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18.06.2005
Endlich öffentlich
Der Beschluß zur GZS (§ 34) steht jetzt auf der vorläufigen Internetseite des Rates.
Es ist zu wünschen, daß möglichst viele Betroffene sich diesen Paragraphen ansehen, vor allem Lehrer.
Hier mein vorläufiger Kommentar (zweite Fassung, vielen Dank für nützliche Hinweise!):
Vorbemerkung:
Obwohl ich der Neufassung von § 34 wegen ihrer begrüßenswerten allgemeinen Tendenz (Orientierung am Sprachgebrauch, daher weitgehende Rückkehr zur gleichen Schreibweise wie vor der Reform) zugestimmt habe, sind in Einzelheiten wie im Grundsätzlichen zahlreiche Bedenken geblieben, die ich – wie bereits vor der Abstimmung angekündigt – im folgenden darstellen möchte.
Zum Vorspann:
Die Neufassung setzt sich wie schon die Neuregelung 1996 über die linguistischen Bedenken hinweg, die einer Reduzierung der Getrennt- und Zusammenschreibung auf den Gegensatz von Wortgruppe und Zusammensetzung entgegenstehen. Der Duden von 1991 hatte diesen Fehler weitgehend vermieden.
Bei § 33 wäre der Deutlichkeit halber zu ergänzen, daß zu danksagen die finite Form er danksagt gehört, zu Dank sagen hingegen er sagt Dank; ferner sind brustschwimmen usw. anders gebaut; denn man kann nicht sagen sie brustschwimmt (delphinschimmt, marathonläuft usw.). Die Halbzusammensetzungen notlanden usw. wären ebenfalls noch zu erwähnen, wegen er notlandet, aber notgelandet, notzulanden – durchaus orthographisch relevant.
Zu § 34:
E1: Es fehlen Ausführungen zu den Doppelpartikelverben; oder sollen etwa wiederaufbauen, wiederherrichten usw. nur noch getrennt geschrieben werden?
Aus der Formulierung von E2 muß man folgern, daß wie schon 1996 Verbindungen mit darin (welche noch?) erst dann zusammengeschrieben werden, wenn das Pronominaladverb synkopiert ist: darin sitzen, aber drinsitzen. Falls dies nicht nur ein redaktionelles Versehen sein sollte, ist es abzulehnen.
E2 und E3 sind auch regeltechnisch ungeschickt, da sie den Leser über grammatische Sachverhalte aufklären, statt diese vorauszusetzen und nur die gesuchte Schreibweise zu vermitteln.
Zusammenzuschreiben sind Partikeln, die „die Merkmale von frei vorkommenden Wörtern verloren haben“. Es wird nicht erklärt, was damit gemeint ist. Aus den Beispielen geht es auch nicht hervor. Warum soll etwa entzwei Merkmale eines frei vorkommenden Wortes verloren haben? Welche Merkmale sind es denn, die bevor oder inne besaßen und nun verloren haben? Der Artikel kommt auch nicht frei vor und wird trotzdem als Wort betrachtet. Oder sollte gemeint sein, daß diese Elemente eben nur als Bestandteile von Zusammensetzungen vorkommen? Das wäre tautologisch und nutzlos.
Übrigens wurde abhanden kommen nach bisheriger Dudennorm nur getrennt geschrieben; das sollte zumindest nicht ausgeschlossen werden. In überhandnehmen wiederum steckt eigentlich ein Substantiv, so daß es eher zu (3) zu stellen wäre.
E4: Bekanntlich sind feil, irre und in Grenzen auch kund und wett ('quitt') sehr wohl der Wortart Adjektiv zuzuordnen. Die 1996 verordnete Neuschreibung daß er irrewird bzw. irrwird (Duden 2004) kann m. E. nicht verpflichtend vorgeschrieben werden. Die Erwähnung von weis-, wett- und preis- ist überflüssig, da diese jeweils nur mit einem einzigen Verb zusammengefügt werden: weismachen, wettmachen, preisgeben; das gehört ausschließlich ins Wörterbuch.
Nach (2.1) wäre bereitlegen wohl fakultativ zusammenzuschreiben, aber wie steht es mit bereit+liegen, das nicht „resultativ“ gedeutet werden kann?
Beobachter haben gefragt, wozu der Begriff des „resultativen Prädikativs“ gut sein soll, der offenbar nur hier vorkommt. Die Rechtschreibregelung sollte nicht mit Bruchstücken grammatischer Theorie um ihrer selbst willen befrachtet werden.
(2.2): Die Vorschrift, Verbindungen wie krankschreiben, kaltstellen usw. bei einer idiomatischen Gesamtbedeutung zusammenzuschreiben, ist weder deskriptiv angemessen noch sinnvoll. Bei fakultativer Geltung würde auch die Ausnahmeregelung E5 entfallen, die ohnehin die Vorschrift entwertet. Hier ist entgegen der Dudennorm schon früher unterschiedlich geschrieben worden, und man kann das weiterhin der Sprachgemeinschaft überlassen. Es ist schlechterdings niemandem zuzumuten, über den Idiomatisierungsgrad von krankschreiben, krank melden und krankfeiern nachzusinnen. (Ich habe hier jeweils die statistisch überwiegende Schreibweise angeführt, die jeweils andere ist aber auch nicht selten; dabei wäre noch nach finiten und infiniten Formen zu differenzieren.) Außerdem ist die Bedingung der Idiomatisiertheit fragwürdig, weil die betreffenden Zusätze durchaus offene Reihen bilden können.
Das Hauptproblem liegt aber darin, daß die „nichtidiomatisierte“ Gesamtbedeutung ohnehin eine Illusion ist, die auf dem logizistischen Dogma von der Kompositionalität der Bedeutung komplexer Ausdrücke beruht. Der Arzt kann jemanden krankschreiben und auch wieder gesund – was soll daran idiomatisch sein? So streng fixiert ist die Bedeutung von schreiben und von krank nicht, daß sich daraus die eine buchstäbliche Bedeutung nach dem „Frege-Prinzip“ gleichsam errechnen und die andere, idiomatische als abweichend erkennen ließe. Diese Überlegung gilt natürlich auch für viele andere Verbindungen, bei denen die Reform Neuschreibungen verordnet hatte: offen legen usw. - es dürfte schwerfallen, hier mit Hilfe der Revision zu einer Entscheidung zu kommen.
Der neuen Darstellung ist weiterhin nicht zu entnehmen, ob es für großschreiben/groß schreiben usw. tatsächlich bei der reformbedingten Umkehrung der bisherigen Norm bleiben soll. Die Zusammenstellung bereit erklären, klein beigeben veranlaßte einen unabhängigen Beobachter zu der Frage, ob es sich hier um einen Witz handele. Die beiden Gebilde sind erstens ganz verschieden gebaut und enthalten zweitens weder ein morphologisch komplexes noch ein erweitertes Adjektiv. Außerdem leuchtet nicht ein, daß bereit erklären ganz anders behandelt werden soll als krankschreiben.
Die leider immer noch nicht beseitigte Verkennung der Bestandteile leid und not als Substantive (!) unter (3) sollte in einem sprachwissenschaftlich seriösen Werk keinen Platz finden. Die Verbannung des herkömmlichen leid tun ist völlig willkürlich und strikt abzulehnen. Dasselbe gilt für zusammengeschriebenes nottun, das zwar angebahnt, aber keineswegs schon allgemein verbreitet war. Warum kopfstehen und brustschwimmen verschieden zu behandeln sind, dürfte nicht leicht plausibel zu machen sein. Was ist der grammatische (also nicht tautologisch auf die vorgesehene Schreibweise zurückgreifende) Unterschied zwischen achtgeben und Acht geben? Warum wird er nicht genannt, wenn es ihn gibt?
Es ist zu bedauern, daß die herkömmliche Zusammenschreibung von spazierengehen usw. nicht als sinnvolle Möglichkeit vorgesehen wird, obwohl die strukturellen Unterschiede zu schwimmen gehen auf der Hand liegen und auch im Rat zur Sprache gekommen sind.
laufen lernen, arbeiten kommen, baden gehen, lesen üben – hier sind wieder höchst unterschiedliche Gebilde unter dem Titel „Verbindungen aus zwei Verben“ zusammengezwungen, so daß an der Ernsthaftigkeit des ganzen Unternehmens Zweifel aufkommen könnten. Wer sich die Mühe macht, „resultative Prädikative“ zu unterscheiden, sollte auch im Bereich der Verbkomplexe entsprechende Differenzierung nicht scheuen.
Ferner ist die Beschränkung der fakultativen Zusammenschreibung auf kennenlernen abzulehnen – wo übrigens die nichtübertragene Bedeutung ziemlich fragwürdig ist. Was ist überhaupt der Unterschied zwischen „übertragener Bedeutung“ und „neuer, idiomatisierter Bedeutung“?
E7 ist weit vom Sprachgebrauch entfernt: in Wirklichkeit werden die Positionsverben auch bei wörtlicher Bedeutung sehr oft mit bleiben und lassen zusammengeschrieben. Statt der Tendenz zur Zusammenschreibung weiterhin „entgegenwirken“ zu wollen (wie die Väter der mißglückten Reform es auf ihre Fahne geschrieben hatten), sollte man lieber nach den Ursachen fragen. Punkt (4) wird in seiner rigiden Fassung der tatsächlichen Sprachentwicklung nicht gerecht, sondern kämpft in sinn- und aussichtloser Weise dagegen an.
