Zum vorherigen / nächsten Tagebucheintrag
Zu den Kommentaren zu diesem Tagebucheintrag | einen Kommentar dazu schreiben
10.02.2011
Genau
Seltsame Erfahrung
Mehr als einmal habe ich studentische Referate gehört, die mit Genau! anfingen. Auch bei Oberstufenschülern kommt es vor.
Es ist, als hätte jemand einleitend gesagt: "Du wirst also jetzt dieses Referat halten." Hat er aber nicht, es ist der blanke Anfang.
Diesen Beitrag drucken.
Kommentare zu »Genau« |
Kommentar schreiben | älteste Kommentare zuoberst anzeigen | nach oben |
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.05.2019 um 09.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#41453
|
Jugendsprache verkaufte sich eine Zeitlang sehr gut, und die Herausgeber erfanden immer neue Ausdrücke, denen man ihre künstliche Herkunft schon von weitem ansah.
In einer Liste, die schon vor der kommerziellen Welle im Umlauf war, stand an der Mutti arbeiten (= Geschlechtsverkehr); das finde ich aber nirgendwo im Internet, scheint wohl auch fake gewesen zu sein. Warum auch nicht? Die modernen Linguisten fabrizieren ja ihr Material auch selbst, um es dann zu "untersuchen".
|
Kommentar von R. M., verfaßt am 19.11.2015 um 22.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#30623
|
Statt »kein Thema« auch schon von Handwerkern gehört: »Das ist ja kein Hit«. (Es gibt auch Belege in Foren für diesen merkwürdigen Anglizismus.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.11.2015 um 07.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#30604
|
Dem genau in studentischen Referaten, auch als deren Einleitung, widmet sich Tilman Allert in einem etwas wortreichen Beitrag der FAZ (18.11.15): "Nachfolger des 'Äh'".
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.04.2015 um 05.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#28725
|
Ich erinnere mich noch, wie die Wendung kein Thema aufkam; meinem Bruder war sie zuerst aufgefallen. Wenn man einen Elektriker fragt, ob er eine neue Steckdose anbringen könne, antwortet er: "Kein Thema", und man weiß nicht, ob er es nun gern macht oder ob es überhaupt nicht Frage kommt.
Das Osterfest wird nasskalt, aber zumindest ist der Sturm dann wohl kein Thema mehr. (Welt 1.4.15)
Das ist dusselig, aber mit der Zeitung muß man Nachsicht haben.
|
Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 01.07.2014 um 11.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#26200
|
(Mit Alles gut? und Alles gut! kommt man neuerdings in Deutschland auch schon recht weit.)
|
Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 01.07.2014 um 10.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#26199
|
Natürlich. Wie sprach doch ein erfahrener Politiker auf Reisen zu seinem Dolmetscher: "Don't translate what he says now. Translate when he says «but»."
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.07.2014 um 08.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#26198
|
Nicht zu vergessen: Kein Thema!
|
Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 01.07.2014 um 08.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#26197
|
Honestly, if you just nod and say, “Genau!” you can spend your whole life in Germany without anyone suspecting you don’t know another German word.
Geht in Ordnung. Sowieso.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.07.2014 um 05.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#26196
|
Honestly, if you just nod and say, “Genau!” you can spend your whole life in Germany without anyone suspecting you don’t know another German word. (Nathan Englander, NYT 28.3.14)
|
Kommentar von Ich, verfaßt am 26.02.2011 um 02.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18213
|
Mal ein anderes Thema: Wozu dient eigentlich ein eingworfenes "äh". Soll es verhindern, dass jemand dazwischenredet, wenn man gerade eine Pause einlegt? Oder ist eine Pause noch unästhetischer als ein "äh"?
|
Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 19.02.2011 um 23.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18121
|
Lieber Herr Lüber, erst heute lese ich Ihre sehr richtige Beurteilung meiner Person, die mit der mir zu Recht gebührenden Zurückhaltung. Aber Sie *sind* mein Gesinnungsgenosse: Morgen — Sonntag! — fahre ich ins Büro und drucke mir Ihren Brief schön aus (zu Hause habe ich keinen Drucker!), und den klebe ich mir im Badezimmer an den Spiegel, so daß jeder meiner Tage hier in Amerika wenigstens mit etwas Erfreulichem *beginnt*... Und das verdanke ich dann in dem auch mir immer wieder unbekannten Amerika Ihnen, mein lieber Herr Lüber. — Apropos "kritische Frau": Auch hier weiß ich genau, wovon Sie reden. — Mit Grüßen meiner Art (die Sie ja an mir so geistreich erkannt haben) Ihr Ihnen sehr verbundener Horst Ludwig
|
Kommentar von YN, verfaßt am 19.02.2011 um 20.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18120
|
Nein, Unsinn, Quatsch! Wenn man seine Rede so mit negativen Wörtern öffnet, so gewinnt man wenig Sympathie.
