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05.04.2009
Wo es herkommt
Ein Nachtrag zu den Verbzusätzen
Der Verbzusatz ist eines der umstrittensten, am wenigsten bewältigten Kapitel der deutschen Grammatik.
Die Rechtschreibreformer glaubten zuerst ohne diesen Begriff auskommen zu können, auch ohne Berücksichtigung der Arbeiten von Erich Drach, aber unter dem Eindruck der Kritik haben sie den Begriff dann doch noch eingeführt. Allerdings nur halbherzig, wie der revidierte Zustand der Reform zeigt.
Man sollte nicht vergessen, daß für die Getrennt- und Zusammenschreibung, das "Kuckucksei der Reform" (Munske), der Germanist Burkhard Schaeder zuständig war, der sich nach Offenbarwerden des Desasters völlig zurückgezogen hat, noch kleinlauter als sein Siegener Kollege und Mentor Augst. Nun, man muß in frühen Schriften nachschlagen, um sehen zu können, wann und wo der falsche Weg eingeschlagen wurde:
Bei Bergenholtz/Schaeder und Bergenholtz/Mugdan gibt es zwar eine Wortart Verbzusatz. Da sie sich bei ihrer Wortdefinition ganz von der Schrift leiten lassen, kommt der Verbzusatz aber in Gliedsätzen nicht vor. Die Konstruktionen kommt ... vor und vorkommt sind also – bloß wegen der orthographischen Konvention der Zusammenschreibung – völlig verschieden! (Ähnlich später bei Joachim Jacobs in seinem Buch "Spatien".) "Ein Verbzusatz kommt in den drei Satztypen vor, aber nicht in Gliedsätzen." (Bergenholtz, Henning/Schaeder, Burkhard: Die Wortarten des Deutschen. Stuttgart 1977:90; ebenso in Bergenholtz, Henning/Mugdan, Joachim: Einführung in die Morphologie. Stuttgart 1979:136)
Die verräterische Wortdefinition lautet:
Ein Wort ist eine solche Einheit, die von Zwischenräumen oder von Satzzeichen umgrenzt ist." (Bergenholtz/Schaeder:19)
"Verräterisch" in doppeltem Sinne, denn hier wird die Grammatik an die Orthographie verraten – und damit der Willkür staatlicher Erlasse ausgeliefert.
Nimmt man noch hinzu, was Schaeder später verkündete: "Jede Regel ist besser als gar keine" – dann hat man die tiefsten Wurzeln der gegenwärtigen Verwirrung beisammen.
Noch etwas anderes geht mir nicht aus dem Kopf: Es gibt wohl keinen Germanisten, der die Rechtschreibreform für gelungen gehalten hätte. Warum warfen sich trotzdem so viele diesem Monstrum in die Arme und fingen sogleich an, gegen die Reformkritiker zu polemisieren? Das Verordnete galt und gilt ihnen als das "Zeitgemäße". Ich mache mir Sorgen.
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Kommentare zu »Wo es herkommt« |
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.07.2009 um 10.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14765
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Ich möchte ausdrücklich noch einmal betonen, daß die Arbeit von Frau Kolehmainen inhaltlich und auch sprachlich ganz vorzüglich ist, es gibt keinen besseren Überblick über die Forschung, und die Verfasserin erweist sich als scharfsinnig und treffend in ihren Urteilen.
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Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 16.04.2009 um 23.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14315
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Zu #14312:
Bei Nerius heißt es wörtlich: »Bei der Getrennt- und Zusammenschreibung (vgl. 5.2.1) geht es vor allem um Schreibungsprobleme, die im Zusammenhang mit der Tendenz zur graphischen Univerbierung, d. h. zur Schreibung in einer geschlossenen Buchstabensequenz, bei bestimmten Typen von Wortkombinationen auftreten.« Und weiter: »Die für die Schreibungsentscheidung zu klärende Frage lautet: Liegt im gegebenen Fall eine Wortgruppe mit syntaktischer und semantischer Selbständigkeit ihrer Glieder (Getrenntschreibung) oder liegt ein zu syntaktischer oder semantischer Einheit verschmolzenes Kompositum (Zusammenschreibung) vor?«
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 16.04.2009 um 08.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14314
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Lieber Herr Höher,
in der Sache sind wir uns ja wohl ganz einig. Der Unterschied besteht nur darin, daß Sie recht streng mit der armen Frau Kolehmainen umgehen, während ich dazu neige, nachsichtiger zu sein.
