessiert.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2016 um 07.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#31746
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Wenn ich es recht verstehe, gehört die Spottdrossel weder zu den Drosseln noch zu den Spöttern. "Spotten" heißt in der Vogelkunde "nachahmen", das muß man hinnehmen wie das "Hassen" in der Verhaltensforschung.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 21.02.2016 um 19.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#31738
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Zu #31727, "Darüberhinaus hat der Übersetzer töten zu stören verharmlost. Warum?" - Ich vermute, des Klanges wegen. Denn "tötet" klingt am Ende nun einmal härter, kälter, was weiß ich, als "bird". Auch die Klangähnlichkeit von "bird" und "stört" könnte eine Rolle gespielt haben. Dazu kommt aber noch, daß Titel durchaus oft von Verlagen zum Verkauf eines Buches, naja, einbestimmt werden. So war ja z.B. auch *Der Untergang des Abendlandes* vom Autor selbst nicht ganz so dramatisch gemeint.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 21.02.2016 um 18.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#31737
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Die Bezeichnung Spottdrossel ist eigentlich unzutreffend, denn es handelt sich nach aktueller Taxonomie nicht um eine Drossel. Auch der Wortteil Spott ist zwar vertretbar aber dennoch etwas zweifelhaft, da der Vogel nach seiner Fähigkeit, andere Tierstimmen und auch Geräusche nachzuahmen, benannt ist. Das Verb to mock kann sowohl verspotten als auch nachahmen bedeuten. Als Verbindungsglied zwischen beiden Bedeutungen könnte man das Nachäffen ansehen.
Buch- und Filmtitel werden selten wörtlich übersetzt, da darin enthaltene Begriffe oder Anspielungen in einer Fremdsprache oft nicht ohne weiteres wiedergegeben oder verstanden werden können. So ist eben die Spottdrossel in Deutschland kaum bekannt. Besonders bei Filmen erlauben sich die Verleiher sehr große Freiheiten bei der Betitelung.
In Frankreich ist der Roman unter drei verschiedenen Titeln mit jeweils verschiedenen Vögeln herausgegeben worden: Nachtigall, Lerche, Spottvogel (oiseau moqueur).
Die Verfilmung erhielt einen weiteren Titel, der ganz ohne Vögel auskommt.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.02.2016 um 01.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#31729
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Man findet mehrere Belege im Internet, wo die Spottdrossel auch einfach Spottvogel genannt wird. Sehr bekannt ist die Vogelart in Deutschland wohl unter beiden Namen nicht.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 20.02.2016 um 23.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#31728
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Spottdrossel.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 20.02.2016 um 23.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#31727
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Es ist ein Lieblingsthema der amerikanischen Schriftsteller, den Gesang des Spottvogels mit dem der Nachtigall, den viele Amerikaner gar nicht kennen, zu vergleichen. Audubon vergleicht die Nachtigall mit einer Soubrette, die, wenn sie sich unter einem Mozart ausbilden könnte, vielleicht mit der Zeit sehr anziehend werden dürfte. Dem Spottvogel hingegen erkennt er vollendete Virtuosität zu.
(wickisource.org)
Den Spottvogel kennen halt wiederum viele Deutsche gar nicht, und sein Name, sowohl auf deutsch wie auf englisch, ist auch nicht gerade sehr romantisch. Aber warum muß eine Übersetzung etwas romantisieren?
Darüberhinaus hat der Übersetzer töten zu stören verharmlost. Warum?
Es ist klar, daß eine Übersetzung nicht immer ganz wörtlich sein kann. Aber sie darf auch nicht zu erfinderisch sein. Besonders bei Lyrikübersetzungen aus dem Chinesischen ist selbst für jemand wie mich, der nur rudimentäre Sprachkenntnisse hat, ganz offensichtlich, wie sehr oft die Phantasie der Übersetzer blüht und dadurch Inhalt und Stimmung des Originals verfälscht werden.
Bei Ihren Übersetzungen aus dem Koreanischen, lieber Prof. Ickler, habe ich glücklicherweise nicht diesen Eindruck. Ich muß das so sagen, weil ich leider kein Wort Koreanisch kann. Aber es würde mich sehr interessieren„ wenn Sie auf Ihre Sicht zu diesem Problem einmal näher eingehen könnten.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2016 um 06.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#31719
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Mehrere Zeitungen entblöden sich nicht, das Nächstliegende zu tun und Harper Lees Ableben mit dem Satz zu kommentieren, die Nachtigall singe nun nicht mehr. Dabei kommt ja die Nachtigall nur in der deutschen Übersetzung von Buch- und Filmtitel vor.