En bestätigendes, positives Wort wie "genau" oder "ja" würde
ja besser passen.
Wenn man aber seinen Redebeitrag mit "...,ja?" abschließt, wirkt man etwas aufdringlicher als mit "...., nicht?", nicht?
|
Kommentar von PL, verfaßt am 12.02.2011 um 23.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18029
|
Lieber Herr Ludwig im mir fernen unbekannten Amerika!
Nur deshalb, um Sie nicht in Verruf zu bringen, nenne ich Sie nicht meinen Gesinnungsgenossen. – Sprachliche Blödheiten, die mir zur Gewohnheit wurden, wie das mir lange Zeit anhaftende „oder?“, trieb mir meine kritische Frau aus.
Was ich Ihnen aber mitteilen wollte, ist dieses: Ich schätzte Ihre geistreichen Beiträge sehr! Sie sind ein humorvoller und besonnener Mensch.
Gruß von Peter Lüber
|
Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 12.02.2011 um 18.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18027
|
„Meines Erachtens nach“ haben die Leute, die so reden, sicherlich nicht erfunden. Sie verwenden diese Floskel, weil sie sie offenbar nicht nur einmal gehört haben. Und (bei ihren Professoren) gelernt haben sie offenbar auch nichts Eleganteres. Heutzutage hört man diese und ähnliche „Sprachdummheiten“ halt unglaublich oft, auch in der sogenannten Qualitätspresse.
Muttersprachler spüren vermutlich irgend ein Holpern, aber nur Leute, die an Stilistik Interesse haben, analysieren solche Fragen und kommen zu eigenen Schlüssen. Für den Durchschnitt sind das völlig unwichtige Nebensächlichkeiten!
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.02.2011 um 17.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18026
|
"Meines Erachtens nach" und ähnliche Kontaminationen sind Klassiker unter den "Sprachdummheiten" und kommen natürlich auch bei Hermann Dunger vor ("Zur Schärfung des Sprachgefühls"), wo ich sie zufällig heute nachmittag angetroffen habe.
Ich kenne etliche Leute, die so sprechen, und es stört mich wenig, auch wenn ich es natürlich nicht mitmache.
|
Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 12.02.2011 um 16.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18025
|
Wohlan, mich stört es gar nicht, wenn die Leute reden, wie sie reden. Sie finden sich eben so in unserem Leben vor, und ich sage mir, Gott hat sie so gemacht, und das tröstet mich. Ob und wie lange ich ihnen zuhöre, das ist allerdings eine andere Sache, — meine. Wenn's ans Geschriebene geht, da bin ich schon nicht mehr so tolerant: Papierverschwendung legt Urwälder brach, und ich möchte, daß meine Kindeskinder noch was richtig zu atmen haben. Wenn's ans öffentliche Anreden um einer Sache willen geht, die mir am Herzen liegt, dann allerdings sollen auch die Redner reden, so daß sie sagen, was sie zu sagen haben, und dabei trotzdem nicht zuviel von meiner Zeit verschwenden, und dazu hilft ihnen guter Schreibstil, das kann ich denen nur sagen! — Wir reden also hier über Stil.
Boris Beckers "mental" kommt aus der amerikanischen Trainersprache. Und er beeindruckte mich übrigens als 17jähriger, der in Interviews, wo's ums Tennis ging, auf englisch schon sehr gut seinen Mann stand.
"Meines Erachtens nach ..." ist eigentlich nicht zum Kringelig-Lachen, sondern halt "grammatisch" falsch. Auch als Postposition hat "nach" ja den Dativ. Und die, die wissen, daß das adverbiale "m.E." schon alles sagt, was mit dem doppelt-gemoppelten Ausdruck zur Sprache gebracht werden soll, und eben losbrüllen, könnte man leicht des Sprachdünkels zeihen, nicht wahr?