Von den 376 Seiten ihrer Arbeit widmet Frau K. ausdrücklich ca. 5 Seiten der Orthographie der deutschen Partikelverben und ca. 5 Seiten der Orthographie der finnischen Präfixverben. Am Rande geht sie auch an anderer Stelle kurz auf Orthographisches (sitzenbleiben/sitzen bleiben) ein. Deshalb kann ich wirklich nicht Ihre Auffassung teilen, daß "die Rechtschreibreform die ganze Zeit ein unterschwelliges Thema der Arbeit von Frau Kolehmainen" sei.
Immerhin spricht ja auch die Tatsache für Frau K., daß sie Zitate in der Originalorthographie wiedergibt (was in Deutschland anscheinend nicht so selbstverständlich ist).
Ich finde übrigens das Adelung-Zitat von Frau K. interessanter als Ihres. Wenn Adelung meint, vor bestimmten Zusammenschreibungen "warnen" (Formulierung von Frau K.) zu müssen, so zeigt das doch klar, daß schon Ende des 18. Jahrhunderts eine weitergehende Tendenz zur Zusammenschreibung bestand. Adelung kam ja auch nicht umhin, das Stichwort "bevorstehen" in sein Wörterbuch aufzunehmen, auch wenn er meinte hinzufügen zu müssen, daß "bevor stehen" richtiger sei.
Wenn das Zitat von Donalies wirklich die Auffassung von Drach wiedergibt, so konnte sich dieser jedenfalls nicht auf Adelung berufen, der nur "abstehen" aufführt - neben zahlreichen anderen Zusammenschreibungen mit ab.
Was Sie zum Verhältnis von Grammatik und Rechtschreibung sagen, verstehe ich nicht recht. Zunächst referiert Frau K. ohne ausdrückliche eigene Stellungnahme auf S. 46 die Auffassungen von Drach und Donalies, die aus ihrer syntaktischen Auffassung der Partikelverben glauben schließen zu können, daß diese Verben grundsätzlich getrennt geschrieben werden sollten. Das ist natürlich ein eklatanter Fehlschluß, der auf dem Dogma einer eineindeutigen Zuordnung von Zusammensetzung und Zusammenschreibung beruht. Aber so, wie man im Englischen Zusammensetzungen getrennt schreiben kann, so kann man im Deutsche eben auch Nichtzusammensetzungen zusammenschreiben.
Daß Frau K. diese Auffassung referiert, heißt doch nicht, daß sie "diese syntaktische Struktur der Rechtschreibung zuschlägt".
Mir ist auch keineswegs "verständlich, daß Adelung in seinem grammatisch-kritischen Wörterbuch diese Verbindungen getrennt schreibt". Bei den präpositionalen Partikeln tut er es ja eindeutig nicht (s. "abstehen").
Daß Frau K. ihre Ausführungen zur Orthographie ausgerechnet mit dem Donalies-Zitat beschließt, legt allerdings nahe, daß sie mit der darin vertretenen Haltung sypmpathisiert. Der gesamte Duktus ihrer Ausführungen, insbesondere ihre etwas naive Regelgläubigkeit, legt durchaus auch nahe, daß sie der Rechtschreibreform zuneigt. Aber ausdrücklich nimmt sie keine Stellung, sondern scheint mir im Abschnitt zur Rechtschreibung eher um Neutralität bemüht zu sein - ganz im Gegensatz zu ihrem eindeutigen Votum für die syntaktische Interpretation der "Partikelverben". Von einer "Lobpreisung [der] Reformschreibung von 1996" zu sprechen, scheint mir jedenfalls stark übertrieben.