Da ich die deutsche Fassung des Films nicht gesehen habe, weiß ich nicht, ob der Negro an die PC angepaßt worden ist, aber in den Nachrufen wird er teils als Schwarzer, teils als Afroamerikaner bezeichnet. Kann man sich vorstellen, daß Gregory Peck so redet?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.09.2015 um 05.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#29960
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Wieder ein Roman "über" Konzentrationslager. Aber ein Roman kann nicht "über" etwas anderes sein als über die Erfindungen seines Verfassers. „Now for the poet, he nothing affirmeth, and therefore never lieth.“ (Philip Sidney) Das ist der kürzeste Ausdruck der Referenzlosigkeit fiktionaler Schriften.
Ich kann so etwas nicht lesen, entsprechende Filme nicht ansehen, dazu habe ich zu viel Dokumentarisches im Kopf.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 13.08.2015 um 11.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#29706
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Ich empfehle "Hans Traxler, Die Wahrheit über Hänsel und Gretel".
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.08.2015 um 05.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#29701
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Noch einmal zum guten Atticus Finch:
Harper Lees neuer Roman "Gehe hin, stelle einen Wächter" ist eher konventionell erzählt. Trotzdem schafft Lee eine Überraschung: Sie bringt ihren vor Jahrzehnten in "Wer die Nachtigall stört" aufgestellten Helden zu Fall. (Maike Albath im DLF 18.7.15: Amerikanische Ikone entzaubert)
Die Verfasserin ist promovierte Literaturwissenschaftlerin. Lee schafft also nicht nur das Unmögliche, den Helden eines Romans durch den Helden eines anderen Romans "zu Fall zu bringen", sondern dies auch noch ("trotzdem") in einer konventionellen Erzählung!
Es erinnert an "Die Wahrheit über Rotkäppchen". Als ob das kleine Mädchen außerhalb des Märchens existierte, so daß es eine Enthüllungsgeschichte geben könnte.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.07.2015 um 08.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#29459
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Übrigens: Der Wikipedia-Eintrag über Mary Badham ist in einer grotesken Prosa verfaßt:
Die Neunjährige verfügte über keine professionelle schauspielerische Ausbildung, als sie 1962 unter zweitausend jungen Mädchen ausgewählt wurde, die weibliche Hauptrolle in der gleichnamigen Hollywood-Verfilmung von Harper Lees preisgekröntem Roman "Wer die Nachtigall stört" zu interpretieren. In dem Drama von Robert Mulligan mimte sie an der Seite von Gregory Peck und Robert Duvall die aufgeweckte Jean Louise Scout Finch, die Anfang der 1930er Jahre als Tochter eines weißen Anwalts mit dem Rassismus in den US-amerikanischen Südstaaten konfrontiert wird. Der Filmversion von "Wer die Nachtigall stört" war Erfolg bei Kritikern und Publikum beschieden und errang bei der Oscarverleihung im Jahr 1963 drei Siege. Dagegen nicht triumphieren konnte die zehnjährige Mary Badham, die zum damaligen Zeitpunkt als jüngste je für den Academy Award nominierte Aktrice in der Kategorie Beste Nebendarstellerin der sechs Jahre älteren Jungschauspielerin Patty Duke (Licht im Dunkel) unterlag. Dieser Rekord sollte erst im Jahr 1973 durch ihre Landsfrau Tatum O'Neal (Paper Moon) eingestellt werden, die bei Bekanntgabe ihrer Nominierung in selbiger Kategorie mit zehn Jahren und 106 Tagen genau 37 Tage jünger war als Badham.
Das kleine Mädchen hat die Rolle nicht interpretiert, sondern gespielt, und sie hat Scout auch nicht gemimt, sondern eben gespielt. Daß die Neunjähre keine professionelle Ausbildung hatte, soll wohl heißen, daß es ihr erster Film war. Der Rest mit seinem grammatischen Schnitzer ist auch recht wüst. Aber wirklich verderblich ist der Synonymenwahn.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.07.2015 um 08.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#29458
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Man liest jetzt überall, einer der amerikanischen Nationalheiligen, Atticus Finch, sei vom Sockel gestoßen worden – durch die Veröffentlichung von Harper Lees früherer Version ihres Romans. Das ist ungefähr so, als komme heraus, daß Schneewittchen sich später zu einer üblen Giftmischerin entwickelt habe und deshalb besser ein für allemal in ihrem Sarg geblieben wäre.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.03.2015 um 06.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#28255
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"Symbolbilder" überschwemmen jetzt wieder die Medien, weil man den Mißbrauchsskandal in England bebildern will, ohne ihn zu bebildern. Man sieht also ein kleines Mädchen an der Hand eines Erwachsenen, am besten noch eine Puppe im Arm. Was sagt uns das? Nichts, solange die Phantasie des Betrachters nicht in Gang gesetzt wird und die eigentliche Pornographie erzeugt.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.10.2014 um 03.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#26983
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Die einen stellen Nacktfotos von Prominenten ins Netz, die anderen veröffentlichen Äußerungen, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren.