§ 35 (Verbot von Zusammenschreibungen mit sein). Diese künstliche und überflüssige Beschränkung ist aufzugeben. Es sei daran erinnert, daß das revidierte Wörterverzeichnis vom November 2004 schon wieder die Zusammenschreibungen beisammengewesen und zurückgewesen enthält. Der Rechtschreibduden hat zwar kein Stichwort dagewesen mehr, aber alle Dudenwörterbücher verwenden es in ihrer Beschreibungssprache weiterhin. Es wäre unplausibel und sprachfremd, wenn beisammenbleiben zusammen- und beisammen sein getrennt geschrieben werden müßte. Laut ursprünglicher Fassung wäre das erste eine Zusammensetzung, das zweite eine Wortgruppe. Um diesen allzu offensichtlich auf die Schreibweise gegründeten Zirkelschluß zu vermeiden, ist in der Neufassung nicht mehr von „Zusammensetzung“ die Rede, aber das ist nur ein Trick, der die grundsätzlich verfehlte Auffassung der Verbzusatzkonstruktionen verschleiern soll.
Es wäre fatal, wenn bloß um der äußeren Form der Neuregelung willen der sinnlose Paragraph 35 beibehalten würde.
Nachdem die Neufassung endlich ins Netz gestellt worden ist, sollten die zweifellos eintreffenden Beobachtungen der interessierten Öffentlichkeit in einem geregelten Verfahren berücksichtigt werden und in die nochmalige Überarbeitung eingehen.
In diesem Zusammenhang ist eine der letzten Äußerungen der Zwischenstaatlichen Kommission in Erinnerung zu rufen: der „Ergänzende Bericht vom18.05.2004“. Er schließt mit folgenden Worten:
„[Die Kommission möchte] festhalten, dass die Diskussion in den Jahren seit der Einführung des neuen Regelwerkes und nicht zuletzt auch die Gespräche mit Vertretern der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gezeigt haben, dass der Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung äußerst schwierig in Regeln zu fassen ist, weil sich ständig neue Entwicklungen ergeben. Eine fortlaufende Beobachtung der Sprachentwicklung ist ebenso unerlässlich wie weitere gelegentliche Anpassungen des Regelwerks. In diesem Sinne muss der Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung in ganz besonderer Weise (ähnlich wie die Entwicklung der Fremdwortintegration) sowohl offen als auch außerhalb jeder rigiden Ahndung im schulischen Bereich bleiben. Getrennt- und Zusammenschreibung kann auf Grund seiner [sic!] Komplexität, Kompliziertheit und Offenheit nicht Gegenstand eines eng normierenden schulischen Rechtschreibunterrichts bzw. schulischer Fehlerkorrektur sein.“
Nach den Erfahrungen von mehr als hundert Jahren sollte der Staat am besten ganz darauf verzichten, diesen Bereich zu regeln.
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Kommentar von Peter Müller, verfaßt am 19.06.2005 um 02.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#467
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Außer dem unsäglichen leidtun fällt auf den ersten Blick auf:
(1) Das Lieblingsbeispiel von Herrn Zehetmair auseinandersetzen (sich mit etwas auseinandersetzen)/auseinander setzen (die Schüler auseinander setzen) ist hinfällig! Das Wort wird in beiden Bedeutungen zusammengeschrieben. Klar: Heißt die Regel „getrennt“, funktioniert die Ausnahme „bei übertragener Bedeutung Zusammenschreibung“. Umgekehrt, bei Regel Zusammenschreibung, geht es nicht (bei übertragener Bedeutung Getrenntschreibung).
(2) Das Beispiel verlorengehen hätte man in 2.2. auf keinen Fall streichen sollen. Nun geht das Rätselraten wieder los, ob Partizipien hier bei den adjektivischen Erstgliedern oder in 4. bei den verbalen Erstgliedern abgehandelt werden. In 4. ist vom Rat dazu noch der Alternativvorschlag von E7 abgelehnt worden, womit die Verbindungen mit -gehen und -lernen weggefallen sind. Das könnte zum offensichtlich falschen Schluß führen, daß verlorengehen getrennt geschrieben werden muß.
Man hätte in 2.2. der Klarheit zuliebe vielmehr darauf verweisen sollen, daß unter adjektivischen Bestandteilen auch Partizipien gemeint sind. Außer verlorengehen hätten dann auch die Beispiele gefangennehmen und gefangenhalten aufgeführt werden können (falls ihnen eine idiomatisierte Gesamtbedeutung zugebilligt wird)..
Auch das Beispiel übrigbleiben (Google-Fundstellen: 440k) ist zu Unrecht gestrichen worden. Es sollten vor allem häufig vorkommende Beispiele angeführt werden; vollquatschen (7k) gehört sicher nicht dazu, aber z.B. nahestehen (280k) und (in 4.) stehenbleiben (485k).
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Kommentar von Peter Müller, verfaßt am 19.06.2005 um 03.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#468
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Die 1996 verordnete Neuschreibung daß er irrewird bzw. irrwird (Duden 2004) kann m. E. nicht verpflichtend vorgeschrieben werden.
Einmal mehr: Die Regelung im alten Duden (R205, Zusammenschreibung, wenn dadurch ein neuer Begriff entsteht) war die beste und sollte in §35 wieder aufgenommen werden: „Verbindungen mit ‚sein’ oder ‚werden’ schreibt man nur im Infinitiv und im Partizip zusammen: dabeisein, bekanntgeworden“
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Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 19.06.2005 um 10.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#472
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Mit ihrem Drängen, die Regeln für die Getrennt- und Zusammenschreibung unbedingt noch einmal zu überarbeiten, hat Frau Schavan der Reform einen Bärendienst erwiesen. Zugegeben, die Einzelfallregelungen vor 1996 waren z. T. abenteuerlich, wie man bei Herberg und Baudusch (1989) nachlesen kann. Die Reform hat aber die Abhängigkeit von den Entscheidungen der Wörterbuchredaktionen keineswegs verringert, woran nun auch die Reform der Reform nichts ändert. Herrn Schaeders Steigerungsproben halte ich jetzt für eine klügere Lösung, als sie uns in den letzten Jahren erschienen ist. Da es im Deutschen keine Binnenflexion gibt, Steigerungsendung innnerhalb einer Zusammenschreibung also eigentlich ausgeschlossen sein müßten, ermittelt diese Probe ohne großen Aufwand die idiomatisierten und deshalb lexikalisierten Fälle. Die Extrawurst für -ig war natürlich Unsinn, schlimmer aber die hilfsweise einsetzbare Erweiterungsprobe. Da nicht leicht zu entscheiden ist, ob sich "sehr" oder "ganz" auf das Adjektiv oder die ganze Verbindung beziehen, haben die Reformer oft in einem zweiten Schritt - ihrer Wunschvorstellung entsprechend - wieder die Zusammenschreibung aufgehoben. Das ist nun (fast) vom Tisch. Wie soll ein normaler Sprachbenutzer jedoch demnächst entscheiden, ob eine idiomatisierte Bedeutung vorliegt, zumal dazu noch von verschiedenen Idiomatizitätsgraden auszugehen ist? Oft würde ohnehin der resultative Charakter der Verbindung die Zusammenschreibung nahelegen. Jetzt wird aber unterschieden nach "resultativ" (dann sind beide Schreibweisen zulässig) und "idiomatisiert" (dann gilt nur die Zusammenschreibung). Das kann in der Schreibpraxis nicht gutgehen, es sei denn, man rät den Schreibern, fleißig das Wörterbuch zu benutzen. Womit der Schwarze Peter aber nur weitergeschoben ist. Die Lexikographen müssen wieder entscheiden, angeblich mit Blick auf den Usus. Könnte man dann nicht den ganzen Teil B der Neuregelung durch eine einfache Regel ersetzen: In bezug auf die Getrennt- und Zusammenschreibung hält man sich an den Schreibgebrauch, d. h. man schreibt so, wie man üblicherweise schreibt. (Näheres findet man in den Rechtschreibwörterbüchern).
Bei der Umformulierung des Eisenbergschen Kompromißvorschlags ist bekanntlich aus "Objektsprädikativ" ein "resultatives Prädikativ" geworden. Das impliziert eine semantische Einengung. Schlimmer jedoch ist der Verzicht auf "Subjektsprädikative". "Wir werden die Frachtpapiere für Sie bereitlegen" (Obj.Pr., sogar leicht resultativ, demnächst wahlweise zusammen oder getrennt) - "Die Frachtpapiere werden rechtzeitig für Sie bereitliegen" (SubjPr., kann nach der Revision nicht einmal fakultativ zusammengeschrieben werden). Das wäre Burkhard Schaeder nicht passiert. Wie wird wohl nach dem Revisionsvorschlag "Er hat sich zur Mitarbeit bereit erklärt" zu schreiben sein? Vor und nach 1996 galt nur die Getrenntschreibung - warum eigentlich? Herberg und Baudusch behaupteten, zwei Haupttöne zu hören. Aber wen schert das heute? Von Betonung wollten die Reformer erst wieder etwas wissen, als sie in die Bredouille kamen; im Revisionsvorschlag ist keine Rede mehr davon.
Wie man sieht, behalten Munske (1998) und die Zwischenstaatlichen in ihrer Abschiedsbotschaft (2004) recht: die GZS ist so quirlig, daß da nichts zu regeln ist. Dies ist wohl die Rache der deutschen Rechtschreibung an der hierzulande obwaltenden Regulierungssucht. Wenn alle den Durchblick verloren haben, vergeht vielleicht der KMK irgendwann die Lust an der Reformerei. Wir sollten aber nicht zu früh frohlocken. Die Rückkehr zum Duden von 1991 wird keine bundesweiten Begeisterungsstürme auslösen. Der Reglementierungskarren steckt tiefer im Dreck, als wir uns das eingestehen.