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 15.04.2009 um 21.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14312
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Lieber Germanist,
ich stelle lieber noch klar, daß der von Ihnen gerügte "zunehmende Hang zur Univerbierung" meine Paraphrasierung ist. Bei Frau Kolehmainen steht folgendes:
"Ein sprachgeschichtlicher Rückblick zeigt, dass die Zusammenschreibung von Partikel und Verb relativ jungen Ursprungs und eine deutliche Tendenz zur zunehmenden graphischen Univerbierung feststellbar ist (Duden Deutsche Orthographie 2000, 161 [d. i. Duden Deutsche Orthographie, hrsg. von Dieter Nerius, 3., neu bearbeitete Auflage, Mannheim u. a. 2000])." (S. 43)
Der "Hang zum Küchenpersonal" ist also mir anzulasten, bei Frau Kolehmainen steht die "deutliche Tendenz zur zunehmenden Univerbierung". Ich kann jetzt nicht überprüfen, ob diese Formulierung von Kolehmainen oder Nerius stammt, aber das dürfte auch egal sein.
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Kommentar von böse Zunge, verfaßt am 15.04.2009 um 21.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14311
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Nun ja, mit irgendwas muß das Geld ja verdient werden, für das wir uns dann ungebildete Politiker leisten können ...
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 15.04.2009 um 20.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14310
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Die Formulierung "zunehmender Hang zur Univerbierung" klingt für mich von vornherein abwertend und erinnert mich an Wilhelm Buschs "Fromme Helene", Viertes Kapitel: "Eins aber war von ihm nicht schön: Man sah ihn oft bei Hannchen stehn! Doch jeder Jüngling hat wohl mal 'nen Hang zum Küchenpersonal. Und sündhaft ist der Mensch im ganzen! Wie betet Lenchen da für Franzen!!"
Nach meiner persönlichen Meinung ist die vermehrte Zusammenschreibung von "Partikelverben" und Kleinschreibung von Substantiven durch die zunehmende Notwendigkeit der schriftlichen Bedeutungsunterscheidung verursacht worden. Diese notwendige Präzisierung der Schriftsprache ist aber politisch unerwünscht, weil sie den Bildungshorizont der herrschenden Politikerklasse übersteigt, was Herr Müntefering öffentlich zum Ausdruck gebracht hat mit seinem Urteil "Hochwohlgeborene" für deren Verfechter.
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 15.04.2009 um 14.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14307
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Lieber Herr Achenbach,
Sie haben ganz recht, daß Frau Kolehmainen auf Seite 45 nicht auf den Duden, sondern vielmehr das amtliche Regelwerk von 1901 rekurriert. Trotzdem scheint sie die Tatsache, daß die jeweils aktuelle Auflage des Dudens vor 1996 „in allen Zweifelsfragen“ als Richtschnur galt, nicht genug zu beachten. In Fußnote 10 (S. 43) zeigt sie zudem, daß der Trend zur graphischen Univerbierung sich bereits in den Auflagen von 1980, 1986 und 1991 in Beispielen der Zusammenschreibung fand. Auch wenn es nun ausgerechnet wieder die Problemkinder der Rechtschreibreform sind, die sie da auflistet, so zeigen doch diese Beispiele, daß die Getrennt- und Zusammenschreibung von Verbverbindungen nicht unbedingt im Zustand von 1901 belassen wurde. Es gab durchaus Vorschriften und Beispiele im Wörterverzeichnis des Dudens von 1991.
Damit komme ich zum nächsten Punkt, bei dem ich zugleich einige meiner Mißverständnisse klären kann. Den Hinweis „Duden Deutsche Orthographie 2000“ (z. B. S. 45) habe ich tatsächlich falsch interpretiert und auf den Duden der 21. Auflage bezogen. Dennoch halte ich Kolehmainens Auflistung (oder Siglierung in DUR und DUDEN) der einzelnen Duden-Auflagen zumindest für verwirrend.