Welches übergeordnete Interesse besteht daran zu wissen, daß Kohl eine Parteifreundin "Schreckschraube" genannt hat? Die meisten Politiker können einander nicht ausstehen, dazu kennen sie sich einfach zu gut.
Kein Wunder, daß auch Tilman Jens mit von der Partie ist.
Und wo es einen Markt gibt, wird er auch bedient.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.10.2014 um 17.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#26959
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Schon bei einem gewöhnlichen Interview ist es üblich, daß dem Interviewten der Text noch einmal vorgelegt wird, bevor er in Druck geht. Ich weiß nicht, wie weit ein Rechtsanspruch darauf besteht, aber es gibt nützliche Gepflogenheiten. Niemand würde mehr ein Interview geben wollen, wenn alles, was er ins Unreine gesprochen haben mag, nachher an die Öffentlichkeit gelangt – auch wenn es authentisch ist, war es eben doch nicht so gedacht, und darauf kommt es bei diesem Spiel an.
Wenn jemand sich das Vertrauen eines Politkers erschleicht und Hunderte von Stunden aufzeichnet, darf er das nicht ohne weiteres an die Öffentlichkeit bringen, auch und gerade dann nicht, wenn sich seine Einstellung inzwischen geändert hat.
Es gibt kein öffentliches Interesse – darf keins geben –, das gegenüber Altkanzler Kohl, zu dessen Parteigängern ich wahrhaftig nicht gehöre, einen solchen Vertrauensbruch rechtfertigte.
Es kommt vor, daß ein Botschafter zu später Stunde in einem kleinen Kreis seine Einschätzungen zur politischen Führung des Gastlandes zum besten gibt. Die Veröffentlichung würde eine diplomatische Krise auslösen, aber dazu kommt es eben so gut wie nie.
Nebenbei: Aus Vorabveröffentlichungen habe ich entnommen, daß Kohl allein in Moskau den Schlüssel für den Fall der DDR gesehen hat. Bei allem Respekt vor den mutigen Bürgern der DDR – sie hätten nichts erreicht, wenn die sowjetische Regierung die DDR nicht aufgegeben hätte. Das habe ich ebenso gesehen, als ich im kleinen Kreis im Frühjahr 1989 das baldige Ende der DDR voraussagte (woran ich erst wieder erinnert werden mußte, ich hatte es wegen seiner Selbstverständlichkeit schon wieder vergessen). Versteht sich, daß ich als Laie spreche, aber die Intuitionen vieler Menschen von damals lassen sich fast gar nicht rekonstruieren, deshalb wollte ich es noch einmal festhalten.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.10.2014 um 07.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#26936
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Man sagt, Mozart habe eine Oper, die er irgendwo gehört hatte, aus dem Gedächtnis zu Papier bringen können. Das klingt zwar phantastisch, kann aber zutreffen. Da er das Handwerk von Grund auf beherrschte, genügten ihm wenige Anhaltspunkte, um den Rest nach den Regeln der Kunst zu ergänzen. Wie man eine Melodie bildet, wie man variiert, moduliert und harmonisiert, das hatten alle professionellen Zeitgenossen auf die gleiche Weise gelernt. Ob ihn der ganze Betrieb nicht oft unsäglich gelangweilt hat?
Mir kommen manche Dokumentationen im Fernsehen ähnlich stereotyp vor; die Verfasser brauchen sich für den Gegenstand (ob Neutrinos, Comodo-Warane oder Lawinen) nicht zu interessieren, es ist immer dasselbe Verfahren.
Das habe ich deutlich gespürt, als ich für einige Fernsehleute etwas über die Rechtschreibreform sagen sollte. Ich habe dann bald beschlossen, entsprechende Anfragen immer abzulehnen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.09.2014 um 14.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#26894
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Morgen soll im Fernsehen ein Film über die Ereignisse an der Odenwaldschule gezeigt werden. Es gibt Proteste und die übliche Diskussion. Aber warum aufregen? Die Filmemacher versichern, es handele sich um "eine rein fiktionale Aufarbeitung des Stoffs". (FAZ 30.9.14)
Anschließend ist noch eine Talkshow mit Anne Will angesetzt.
Wovon handeln eigentlich Fiktionen?