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Kommentar von Reinhard Markner, verfaßt am 19.06.2005 um 15.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#474
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Aus dem Nebeneinander der Beispielsätze Dabeisitzen wollte sie nicht immer (E1) und Beisammen bleiben wir immer (E3) ergibt sich, daß nicht alle Verbpartikeln einen Kontrastakzent im Sinne von E3 tragen können, was dort aber nicht vermerkt ist.
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Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 19.06.2005 um 17.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#475
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Daß Subjektsprädikative von den "resultativen Prädikativen" ausgeschlossen sein sollen, kann man allenfalls anhand der Beispiele erkennen. Mir ist das jedoch nicht klar. Für bereit erklären ist allerdings Getrenntschreibung festgelegt - unter 2.3 (ein morphologisch komplexes Adjektiv dürfte nicht vorliegen). Liegt das nun am Fehlen einer resultativen Komponente oder an der Subjektbezogenheit?
Das Kriterium der "idiomatisierten Gesamtbedeutung" ist meiner Meinung nach hinreichend verständlich. Die Entscheidung des Schreibers fällt natürlich rein intuitiv. Früher hieß das "neuer Begriff". Bei Herrn D. Lindenthal "Wort" ;-)
Problematischer ist natürlich die Obligatorik der Zusammenschreibung. Vielleicht eine neue Fehlerquelle. Überdies sind einige der Beispiele erweiterbar (bezogen auf den ersten Bestandteil).
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Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 19.06.2005 um 17.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#476
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Was mißverstanden werden kann, wird auch mißverstanden (Murphys Gesetz für die Rechtschreibung). Was je nach Betonung unterschiedliche Bedeutungen haben kann, sollte durch die Schreibweise unterschieden werden dürfen. ("Geben Sie Unterscheidungsfreiheit!") Das Vorherdenken von Verwechslungsmöglichkeiten ist nicht zuviel verlangt. Jeder Programmierer lernt das als erstes. Schüler sollten lernen, sich genau auszudrücken, auch wenn das den Politikern unbequem ist.
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Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 19.06.2005 um 18.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#479
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> Der Beschluß zur GZS (§ 34) steht jetzt auf der vorläufigen Internetseite des Rates.
Nach einigem Suchen stieß ich auf http://www.ids-mannheim.de/gra/rechtschreibung/ (als Unterpunkt von "Grammatik") und vermute einmal, daß es sich um besagte Seiten handelt. Um Öffentlichkeit zu schaffen, ist eine bessere Verlinkung nötig, sowie eine deutliche Kennzeichnung als (vorläufig) offizielle Webseite des Rates. Sonst
hält man diese Seiten für zu einem Unterprojekt der Grammatikgruppe des IDS gehörig.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.06.2005 um 18.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#480
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Dem revidierten Paragraphen fehlt die Ausgereiftheit, die nur im Wechselspiel von Ratsuchenden und Ratgebenden erreicht werden kann. Um so dankbarer bin ich jetzt für die sich hier entspinnende Diskussion, die das darstellt, was beim Rat stattfinden sollte, aber mangels funktionierender Website nicht kann. Viele Augenpaare sehen einfach mehr.
Ich werde alles auswerten und später als Sondervotum formulieren. Eine weitere Überarbeitung der Revision scheint ja nicht ausgeschlossen. (Die Feinarbeit ist bisher überhaupt nicht institutionalisiert.)
Bei dieser Gelegenheit bitte ich nochmals um Verständnis, daß ich meine Einwürfe bei den letzten beiden Ratssitzung sehr einschränken mußte, um nicht als notorischer Blockierer dazustehen - eine Rolle, in der sich andere Ratsmitglieder schon gefallen. Ich will ja, daß der Rat Erfolg hat, deshalb habe ich manche Kröte geschluckt, nicht ohne vorher auf ihr Vorhandensein hingewiesen zu haben.
Was die Rolle solcher Regeln für die Praxis betrifft, so kann ich mir nicht vorstellen, daß die alten Dudenregeln oder ihre kasuistische Auslegung in umfangreichen Werken wie Baudusch/Herberg eine große Bedeutung für den ratsuchenden Laien hatten. Man schlug eben im Wörterverzeichnis nach, und den Rest erledigte man nach Analogie und Erfahrung. Daran wird sich nichts ändern. Die Regeln sind also ziemlich gleichgültig, solange daraus nicht "gewöhnungsbedürftige" Schreibweisen abgeleitet und übliche verboten werden. Ersteres ist geschafft, letzteres noch nicht.
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Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 19.06.2005 um 19.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#481
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In meinen Augen gehört 2.3 komplett gestrichen. Der "Notausgang der Vernunft", der sich aus E5 ergibt und der praktisch den status quo ante in weitesten Teilen wiederherstellt, wird hier durch genau fünf Beispiele teilweise wieder geschlossen. Stünde hier nicht das (Pardon!) saublöde "bereit erklären", wäre der Satz noch "tolerabel", wenn ich auch an seinem Sinn zweifle. (Wer definiert, ab wann ein Adjektiv "morphologisch komplex" wird?)
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Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 19.06.2005 um 22.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#486
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Herrn Fleischhauer schönen Dank für den Hinweis: Für bereit erklären ist allerdings Getrenntschreibung festgelegt - unter 2.3 (ein morphologisch komplexes Adjektiv dürfte nicht vorliegen). An dieser Stelle hat bereit erklären tatsächlich nichts zu suchen, was ebenfalls darauf hinweist, mit welch heißer Nadel der neue § 34 gestrickt ist. In anderen Verbindungen hatte weder der Duden noch das Regelwerk von 1996 Vorbehalte bei bereit-. Für normale Sprachbenutzer sind weder bereit noch fertig "morphologisch komplexe Adjektive". Vielleicht erklärt sich aber so, daß auch bisher schuldig sprechen nicht der Analogie von freisprechen folgte; ähnlich: jemandem etwas klarmachen vs. jemandem etwas verständlich machen. Offenbar hat dies mit Schreibästhetik zu tun, die wohl auch bei *sich bereiterklären greift, nur eben nicht allein wegen des Adjektivs. Wibke Bruhns hat das Problem erkannt, als sie ihre kinder-geschädigte Figur schrieb. Hier steht der kreative Schreibgebrauch gegen das tote Regelwerk, das ohnehin in der Sicht der staatlichen Auftraggeber in der Hauptsache als Dienstanweisung für rote Kugelschreiber zu dienen hat. Es ist deshalb eine Freude zu sehen, wie die deutsche Getrennt- und Zusammenschreibung allen Normierungsversuchen ein Schnippchen schlägt.
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Kommentar von Peter Müller, verfaßt am 20.06.2005 um 01.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#488
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Eine Synopsis der letzten drei Varianten ist hier zu finden.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.06.2005 um 08.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#489
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Zur "heißen Nadel": Wie schon bemerkt wurde, ist die AG GZS nur deshalb so schnell fertiggeworden, weil Eisenberg eine verbesserte Fassung seines alten Kompromißvorschlags in der Tasche hatte. Schon dadurch dominierte er naturgemäß die Diskussion. Vor- und Nachteile liegen nun zutage. E. ist ja auf dem Gebiet auch nicht so spezialisiert wie etwa bei der Laut-Buchstaben-Beziehung.
Am besten wäre es in der Tat, den Bereich GZS gar nicht im einzelnen zu regeln (Jochems), aber dagegen steht der grundsätzliche Regelungswahn, dem die ganze Reform ihre Existenz verdankt. Die Fassade steht, und nun muß irgendwas dahinter gebaut werden, weil ein "Palast der Winde" hierzulande nicht sein darf. Da schreibt man also lieber ganze Kapitel Syntax und Wortbildungslehre hinein.
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 20.06.2005 um 10.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#493
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Besonders abstrus ist doch das letzte Beispiel unter 2.3: klein beigeben. Was soll an dem Adjektiv klein morphologisch komplex oder erweitert sein?? Gemeint ist hier vermutlich, daß klein + bei insgesamt eine komplexe Erweiterung zu geben sind, aber das entspricht momentan nicht der vorhergehenden Text. Das Beispiel müßte unter der jetzigen Regelformulierung rausfliegen. Es kommt doch sowieso niemand auf die Idee, kleinbeigeben zusammenzuschreiben.
Der Absatz ließe sich retten, wenn bei dem Beispiel bereit erklären korrekterweise noch sich ergänzt wird und zuvor die Komplexität nicht auf das Adjektiv bezogen wird, also: Dazu zählen insbesondere morphologisch komplexe Verbindungen, zum Beispiel ... Dann könnte vielleicht sogar das überflüssige klein beigeben drin_bleiben, obwohl es die Frage provoziert, ob hier im Sinn der Regel und analog zu den anderen Beispielen die Getrenntschreibung nicht auch zwischen bei und geben eintreten müßte ...
Vielleicht hat der Visionär Hans Zehetmair recht, und der Rat für deutsche Rechtschreibreparaturversuche wird zur Dauerinstitution.
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 20.06.2005 um 10.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#494
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Pardon, der Rat für deutsche Rechtschreibreformreparaturversuche natürlich.
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Kommentar von Reinhard Markner, verfaßt am 20.06.2005 um 12.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#497
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Ob das a ausfällt oder nicht, ist kein Kriterium für die GZS von Verbindungen mit d(a)r . . ..
