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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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11.01.2011
 

Innovativer Fortschritt
Zum Programmentwurf der SPD

Das Fortschrittsprogramm der SPD ist feministisch korrekt durchgestylt. Allerdings ist die "Hausfrau, die eine große Familie versorgt" dann doch wieder etwas klischeehaft.
Die Orthographie ist etwas unsicher: "heisst", "das falsche tun".
Rund 130mal kommt das Wort "Fortschritt" vor, gern in der Formel "neuer Fortschritt" (so im Titel), oft aber auch in so umwerfenden Aussagen wie: "Neuer Fortschritt ist innovativ."
Unter ihren früheren Verdiensten erwähnt die SPD nicht die Hartz-Reformen, obwohl diese zusammen mit niedrigen Löhnen in der ganzen Welt als Grund für die schnelle Überwindung der Krise gelobt werden.
Wachstumsprognosen des Sachverständigenrats sollte man lieber nicht erwähnen! Sie könnten sich als ebenso fehlerhaft erweisen wie bisher.

"Ökologie und Ökonomie sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Ohne Ökologie und Nachhaltigkeit kann es keinen ökonomischen Fortschritt geben. Ökonomischer Fortschritt ist nur im Einklang mit Energie- und Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit denkbar und möglich."
Dann ist ja alles gut!

Die Süddeutsche Zeitung, im Grunde ja wohlwollend, bezeichnet den Text schlicht als "Mist". („Wie in einer Partei, die elf Jahre lang regiert hat, drei Führungsleute, von denen zwei sich Kanzler zutrauen, so einen deprimierenden Mist verzapfen können, bleibt ihr Geheimnis.“) So weit würde ich nicht gehen, es ist eben einer dieser zusammengebastelten Texte, die man glaubt schreiben zu müssen, obwohl man keinen hinreißenden Gedanken hat.



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Kommentare zu »Innovativer Fortschritt«
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.01.2011 um 15.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1402#17766

Die Rechtschreibreform ist ein restitutiver Fortschritt.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 11.01.2011 um 16.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1402#17767

Noch besser wäre:
"Neuer Fortschritt ist innovativ und progressiv"
 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 12.01.2011 um 07.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1402#17768

Forsa Umfrage zur Bundestagswahl vom 12.01.11: CDU 35 %, SPD 25 %, Grüne 21 %, FDP 3%, Linke 9%, Sonstige 7%.

Angesichts der Zahlen für die Grünen gibt es eine naheliegende Vermutung für die Motivation hinter dem Programmentwurf.
 
 

Kommentar von Romantiker 2.1, verfaßt am 14.01.2011 um 13.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1402#17794

Fortschritt, Rückschritt und zur Seite – ein VWL-Schnellkurs:

"Unter ihren früheren Verdiensten erwähnt die SPD nicht die Hartz-Reformen, obwohl diese zusammen mit niedrigen Löhnen in der ganzen Welt als Grund für die schnelle Überwindung der Krise gelobt werden."

Aha, welch Freizeit-und-Berufs-VWL-Beamten! Also die 1-Euro-Jobs, die Lohn-Dumping-Maschinerie der letzten Jahre und der millionenfache realexistierende Wechsel von Arbeitsverträgen auf Zeitarbeitsverträge sowie die Verbringung von 7 Millionen Menschen samt Kindern in das Hartz-IV/Leyen-I-System, die Befrührentung ganzer Berufszweige bei Anhebung des Rentenalters, Anhebung der indirekten Steuern ... sprich, das Vor-Bismarcksche-Modell schafft Arbeit und Sicherheit in Krisenzeiten! Weltmeister! Aha.

Kleine Info der Woche (siehe Spiegel, 3. Januar): 49 Milliarden wurden von Bund und Kommunen für Hartz-IV-Empfänger ausgegeben, doch nur die knappe Hälfte fließt zu den Betroffenen, 25 Milliarden kassiert die "Armutsindustrie" (Fortbildungseinrichtungen, private Arbeitsvermittler, Rechtsanwälte, Wohlfahrtskonzerne). Der zukünftige Bildungspakt sieht eine knappe Milliarde mehr vor, für neue Berufsbilder wie den Hartz-IV-Nachhilfelehrer und Hartz-IV-Bildungskoordinator, will heißen: Allein für die Verwaltung der neuen Leistungen werden in den Jobcentern der Republik rund 1300 zusätzliche Angestellte gebraucht. Das ist Sozialismus pur, eine wahre Effizienz! So schafft man Arbeit, sozusagen die Dienstleistung in der Dienstleistung (das ist die einzige Sparte, die 2010 "gewachsen" ist, Google hilft bei Auskünften, noch).