Bücher und Interviews mit den Opfern genügen dem Volk von Gaffern nicht, es will auch etwas sehen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.08.2014 um 11.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#26483
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Durch die Presse geht zur Zeit die Meldung, daß ein Jugendlicher in Augsburg "durchdrehte", weil seine Mutter den Internetstecker gezogen habe. Dazu bringen manche Zeitungen das Symbolbild eines durchgedrehten Jugendlichen. Das Wort "durchdrehen" könnte in nächster Zeit signifikant häufiger gebraucht werden; solche Fälle haben wir schon oft erlebt.
Vor ein paar Tagen wurde gemeldet, ein Hund habe das Baby der Familie totgebissen. Dazu das Symbolbild eines Hundes (allerdings einer anderen Rasse), weil die Leser sich vielleicht unter einem Hund nichts vorstellen können. Einige Leser wollen allerdings an der Abbildung die besondere Gefährlichkeit gerade dieses Tieres erkannt haben.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.04.2014 um 07.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#25696
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Auf einer ganzen Seite setzt die FAZ die Diskussion über Siegfried Lenz und Emil Nolde fort. Es geht darum, ob Lenz in der "Deutschstunde" den Nazi Nolde reingewaschen habe.
Ich verstehe das nicht. Es gibt einen Fall Nolde, und es mag einen Fall Lenz geben, aber ein Roman ist keine Biographie, und im Gegensatz zu Kehlmann läßt Lenz die Figuren nicht einmal unter ihren Klarnamen auftreten. Was Kehlmann recht ist, sollte Lenz billig sein. Haben unsere Literaturkritiker denn alle Selbstverständlichkeiten ihres Faches vergessen?
Es ist schon sehr lange her, daß ich die "Deutschstunde" gelesen habe, aber wenn ich mich recht erinnere, habe ich damals überhaupt nichts von der Vorlage mitgekriegt. Das ganze Genre von Büchern, in denen verschmitzte Leute den Nazis (oder später der Stasi) ein Schnippchen schlagen, läßt mich aber sowieso kalt.
Ich will noch hinzufügen, daß ich mir aus Lenz nicht viel mache. Er hat uns in der Ablehnung der Rechtschreibreform unterstützt, aber ich finde seine Bücher nicht besonders interessant, und die Sprache gefällt mir auch nicht. Ihn als verlogenen Nolde-Biographen zu entlarven geht mir aber zu weit.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 07.04.2014 um 20.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#25558
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»Respekt« ist zwar die aus dem Ghetto geborene neue Kardinaltugend unserer Zeit, aber Respektlosigkeit ist immerhin noch nicht strafbar, sondern eben nur unmittelbare Beleidigung oder auch die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Die Mephisto-Entscheidung hat hier aber den Vorrang der Kunstfreiheit klargestellt. – Übrigens ist die Serie Mayday (von National Geographic) ausgezeichnet gemacht, kann aber bei empfindlichen Gemütern flugangstinduzierend wirken.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 07.04.2014 um 16.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#25557
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"Aber wenn man einen Blck für historische Wahrheit hat, wird man ein Unbehagen nicht los", heißt es richtig in der Einleitung zu den Bemerkungen hier. Ich bezweifle jedoch, daß "diese suggerierte Augenzeugenschaft nicht eine falschere "Bildung" hinterläßt". Bei denen, die den Blick für historische Wahrheit nicht haben, bleibt sowieso nicht viel mehr als die etwa zwei Stunden Unterhaltung, nicht mal was für mal so 'nen richtigen Kaffeeklatsch. Da tritt wenig Schaden ein. Natürlich kann man verfehlte Informationsmöglichkeiten beklagen; aber das könnte so mancher wohl auch auch nach den abendlichen Nachrichtensendungen.