Eine unvollständige Aufstellung:
darangehen, daranmachen, daransetzen, dareinmischen, darüberfahren, darübermachen, darüberstehen, darumkommen, darunterfallen, darunterliegen
Andererseits: (sich nichts) daraus machen und draus machen
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Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 20.06.2005 um 12.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#498
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Interessant ist, was die mündliche Umgangssprache daraus macht:
Da geh' ich nicht ran; da mach' ich mich ran; da setz' ich alles dran; da misch' ich mich ein; da fahr' ich drüber; da mach' ich mich drüber; da steh' ich drüber; da komm' ich rum; aber: darum komm' ich; da fällt es drunter; da liegt es drunter; da mich' ich mir nichts draus; da mach' ich was draus.
(Nebenbei: Im Standardenglisch ist das die normale Ausdrucksweise.)
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 20.06.2005 um 16.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#500
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>>Bei § 33 wäre der Deutlichkeit halber zu ergänzen, daß zu danksagen die finite Form er danksagt gehört, zu Dank sagen hingegen er sagt Dank; ferner ist brustschwimmen anders gebaut; denn man kann nicht sagen sie brustschwimmt (delphinschimmt, marathonläuft usw.). Die Halbzusammensetzungen notlanden usw. wären ebenfalls noch zu erwähnen, wegen er notlandet, aber notgelandet, notzulanden – durchaus orthographisch relevant.<<
Solange bei "danksagen" — wie immer man es schreibt! — der Teil vor "sagen" betont ist, gibt es keine finite Form "danksagt". (Vgl. wiederholen - wieder holen.)
Zu "brustschwimmen" vgl. meinen Beitrag zum Zehetmair-Interview unter
<http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#937>.
Wo ist "Brustschwimmen" überhaupt ein Verb? Sagt denn jemand vom Fach: *"So, und jetzt müssen wir noch brustschwimmen"? Vorstellen könnte ich's mir (aber halt doch nur, wenn ich dazu gezwungen würde), aber ich höre den erfolgreichen Trainer so: "So, und jetzt müssen wir noch ('s) Brustschwimmen hinter uns bringen."
Im übrigen gratuliere ich Wolfgang Wrase zu seiner genauen Beobachtungsgabe. Seine Wortschöpfung "Rechtschreibreformreparaturversuche" ist eine leider wichtige Bereicherung der deutschen Sprache.
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Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 20.06.2005 um 18.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#502
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"brustgeschwommen" bringt mich bei Google mindestens mal zu folgendem Satz:
"Halb gekrault, halb brustgeschwommen und trotz vorheriger Monsterernährung krieg ich so langsam wieder Hunger" (Opel Ironman 2003)
Nun, schön ist der Satz nicht, zugegeben. Aber wie sollte man ihn sonst schreiben? "Halb gekrault, halb Brust geschwommen..."? Und wenn es "brustgeschwommen" gibt, muß es zwangsläufig auch "brustschwimmen" geben.
Zu "danksagt" fällt mir folgender Satz ein: "XY danksagte in seiner Rede..." Das hört sich für mich auch etwas archaisch an, aber man kann es doch so schreiben.
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Kommentar von Reinhard Markner, verfaßt am 21.06.2005 um 00.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#503
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Christian Stetter monierte 1989 »die Vermengung zweier völlig verschiedenenartiger Textsorten [. . .], die der linguistischen Beschreibung des orthographischen Sachverhalts und der linguistisch präzisen Regelformulierung und die der Erklärung des Gebrauchs dieses Regelsystems für ein linguistisch nicht vorgebildetes Publikum«. Gegenstand seiner Kritik war der 1988 erschienene Vorschlag der Kommission für Rechtschreibfragen des IdS. Sie ist unverändert gültig.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.06.2005 um 07.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#504
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Was es gibt und was es nicht gibt, läßt sich nicht deduzieren, man muß nachschauen. Man kann auf verschiedenen Wegen zu Verbalkomposita kommen. Z. B. von Frühstück zu frühstücken: er frühstückt usw.
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Kommentar von Franz Berlinger, verfaßt am 21.06.2005 um 09.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#505
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Diese ganze Diskussion ist doch viel zu akademisch. Die Regelung im alten Duden (R205, Zusammenschreibung, wenn dadurch ein neuer Begriff entsteht) war die beste und sollte in §35 wieder aufgenommen werden, wie Peter Müller schreibt. Diese Regelung ist praxisnah und eindeutig. Sie würde zudem den Teilnehmern dieses Forums viel Zeit ersparen, denn sie müssen dann nicht mehr so kompliziert abwägen, ob eine Formulierung nun adjektivisch mit einem Hauch Partizip oder vielleicht mehr idiomatisiert-substantiviert schmeckt oder nicht. Und die bewährte R205 würde, schnell umgesetzt, den bedauerns- und beachtenswerten Mitgliedern dieses Reparatur-Rats viel Nerven und Fahrtkosten ersparen.
Ich bin nur einfacher Redakteur, der täglich formulieren und schreiben muss. Und zwar so, dass andere meine Texte gerne lesen und sogar Geld dafür ausgeben. Ich fordere einfache, nachvollziehbare Regeln ein, nicht mehr und nicht weniger. Regeln, die klare und eindeutige Formulierungen zulassen und zudem - das wird vollkommen übersehen - den Lesern auch Lesegenuss ermöglichen. Dort müssen wir wieder hin. Ich danke allen herzlich, die sich darum bemühen. Und ich verfluche die akademischen Eierköpfe in den Pisa-Ministerien, die uns diesen Mist eingebrockt haben. Die sollten zur Strafe 100 Jahre bei Bertelsmann - dort wird jedes noch so unschuldige Verb auseinandergerissen - Korrekturlesen müssen.
Beste Grüße aus der Praxis
Franz Berlinger
PS: Lassen Sie bitte das Argument "Google" aus dem Spiel. Wenn wir mit Google-Ergebnissen argumentieren, dann können wir wegen der Fehlerhaftigkeit auch gleich die neue Rechtschreibung zulassen.
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Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 21.06.2005 um 11.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#507
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Zur überarbeiteten zweiten Fassung des Kommentars:
"Welche Merkmale sind es denn, die bevor oder inne besaßen und nun verloren haben? Der Artikel kommt auch nicht frei vor und wird trotzdem als Wort betrachtet. Oder sollte gemeint sein, daß diese Elemente eben nur als Bestandteile von Zusammensetzungen vorkommen?"
Es mag ja sein, daß nur ich den zweiten Satz "Der Artikel..." nicht verstehe. Welcher Artikel ist hier gemeint?
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 21.06.2005 um 11.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#508
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Während "frühstücken" von "Frühstück" abgeleitet ist (wie "arbeiten" von "Arbeit"), müßte ein "danksagen", das mit "er danksagt(e)" zusammengeht, von "Danksag(e)" oder "Danksagung" abgeleitet sein. O.k., wenn "XY danksagte in seiner Rede..." tatsächlich von einem Sprachteilnehmer ganz natürlich gesprochen worden sein sollte (wie also das "Halb gekrault, halb brustgeschwommen und trotz vorheriger Monsterernährung krieg ich so langsam wieder Hunger" von einem Opel-Ironman 2003 tatsächlich so gesagt worden ist), dann meine ich, daß "danksagte" weniger "archaisch" ist, sondern vielmehr sonderbar gezwungen und eigenartig (hyperkorrekt). Denn für dasselbe Gemeinte ist ja "er sagt(e) Dank/dank" schon da und liegt also viel näher, und von diesem ist auch "Danksage"/"Danksagung" abgeleitet und nicht umgekehrt.
"Und wenn es "brustgeschwommen" gibt, muß es zwangsläufig auch 'brustschwimmen' geben." Muß? O nein! Es gibt Verben, die durchaus nicht alle Formen haben. So haben die englischen modalen Hilfsverben keinen Infinitiv, und vieles andere fehlt da auch (wogegen ihre deutschen Entsprechungen sogar zwei Perfektpartizipien haben!); deutsch "bergsteigen" hat keine finiten Formen, und das Perfektpartizip fehlt auch. Bevor ich also etwas deutsch aufschreibe, will ich zumindest wissen, ob's überhaupt deutsch ist, d. h., ob Deutsche natürlich so sprechen. Man muß daher hinhören bzw. auch "nachschauen" (Ickler), um herauszufinden, ob's was überhaupt gibt, bevor man es mit einem Regelsystem beschreiben kann. So drängen die Reformer einem Pausen auf, wo keine sind, — womit gar nicht gesagt ist, daß alle freien Stellen zwischen geschriebenen Wörtern Pausen anzeigen. Aber wenn kein Pausenzeichen da ist, ist sicher, daß wir keine haben. Wenn ich "halb brustgeschwommen" zum ersten Male lese, lese ich es in dieser Schreibung gleich richtig, während "halb Brust geschwommen" doch einiges Erstaunen auslöst. Dieses Erstaunens wegen ist es eben in der Intonation anders als "fünf Kilometer / auf dem Rücken / eineinhalb Stunden geschwommen".
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Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 21.06.2005 um 13.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#509
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Im Deutschen suche ich ein Verb in eimem Wörterbuch immer im Inifitiv (d. h. "brustschwimmen" und nicht etwa "brustgeschwommen"), oder liege ich da falsch?
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Kommentar von R. M., verfaßt am 21.06.2005 um 14.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#510
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Im Deutschen liegen sie richtig, im Lateinischen falsch.
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Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 21.06.2005 um 15.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#511
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Noch eine letzte Replik an Herrn Ludwig bzgl. "danksagt":
Römer 14,6: Wer den Tag achtet, achtet ihn dem Herrn. Und wer ißt, ißt dem Herrn, denn er danksagt Gott; und wer nicht ißt, ißt dem Herrn nicht und danksagt Gott.