Naja, und so arbeiten wir halt weiter bei der Erziehung der nächsten Generation daran, daß die nicht zuviel herumredet und immer so gut wie nur menschenmöglich sagt, was sie zu sagen hat, — und das den Umständen entsprechend.
|
Kommentar von PL, verfaßt am 12.02.2011 um 11.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18023
|
An den Germanisten:
Jener von mir erwähnte Meerschiffskapitän begann manchen seiner endlosen kunstvoll verschachtelten unverständlichen Sätze mit dem Wörtchen „item“, dessen Bedeutung mir damals nicht klar war. Ich wagte ihn nicht zu fragen, denn nichts haßte er mehr als Fragen. Die von Ihnen erwähnte aufmunternde Einleitungsfloskel „Nun denn“ schreit geradezu nach einem poetischen „wohlan!“
|
Kommentar von Germanist, verfaßt am 12.02.2011 um 08.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18021
|
Wer es vornehmer will, beginnt seine Reden mit "Nun denn ..."
In der Schule haben wir uns kringelig gelacht über einen Mitschüler, der seine Reden mit "Meines Erachtens nach ..." begann.
|
Kommentar von PL, verfaßt am 12.02.2011 um 00.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18020
|
Wolfram Metz schrieb: „Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, war Franz Beckenbauer einer der ersten, die in Interviews so sprachen. (Und Boris Becker hat das Wort »mental« in die Sportlersprache eingeführt.)“
Nun nähme mich wunder, woher bzw. von wem er, B.B., dieses Allerweltswörtchen „mental“ aufschnappte. Nein, schon ist mein Interesse wieder verflogen – es verflüchtigte sich in meinem Desinteresse.
Vor fünfundfünfzig Jahren zogen meine Pflegeeltern – nebst mir – noch zwölf andere Pflegekinder groß. Oh, welche Untertreibung! Mindestens noch ein Dutzend Leute mehr fanden Kost und Logis bei ihnen, diesen uneigennützigen Wohltätern. Einer von ihnen war ein redseliger Mensch, ein gesprächiger Mann von über neunzig Jahren, der uns Kindern stundenlang aus seinem ereignisreichen Leben zu erzählen wußte. Er hatte als Schiffskapitän die ganze Erdkugel mehr als einmal umrundet und ging im fernen Chile an Land, um dort jahrzehntelang zu verweilen. Schließlich verschlug ihn sein Schicksal nach Adliswil im Kanton Zürich. Beinahe jeden Satz, den er sprach, schloß er mit einem fragenden oder Bestätigung erheischenden „nid?“ ab, welches hochdeutsch ausführlich „nicht wahr?“ bedeutet.
Über dieses „nid?“ zerbrach ich mir jahrzehntelang den Kopf, bis mir endlich die Geschichten Käpt’n Blaubärs zu Ohren kamen. – Nicht daß ich seither etwas begriffen hätte. Ich finde es nur lustig, wenn jemand jedem seiner Sätze, die er mitteilen zu müssen meint, ein fragendes „nid?“ oder „oder?“ anhängt, so, wie Friedrich Nietzsche es einst tat, nicht wahr?
Was ich sagen wollte: Die nichtssagenden viele Fragen aufwerfenden Satzanhängsel bekümmern mich weit mehr als die den Sätzen vorangestellten Floskeln „also“, „na gut“ und „na ja“.
|
Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 11.02.2011 um 17.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18019
|
Zu #18015:
»Ja gut« hatte sich in Fußballerinterviews als Antwortanstoß schon weitgehend durchgesetzt, scheint aber nun auf dem Rückzug zu sein. Die ausführlichere Variante heißt übrigens »Ja gut, ich mein'«. Am Anfang standen wohl entschuldigende Antworten auf kritische Fragen der Art »Die Mannschaft wirkte heute lust- und kraftlos. Woran lag’s?«. Irgendwann hat sich die Formel dann verselbständigt.
Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, war Franz Beckenbauer einer der ersten, die in Interviews so sprachen. (Und Boris Becker hat das Wort »mental« in die Sportlersprache eingeführt.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.02.2011 um 17.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18017
|
Nee, so was Simples hätte ich schon einzuordnen gewußt!
|
Kommentar von R. M., verfaßt am 11.02.2011 um 16.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18016
|
»Genau« ist die Antwort auf die einleitenden Worte des Professors: »Heute hören wir also zunächst ein Referat über Goethes Zwischenkieferknochen.«
|
Kommentar von PL, verfaßt am 11.02.2011 um 13.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18015
|
Stefan Strasser schrieb: „Manches ist auch Mode, in Interviews von Sportlern sind eingestreute jas momentan sehr en vogue, wie mir scheint.“
Ich kann mich noch gut daran erinnern, daß der Radrennfahrer Jan Ullrich viele seiner Antworten mit „Ja, gut“ begann.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.02.2011 um 12.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18013
|
Herr Frieling, Herr Höher und Herr Wrase haben meine eigenen Eindrücke sehr gut wiedergegeben. Ich möchte noch etwas hinzufügen. Nachdem ich mehr als 1000 studentische Referate gehört und auch die Redeweise von Schülern studiert habe, glaube ich, daß die "Pathosvermeidung" (wie ich es früher mal genannt habe) eine große Rolle spielt. Man scheute große Worte und lange, anspruchsvolle Perioden. Die Sätze streben nicht einem ciceronianischen Höhepunkt zu, sondern versickern fast tonlos in einem "und so".
Vielleicht habe ich es schon einmal erzählt, aber diese Einsicht ist mir gekommen, als ich Studienreferendar war und eine Schülerin über Goethe referieren hörte. Über eine seiner Liebschaften sagte sie ungefähr: "Und der war unheimlich verknallt in die." Der krasse Ausdruck war in Wirklichkeit eine Abschwächung, ein Herunterspielen. Der wirklich starke Ausdruck wäre gewesen: "Er liebte sie." Aber das brachte das Mädchen nicht über die Lippen. Ich jedenfalls konnte das gut nachfühlen. Inzwischen ist meine Erfahrungsgrundlage durch zwei weitere Töchter, beide nun erwachsen, erheblich breiter geworden. Der Gegenstand ist noch wenig untersucht, die üblichen Abhandlungen über Jugendsprache gehen andere Wege, leider immer dieselben.
|
Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 11.02.2011 um 12.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18012
|
Es ist sicher zu unterscheiden, ob es sich um ein gründlich vorbereitetes Referat handelt oder ob jemand mehr oder weniger frei zu Leuten spricht. Bei freien Ansprachen sind Äußerungen wie ja, genau oder also relativ häufig; ich finde sie aber auch nicht störend, wenn sie nicht zu häufig vorkommen. Manches ist auch Mode, in Interviews von Sportlern sind eingestreute jas momentan sehr en vogue, wie mir scheint.
Anderes gilt bei Texten, besonders solchen, die irgendeine Geschichte erzählen. Dort entscheidet sich häufig innerhalb der ersten Sätze, ob ein Leser weiterliest oder zu einem anderen Artikel wechselt. Daher versuchen Autoren, durch den Beginn möglichst Neugier zu wecken. Das gilt für die Überschrift und die ersten Sätze. Dabei kann es dann bewußt zu ähnlich Floskelhaftem kommen.
|
Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 11.02.2011 um 10.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18011
|
Interessant. Dann übersetzt der Referent unbewußt den Erwartungsdruck der gespannt Wartenden in eine gemeinschaftliche Frage des Publikums ("Du solltest jetzt am besten anfangen, oder?"), die er mit "Genau!" beantwortet. Oder er entflieht seiner Nervosität ("Hilfe, ich muß jetzt ganz allein reden"), indem er eine optimale Frage-und-Antwort-Situation herbeikonstruiert, in der ihm die leichte Aufgabe zufällt, irgendwelche Anfragen mit "Genau!" zu bestätigen. Damit möchte er vielleicht auch umgekehrt dem Publikum eine harmonische Gesprächssituation suggerieren. Eine sprachliche Übersprungshandlung?
Nachtrag: Ich lese gerade erst Herrn Höhers Erklärung. Sie leuchtet ebenfalls ein. Der Referent spielt in Gedanken seinen Anfang durch, fragt sich selbst: "Geht das so? Wirst du so beginnen?", und entscheidet sich dafür. Das "Genau!" wäre dann das letzte Wort des Selbstgesprächs, mit dem er sich zugleich vergewissert und sich selbst den Startschuß gibt.
|
Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 11.02.2011 um 09.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18010
|
Zugegeben, "artikuliertes Räuspern" ist viel besser als meine "Art von Geräusch". In jedem Fall meinte ich das bei der Verwendung von "ja".
