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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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17.10.2009
 

Straßennamen
Aus Bad Dürrheim kommt folgende Meldung:

»Stadt ersetzt Schilder
Eine falsche Rechtschreibung bei Straßennamen stößt Heinz Gillner aus der Breslauer Straße seit Monaten bitter auf. „Einfach unmöglich, dass die Stadt falsch geschriebene Straßennamenschilder aufgehängt hat.“ Jetzt hat man dort reagiert.
(Foto eines Straßenschildes: Königsbergerstraße)
Bad Dürrheim. „Haben Sie Leute bei der Bad Dürrheimer Stadtverwaltung eingestellt, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind?“ Diese Frage stellte Heinz Gillner aus der Breslauer Straße Bürgermeister Walter Klumpp bei der Bürgerfragestunde im Juli auf dem Rathausplatz. Grund seiner Frage: Die vor Monaten ausgetauschten Straßenschilder in der Breslauer Straße und der Königsberger Straße sind falsch geschrieben – also Breslauerstraße. In einem Wort also und dies, so Heinz Gillner, ist laut Duden falsch.
Als vor einiger Zeit auch noch der Enkel von Heinz Gillner aus Stuttgart zu Besuch war und die falsche Rechtschreibung mit den Worten kritisierte: „Das wäre ein Vollfehler in der Klassenarbeit“, musste Gillner nach seinen Worten einfach handeln. Allerdings, zur Ehrenrettung aller derjenigen, die an der falschen Namensschreibung beteiligt waren, selbst Bürgern die in den besagten Straßen wohnen, ist der Fehler nicht bewusst aufgefallen. Was auch Gillner in Gesprächen feststellte.
Bürgermeister Walter Klumpp ließ die ganze Sache überprüfen und das Ordnungsamt sorgte nun für die Neubestellung der Straßenschilder. Diese kommen voraussichtlich in drei Wochen, so Nicole Zendler und würden dann vom Bauamt angebracht. Wie es zur falschen Rechtschreibung kam, lasse sich nicht mehr rekonstruieren. Sicher sei, dass der Fehler bei der Herstellerfirma zu suchen sei. Diese, so Nicole Zendler, hätte es wissen müssen.«

Auch du lieber Himmel! In Deutschland gibt es wohl Millionen solcher "falschen" Beschriftungen. Ich radle den Brucker Weg entlang, der streckenweise Bruckerweg heißt, und ähnlich geht es überall zu. Wenn man hier pedantisch alles "korrigieren" wollte, müßte man viel Geld ausgeben.
Das Lustige ist, daß die Rechtschreibreformer ausdrücklich erklärt haben, die Unterscheidung von Tiroler Fest und Tirolerfest sei zu subtil und sollte abgeschafft werden! Wenn sie sich eines Tages noch durchsetzen sollten, wäre die ganze Schilderauswechselung umsonst gewesen.
Interessant bleibt natürlich die Geistesverfassung von Leuten, die wegen so etwas vorstellig werden und ihr Steuergeld darauf verwendet sehen wollen.



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Kommentare zu »Straßennamen«
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Kommentar von Edelgard Mank, verfaßt am 18.10.2009 um 00.45 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#15111

Wenn man bei map24 Routenplaner nach dem Weg fragt und z.B. "Hanau, Königsbergerstraße" eingibt, erhält man Angaben mit der korrigierten und richtigen Schreibweise "Königsberger Straße".
Es gibt sie noch - die guten Dinge! ;-)
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 18.10.2009 um 09.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#15113

Schreibungen dürfen nicht auf falsche Verständnisfährten locken, so wie die reformierte GZS und GKS das teilweise tun. Bei Straßennamensschreibungen ist das Mißverständnispotential normalerweise wohl eher gering. Nicht „normgerechte“ Schreibungen findet man auch auf sehr alten Schildern; bei uns braucht man nicht lange zu suchen, um bis zu 3 verschiedene Schreibungen ein und derselben Straße oder Gasse zu entdecken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.10.2009 um 10.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#15114

Beiläufig bemerkt: Man wäre oft schon froh, überhaupt Straßenschilder zu finden. In Erlangen stehe ich manchmal an Kreuzungen (!) und stelle fest, daß keine der vier abzweigenden Straßen mit einem Schild gekennzeichnet ist. Hinzu kommt ja noch, daß manche Straßen hinter der Kreuzung unter einem anderen Namen weiterlaufen. Das kriegt man aber erst mitgeteilt, wenn man schon eine Weile auf ihr gefahren oder gegangen ist.
 