An anderer Stelle so gefunden: Und wer ißt, ißt dem Herrn, denn er sagt Gott Dank; und wer nicht ißt, ißt dem Herrn nicht und danksagt Gott.
Den letzten Text gibt es auch in deformierter Schreibe: "isst" statt "ißt" aber weiterhin mit dem Schluß "und danksagt Gott."
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.06.2005 um 16.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#512
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Der Artikel, z. B. der bestimmte: "der, des, dem ...", steht immer vor Substantiven, gilt aber trotzdem als Wort. Ich wollte nur auf die Unklarheit der Bestimmungen im revidierten § 34 hinweisen. So geht das wirklich nicht, das Publikum möchte nicht in ein großes Rätselraten geworfen werden.
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Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 21.06.2005 um 16.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#513
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Danke. Jetzt habe ich "Der Artikel..." verstanden. Die Erläuterung wäre m. E. auch in der Endfassung des Kommentars hilfreich.
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Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 21.06.2005 um 18.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#514
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Die betonungsabhängige Unterscheidung, ob Artikel (Begleiter), falls unbetont, oder hinweisendes Fürwort, falls betont, ist ein gutes Beispiel für die Betonungsabhängigkeit von Wortbedeutungen und sogar Wortarten.
In älteren Grammatiken heißt es: Der Artikel bildet keine besondere Wortart, denn der sog. bestimmte Artikel (der, die, das) ist ein abgeschwächtes hinweisendes Fürwort (Demonstrativpronomen), der sog. unbestimmte Artikel (ein, eine, ein) ist das abgeschwächte Zahlwort.
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Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 21.06.2005 um 21.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#515
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Vielleicht sollten wir Herrn Icklers Ausführungen zum grammatischen Status des Artikels heute schon diskutieren, da er demnächst bei der Kritik der alten und der neuen Fassung des § 36 eine Rolle spielen wird. Ursprünglich hieß es dort gleich eingangs:
Substantive, Adjektive, Verbstämme, Adverbien oder Pronomen können mit Adjektiven oder Partizipien Zusammensetzungen bilden. Man schreibt sie zusammen. Dies betrifft (1) Zusammensetzungen, bei denen der erste Bestandteil für eine Wortgruppe steht.
Jetzt soll daraus werden: Es wird zusammengeschrieben, wenn 1.1) der erste Bestandteil mit einer Wortgruppe paraphrasierbar ist.
Geändert hat sich also in der Sache nichts. Man faßt die Partizipialverbindung als Transformat auf, kehrt den Vorgang um und liest dann am Ergebnis ab, ob - bei Vorliegen einer Wortgruppe - zusammen-, sonst aber getrennt geschrieben wird (mit der natürlichen Folge: Großschreibung des Substantivs) Dieser Regel sind Beispiele beigegeben, von denen hier drei interessieren:
Fall 1: freudestrahlend ---> vor Freude strahlen
Fall 2: bahnbrechend ---> sich eine Bahn brechen
Fall 3: herzerquickend ---> das Herz erquicken
Fall 1 überzeugt, Fall 2 weckt Zweifel, Fall 3 ist absurd. Wo hätte man je gehört, daß Artikel + Substantiv eine Wortgruppe bilden? Wer beim Chomsky Craze der sechziger Jahre schon dabei war, erinnert sich natürlich an die zweite Rewriting Rule, die da lautet: "Noun Phrase is rewritten as Determiner + Noun", womit aber nur gemeint ist, daß es unbegleitete Substantive nicht gibt. Dem widersprechen scheinbar die nachfolgenden Sätze:
Funken können leicht das trockene Gras entzünden.
Seit wann wurde in dieser Gegend Eisen erzeugt?
Harken deine Kinder gerne Laub?
Mit dieser Sache kannst du dir Zeit lassen.
Bei näherem Hinsehen erkennen wir "Funken" als den Plural eines Substantivs, das im Singular mit dem unbestimmten Artikel stehen würde. Wenn Chomsky recht hat, muß in diesem Falle auch beim Plural ein Artikel stehen, ein unsichtbarer gleichsam - Nullartikel oder Zeroartikel in linguistischer Terminologie. Auch bei Substantiven im Singular gibt es einen solchen, wenn es sich nämlich um Stoffbezeichnungen, Kollektiva und Abstrakta handelt.
Die Reformkommission wäre also gut beraten gewesen, ihre Regel für die Auseinanderschreibung von Verbindungen aus Substantiv + Partizip I so zu formulieren:
Substantive, die wegen ihrer Klassenzugehörigkeit (Abstrakta, Stoffbezeichnungen, Kollektiva) oder unter besonderen syntaktischen Bedingungen (indefinit, Plural) scheinbar artikellos stehen, können keine Zusammensetzungen mit Präsenspartizipien bilden.
Merkwürdige Regel, nicht wahr? Bedeutet sie doch: Im Falle der Fügungen mit Präsenspartizipien liegt der Wahl zwischen Getrennt- und Zusammenschreibung weder eine sachlogische Unterscheidung zugrunde noch bietet sich dem Schreiber die Möglichkeit, seine Aussageabsicht zu präzisieren; es geht schlicht und einfach nur um einen grammatischen Zwang. Natürliche Sprachen kennen aber keine funktionslosen Differenzschreibungen. Auch der Rat für deutsche Rechtschreibung hängt also dem Grundsatz der Reformer an, daß stets eine Regel her muß, auch wenn sie sinnlos ist. Daß man jetzt auf fachsprachliche Präferenzen für die Zusammenschreibung ausweichen will, ändert nichts an der schlichten Tatsache, daß die alte Stümperei (auch im vorreformierten Duden ging es ähnlich zu) noch lange nicht erkannt und überwunden ist.
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Kommentar von Reinhard Markner, verfaßt am 22.06.2005 um 01.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#516
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Ich finde Peter Eisenbergs Darstellung zu dieser Frage (Grundriß I 319 f.) völlig richtig. Er stellt nämlich fest, daß Bildungen wie strümpfestopfend jederzeit möglich sind: »Die Zahl der so bildbaren Wörter ist praktisch unbegrenzt.« Er erläutert dann, warum ein orthographisches Problem eigentlich gar nicht auftreten kann, wenn man diese Tatsache anerkennt. »Durch Aufzählen aller möglichen Wörter im Rechtschreibwörterbuch ist die Konstruktion nicht erfaßbar, weil sie prinzipiell offen ist. Probleme für die Schreibung entstehen dadurch nicht.«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.06.2005 um 05.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#517
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Zu § 34 fiel mir noch ein, daß preis-, weis- und wett- eigentlich gar nicht ins Regelwerk gehören, weil sie jeweils nur mit einem einzigen Veb zu einer "trennbaren Zusammensetzung" verbunden werden. Erbstücke der alten Fassung von 1996. Damals waren ja auch wett und irre als Substantive mißverstanden worden.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 22.06.2005 um 07.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#518
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Letztlich gedanksagt
Nun, man kann nicht alle Wörter im Wörterbuch kennen (deshalb haben wir ja Wörterbücher — und in der Sprache Gott sei Dank Systeme, nach denen Neubildungen jederzeit möglich sind), und richtig bibelfest bin ich eben auch nicht. Ich steh also da, eines neuen belehrt und danksagend. Die finite Verbform "danksagt" gibt es also (und das nicht nur im Nebensatz, der mit einer unterordnenden Konjunktion eingeleitet ist). Sein Gebrauch scheint mir aber doch sehr beschränkt. Da ist aber nichts mit "hyperkorrekt" und auch nichts mit "weniger 'archaisch'". Sehr witzig finde ich seinen modernen Gebrauch in dem Gedicht "FFF-Volksvertreter", wo es heißt "Erst grüßt uns ER, dann danksagt wer, / Das macht uns Lust aufs Hinterher. / Der Stil ist festgeschrieben." (<http://www.google.com/search?q=danksagt&num=100&hl=en&lr=&ie=UTF-8&filter=0>, wo leider kein Autor angegeben ist, dem ich danken könnte.)
Karsten Bolz danke ich aber auch für die Formulierung "deformiert geschrieben", — wie ich auch in einem anderen Strang dieser Website Dr. N. Bernhards Bezeichnung der Reformverordner als die "von uns Steuerzahlern besoldeten Konferenztouristen" sehr treffend finde (<http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=279>).
Mit welcher Form ein Verb im Wörterbuch in alphabetische Ordnung gebracht wird, hängt in den verschiedenen Sprachen meist davon ab, welche unter den Stammformen man aus einigermaßen guten Gründen als die "erste" ansieht. Ich habe den *Brockhaus: Illustrated German-English • English-German Dictionary*, New York: 1965, und der listet im deutsch-englischem Teil die Verben nach der 1. Pers. Präs. Ind. auf (die englischen Entsprechungen von "sein" finden Sie da nicht unter "s", sondern unter "bin", von "einschlafen" erst unter "schlafe"!), — und, Mann, hat mich das auf die Palme gebracht — und auch zur sehr schnellen Einsicht, weshalb ich dieses Wörterbuch mit seinen immerhin 766 Seiten allein im deutsch-englischen Teil "with our compliments" gratis bekommen hatte! Interessant ist da jedoch, daß ein Verb "*brustschwimmen" darin nicht vertreten ist, sondern nur das Substantiv "Brustschwimmen"!