Zu solchen "Verfilmungen" als Rechtsfällen: Ich bin auch kein Jurist, aber zum Rathaus laufen und klagen, das darf erst mal jeder, auch wer sich vielleicht nur "irgendwie" betroffen fühlt. Ob man jedoch "*erfolgreich* klagen" kann (#25554), das zeigt sich erst, wenn wer wirklich klagt und wie gut dann sein Advokatenbüro ist. Vom freundlichen Händedruck des Bürgermeisters nach der Ablehnung der Annahme der Klage durch irgendwen in dessen Amtssitz bis hin zum Prozeß, bei dem's um Millionenbeträge geht, ist in einem Kulturstaat erstmal alles möglich. Ich verstehe aber von Herzen Herrn Wrases Frage: "Kann man tatsächlich über jedes scheußliche Ereignis der Zeitgeschichte einen reißerischen Film drehen, bei dem auf Kosten der Würde der realen Personen ein Geschäft an den Kinokassen gemacht wird?" Die Antwort ist: Ja. Aber diese Filmemacher haben auch ein Büro mit Rechtsanwälten, die zu wissen meinen, wo die Grenze zwischen der Redefreiheit des einen und der Würde der anderen realen Personen verläuft. Im Grundgesetz wird die "Würde des Menschen" ausdrücklich erwähnt. In den USA, wurde mir mal von einem halbstarken Studenten hier gut erklärt, der mir seine geballte Faust zweieinhalb Zentimeter vor die Nase hielt und mit seiner Zunge eine Backe ausbeulte (also *tongue in cheek* sprach), verläuft die Grenze seiner Redefreiheit genau auf dieser Zweieinhalb-Zentimeter-Linie; und ich ließ es dann auch nicht auf weiteres ankommen und beruhigte mich damit, daß meine Würde im konkreten Falle wohl immer was sehr Abstraktes ist. Aber wie gesagt, ich verstehe Herrn Wrases Frage sehr gut, und ich verstehe auch sehr gut, warum das mit der "Würde des Menschen" im Grundgesetz steht. Und daß die Kunst vor unlauteren Angriffen geschützt sein muß, da stimme ich auch von Herzen zu. Aber was da wiederum manche den Leuten als Kunst andrehen wollen, kann mich schon auch auf die Palme bringen. Und öffentlich sage ich also, daß Steuergelder nur Museen unterstützen sollten, die nur historisch Erfolgreiches sammeln und zur Schau stellen, damit man weiß, was mal Einfluß hatte und so eben auch in der Gegenwart noch bei uns da ist. Die gegenwärtige Produktion dagegen sollte man Galerien überlassen. Diesem Entsprechendes sollte übrigens auch für Theater und anderes Kunstleben gelten. Ich hab da jedoch gut reden: Ganz durchsetzen zu meinen Lebzeiten wird sich diese Meinung als die eines aufrechten Steuerzahlers in einem Kulturstaat wie unserm sowieso nie. Und keiner sage, ich sei ein Kulturbanause; habe ich doch meine Lebensarbeit dem Kulturgut Bücher gewidmet!
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 07.04.2014 um 14.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#25556
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Ich bin kein Jurist, aber die Respektlosigkeit eines kommerziellen Thrillers über das Schicksal der Passagiere käme mir enorm vor. Kann man tatsächlich über jedes scheußliche Ereignis der Zeitgeschichte einen reißerischen Film drehen, bei dem auf Kosten der Würde der realen Personen ein Geschäft an den Kinokassen gemacht wird? Mir kommt das schlimmer vor, als eine Grabdekoration zu zerstören, und das ist ja auch strafbar, schätze ich mal.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 07.04.2014 um 11.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#25555
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Glücklicherweise ist eine irgendwie gefühlte Betroffenheit kein ausreichender Grund für eine Klage! In den USA schützt das First Amendment, das im Laufe der Zeit immer großzügiger interpretiert worden ist, auch die Kunst.
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 07.04.2014 um 08.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#25554
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Am befremdlichsten finde ich die Verfilmung von Ereignissen aus der Fast-Gegenwart, die der Wirklichkeit möglichst nahe kommen sollen, also z. B. "Der Rücktritt" über den früheren Bundespräsidenten Wulff. In diesem Fall hat man Wulff selber so oft im Fernsehen gesehen, daß der Eindruck der Fälschung unvermeidlich ist.
Man kann doch darauf wetten, daß es bald einen Spielfilm über die Trägödie des Fluges MH 370 geben wird, oder? Da "fehlen" zwar tatsächlich Bilder. aber man wird trotzdem in jeder Sekunde wissen, daß die Bilder aus dem Flugzeug falsch sind.
Können eigentlich Hinterbliebene gegen ein solches Vorhaben erfolgreich klagen mit der Begründung, daß es ihre Gefühle verletzt? Würde Hollywood versuchen, solchen Klägern Geld anzubieten für ihr Einverständnis, daß der Film dennoch gedreht wird? Müssen die Produzenten bestimmte Spielregeln beim Drehbuchschreiben beachten, damit Klagen aussichtslos sind, oder wie funktioniert so etwas?
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 04.04.2014 um 13.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#25543
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Und weil es den modernen Menschen auch schon vor der Erfindung des Fernsehens gab, ist das Problem nicht so neu. Vor der Einführung der Photographie wurden Artikel in Zeitungen mit Zeichnungen illustriert. Und auch der Hang, populäre Werke der Literatur mit Stichen zu versehen, muß etwas damit zu tun haben, daß der Mensch immer "was zum Gucken" haben muß. Ich denke da an den "Vicar of Wakefield", die "Manon Lescaut" oder den "Werther". (Ich habe jetzt die korrekte Reihenfolge der Ersterscheinungen nicht im Kopf und bitte da um Nachsicht.)