 

Kommentar von Robert Roth, verfaßt am 18.10.2009 um 10.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#15116

Was die Orientierung bzgl.Straßennamen anbelangt, hat Prof. Ickler recht. Wie haben's da die Amerikaner gut: Das Schild hängt direkt über der Kreuzung, gut sichtbar, die Orientierung ist ein Kinderspiel. Sieht vielleicht nicht sehr gut aus, ist aber ungemein praktisch in fremdem Revier.
Keine Schwierigkeiten bereitet in Deutschland die Orientierung, wenn man nach Navi fährt. Da ist die Königsberger Straße tatsächlich die Königsberger Straße.
Aber bei den Ortsnamen gibt's schon mal Schwierigkeiten. Just an dem Tag, an dem (ich sage bewußt nicht wo) der Faden Straßennamen erschien, führte mich meine Fahrt nach Ober Ursel oder Ober-Ursel (?). Fehlanzeige. Ich dachte an Nieder-Olm (amtlich), Ober Hambach (amtlich) – Fehlanzeige. Ober(-)Ursel kennt mein Navi nicht. Erst über die Postleitzahl fand das Gerät Oberursel.
Das mag ein Softwaremangel sein, aber die vielen Ortsnamen mit und ohne Bindestrich sind mir ein Greuel.
 
 

Kommentar von ppc, verfaßt am 19.10.2009 um 11.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#15123

Tatsächlich ist (zumindest laut den Werbefotos) bei vielen Navis die "Königsberger Straße" eine "Königsberger Strasse", insbesondere bei Aldi und anderen Billigmarken. Vermutlich war in den vier Gigabytes Festspeicher kein Platz mehr für ein Eszett. Das klingt sicher lustig, wenn das Gerät die "Strassennammen" auch vorlesen kann.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 26.10.2009 um 22.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#15176

Thüringer Wald und Böhmerwald
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 26.10.2009 um 23.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#15178

Zu "Thüringer Wald" und "Böhmerwald": Wer die Thüringer sind und waren, ist klar. Aber wer sind die Böhmer? Der Wald ist wohl nicht nach den vielen Leuten benannt, die Böhmer heißen, obwohl die so heißen, weil ihre Vorfahren vermutlich aus Böhmen stammen und vielleicht unaussprechliche tschechische Namen hatten. Einen Volksstamm der Böhmer hat es nicht gegeben.
 
 

Kommentar von Robert Roth, verfaßt am 26.10.2009 um 23.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#15179

Muß es einen Volksstamm der "Böhmer" gegeben haben, um den Wald nach ihnen zu benennen? Es gibt die Landschaft Böhmen. Ich kann mir vorstellen, daß aus "Böhmenerwald" der Böhmerwald geworden ist.
Man sagt auch Münchner Bier und nicht Münchener Bier.
Ähnlich: NZZ ist die Neue Zürcher Zeitung.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 27.10.2009 um 03.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#15180

Naja, wenn die Münchner im Hofbräuhaus "In München steht ein Hofbräuhaus" singen, kommen sie an die Stelle, wo auch sie "Eins gibt es nirgendwo wie hier: das ist das Münchener Bier" singen. Auch kann ich mir nicht "vorstellen, daß aus 'Böhmenerwald' der Böhmerwald geworden ist." Die Bremer Stadtmusikanten waren nie die Bremener Stadtmusikanten. Und war's nicht hier in unsern Diskussionen irgendwo, daß mal wer darauf hingewiesen hat, daß es selbst bei der Stadt Gießen neben "Gießener" auch mal eine Form "Gießer" gab? Die Leute aus Neiße sind Neißer, nicht Neißeer. Und für mich hat "Brucker Weg" was mit einer Ortsbezeichnung Bruck/Brucke zu tun, während der "Bruckerweg" nach einem Menschen oder einer Firma mit dem Namen Brucker benannt ist. Und beim Böhmerwald lasse ich mir vom Betonungsmuster vorschreiben, wie ich's vorbildlich schreibe, so daß die Leser es gleich mit der üblichen Betonung lesen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.12.2010 um 09.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#17612

Auf die Frage von Lubomir Ondris im Diskussionsforum will ich gern eingehen. Gegen die "Blaue Kreuzgasse" ist meiner Ansicht nach nichts einzuwenden, weil Straßennamen als Eigennamen zu respektieren sind. Das ist nicht die amtliche Auffassung, aber wir haben ja schon diskutiert, wohin das führt, wenn alle paar Jahre die geographischen Namen an die Einfälle der Rechtschreibreformer angepaßt werden. In meinem "Kritischen Kommentar" führe ich auch Fachleute an, die derselben Meinung sind.