Zur betonungsabhängigen Unterscheidung von Wortarten: Wenn es "in älteren Grammatiken heißt...: Der Artikel bildet keine besondere Wortart, denn der sog. bestimmte Artikel (der, die, das) ist ein abgeschwächtes hinweisendes Fürwort (Demonstrativpronomen), der sog. unbestimmte Artikel (ein, eine, ein) ist das abgeschwächte Zahlwort", dann ist das cum grano salis zu nehmen. Historisch ist das zwar richtig, aber es hilft nicht zur Darstellung des gegenwärtigen Gebrauchs. Der bestimmte Artikel unterscheidet sich von den Formen des hinweisenden Fürworts im Dat. Pl. und im ganzen Gen.; der Plural des indefiniten Artikels ist "/Null/" und des negierten indefiniten Artikels ist "keine", der Plural des Zahlworts "ein" ist "zwei, drei" usw. und des negierten Zahlworts "ein" ist "nicht ein". Auch ist es gut, wenn man zwischen hinweisendem Adjektiv und hinweisendem Fürwort unterscheidet (diesen/den Mann kenne ich — diesen/den kenne ich), selbst wenn sie die gleichen ("pronominalen") Formen haben. Unter solcher Sicht ordnen sich auch der bestimmte und unbestimmte Artikel anders ein, als wir es meist gelehrt bekommen haben, und das erlaubt eine klarere Betrachtung dieser "Wörter".
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Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 22.06.2005 um 11.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#521
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Noch ehe die ersten reformierten Rechtschreibwörterbücher auf den Markt kamen, konnte man im Wörterverzeichnis von Klaus Hellers Rechtschreibung 2000 (Stuttgart, Klett, 2. Aufl. 1996) die neuen Schreibungen bewundern. Die 1. Auflage dieser Broschüre war übrigens wie der ursprüngliche Reformduden der Zehetmair-Revision von 1995 zum Opfer gefallen. Klett mußte die ganze Startauflage einstampfen und den von "Restorant" und dergleichen gesäuberten Text neu drucken. Die zweite Auflage unseres Büchleins musste diesen Änderungen Rechnung tragen. Zugleich wurde die WÖRTERLISTE DER GEÄNDERTEN SCHREIBUNGEN - dem Bedürfnis nach rascher und sicherer Auskunft entsprechend - um solche Beispiele ergänzt, deren neue Schreibung sich aus den Regeln oder in Analogie zu anderen Schreibungen ergibt, die aber - wie etwa viele Fälle der Getrennt- oder Zusammenschreibung - im Wörterverzeichnis des amtlichen Regelwerkes keinen Platz finden konnten. Mannheim/Leipzig, im März 1996 - K. H.
Klaus Heller war offenbar besonders begeistert über die vielen nun getrennt zu schreibenden Verbindungen von Substantiv + Partizip I. Alle aufgeführten Schreibungen ergeben sich aus der absurden "Wortgruppen-Regel", die bis in Herrn Zehetmairs neueste Revision hinein bei uns für das richtige Schreiben gelten soll:
(Gefahr, Gewinn, Glück, Hilfe) bringend
(Gefahr) drohend
(Abscheu, Aufsehen, Besorgnis, Ekel, Grauen, Mitleid, Schwindel, Staunen) erregend
(Vertrauen) erweckend
(Fleisch) fressend
(Aufsicht) führend
(Not) leidend
(Musik) liebend
(Zeit) raubend
(Wärme, Zeit) sparend
(Funken) sprühend
(Hilfe) suchend
(Laub) tragend
(Ackerbau, Handel) treibend
(Eisen, Metall) verarbeitend
(Zeit) vergeudend
(Glück) verheißend
(Unheil)verkündend
Merkwürdigerweise fehlen "Arbeit suchend" und "Rat suchend" - auch K. H. vermied es, schlafende Hunde zu wecken.
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Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 22.06.2005 um 11.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#523
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Abschließend eine Bemerkung zu Herrn Ludwig: >>Interessant ist da jedoch, daß ein Verb "*brustschwimmen" darin [German-English Dictionary] nicht vertreten ist.<<
Ich vermute, daß in diesem Werk noch viel mehr Wörter nicht vertreten sind. Der Sinn eines Diktionärs ist schließlich ein anderer als der eines orthographischen Wörterbuchs.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 22.06.2005 um 21.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#533
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Die Verbindung von "Dank" und "sagen" ist ein hübsches Beispiel für drei sprachliche Möglichkeiten:
Man kann es als syntaktische Konstruktion auffassen (Er sagt Dank; um Dank zu sagen; er hat Dank gesagt), oder als feste Zusammensetzung (Er danksagt; um zu danksagen; er hat gedanksagt), oder als Verbzusatz (Er sagt dank; um dankzusagen; er hat dankgesagt). Jedenfalls ist es nicht Aufgabe der Rechtschreibung, eine dieser grammatischen Möglichkeiten auszuschließen.
Daß man den Ausdruck als syntaktische Konstruktion auffassen kann, hängt aber von der gewissermaßen zufälligen Tatsache ab, daß "sagen" ein transitives Verb ist. In "Dank sagen" kann man "Dank" deshalb als direktes Objekt interpretieren. Bei "kopfrechnen" oder "kopfstehen" scheidet diese Möglichkeit zweifellos aus.
Ich frage mich daher, ob die syntaktische Interpretation nicht doch eher irreführend und nachgeschoben ist.
Bei "staubsaugen/Staub saugen" scheint mir grundsätzlich die gleiche Situation zu bestehen. Die Wendung "ich sauge Staub" kommt mir aber sehr unnatürlich vor. Ich will ja damit nur sagen, daß ich der allgemein bekannten Tätigkeit des Staubsaugens nachgehe. Ich will nicht zum Ausdruck bringen, daß ich nur Staub und nicht etwa gröberen Dreck sauge. Außerdem bin nicht ich es, der den Staub saugt, sondern der Staubsauger.
Es gibt noch andere Schwankungsfälle. So nennt mein Duden (von 1961) die beiden Möglichkeiten "gelobpreist" und "lobgepriesen". Es ist nicht uninteressant, daß hier auch noch starke und schwache Beugung eine Rolle spielen.
So ganz sicher fühle ich mich auch nicht in der Frage, ob es "ich bin/habe geschlafwandelt" oder "ich bin schlafgewandelt" heißen sollte.
Ganz und gar verfehlt erschein es mir aber "brustschwimmen" als feste Zusammensetzung aufzufassen. Wer sagt schon "ich brustschwimme" oder gar "ich habe/bin gebrustschwommen", oder vielleicht noch besser "ich habe gebrustschwimmt"? Auch die syntaktische Konstruktion erscheint mir sehr gewagt. Dazu müßte man "schwimmen" zunächst als transitives Verb (immerhin kann man ja sagen "eine bestimmte Strecke schwimmen") und dann noch "Brust" als direktes Objekt auffassen. Das ginge mir gefühlsmäßig eindeutig zu weit (dann könnte man ja auch "Eis laufen", "Kopf stehen" usw. schreiben). Deshalb kommt in meinen Augen nur die Auffassung von "brustschwimmen" als Verbzusatzkonstruktion in Frage.
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Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 22.06.2005 um 23.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#534
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"kopfrechnen" steht für den Lokativ "im Kopf rechnen" oder für den Instrumentalis "mit dem Kopf rechnen",
"kopfstehen" steht für den Lokativ "auf dem Kopf stehen",
"schlangestehen" steht für den Lokativ "in der Schlange stehen",
"schlafwandeln" steht für den Lokativ "im Schlaf wandeln",
"brustschwimmen" steht für den Lokativ "auf der Brust schwimmen",
"rückenschwimmen" steht für den Lokativ "auf dem Rücken schwimmen",
"eislaufen" steht für den Lokativ "auf dem Eis laufen",
usw.
Lokativ und Instrumentalis sind keine "direkten Objekte", weil sie im Deutschen eine Präposition benötigen; deswegen können sie auch bei intransitiven Verben stehen.
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Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 23.06.2005 um 10.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#537
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Wir erwähnten schon, daß die Revisionskommission zu Neu-Schilda jetzt das Problem der Varianten bei Verbindungen von Substantiv + Partizip I mit einem Geniestreich aus der Welt schaffen will:
§ 36 (2.1) E4: Bei einem Substantiv als Erstglied hat die Zusammensetzung in vielen Fällen eine von der Wortgruppe abweichende, meist fachsprachliche Bedeutung erhalten wie beispielsweise in fleischfressende Pflanze, metallverarbeitende Industrie, wasserführende Schicht.
Nehmen wir uns ein Beispiel aus der Kommunikationspraxis vor. Hans Thoma: Hühnerfütterndes Mädchen steht auf der Rückseite einer Kunstpostkarte aus dem Tannen-Verlag in St. Blasien, die bei uns als Dauergast die Pinnwand ziert. Dargestellt ist jedoch nicht etwa eine Facharbeiterin für Geflügelaufzucht, sondern ein Mädchen, das in dem festgehaltenen Augenblick gerade Hühner füttert, also müßte nach bisheriger Gepflogenheit die Bildunterschrift lauten: Hühner fütterndes Mädchen. Das hat nichts zu tun mit "Artikeln, Konnektoren oder Präpositionen" in der syntaktischen Fügung, wie die Revisions-Rücktransformierer in ihrem Entwurf behaupten, sondern mit einem Phänomen, das allen Englischkennern als "Verbalaspekt" bekannt ist. Um gerade ablaufende von gewohnheitsmäßigen oder charakteristischen Tätigkeiten zu unterscheiden, gibt es dort (und natürlich in den romanischen und in den slawischen Sprachen) Differenzschreibungen für bestimmte Verbformen. Dazu ein weiteres Beispiel, Hanns Dieter Hüschs Chanson-Titel Zwiebelschälende Ophelia. Hier wird der so Apostrophierten das Zwiebelschälen als charakteristische Tätigkeit zugeschrieben, deshalb orthographisch zusammen. Übrigens heißt die "syntaktische Fügung" natürlich "Zwiebeln schälen" - so kompliziert und zugleich so genau differenzierend ist unsere traditionelle Rechtschreibung, die wir erhalten möchten, auch wenn ihre sichere Beherrschung nicht jedermanns Sache sein kann.