Karl Kraus hat sich freilich schon 1912 über die Manie der Zeitungen, zu allem ein Bild liefern zu müssen, lustig gemacht:
In der Werkstatt
den Dichter zu zeigen, ist ein Problem der modernen Photographie. Die meisten widersetzen sich, weil sie sich schämen, in Anwesenheit des Photographen schöpferisch tätig zu sein, oder weil sie es dann einfach nicht könnten. Der Dichter hat am Schreibtisch nichts zu suchen, wenn der Photograph kommt, aber dieser will gerade, daß der Dichter am Schreibtisch sitzt. Über die Schwierigkeit, die sich hierdurch ergibt, ist vorläufig nicht hinwegzukommen, und die illustrierten Zeitschriften, denen es wohl gelingen mag, die Minister beim Regieren zu erwischen, verzweifeln an der Aufgabe, ihrem Publikum zu zeigen, wie sich die Dichter beim Schreiben benehmen. Nur in Ausnahmefällen hat der Photograph Glück und kriegt den Moment zu fassen, wo die Produktion sich ungestört von der Aufnahme vollzieht. Eine Berliner Zeitschrift hat Herrn Hugo v. Hofmannsthal in seinem Heim vorgeführt. Der Dichter sitzt am Schreibtisch und liest ein Buch.
Erstdruck: Die Fackel, XIV. Jahr, Nr. 347/348, 27.4.1912, S. 49. Unter der Rubrik „Glossen“.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.04.2014 um 04.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#25541
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Der moderne Mensch muß immer was zum Gucken haben. Wie schon gesagt: Ein Zeitungsartikel über Schule oder Bildung wird mit einem Foto geschmückt, auf dem zwei oder besser drei Kinder auf einen Computerbildschirn starren, als seien sie höchst interessiert (was aber nur bei Computerspielen denkbar ist) - das ist dann ein "Symbolbild" von "Lernen". Überhaupt die "Symbolbilder". Sie sollten nach Empfehlung der Presseräte gekennzeichnet sein, sind es aber oft nicht, und das ist im Grunde auch gleichgültig, außer presserechtlich vielleicht. Was bleibt, ist doch immer der Eindruck, Augenzeuge von etwas gewesen zu sein.
Die FAZ treibt es seit einiger Zeit noch weiter, um gewissermaßen zu einer neuen Unschuld der Bilder vorzustoßen. Sie schmückt die erste Seite mit einem Bild, das ganz offensichtlich nur um mehrere Ecken (in der Bildunterschrift genannt) mit dem Gegenstand zu tun hat.
Mir wäre eine Zeitung am liebsten, die überhaupt keine Bilder enthält, außer wissenschaftlicher Fotografie. (Aber selbst Zeitschriften wie "Max Planck Forschung" bieten größtenteils gestellte Aufnahmen von Forschern beim Forschen. Was mich wieder an meine eigenen Auftritte erinnert: wie ich fürs Fernsehen an den Regalen unserer Seminarbibliothek entlanggehe, einen Dudenband herausnehme und so tue, als sähe ich darin etwas nach usw. - als ob die Zuschauer sich nicht vorstellen könnten, wie ein Sprachwissenschaftler arbeitet. Ich würde mich an solchem Theater heute nicht mehr beteiligen.)
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Kommentar von R. M., verfaßt am 26.02.2014 um 10.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#25256
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Auch hübsch: »Höhepunkt des Films wie auch des echten Skandals ist die internationale Pressekonferenz, die 1983 tatsächlich unter Beteiligung von über 15 Kamerateams und hunderten Redakteuren anderer Zeitungen im Verlagshaus Gruner und Jahr stattfand. In Schtonk! wird diese Szene zu einer überspitzten Satire, die sich jedoch erstaunlich nah an den Originalaufnahmen bewegt.« (WP s. v. »Schtonk«) Was ist daran erstaunlich? Die Originalaufnahmen waren eben die Vorlage.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.02.2014 um 08.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#25254
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"Das Dokudrama "Der Rücktritt" erzählt nicht nur die Geschichte eines gefallenen Bundespräsidenten, sondern zeigt auch eindrucksvoll, wie ein Mensch sich durch ein Amt verändern kann, wie sein Umfeld darunter zu leiden hat und wie wenig Macht einem manchmal hilft." (RP 26.2.14)
Das Dokudrama zeigt, wie die Filmemacher sich vorstellen, daß ein Mensch sich durch ein Amt verändern kann usw.
Während die Gerichte noch herauszufinden versuchen, was sich bei einer Affäre wirklich ereignet hat, zeigt das Fernsehen schon, wie es wirklich gewesen ist. Ein Volk von Augenzeugen wird sich die eindeutigen Bilder merken und nicht die abwägenden, notwendigerweise lückenhaften Worte der Richter.