Vor allem ist die Herkunft nicht ausschlaggebend. Vom Typ der "Blauen Kreuzgasse" sind, wie gesagt, unendlich viele Straßennamen. In Marburg an der Lahn kennt jeder die "Scheppe Gewissegasse", die zwar auch ein bißchen schepp (schief) ist, aber eigentlich auf das "schiefe Gewissen" der armen Sünder zurückgeht, die dort zum Galgen geführt wurden. ("Arme Sündergassen" wird es auch genug geben.) Die Gasse müßte also pedantischerweise eigentlich "Schiefes-Gewissen-Gasse" heißen. Natürlich verbietet sich in zusammengesetzten Namen auch die Binnenflexion. Das gilt auch für das philologische Zitieren von Werktiteln, aber in der Alltagssprache wird es sich nie und nimmer durchsetzen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.11.2013 um 14.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#24436

Ich bemühe mich gerade darum, in Erlangen eine Straße nach Alfred Lichtenstein benennen zu lassen. Er wurde vor genau 100 Jahren in Erlangen zum Dr. jur. promoviert. Ein Jahr später war er tot, mit 25 in Frankreich gefallen. Auf dem großen Soldatenfriedhof bei Vermandovillers an der Somme ist neben mehr als 22.000 Toten auch Reinhard Sorge begraben.

Unser Deutschlehrer hat 1962 die "Menschheitsdämmerung" von Kurt Pinthus ausgeteilt, und wir haben etliches daraus gelesen. Daher war mir Lichtenstein noch ein Begriff, die "Dämmerung" natürlich, und deren Vorbild, das "Weltende" von Jakob van Hoddis, das heute noch in allen Schulen gelesen wird neben August Stramm.

Für die deutsche Sprache war das eine große Zeit. Wer hätte das für möglich gehalten! Ernst Stadlers "Abendschluß" zum Beispiel hat mir sehr gefallen, ich habe es neulich zum erstenmal seit 50 Jahren wieder gelesen. Stadler ist auch gefallen, wie fast die ganze Generation, es ist ein Jammer.

Vor ein paar Tagen las ich, daß Erlangen zu den Städten mit der größten Nuttendichte gehört (gleich nach Reutlingen!). Ist das möglich? Unser Erlangen, wo sie abends die Gehsteige hochklappen? Aber Lichtenstein hat 1913 auch folgendes geschrieben:

Ärgerliches Mädchen
Es ist schon spät. Ich muß verdienen.
Aber die gehn heute alle vorbei mit blasierten Mienen
Nicht einen Glücksgroschen wolln sie mir geben.
Es ist ein jämmerliches Leben.
Komme ich ohne Geld nach Haus,
Wirft mich die Alte hinaus.
Fast kein Mensch ist auf der Straße mehr.
Ich bin todmüde und friere sehr.
So elend zumute war mir noch nie.
Ich laufe umher wie ein Stück Vieh.
Da endlich kommt drüben einer an:
Ein ganz anständig angezogener Mann –
Doch auf das Äußere darf man in diesem Leben
Nicht viel geben.
Er ist auch schon älter. (Die haben mehr Geld,
Von den Jungen wird man eher geprellt.)
Er ist mir vis-à-vis.
Ich heb die Kleddage bis über das Knie.
Ich kann mir dies leisten.
Es zieht am meisten.
Die Kerle kommen wie Fliegen
Ins Licht zu uns Ziegen...
Der Kavalier bleibt wirklich drüben stehen.
Er glotzt. Er winkt. Ich will schon bei ihm hingehn...
Ich denke: Der wird mir ein großes Goldstück schenken.
Dann besauf ich mich heimlich mit teuren Getränken.
Das ist noch das Schönste: einmal – allein
Still für sich besoffen sein –
Oder ich kann neue Schuhe kaufen
Muß nicht mehr in gestopften Strümpfen laufen –
Oder ich geh einmal nicht auf den Bummel hinaus.
Und ruhe mich von den Kerlen aus –
Oder ach, ich freu mich schon so...
Ich bin so froh –
Da kommt die Kitti an.
Und versaut den Mann.
(Erlangen, 8.5.1913)