Reinhard Markner verweist in diesem Zusammenhang auf Peter Eisenbergs Darstellung in Grundriß I 319. Er stelle nämlich fest, daß Bildungen wie strümpfestopfend jederzeit möglich seien: "Die Zahl der so bildbaren Wörter ist praktisch unbegrenzt." Markner weiter: Er erläutert dann, warum ein orthographisches Problem eigentlich gar nicht auftreten kann, wenn man diese Tatsache anerkennt. "Durch Aufzählen aller möglichen Wörter im Rechtschreibwörterbuch ist die Konstruktion nicht erfaßbar, weil sie prinzipiell offen ist. Probleme für die Schreibung entstehen dadurch nicht."
Das meinen wir in aller Bescheidenheit besser zu wissen. Aber davon ganz abgesehen handelt es sich hier tatsächlich um ein hochproduktives Baumuster, und darum sind alle vagen Auskünfte an die von Zweifeln geplagten Schreibenden vom Übel. Jederzeit ist sowohl eine zusammen- wie eine getrenntgeschriebene Variante bildbar. Nur: Sollen, wie die Zwischenstaatliche Kommission das "zuallerletzt"/"zu guter Letzt" vorschlug, beide ohne Funktionsunterscheidung austauschbar sein, soll also eine Möglichkeit der Präzisierung wieder aufgegeben werden? Der Hinweis auf die fachsprachliche Verwendung der zusammengeschriebenen Formen erklärt nichts und gehört nicht in einen Rechtschreib-Leitfaden. Daß sie nur dann in prädikativer Stellung erscheinen und sich "gesamtheitlich" steigern lassen, wenn sie endgültig als Adjektive lexikalisiert sind, hat ebenfalls nichts mit Orthographie zu tun. Heute abend werden wir wissen, wie sechzehn deutsche Ministerpräsidenten mit dergleichen Problemen umgehen.
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Kommentar von Reinhard Markner, verfaßt am 23.06.2005 um 11.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#539
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Die Gepflogenheit war, Hühnerfütterndes Mädchen und Ihre vier Hühner fütterndes Mädchen zu schreiben, der radfahrende Junge und der sein neues Rad fahrende Junge, kopfschüttelnd und bedenklich den Kopf schüttelnd. Im Duden stand demgemäß eisenverarbeitend, aber viel Eisen verarbeitend. Was man dort im Regelteil sonst noch für Differenzierungen vorgeführt hat, war ohne praktische Bedeutung. Gegenbeispiele willkommen.
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Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 23.06.2005 um 12.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#540
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D'accord. Dann müßte § 36 (2.1) ohne Wenn und Aber die Zusammenschreibung festlegen. Unter E4 wäre allenfalls darauf hinzuweisen, daß nur unter bestimmten syntaktischen Bedingungen oder aus stilistischen Gründen ausnahmsweise auch die Getrenntschreibung möglich sei. Herrn Icklers Die Zecke sitzt Blut saugend im Fell des Hundes im Unterschied zu Die Zecke ist ein blutsaugendes Tier, sie ernährt sich blutsaugend (Krit.Komm., 2.Aufl., S. 82) wäre damit erledigt und damit auch der ferne Anflug von Verbalaspekt im Deutschen. Ein kleiner Verlust, aber die unerträgliche Ausweitung der Getrenntschreibung in der Neuregelung ist/war schlimmer.
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Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 23.06.2005 um 14.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#542
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Die Umgangssprache hat längst eine bequemere und eindeutigere Unterscheidung zwischen dauernder und vorübergehender Tätigkeit entwickelt: Weil man mündlich nicht zwischen "hühnerfütterndem" und "Hühner fütterndem" Mädchen unterscheiden kann, sagt man bei vorübergehender Tätigkeit: "Mädchen beim Hühnerfüttern", und so darf man auch schreiben.
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Kommentar von Reinhard Markner, verfaßt am 23.06.2005 um 21.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#557
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In der heutigen F.A.Z. berichtete Jakob Strobel y Serra von badeschlappenschlurfenden Touristinnen. Hier wäre die Getrenntschreibung ohnehin unmöglich. Andererseits hätte es aber auch badeschlappenschlurfenden und Kaffee schlürfenden Touristinnen heißen können. Bekanntlich hat dieser feine grammatische Unterschied schon Stadtschulrat Karl Blüml überfordert, der im Radio die Getrenntschreibung Tier liebend propagierte. Da ist dann doch die Zusammenschreibung badeschlappenschlurfende und kaffeeschlürfende Touristinnen vorzuziehen, wenngleich es natürlich weiterhin statthaft sein muß, noch genauer von badeschlappenschlurfenden und Latte macchiato schlürfenden Touristinnen zu sprechen.
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Kommentar von Peter Müller, verfaßt am 24.06.2005 um 01.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#558
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Wolfgang Wrase: Besonders abstrus ist doch das letzte Beispiel unter 2.3: klein beigeben. Was soll an dem Adjektiv klein morphologisch komplex oder erweitert sein?
Diese Kritik verstehe ich nicht. Natürlich ist klein (wie auch bereit in bereit erklären) weder morphologisch komplex noch erweitert. Aber der Text von (2.3) lautet:
"In den anderen Fällen wird getrennt geschrieben. Dazu zählen insbesondere Verbindungen mit morphologisch komplexen oder erweiterten Adjektiven, zum Beispiel:
bewusstlos schlagen, ultramarinblau streichen, ganz nahe kommen, bereit erklären, klein beigeben"
D.h. (2.3) umfaßt alle vorher nicht genannten Fälle, darunter (aber nicht nur!) Verbindungen mit morphologisch komplexen oder erweiterten Adjektiven.
klein beigeben ist trotzdem ein abstruses Beispiel, weil tatsächlich niemand auf die Idee käme, kleinbeigeben zusammenzuschreiben.
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 24.06.2005 um 03.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#559
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Ich habe mich das auch gefragt. Tatsächlich sollte man ja erwarten, daß die Beispielliste den gesamten Absatz des Paragraphen illustriert und nicht nur die mit "insbesondere" herausgehobene Untermenge. Insofern trifft die Rehabilitation des Beispiels klein beigeben zu.
Man muß dann hinzufügen, warum der Leser das kaum so verstehen kann, nämlich wegen der miserablen Zeichensetzung. Sie sieht so aus:
(2.3) In den anderen Fällen wird getrennt geschrieben. Dazu zählen insbesondere Verbindungen mit morphologisch komplexen oder erweiterten Adjektiven, zum Beispiel: ... klein beigeben
Sie müßte so aussehen:
(2.3) In den anderen Fällen wird getrennt geschrieben. Dazu zählen insbesondere Verbindungen mit morphologisch komplexen oder erweiterten Adjektiven. Zum Beispiel: ... klein beigeben
Oder noch deutlicher:
(2.3) In den anderen Fällen wird getrennt geschrieben; dazu zählen insbesondere Verbindungen mit morphologisch komplexen oder erweiterten Adjektiven. Zum Beispiel: ... klein beigeben
Das Verständnis, daß Fälle von morphologisch komplexen oder erweiterten Adjektiven illustriert werden sollen, wird bisher auch dadurch befördert, daß drei der vier vorhergehenden Beispiele genau dies vorführen: bewusstlos schlagen, ultramarinblau streichen, ganz nahe kommen; wobei sich die "Komplexität" von bewusstlos in Grenzen hält, so daß sich die Frage stellt, wo diese "Komplexität" eigentlich anfängt. Das vierte Beispiel bereit erklären ist in mehrfacher Hinsicht fragwürdig und trägt daher nicht zur Klärung bei, was hier illustriert werden soll.
Der Deutlichkeit halber hätte man die "Komplexität" eben nicht nur auf das Adjektiv beziehen dürfen, sondern gleichrangig auch eine mögliche Komplexität des Verbs berücksichtigen müssen. Dann wäre das Beispiel klein beigeben verständlich.
Wie vorgeschlagen, hätte man also am besten gleich zusammenfassend formulieren können:
(2.3) In den anderen Fällen wird getrennt geschrieben; dazu zählen insbesondere morphologisch komplexe Verbindungen. Zum Beispiel: ... klein beigeben
Die Regelkonstruktion wäre aber immer noch erbärmlich.
Man vermißt bei diesem Beispiel die Ableitung aus dem Betonungskriterium, das auch schon zuvor im Regeltext vernachlässigt wurde, vor allem unter 2.2. klein beigeben kandidiert schon deshalb nicht zur Zusammenschreibung, weil klein gegenüber beigeben eindeutig nicht den Ton trägt, also ebenso konstruiert ist wie etwa laut reden[/] oder [i]rasch kommen.
Somit gehört klein beigeben gar nicht in die Regelungsmaterie des Abschnitts. Sie lautet:
(2) Zusammensetzungen mit einem adjektivischen ersten Bestandteil.
Es handelt sich sowieso nicht um eine Zusammensetzung, sondern im Sinn der Regel um eine Wortgruppe. Demnach müßte es zuvor heißen:
(2) Verbindungen mit einem adjektivischen ersten Bestandteil.