Recht gebe ich Ihnen uneingeschränkt in dem Punkt, daß die Autorin bereits auf Seite 36 (Abbildung Seite 33) Verbindungen der Typen Adjektiv/ Adverb + Verb, Substantiv + Verb sowie Präposition + Verb ausschließt und nicht erst auf Seite 166, wie von mir behauptet wurde:
„Was die Partikelverben angeht, so konzentriert sich diese Arbeit auf die Ausdrücke, die in Abbildung A1 mit dem Buchstaben b) gekennzeichnet sind. Sie bilden in den germanischen Sprachen die Kerngruppe der Partikelverben, und über ihren Partikelverbstatus scheint in den einschlägigen Arbeiten am meisten Einigkeit zu bestehen.“ (S. 36)
Dieser Fehler sei deshalb hier ganz offen eingestanden. Problematisch bleibt für mich nach wie vor der geschichtliche Abriß, bei dem sie leider so gar nicht aus den Quellen schöpft, sondern sich in Abhängigkeit von der Übersicht Nerius‘ in „Duden Deutsche Orthographie“ zeigt (DUDEN 2000; zugleich meine Verwechslung mit dem Rechtschreibduden). Wäre Frau Kolehmainen hier auf die Quellen zurückgegangen, anstatt beispielsweise Adelungs Satz aus seinem „Umständlichen Lehrgebäude der Deutschen Sprache“ (S. 44) nach Drach zu zitieren, hätte sie bei Adelung überhaupt weitaus mehr Munition für ihre These der Verben mit Zusätzen als syntaktische Strukturen gefunden. In Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“ (zweyte vermehrte und verbesserte Aufl., Leipzig: Breitkopf 1793–1801) findet sich unter dem Lemma „Wiedersehen“ etwa folgender Hinweis:
„Das Verbum, sich wieder sehen, bleibt getheilt, weil wieder hier die einfache Bedeutung des von neuen, der Wiederhohlung hat. Aber das Substantiv [das Wiedersehen], ist zusammen gesetzt, weil wieder und sehen einen gemeinschaftlichen Artikel haben, der beyde zu einem einzigen Ganzen vereiniget.“ (Bd. 4, 1801, Sp. 1536)
Auch die Verbindungen von Verben mit dem Adjektiv bzw. Adverb „fest“ schreibt er getrennt, wie in „fest sitzen“, „fest nehmen“, „fest machen“ oder „fest halten“. (Ebd., Bd. 2, 1796, Sp. 118–120) Aber damit genug der abschweifenden Beispiele aus Adelungs Wörterbuch. Es ist übrigens in der zweiten Auflage zitierfähig mit genauer Seitenangabe für jeden hier benutzbar:
http://www.zeno.org/Adelung-1793
Drach wollte bekanntlich schon 1937 die Getrenntschreibung (S. 46) aller Partikelverben und konnte sich dabei u. a. auf Adelung berufen.
Ein Eiertanz liegt nun m. E. vor, wenn Kolehmainen Drach zwar in seiner Analyse der Partikelverben als „syntaktische Kombinationsstruktur“ (S. 38) folgt, dann aber diese syntaktische Struktur der Rechtschreibung zuschlägt (S. 46). Die Schreibkonvention mit einem zunehmenden Hang zur Univerbierung gehört eher zur Rechtschreibung, die grammatische Analyse der Partikelverben als syntaktische Strukturen jedoch nicht. Deshalb ist auch verständlich, daß Adelung in seinem grammatisch-kritischen Wörterbuch diese Verbindungen getrennt schreibt.
Um es ganz klar zu sagen: Die im 19. Jahrhundert einsetzende Konvention der Zusammenschreibung von Verben mit Zusätzen unterschiedlicher Art gehört in den Bereich der Rechtschreibung, die grammatische Analyse der Zusätze und der syntaktischen Funktion in Verbindung mit Verben in den Bereich der Grammatik. Kolehmainens Lobpreisung Reformschreibung von 1996 verwischt das m. E. zu sehr und unterwirft zugleich die Ergebnisse ihrer grammtischen Analyse der präskriptiven Schreibnormierung von 1996.