Daß die Schauspieler den Urbildern auch äußerlich weitestmöglich ähneln, macht die Sache noch bedenklicher.
„Aber der Film ist vielmehr als eine bloße Darstellung der Ereignisse. Produzent Nico Hofmann und Regisseur Thomas Schadt schaffen es, hinter die Fassade Wulff zu blicken.“
Die Fernsehleute sind die Superermittler, die einfach mehr wissen als die staatlichen Ermittler mit ihrer „bloßen Darstellung der Ereignisse“.
„Eine überzeugende Anja Kling“ spielt „eine zerrissene, sehr menschliche und auch kluge Bettina Wulff“.“ Jetzt wissen wir also auch mehr über Frau Wulff (mehr als aus ihrem eigenen Buch...).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.02.2014 um 05.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#25143
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"Bei dieser Gewalt verschlägt es selbst dem Autor die Sprache" (FAZ über einen Roman von Feridun Zaimoglu 13.2.14)
Kann man eine Romanhandlung erfinden und dann davon so erschüttert sein, daß es einem die Sprache verschlägt? Aber wir sind im Feuilleton (Fortsetzung des Deutschunterrichts), da ist alles möglich.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.01.2014 um 16.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#24987
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Die kunstgewerbliche Romanproduktion hat einen neuen Problemfall: Mosebachs „Blutbuchenfest“. Wie Andreas Platthaus in der FAZ (31.1.14) berichtet, spielt darin die ständige Erreichbarkeit durch Mobiltelefon und E-Mail eine zentrale Rolle. Bosnienkrieg und saturierte deutsche Gesellschaft stehen dadurch in Verbindung und Gegensatz; allerdings gab es zur Zeit der Romanhandlung (1990) beide Medien noch nicht. Mosebach hat diesen Irrtum nicht bemerkt und wollte, als er darauf hingewiesen wurde, nichts mehr ändern.
Während man bei Kehlmann darüber diskutieren kann, was das bewußt unrealistische Erzählen über reale (historische) Gegenstände wert ist, geht es bei Mosebach um einen schlichten Fehler und nachträgliches Herumeiern.
Wenn es sich wirklich so verhält (das Buch erscheint ja erst nächste Woche), könnte man verschiedene Punkte einmal gründlicher diskutieren.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.04.2013 um 07.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#22936
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In der ARD-Dokumentation über Amazon wurde eine E-Mail gezeigt, in der sich eine polnische Leiharbeiterin über schweinemäßige Behandlung beklagte. Der Hessische Rundfunk mußte zugeben, daß die Mail fingiert war, bleibt aber dabei, daß die angeprangerten Zustände wirklich herrschten. Die Fiktion wird als zulässiges Mittel der Dokumentation angesehen, man hat keinerlei Skrupel deswegen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2012 um 06.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#22084
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Man hat herausgefunden, daß prähistorische Höhlenzeichnungen die Bewegung der Tiere sehr viel genauer wiedergeben als die durchschnittliche europäische Bildnerei bis zur Erfindung der Fotografie. (Vgl. Süddeutsche Zeitung 7.12.12)
Es wird darauf hingewiesen, daß unsere Tradition die bildliche Darstellung mit symbolischen Bedeutungen aufgeladen hat (erhobener rechter Vorderfuß des Pferdes bedeutet: Reiter ist gefallen usw.). Man denke auch an den "Physiologus" und ähnliche Produkte einer sehr langen Zeit, die an der Natur selbst nicht interessiert war. Nachfolger im Geiste gibt es auch heute noch, z. B. Papst Benedikt, der auf die Natur nicht neugierig ist, sondern die Naturwissenschaften, sobald ihre Erwähnung sich nicht vermeiden läßt, als "Positivismus" abfertigt. Wer immer schon weiß, was die Natur im Innersten zusammenhält (nämlich die "Liebe"), kann sich nicht für Details interessieren. Die Menschen leben zur selben Zeit und doch in ganz verschiedenen Welten. Das ist wohl der Hauptgrund, warum wir so oft aneinander vorbeireden.
Ich mußte wieder an die kupierten Hunde denken, daher dieser Nachtrag.
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Kommentar von Andreas Blombach, verfaßt am 05.07.2012 um 02.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#21007
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Zur Vermenschlichung der Tiere gab es mal eine schöne Kolumne von Umberto Eco: "Wie man über die Tiere spricht". "Nicht weil sie gut sind, müssen die Wale gerettet werden, sondern weil sie Teil des natürlichen Lebens sind und zum ökologischen Gleichgewicht beitragen. Aber unsere Kinder erziehen wir mit Geschichten von sprechenden Walen, von Wölfen, die in den Dritten Order der Franziskaner eintreten, und vor allem mit Teddybären ohne Ende." Usw. – hat allerdings nicht direkt etwas mit dem Beitrag zu tun.