So wie bereits weiter unten:
(4) Verbindungen mit einem verbalen ersten Bestandteil
Verbindungen aus zwei Verben werden getrennt geschrieben, zum Beispiel:
laufen lernen ...
Wenn man der Regelsystematik zuliebe unter (2) bei "Zusammensetzungen" bleiben will, hätte klein beigeben höchstens auf der Stufe einer Erläuterung (E) Berechtigung, in der die Aufteilung dieser "Verbindungen" in "Zusammensetzungen" und "Wortgruppen" erläutert wird, so wie bisher unter E1.
Das sind aber immer noch wohlwollende Reparaturvorschläge, denn bei so etwas wie klein beigeben handelt es sich im Sinne des Regelwerks gar nicht um Adjektiv + Verb, sondern vielmehr um Adjektiv + Verbpartikel + Verb. Wenn etwa wiederzulassen zusammengeschrieben werden kann (Partikel + Partikel + Verb), was freilich im Moment gar nicht geregelt wurde, wieso nicht auch Adjektiv + Partikel + Verb?
Es fehlt eben hier das Betonungskriterium als Grundlage der Entscheidung. Dies wurde andererseits bereits unter E1 erwähnt, so daß klein beigeben gar nicht mehr als "Zusammensetzung" in Frage kommt.
Selbst wenn man dies bezweifelt, hätte formal gesehen zuvor 2.2 greifen können:
Es wird zusammengeschrieben, wenn der adjektivische Bestandteil zusammen mit dem verbalen Bestandteil eine neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung bildet, die nicht auf der Basis der Bedeutungen der einzelnen Teile bestimmt werden kann, zum Beispiel: ... festnageln (= festlegen) ... kaltstellen (= (politisch) ausschalten), kürzertreten (= sich einschränken) ... schwerfallen (= Mühe verursachen) ...
Und analog: kleinbeigeben (= nachgeben)
Es handelt sich nach diesem Veständnis bei klein beigeben gar nicht um einen "anderen" Fall im Sinne des Paragraphen:
(2.3) In den anderen Fällen wird getrennt geschrieben.
Oder nur dann, wenn man die Struktur Adjektiv + Partikel + Verb analysiert und davon ausgeht, daß dies etwas "anderes" darstellen soll als die zuvor behandelten Fälle. Eine ausdrückliche Benennung und/oder mehr Beispiele als dieses eine hätten hier mehr Klarheit bringen können.
Wer hat eigentlich diesen Paragraphen formuliert? Ich finde, derjenige sollte nochmal ran. Es kann nicht so bleiben, daß sich die Leute nach der Verkündung der neuesten Wahrheit einzeln den Kopf darüber zerbrechen, was hier alles nicht stimmt, und der Verfasser sagt sich: Was geht mich das an? Wir werden dann schon unsere Zeit und unseren Verstand aufs Spiel setzen, um den Output dieses Grammatikers erneut verstehen zu wollen.
Ich kann jedenfalls den gesamten Rat nicht ernst nehmen, wenn er so etwas kommentarlos abnickt. Das ist das Niveau von Kultusministern und von Schreibtischdompteuren der Sorte Christoph Stillemunkes, aber nicht der Standard eines Expertengremiums. Zumindest sollten die Mitglieder des Rates die sachlichen Vorbehalte und den weiteren umfänglichen Reparaturbedarf detailliert äußern, so wie es auf diesen Seiten geschieht.
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 24.06.2005 um 07.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#560
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Google, bereinigte Zahlen:
feinabstimmen: 453
feinabgestimmt: 273
Ein Beispiel dafür, daß der Rat keineswegs einfach festlegen kann, ausdrücklich oder implizit: Adjektiv + Verbpartikel + Verb = komplex --> Getrenntschreibung. Die Bedeutung des Betonungskriteriums bei der Unterscheidung von feinabstimmen vs. klein beigeben ist unübersehbar. Das gilt auch für feinabstimmen vs. fein abstimmen. Im ersten Fall wird der Leser fein betonen, im zweiten Fall ab. Genau diese beiden Fälle gibt es in der Sprachwirklichkeit, und genau diese beiden Schreibweisen dienen zu ihrer Übermittlung an den Leser.
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Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 24.06.2005 um 12.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#563
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Eine Meßapparatur ganz fein abstimmen: ganz empfindlich einstellen - ganz feinabstimmen: als Ganzes justieren.
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 24.06.2005 um 22.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#569
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Die vorläufige Internetseite des Rates hat ausgedient. Statt dessen findet man jetzt alles unter
http://rechtschreibrat.ids-mannheim.de
– und das wohl schon seit zwei Tagen, trägt die Seite doch den Vermerk „Letzte Änderung: 22. Juni 2005“. (Von www.rechtschreibrat.com wird man auf die obige Adresse umgeleitet.) Allerdings habe ich den Hinweis auf die Absicht des Rates, sich auch der Groß- und Kleinschreibung annehmen zu wollen, noch nicht (wieder)gefunden.
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Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 25.06.2005 um 23.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=145#575
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Wolfgang Wrase hat eine interessante Entdeckung gemacht. Seit dem 9. 5. 2005 steht im "Focus" der Europäischen Akademie Bozen (EURAC) ein Interview mit Dr. Kerstin Güthert, der Geschäftsführerin des Rats für deutsche Rechtschreibung. Übrigens mit Bild - Annette Schavan in jung. Frau Güthert berichtet bisher Unbekanntes über die Ersetzung der Zwischenstaatlichen Kommission durch den neuen Rat (die von außen Kritik übenden Sprachpraktiker und Sprachwissenschaftler sollten in die Diskussion einbezogen werden), vor allem aber über die inzwischen angelaufene Weiterentwicklungsarbeit an der Neuregelung.
EURAC : Was wird genau an der aktuellen Rechtschreibung nochmals verändert oder revidiert?
GÜTHERT: Nehmen wir ein prominentes Beispiel aus dem Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung: jemanden fertigmachen, im Sinne von jemanden zermürben. Das schrieb sich nach der alten Rechtschreibung zusammen, nach der neuen muss man es getrennt schreiben, weil es auf 'ig' endet - eine Ausnahmeregel der neuen Rechtschreibung. Die Arbeitsgruppe des Rates, die sich mit der Getrennt- und Zusammenschreibung beschäftigt, schlägt nun vor, diese Fälle, wie fertigmachen oder heiligsprechen zusammenzuschreiben. Und zwar deswegen, weil man erstens an der Betonung auf der ersten Silbe hört, dass es sich um ein Wort handelt und nicht um zwei. Und zweitens, weil man es nicht steigern oder erweitern kann. Man kann jemanden nur fertig machen, ihn aber nicht *fertiger machen. Nach der Neuregelung von 2004 hat man zum Beispiel auch schon einen Politiker kaltstellen zusammenschreiben müssen, eben aus dem gleichen Grund: weil man ihn ja nicht *kälter stellen kann. Diese bestehende Regelung soll nach dem Willen der Arbeitsgruppe nun auch auf Fälle wie fertig machen angewendet werden.
EURAC : Also doch eine Reform der Reform?
GÜTHERT: Nein, wie das Beispiel schon zeigt, nimmt der Rat eine Weiterentwicklung der bestehenden Rechtschreibung, der Neuregelung in der Fassung von 2004, vor. Er verstärkt die Prinzipien, die schon gelten. Das ist auch genau sein Auftrag: Er soll nichts vollkommen Neues schaffen, aber auch nicht zur alten Rechtschreibung zurückkehren. Nach dem Vorschlag der Arbeitsgruppe werden die Regeln zum Teil systematischer, um vor allem auch den Schülern stärkere Anhaltspunkte zu geben, an bestimmten Randstellen räumt man größere Freiheiten ein, indem man Variantenschreibungen zulässt.
Bisher wunderten wir uns, was der Ratsvorsitzende Hans Zehetmair über die bisherige Revisionsarbeit zu berichten wußte, aber selbiger ist eben Altphilologe und dazu noch Ruheständler. Kerstin Güthert ist dagegen habilitierte Germanistin und gehört zum Forschungsteam des Instituts für Deutsche Sprache. Eben diese Sprache verschlägt es uns nun, und wir sehen voller düsterer Vorahnung auf das weitere Schicksal derselben im Hause Mannheim R 5, 6-13. Zur Kommentierung dieses Vorgangs vergleiche man Herrn Wrases Ausführungen auf diesen Webseiten.
Übrigens hat sich Frau Güthert - ebenfalls im EURAC-Focus - auch allgemeiner zur Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung geäußert. Hier ein Auszug:
Diese sog. Rechtschreibreform enthält erstmals in der Geschichte der deutschen Orthographie einen vollständigen Regelapparat. Doch sie blieb nicht unkritisiert. Gerade in den Bereichen Getrennt- und Zusammenschreibung und Zeichensetzung werden die Regeln von vielen als zu formal betrachtet.
Es liegt nun an dem Rat für deutsche Rechtschreibung, der sich im vergangenen Dezember konstituierte und dem Mitglieder aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und Südtirol angehören, diese Bereiche kritisch durchzusehen und Änderungsvorschläge auszuarbeiten. Langfristig aber ist es seine Aufgabe, den Schreibgebrauch zu beobachten und das Regelwerk jeweils daran anzupassen. Letzten Endes ist der Rechtschreibrat also die logische Konsequenz einer normierten Rechtschreibung - er soll die Regeln weiterentwickeln und damit einen "Reformstau" vermeiden. Im Rückblick wäre es gewiss gut gewesen, wenn bereits 1901 ein derartiges Gremium eingesetzt worden wäre.
Was wäre aber im Rückblick nicht alles gut gewesen...
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