Abschließend noch ein Wort zu meiner einzigen Polemik in der Reflexion über Kolehmainens Arbeit, nämlich meinen bösen Hinweis auf die naiv regelkonforme (1996!) Getrenntschreibung von „so genannt“. Natürlich weiß ich, daß „sogenannt“ ein Adjektiv ist und somit nichts mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun hat. Aber tatsächlich wird auch in der herkömmlichen Orthographie die Schreibung getrennt, sobald eine Täterangabe, etwa mit „von“, hinzutritt: Die sogenannte Rechtschreibreform wird als Fiasko bezeichnet gegen Die von Oliver Höher so genannte Rechtschreibreform wird (von ihm) als Fiasko bezeichnet. Ich muß das nicht feierlich analysieren, da wir das alle kennen. Nun hat aber die erste Reformstufe von 1996 dieses Adjektiv wieder in seine Bestandteile zerlegt: Partikel und Partizip II. Und nur wegen der Isolierung der Partikel konnte ich mir diese Boshaftigkeit nicht verkneifen. Das ist schon alles.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 15.04.2009 um 05.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14306
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Lieber Herr Höher,
ich stimme ja in vielem vollkommen überein. Mir scheint aber, daß Sie die Arbeit aus einer geschärften Rechtschreibsensibilität die Arbeit von Frau Kolehmainen überkritische beurteilen. Meinem Eindruck nach ist für sie die Rechtschreibung nur ein Nebenaspekt ihres eigentlichen Themas. Diesem Nebenaspekt widmet sie daher nur begrenzte Aufmerksamkeit.
Wie Sie selbst sagen, ist der Untersuchungsgegenstand von Frau K.
grammatischer Art. Deshalb bräuchte sie an sich auf orthographische Fragen gar nicht einzugehen. Andererseits wäre es sehr puristisch, die "Partikelverben" im Deutschen zu behandeln, ohne überhaupt die geltenden orthographischen Konventionen zu erwähnen, zumal sie ja ausdrücklich dem Argument entgegentreten will, daß Partikelverben schon deshalb ("morphologische") Zusammensetzungen seien, weil sie eben zusammengeschrieben werden. Sie vertritt, zu Recht oder zu Unrecht, die Auffassung, daß Partikelverben als syntaktische Erscheinungen zu werten sind, und nicht als "morphologische" oder Wortbildungserscheinungen. Damit stimmt sie ja auch mit Prof. Ickler überein, der ja auch die "Verbzusatzverben" nicht als eigentliche Zusammensetzungen, sondern als konventionelle, stellungsbedingte Zusammenschreibungen auffaßt.
Was nun die Orthographie anbetrifft, so mußte sich Frau K. nun einmal für eine Variante entscheiden. Daß sie sich für die reformierte entschieden hat (einschließlich des "so genannt"), mag man bedauern, sollte man ihr aber als Außenstehende m. E. nicht ankreiden, zumal sie angesichts ihres mutmaßlichen Alters vielleicht nichts anderes gelernt hat.
Ansonsten äußert sie sich zur Rechtschreibung insgesamt sehr neutral und vermeidet (nahezu) jede Wertung. Ich habe selbst auf die Äußerungen hingewiesen, die immerhin in die Nähe einer Wertung kommen. Einige ihrer Aussagen mögen - gewollt oder ungewollt - eine Wertung suggerieren, da stimme ich Ihnen zu. Dennoch sind sie keine ausdrücklichen Wertungen.
Ihre Arbeit ist zwar mit 2005 datiert, die Vorarbeiten gehen aber sicherlich viel weiter zurück, als die Regeln von 1996 noch gültig waren. Ich halte es für übertrieben, von ihr zu verlangen, ihre Arbeit wegen der Änderungen von 2004 zu überarbeiten, zumal diese für ihren eingeschränkten Gegenstandsbereich nicht von wesentlicher Bedeutung waren. Ingesamt ist die Behandlung orthographischer Aspekte durch Frau K. nicht besonders tiefschürfend, was sie für ihre Zwecke aber auch gar nicht sein mußte. In einer Doktorarbeit ist es nun einmal nicht sehr tunlich, vom eigentlichen Thema allzusehr abzuschweifen.