Soviel ich sehe, gibt es überhaupt nirgendwo eine Alfred-Lichtenstein-Straße, oder kennt jemand eine? Sicher war er keiner von den ganz Großen, aber die gab es hier in Erlangen sowieso nicht. Man hat pauschal ganze Viertel mit den Namen sämtlicher Komponisten, sämtlicher Maler usw. geschmückt, die nie hier gewesen sind. Das ist doch kläglich. Ich wohne jetzt in einer von 13 "Ringstraßen" des Landkreises und habe früher mal in einer "Umgehungsstraße" gewohnt (kein Witz!).

In Erlangen hat Lichtenstein auch geschrieben:

Die Erde ist ein fetter Sonntagsbraten,
Hübsch eingetunkt in süße Sonnensauce.

Stimmt immer noch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.07.2014 um 07.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#26241

Die Augsburger Allgemeine berichtet über falsch geschriebene Straßennamen. Darunter Kennedy-Platz, angeblich ohne Bindestrich zu schreiben. Das amtliche Regelwerk gibt dazu keine klare Auskunft. Nach § 51 kann fakultativ Goethe-Ausgabe, Ganges-Delta geschrieben werden, also wohl auch Kennedy-Platz. Die Dudenredaktion macht daraus eine strikte Regel 162: "Zusammengesetzte Straßennamen schreibt man zusammen. (...) Bismarckring, Beethovenplatz". Das ist aber nicht verbindlich (abgesehen davon, daß die amtliche Rechtschreibung nur für Schulen verbindlich ist).

In der Ratgeberliteratur heißt es immer wieder:

Und Vorsicht: „Daß“ gibt es nicht mehr. (Stefan Gottschling, Geschäftsführer Texterclub und SGV Verlag ) (http://www.b4bschwaben.de/rat+meinung/b4b-kommunikation-und-text_artikel,-Erfolgsfaktor-Rechtschreibung-Besseres-Image-mehr-Umsatz-_arid,137779.html)

Das ist übriggeblieben von der besänftigenden Versicherung: "Privat kann jeder schreiben, wie er will."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.07.2014 um 07.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#26242

Im Wirtschaftsteil der FAZ ein Foto des Eingangsportals der Frankfurter


JOHANN WOLFGANG GOETHE-UNIVERSITÄT

Ich würde den Bindestrich auch noch weglassen, das sieht besser aus. Pedanten würden übrigens vorrechnen, daß es sich um eine Goethe-Universität mit dem Vornamen Johann Wolfgang handelt, nach meinem Vorschlag sogar um eine Universität mit drei Vornamen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.11.2014 um 09.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#27446

Wie berichtet, habe ich versucht, in Erlangen, wo es viele Neubaugebiete gibt, einen Straße nach dem expressionistischen Dichter Alfred Lichtenstein benennen zu lassen, der 1914 hier zum Dr. jur. promoviert wurde und Erlangen auch mit einigen Gedichten bedacht hat. Der Antrag wurde abgelehnt, weil Lichtenstein nach Ansicht des Stadtarchivars keine hinreichend spezifischen Bindungen an Erlangen hatte. (Das kann man allerdings von sehr vielen Namengebern sagen und bei manchen ist die Ehrung zweifelhaft genug.)
Ich habe es dann in Lichtensteins eigentlicher Heimat Wilmersdorf versucht. Aus dem ablehnenden Bescheid der Bezirksverordeneenversammlung vom 17.7.2014:

"Darüber hinaus hat die Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf mit Datum vom 21. Juni 2001 beschlossen, dass das Bezirksamt beauftragt wird, Straßen, Plätze und Brücken bei Um- und Benennungen nach Frauen und Personen zu benennen, die im Widerstand gegen den Nationalsozialismus standen, die durch Zivilcourage gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in der jüngeren Vergangenheit in Erscheinung getreten sind oder die Opfer rechtsextremer oder rassistischer Gewalt geworden sind."