Aber kann man "genau" auch so erklären? Ich bleibe skeptisch und daher zunächst bei meiner von Kleist angeregten Erklärung. Im Aussprechen des "genau" klärt der Sprecher seine Gedanken und überlegt den nächsten Redeschritt. Unsicherheit und mangelnde Redepraxis führen daher z. T. auch zum wiederholten Gebrauch dieses Wortes. Ich habe bei Referaten schon erlebt, daß fast jeder neue Absatz mit "genau", "eben" oder "halt" eingeleitet oder verstärkt wurde.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.02.2011 um 06.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18009
|
Auch "also" als Einleitung ist sehr beliebt. Ich sehe eine Nebenfunktion solcher Einleitungen darin, daß das wirklich erste, nun also zweite Stück der Rede besser verstanden wird, wenn zuvor der "Kanal" getestet ist. Es ist sozusagen ein artikuliertes Räuspern.
|
Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 10.02.2011 um 23.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18008
|
Möglicherweise plappere ich zu selten einfach so drauflos, aber ich sehe einen Unterschied zwischen "ja" und "genau". Das einsilbige "ja" geht bei mir auch noch als ein einfacher Laut (eine Art von Geräusch) durch, während das zweisilbige "genau" wohl seltener einfach so rausrutscht.
Aber vermutlich gibt es viel mehr dieser Wörter, die im Redegebrauch keine wirkliche Funktion (mehr) haben. Jürgen von Manger hat bekanntlich als Adolf Tegtmeier immer ein "also" eingestreut. Das war jedoch eine Kunstfigur. Ich kenne hingegen jemanden, der tatsächlich sehr häufig ein "nicht" einbaut, das keine Verneinung ist und auch nicht die Bedeutung von "nicht wahr" hat. Zu Anfang hat mich das sehr irritiert, da ich immer dachte, er würde sich selbst ständig widersprechen.
Zu dem im Tagebucheintrag erwähnten Gebrauch von "genau" möchte jedoch noch den geradezu inflationären Gebrauch von Superlativen zählen. Aber auch diese Krankheit scheint schon länger umzugehen, da Loriot schon 1991 Evelyn Hamann auf Lothar Frohwein, den "größten lebendsten, also noch lebendigen Dichter" hinweisen ließ. Vermutlich hat die Presse mit ihrer Suche nach einprägsamen Schlagzeilen ihren Anteil an dieser Superlativsucht.
|
Kommentar von Thomas Frieling, verfaßt am 10.02.2011 um 21.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18007
|
Eine Situation, die mir immer wieder begegnet, sind Vorstellungsrunden. Und wie beginnt man mit der Vorstellung der eigenen Person? Fast jeder beginnt mit "Ja".
"Ja, mein Name ist ...."
Ohne dieses Verlegenheitswort scheint es nicht zu gehen.
|
Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 10.02.2011 um 19.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1413#18006
|
Ach, Herr Ickler!
Dieses "genau" ist natürlich ebenso albern wie überflüssig. Aber leider ist es als hohle Redepartikel sehr weit verbreitet. Das ist eine Begleiterscheinung der laxen Handhabung von Sprache. Kaum jemand denkt noch über das nach, was er eigentlich sagt. Geschweige denn, wie er es sagt. Mir scheint, dieses "genau" hat eine Kleistische Funktion. Der Sprecher sagt erst einmal "genau" und überlegt dann beim Sprechen, wie er eigentlich wirklich anfangen will. Ich beobachte bei meinen Kollegen und deutschen Studenten einen ähnlichen Gebrauch von "halt" und "eben". ("Das ist halt bei diesem Verfahren sehr wichtig.")
Das erinnert mich daran, daß während meines Studiums einer meiner Professoren regelrecht aus der Haut fahren konnte, wenn jemand bei ihm im Seminar mit "ich glaube" oder ich "ich denke" zu faseln anfing. "Mich interessiert nicht, was Sie glauben oder denken", pflegte er dann zu toben. "Sagen Sie, was Sie zu sagen haben, aber denken Sie nicht laut." Da er inzwischen tot ist, kann er auch kein gefundenes Fressen mehr für Didaktiker und Pädagogen sein. Nach so einem Anschiß vor versammeltem Seminar haben sich die Labertanten (männliche Labertanten sind geschlechtergerecht eingeschlossen!) beim nächsten Anlauf immerhin genau überlegt, was sie wie sagen wollten. Es war gewiß keine sehr freundliche Vorgehensweise, aber rückblickend doch eine recht erfolgreiche.
|
nach oben
Zurück zur vorherigen Seite | zur Tagebuchübersicht
|