Noch zu ein paar Einzelheiten:
Die Einschränkung ihres Gegenstandsbereichs steht nicht erst auf S. 166, sondern schon auf den S. 31 und deutlicher auf S. 36. Daß sie zur Erläuterung dieser Einschränkung auch ausdrücklich die
nicht behandelten Bereich anspricht, ist doch ganz natürlich und dient der Klarheit. Jedenfalls sehe ich darin keinen "Eiertanz".
Sie bezieht sich auch nicht auf einen "Duden von 1901", sondern auf die "Amtlichen Regeln" von 1901, also auf die Ergebnisse der Zweiten Orthographischen Konferenz.
Nach wie vor ist mir nicht klar, was die Schreibung "so genannt" mit dem Thema "Partikelverben" zu tun hat.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 15.04.2009 um 04.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14305
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Lieber Germanist,
ich bitte untertänigst um Verzeihung für den Lapsus, von "innerdeutschen Angelegenheiten" gesprochen zu haben.
Natürlich ist eine Rechtschreibreform im Sinne der Entwicklung von "Amtlichen Regeln" eine Angelegenheit all der, aber auch nur der Staaten, in denen die deutsche Sprache eine amtliche Stellung hat.
Es handelt sich eben um eine innere Angelegenheit des (gewissermaßen amtlichen) deutschen Sprachraums.
Es ist klar, daß jede interne Regelung auch grenzüberschreitende Auswirkungen haben kann, die bedacht werden sollten. Das ist dann eine Abwägungssache.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 15.04.2009 um 04.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14304
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Lieber Herr Markner,
ich denke, wir sollten froh sein, daß es außerhalb des deutschen Sprachraums überhaupt noch Leute gibt, die Germanistik studieren. Wir sollten von ihnen nicht auch noch verlangen, besser als deutsche Germanisten zu sein (s. die einleitenden Bemerkungen von Prof. Ickler).
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 13.04.2009 um 14.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14300
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Lieber Herr Achenbach,
ich sehe es wie Herr Markner. Wer sich nicht in deutsche Angelegenheiten mischen möchte, sollte die Finger von solch einem Thema lassen. Zumal der Untersuchungsgegenstand sich mehr als einmal mit dem Problem der Getrennt- und Zusammenschreibung berührt.
Auf Seite 166 (Kapitel 5.3 „Definitionen und Abgrenzungen“) schließt die Autorin beispielsweise „Verb + Verb-Kombinationen“ wie „kennen lernen“ aus dem Gegenstandsbereich ihrer Arbeit aus, weil sie Partikelverben mit der Struktur „präpositionales/adverbiales Element + Verb“ bzw. „Verb + präpositionales/adverbiales Element“ als Kerngruppe betrachtet.
Gegen Ausschließungen ist auch gar nichts zu sagen. Niemand kann und muß im Rahmen einer Dissertation alles behandeln, was auch nur entfernt zum Themenbereich gehört. Aber genau zu dem, was sie auf Seite 166 ausschließt, gehört nun auch das „sitzen bleiben“, das sie – ein von mir so genannter Eiertanz! – auf Seite 34 als „sitzenbleiben“ nach der angeblich alten Rechtschreibung kenntlich machen muß. Warum kommt die Ausschließung so spät, und warum behandelt sie – zumindest sehr wortreich – überhaupt noch „sitzen bleiben“ und „kennen lernen“, wenn es doch mit dem engeren Untersuchungsgegenstand nichts zu tun hat! Hier scheint mir in der Tat ein unnötiger Kotau vor der nun endlich klaren Regelhaftigkeit der deutschen Rechtschreibung nach der Rechtschreibreform vorzuliegen.