Vier Monate später kam noch ein überraschendes Nachspiel:

"Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin
Die Vorsitzende der Gedenktafelkommission

Berlin, den 24.11.2014

Sehr geehrter Herr Dr. Prof. Ickler,

Ihr Anliegen „Straßen- bzw. Platzbenennung für Albrecht (!)Lichtenstein“ wurde im Ausschuss für Straßen- und Grünflächen beraten und mehrheitlich abgelehnt. Es wurde seitens des Ausschusses empfohlen, den Antrag an die Gedenktafelkommission weiterzuleiten, um andere Möglichkeiten der Ehrung zu besprechen.
Am 17.11.2014 hat die Gedenktafelkommission sich nunmehr damit befasst. Aus Ihren beigefügten Unterlagen war leider nicht ersichtlich, wo genau Albrecht (!) Lichtenstein gelebt hat. Es geht nur hervor, wo er geboren wurde. Um eine Entscheidung treffen zu können, ob eine Ehrung angedacht wird, würde es die Gedenktafelkommission begrüßen, detaillierte Informationen über seinen tatsächlichen Wohnort zu erhalten.
Weiterhin möchte ich Ihnen mitteilen, dass der Bezirk leider über keine finanziellen Mittel für Gedenktafeln verfügt. Gedenktafeln werden meist von den Initiatoren bezahlt oder durch Sponsoren, die seitens des Initiators gesammelt werden. Gibt es von Ihrer Seite eine Möglichkeit der Finanzierung?
Nach Erhalt weiterer Informationen wird die Gedenktafelkommission Ihren Antrag wieder beraten.
Mit freundlichen Grüßen (...)"

Ich hatte eigentlich gedacht, der Stadt einen Dienst zu erweisen, indem ich sie auf einen ihrer bekannteren Söhne hinwies. Daß ich dafür auch noch selbst bezahlen soll, finde ich nicht ganz richtig. Wer freilich nicht einmal den Namen richtig abschreiben kann, wird in den eigenen Archiven nicht fündig werden. Von den Häusern, in denen die Familie Lichtenstein nacheinander gewohnt hat, steht wenigstens eines noch, aber das letzte in der Berliner Straße nicht mehr. Ich könnte das der Kommission mitteilen, aber wozu? Man ist nicht interessiert.
 
 

Kommentar von Gunther Chmela, verfaßt am 27.11.2014 um 10.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#27447

Ich lese auch: "... Frauen und Personen ..."
Was hat man sich denn dabei gedacht?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.11.2014 um 10.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#27448

Daß man an Gedenktafeln in Berlin nicht interessiert sei, kann man nun wirklich nicht sagen – 3000 ist doch eine stolze Zahl, das doppelt so große London hat knapp 900! In nicht wenigen Fällen hängen die Tafeln sogar an Häusern, die an der Stelle der weggebombten errichtet wurden, was natürlich einigermaßen fragwürdig ist.
http://www.gedenktafeln-in-berlin.de/
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.06.2017 um 08.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#35477

Für die Benennung von Straßen und Plätzen nach Helmut Kohl erwärmen sich zur Zeit nicht viele Bürger - überraschend angesichts der Weihrauchschwaden, die sogar frühere Gegner und Spötter heute verbreiten.

Gar nicht erwähnt wird, daß Kohl keine Frau und kein Opfer rechtsextremer Gewalt war und schon deshalb nicht als Namengeber in Betracht kommt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.03.2018 um 10.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#38033

Lethmate bleibt bei der dudenwidrigen Schreibweise Letnetti Platz. Das ist gut so und könnte ein wenig dazu beitragen, den Duden und überhaupt die Staatsorthographie in die Schranken zu weisen.

https://www.ikz-online.de/staedte/letmathe/stadt-bleibt-bei-letnetti-platz-id213602837.html

Wie anderswo erwähnt, ist in Fachtexten, besonders auch in der Unternehmenskommunikation, die bindestrichlose Schreibweise sehr viel weiter fortgeschritten, als Außenstehende es sich vorstellen können. Auch sonst reformtreue Texter ignorieren diesen Paragraphen einfach, natürlich unterstützt von der englischen Schreibweise.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.10.2019 um 12.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#42192

John Röhl erinnert an den krassen Antisemitismus Kaiser Wilhelms II. Wir haben in der Schule nur gelernt, daß er nach seiner Abdankung in Doorn viel Holz hackte, und dabei war er auch abgelichtet worden.

