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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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18.10.2009
 

Zweifelhaftes vom ISB
Vulgärpsychologische Selbsterkundung

Das bayerische "Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung", das sich schon bei der Durchsetzung der Rechtschreibreform (und der Vereinfachten Ausgangsschrift) verdient gemacht hat, gibt seit einigen Jahren "Selbsterkundungshefte" an die Elftkläßler aus, um ihnen bei der Berufswahl zu helfen. Die Selbst- und Fremdeinschätzung der Schüler ist durchweg in jenem vulgärpsychologischen Stil gehalten, über den auch die Handleser und Astrologen nie hinauskommen.
Man kann sich das Ganze oder Teile davon ansehen, z. B. hier:
www.csg-germering.de (PDF-Datei)
Man beachte die wertende Tendenz, die schon in den Begriffspaaren steckt! "Ich bin kreativ-einfallsreich" vs. "Ich tue mich sehr schwer, Ideen zu entwickeln" usw. – Dasselbe dann auch für die Eltern, die ihre Kinder danach einstufen sollen. Wer glaubt schon von sich, daß er dumm ist? Wie schreibt doch Descartes am Anfang seines berühmten Discours? "Nichts auf der Welt ist so gerecht verteilt wie der Verstand, denn jeder ist überzeugt, daß er genug davon hat."
Ich frage mich, ob der Nutzen dieser aufwendigen, den Schülen viel Zeit raubenden Hefte jemals überprüft worden ist. Oder steht es damit wie mit der Rechtschreibreform?



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Kommentare zu »Zweifelhaftes vom ISB«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.09.2012 um 04.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1231#21351

In der bayerischen Verfassung sind, wie auch in anderen Ländern, die "obersten Bildungsziele" der Schule festgelegt. Das ISB interpretiert sie dankenswerterweise und schreibt u. a.:
Das Gymnasium ist dabei den obersten Bildungs- und Erziehungszielen verpflichtet, wie sie in der Bayerischen Verfassung Grund gelegt sind. (...) Das Institut ist sich bewusst, dass trotz aller Sorgfalt und Umsicht die vor liegende Deutung der Verfassung nicht endgültig und nach allen Seiten erschöpfend sein kann. (...)
Die Bayerische Verfassung zählt diese Haltung angesichts des Trümmer zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott geführt hat, ausdrücklich zu den obersten Bildungszielen.


Die Liebe zur deutschen Sprache gehört, wie man sieht, nicht zu den Bildungszielen. Übrigens hat die Rechtschreiberin Hohlmeier ("Gämse") ein Vorwort beigesteuert.

In Anlehnung an den Verfassungstext wird gelegentlich die Formulierung „die Schüler“ verwendet; selbstverständlich sind damit immer auch die Schülerinnen angesprochen. (ISB Oberste Bildungsziele: www.isb-gym8-lehrplan.de)

Das ist also selbstverständlich. Warum wird es dann geändert?

(2) Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt.
(3) Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinne der Volkerversöhnung zu erziehen.
(Bayer. Verfassung Art. 131)

Beim Punktesammeln meiner Töchter im bayerischen Gymnasium spielten diese obersten Bildungsziele weder theoretisch noch praktisch irgendeine Rolle. Sie wären wohl nachträglich sehr erstaunt, wenn sie die Bildungsziele zu Gesicht bekämen.

Bemerkenswert sind auch die logischen Eiertänze, mit denen die Festlegung auf die christliche Religion und die Religionsfreiheit auf einen Nenner gebracht werden sollen. Niemals wird eingestanden, daß Staat und Kirche in Deutschland und besonders in Bayern nicht getrennt sind. So kommt, zusammen mit den imaginären Bildungszielen, eine gewisse weihrauchgeschwängerte Unehrlichkeit in die grundlegenden Texte – erträglich nur durch allgemeine Nichtbeachtung. Aber wer etwas werden will, tut gut daran, sich nichts anmerken zu lassen.

Ob ich noch erleben werde, daß jemand die Fenster aufstößt und frische Luft hereinläßt?
 
 

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