Ich halte überhaupt den geschichtlichen Überblick über die Zusammenschreibung von Partikelverbkomponenten (S. 42–43) für problematisch. Denn – bedingt durch die Abhängigkeit von ihrer Hauptquelle (der geschichtliche Abriß im 2000er Duden) – kommt sie zu einer das Chaos der angeblichen Regellosigkeit geradezu klärenden Funktion der Rechtschreibreform:
„Auch wenn von der alt- und mittelhochdeutschen Schreibkonvention abgesehen wird, erscheint die Getrenntschreibung der Partikelverbkomponenten lange als die vorherrschende Norm. […] Im 18. Jh. nimmt die Zusammenschreibung zu. […] Schließlich verbreitet sich die Zusammenschreibung im 19. Jh. unabhängig von der Herkunft des Partikelelements, sodass außer den präpositionalen Partikeln auch adverbiale Elemente mit den Verben zusammengeschrieben werden […]. […] Die aktuelle Rechtschreibreform […] ist insofern interessant, als sie danach strebt, den wachsenden Trend zur Zusammenschreibung einzugrenzen. […] (S. 44) Die Getrennt- und Zusammenschreibung war im 20. Jahrhundert nicht amtlich geregelt. Bis in die jüngste Zeit galten die Regeln des vorletzten amtlichen Regelwerkes aus dem Jahre 1901, das zu diesem orthographischen Bereich nichts festlegte […]. […] Das Fehlen einer amtlichen Regelung war unbefriedigend, und die Normen der so genannten II. Orthographischen Konferenz 1901 wurden in einzelnen Rechtschreibratgebern ausgeweitet und durch Prinzipien der Getrennt- und Zusammenschreibung ergänzt […]. (S. 45)“
Sie nimmt als Rechtschreibreform stets die Fassung von 1996, die sie nach der 3., neu bearbeiteten Auflage des Dudens von 2000 (Literaturverzeichnis Seite 357) zitiert. Die davor verbindliche Rechtschreibreform ist für sie der Duden von 1901. Da bis zur faktischen Aufhebung des Dudenprivilegs aber doch die jeweils aktuelle Auflage des Dudens „maßgeblich in allen Zweifelsfragen“ war, verstehe ich nicht, warum Frau Kolehmainen ausgehend vom Duden von 2000 davor den von 1901 nimmt und nicht etwa den der Reform unmittelbar vorangehenden von 1991. Anstatt etwas ungeschickt von der „3.,neu bearbeiteten Auflage von 2000“ zu schreiben, wäre das Durchzählen der einzelnen Dudenauflagen übersichtlicher gewesen (20. Auflage 1991, 21. Auflage 1996, 22. Auflage 2002, 23. Auflage 2004). Die 23. Auflage hätte zudem im Hinblick auf die Getrennt- und Zusammenschreibung der Partikelverben noch für ihre Arbeit herangezogen werden können, da die Arbeit 2005 abgeschlossen vorlag. Aber vor allem muß man im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit doch klären, was genau an der 2000er Auflage gegenüber der von 1996 im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand „neu bearbeitet“ wurde. Hier bleibt der Leser sehr im unklaren.
Zu Kolehmainens sehr vom Duden abhängigen Zusammenfassung müßte man im einzelnen nachprüfen, ob die Getrennt- und Zusammenschreibung im 1991er Duden (und nicht dem von 1901!) tatsächlich gar nicht geregelt war und ob dieses Fehlen wirklich so unbefriedigend war. Wer empfand das eigentlich als unbefriedigend? Überhaupt habe ich den Eindruck, Frau Kolehmainen leitet aus „dem Fehlen einer amtlichen Regelung“, die angeblich unbefriedigend war, nun das legitime Streben der „aktuelle[n] Rechtschreibreform“ ab, „den wachsenden Trend zur Zusammenschreibung einzugrenzen.“ Schlägt sie damit nicht ihren Untersuchungsgegenstand wieder dem „orthographischen Bereich“ zu? Im Verlauf ihrer Untersuchung hebt sie dann jedoch semantische, syntaktische und prosodische Unterschiede hervor, die sich auf die Getrennt- und Zusammenschreibung auswirken. Abgesehen von der Prosodie wird es also doch eine grammatische und keine orthographische Untersuchung.