Bestimmt haben dies VWL-Experten und geläuterten Wissenschaftler auch keinen unnötigen Fußnotenballast in ihren phantastischen Auslegungen mal Verdrehung hoch Auslassung, so wie Prof. Dr. Knopp (Lifetime Achievement Award 2010), unser bezahlter "History"-Historiker (better than Non-Profi-Sarrazin), das vormacht. Very crazy. Oder habe ich da in meinem Übermut etwas falsch verstanden?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.03.2013 um 18.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1402#22796

Man hat ja jetzt oft den Eindruck, das Wort nachhaltig, Nachhaltigkeit habe eine neue Bedeutung bekommen, so als ob es schon an sich etwas mit Umweltschutz zu tun hätte. Es gibt wenige Ausdrücke, die so albern auf mich wirken wie dieses ökologisch gemeinte Modewort nachhaltig.

Gestern morgen hörte ich im Deutschlandfunk gegen 9.20 Uhr in einem Beitrag über Grönland:
"... Stichwort Uranabbau. Dessen Förderung belastet die Umwelt durch strahlende Altlasten nachhaltig."

So ist die Werbung für "Nachhaltiges Reisen" doch sicherlich nicht gemeint, oder?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.03.2013 um 16.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1402#22798

Auch unser Büro für Gender und Diversity hat die Nachhaltigkeit entdeckt:

»Der Boys'Day – Jungen-Zukunftstag ist ein bundesweiter Aktionstag zur Berufsorientierung und Lebensplanung für Jungen.

Das Planungsteam des Boys'Day 2013 hat sich deshalb Gedanken gemacht, wie sich Jungen nachhaltig für Genderfragen hinsichtlich ihrer Person und ihrer Studien- und Berufswahl sensibilisieren lassen. Daraus entstand die Idee, Schüler (sic) aller Schularten Workshops im künstlerisch-kulturellen Bereich anzubieten, um sich darin auszuprobieren und zu entdecken.
(...)
Unter dem Motto "Jungen machen action" können die Jungen Holz und Metall bearbeiten, Musik machen, Theater spielen oder sich vom Themenbereich Mensch-Maschine-Malerei faszinieren lassen. Ziel der Workshops mit DozentInnen der Universität und KünstlerInnen ist es, herkömmliche Rollenverständnisse aufzubrechen sowie Interesse für den Bildungsbereich zu wecken.«

Damit nicht so viele Jungen glauben, sie müßten Ingenieure werden, von denen wir bekanntlich mehr als genug haben. Wir brauchen Schauspieler und Maler!
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 17.03.2013 um 16.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1402#22814

In der Tat klingt "nachhhaltig" sehr schick, und zugleich zeigt man damit, wie zeitgemäß man ist. Das gilt auch für den Enkel Konrad Adenauers, der nun "nachhaltig" wird:

Und ab sofort Berufspolitiker?

Ich bin jetzt 59 Jahre alt. Ich will mich nachhaltig engagieren und an der Lösung der von mir angesprochenen Probleme mitwirken. Ich sehe das eher als Berufung. Politik sollte kein Beruf sein.

Das komplette Gespräch mit Eckart Lohse in der FAZ hier: www.faz.net

Gemeint ist ja wohl, daß Wehrhahn sich langfristig bei den "Freien Wählern" engagieren will. Nur warum sagt er das nicht?

Darüber hinaus kann Politik nie ein Beruf sein, denn man kann keine Ausbildung als Politiker machen. Aber diesen rhetorischen Eiertanz mit den sogenannten "Berufspolitikern" gibt es auch bei Journalisten immer wieder.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.03.2013 um 18.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1402#22817

Neben nachhaltig strahlenden Uranaltlasten (#22796) gibt es in Grönland auch Robbenfellstiefel "aus nachhaltigem Fang" (MM, 17.3.13). Ja, das möchte schon sein, nicht daß die Stiefel bei nächster Gelegenheit wieder davonrobben.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 17.03.2013 um 22.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1402#22818

Menschen, die über längere Frist oder gar ihr Leben lang keine andere Tätigkeit ausüben als politische Ämter zu bekleiden, bezeichnet man als »Berufspolitiker«. Das geht doch völlig in Ordnung und ist im übrigen bald hundert Jahre nach Webers Vortrag auch gar nicht mehr zu ändern. Mit anderen Worten, der Begriff ist nachhaltig etabliert.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.02.2014 um 20.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1402#25095

Zweimal FAS, 9.2.14:

"Seine [Trabant] dritte Modellreihe, der 601, lief von 1964 bis 1990 in Zwickau vom Band und prägte das Bild vom östlichen Deutschland nachhaltig." (Seite V12)

Ja, das kann man wohl sagen! Im Gegensatz zum folgenden:

"Eine aktuelle Studie im Journal of Wildlife Management kommt zu dem Schluss, dass im Grenzgebiet von Botswana, Südafrika und Zimbabwe nur bis zu zehn Elefantenbullen pro Jahr nachhaltig erlegt werden können." (Seite 61)

Es klingt, als stünden die überzähligen, nicht nachhaltig erlegten Elefanten bald wieder auf und zögen weiter.


 
 

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