"Gladiator" fand ich noch weniger schlimm, da ist zwar vieles falsch, aber der Film nimmt sich zumindest keine größeren geschichtlichen Zusammenhänge vor. Zwar ist die Geschichte des Films irgendwie in die Geschichte Roms eingebettet, aber da die allermeisten Zuschauer z.B. mit dem Namen Commodus ohnehin nichts verbinden, wird in dieser Hinsicht auch kein Schaden angerichtet. Tatsächlich habe ich damals bei Google nach dem Namen gesucht und mich ein wenig über den historischen Commodus informiert – so gesehen, kann ein derartiger Film wohl auch dazu anregen, dass sich Zuschauer selbst weiterbilden.
Recht gelungen fand ich die Serie "Rome", die erfrischend anders als die früheren Sandalenfilme war. Zwar wurde auch da stellenweise bedenklich dramatisiert, einiges fehlt, einiges ist nicht akkurat, aber die Darstellung des Lebens im alten Rom erschien mir wesentlich gelungener als etwa in "Gladiator".
Historische Romane und Filme können durchaus gut sein ("Baudolino", um abermals Eco zu nennen, finde ich beispielhaft, weil sich der Erzähler da gleich von Anfang an als Lügner präsentiert, sodass man als Leser eine kritische Distanz zu den dargestellten Ereignissen wahrt), sie können insbesondere ein echtes historisches Interesse wecken, aber es ist sicher auch richtig, dass sie das Bild und Verständnis der Geschichte beeinflussen und dass schlecht recherchierte Romane und Filme daher einen gewissen Schaden anrichten können.
Wenn es in Geschichten primär um das "Allgemeinmenschliche" geht, sind mir Romanreihen wie "A Song of Ice and Fire", die nicht in der irdischen Vergangenheit spielen, allerdings deutlich lieber als all die historischen Romane, die in den Buchhandlungen ausliegen.
Man könnte natürlich auch fragen, was uns geschichtliche Bildung eigentlich lehren soll. Fakten sind ja kein Selbstzweck – geht es nicht wenigstens zu einem großen Teil letztlich doch ums Allgemeinmenschliche?
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Kommentar von Peter Schmitt, verfaßt am 04.07.2012 um 23.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#21006
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Schlimmer noch finde ich historische Dokumentarfilme, die seit einiger Zeit immer mit Spielszenen durchsetzt sind.
Diese sind nämlich als seriöse (wissenschaftlich fundierte) Information gemeint, tun aber so, als wäre überall schon eine Kamera dabeigewesen.
Auch die "handelnden" Wissenschaftler werden oft dazu angehalten, so zu tun, als würden sie alles eben erst entdecken.
Die Methode, mehrere (meist drei) "Handlungsstränge" parallel zu behandeln und von einem zum anderen zu springen, ist eine lästige Zutat.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.07.2012 um 12.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#21000
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Danke für die Korrektur!
Übrigens ging es mir um die suggestive Wirkung der Bilder (aller Bilder!) und nicht darum, ob eine Darstellung für bare Münze genommen wird.
Wir hatten das schon mal an verschiedenen Stellen. An die Stelle der armen Sophie Scholl schiebt sich das Porträt ihrer (etwas fotogeneren, auch in besserer Qualität fotografierten) Darstellerin im Film, nicht wahr? Jüngere wachsen heran, die das Original nicht mehr so gut kennen wie wir. Mein Mißfallen an SPIEGEL-Dokus, die zum Beispiel den Mauerfall einfach mit Spielszenen ergänzen, hatte ich schon ausgesprochen. Authentische Aufnahmen und Fiktionen ununterscheidbar zu machen ist gerade der Ehrgeiz dieser Leute.
Es gibt viele Menschen, die "das Buch nicht gelesen, aber den Film gesehen" haben. Und dann kommt ja noch das Buch zum Film heraus, für Anspruchsvolle.
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Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 04.07.2012 um 12.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1526#20999
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Nun ja, wer solche Monumentalfilme als bare Münze nimmt, ist doch wohl eher schlichten Gemütes, um es mal vorsichtig zu formulieren.
Obwohl, zugestanden, ich kannte mal jemanden, der bei allem möglichen Unfug, was einem so im Fernsehen zugemutet wird, kommentierte: "Gibt es das wirklich?" Und dieser Mensch meinte es ernst...
Nebenbei heißt der Regisseur wohl Ridley Scott und nicht anders herum. (Habe ich aber auch erst bemerkt, als ich bei Wikipedia etwas über den Inhalt des Films in Erfahrung zu bringen suchte und ist nicht wirklich von Belang.)
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