Bei den vielen Wilhelmstraßen kann man auch an andere Wilhelme denken, manchmal sogar mit Recht.

Die "Karpfen in der Wilhelmstraße 15" in Kassel (von Ringelnatz besungen) gibt es nicht mehr, aber ich kann mich noch an sie erinnern.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 02.10.2019 um 15.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#42193

Die allermeisten Wilhelmstraßen sind natürlich nach Wilhelm I. benannt, außer vielleicht in Württemberg oder Nordhessen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.10.2019 um 04.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#42196

In Erlangen gelangt man von der Hindenburgstraße über die Bismarckstraße zum Lorlebergplatz (früher Kaiser-Wilhelm-Platz nach Wilhelm I.).
Zur Rechtfertigung Lorlebergs wird angeführt, daß er von der Nazi-Ideologie nicht überzeugt war.
https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Lorleberg
Zur Problematik vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1512#41808

Andreas Wirsching zeigt gewisse Parallelen zwischen GB und Weimar, was das Neben- und Gegeneinander von parlamentarischer und plebiszitärer Demokratie betrifft. Versuch der Aushebelung des Parlaments durch ein Referendum heute, durch den direkt gewählten Reichspräsidenten damals. (https://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/boris-johnsons-spiel-mit-demokratie-und-verfassung-16408888.html)

Zu den Hindenburgstraßen und grundsätzlich https://www.muenster.de/stadt/strassennamen/pdf/strassennamen_vortrag-thamer.pdf

Straßennamen usw. sind den meisten Leuten wohl ziemlich egal. Dagegen finde ich es richtig, bei der Benennung von Schulen oder Hochschulen ein bißchen nachzudenken. Mein altes Gymnasium in Kassel konnte sicher nicht länger "Adolf-Hitler-Schule" heißen. Albert Schweitzer als neuer Namensgeber (zu Lebzeiten übrigens) war ein bißchen einfallslos, aber der Kult hielt sich in Grenzen und hat uns Schüler nicht auf Abwege gebracht. Ich würde den älteren Namen "Realgymnasium Kölnische Straße" bevorzugen. In Berlin war ich am "Gymnasium Steglitz" stationiert. (Auch "Heese" nach der Heesestraße; das ist auch unkompliziert.) Solche Namen sind keine Bekenntnisse und überdauern die Zeitläufte.
Warum werden eigentlich Schulen nicht nach antiken Personen benannt? "Aristoteles"-Schule wäre doch ungemein anregend. Es gibt in jedem Kaff eine "John-F.-Kennedy-Schule"...
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 04.10.2019 um 15.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#42200

Das Referendum hat der mit Recht vergessene Schnösel Cameron angezettelt, nicht Johnson. Was hat das aber mit Straßennamen zu tun?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.10.2019 um 18.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#42201

Nix. Nur eine Assoziation zum plebiszitären Element.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.11.2021 um 01.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#47604

Wikipedia, Hervorhebungen von mir:

Die Schloßkirche Chemnitz befindet sich im Chemnitzer Stadtteil Schloßchemnitz auf dem Schloßberg und gilt als das wertvollste Bauwerk der Stadt. Sie ist eine von zwei Kirchen der St.-Petri-Schloßkirchgemeinde in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens.

Eine erste Kirche am Ort der heutigen Schloßkirche entstand bereits im 12. Jahrhundert, an die sich südlich die Klosteranlage des Benediktinerklosters anschloss.

Tja, das mußte nun sein. Tolle Reform!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.07.2024 um 17.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#53458

Ein Teil der Manteuffelstraße in Kreuzberg ist umbenannt worden – nach einer „schwarzen feministischen lesbischen Frau“, deren Namen ich schon wieder vergessen habe. Gegen diese vier Attribute kommt natürlich nichts an, und ich geniere mich immer noch, den Berlinern vor Jahren Alfred Lichtenstein als Namensgeber vorgeschlagen zu haben (nicht mal für eine Umbenennung, vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1229#27446).
Da diese ideologische Umerziehung hauptsächlich mit den Grünen in Verbindung gebracht wird, brauchen sie sich nicht zu wundern, daß sie abgewählt werden.
 
 

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