So gesehen, lieber Herr Achenbach, ist die Rechtschreibreform die ganze Zeit ein unterschwelliges Thema der Arbeit von Frau Kolehmainen.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 13.04.2009 um 12.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14299
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Die Rechtschreibreform ist keine innerdeutsche Angelegenheit, sondern aller Deutschsprechenden, egal ob als Muttersprache oder Fremdsprache. Oder wollen wir es trennen in BRD-, Austria-, Schweizer und Minderheitendeutsch in Nachbarstaaten? So ist schon das Niederdeutsche als Schriftsprache untergegangen.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 13.04.2009 um 10.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14298
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Wer sich als Ausländer nicht in deutsche Angelegenheiten mischen möchte, sollte vielleicht gleich auf das Germanistikstudium verzichten?
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 13.04.2009 um 04.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14297
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Lieber Herr Höher,
ich verstehe beim besten Willen nicht, was "so genannt" mit dem Thema der Arbeit von Frau Kolehmainen zu tun hat.
Ich kann auch keine großen "Eiertänze" in ihrer Arbeit finden.
Die Rechtschreibreform war nicht Thema ihrer Arbeit, und ich habe Verständnis dafür, daß sie sich als Ausländerin nicht in innerdeutsche Angelegenheiten einmischt.
Soweit sie sich überhaupt wertend zur Rechtschreibung äußert, kommt m.E. allerdings eine etwas naive Regelfixiertheit zum Ausdruck. So sagt sie (S. 44): "Das Fehlen einer amtlichen Regelung [der GZS] war unbefriedigend." Zu den "Regeln" des alten Duden zur GZS sagt sie: "Die aufgestellten Regeln waren jedoch schwierig zu handhaben, weil die Kriterien der Getrennt- und Zusammenschreibung eine heterogene Sammlung syntaktischer, semantischer, morphologischer und phonetischer Merkmale waren."
Das halte ich aber für verzeihlich, da ja auch sehr viele Deutsche, vielleicht sogar die meisten, glauben, die deutsche Rechtschreibung beruhe auf irgendwelchen "Regeln". Ohne diesen Irrglauben wäre die Rechtschreibreform gar nicht denkbar gewesen.
Daß der Usus des Schreibens sich von "einer heterogenen Sammlung syntaktischer, semantischer, morphologischer und phonetischer Merkmale" leiten läßt, ist ja nicht so verwunderlich. Im Gegenteil, das ist gut so.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.04.2009 um 11.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14263
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Schon recht. Ich wollte nur meinerseits begründen, warum ich solche Sachen nicht kritisch kommentiere – nachdem ich immerhin die Lektüre empfohlen hatte!
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 06.04.2009 um 11.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14262
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Lieber Herr Ickler,
ich wollte Frau Kolehmainen weder für die Rechtschreibreform verantwortlich machen noch die Kollateralschäden an ihrer Arbeit vorführen. Die von ihr gewählte Rechtschreibung beeinflußt allerdings direkt ihren Untersuchungsgegenstand, was ihr ja auch bewußt war. Daher kommt es zu den angesprochenen Eiertänzen, auf die ich kurz einging. Das war auch schon alles.
Auf "so genannt" geht sie übrigens bis zum Schluß der Arbeit nicht ein.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.04.2009 um 06.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14261
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Ich habe viel Verständnis dafür, daß ausländische Verfasser mit der deutschen Rechtschreibreform in dieser Weise umgehen. Es ist eben ein Kollateralschaden, für den sie am wenigsten verantwortlich zu machen sind.
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 05.04.2009 um 21.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14257
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Immerhin unternahmen die Reformer nicht nur den Nachweis, daß Orthographie planbar ist, sondern auch, daß ihre Disziplin die Kompetenz für so etwas hat. Und diesem Anspruch hätten alle anderen Sprachwissenschaftler entgegentreten sollen, über Einwände gegen Details der Ausführung hinaus? Nicht in einer Zeit, da nicht nur die Wertschätzung, sondern oft auch die Existenz eines Faches davon abhängt, ob es praktisch verwertbar zu sein scheint. Es bedurfte gar keiner besonderen Charakterlosigkeit, um gegen die Reformkritiker zu polemisieren. Das schließt Sykophantentum im Einzelfall nicht aus.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 05.04.2009 um 19.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14254
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Zu Icklers anderer Frage: "Warum warfen sich trotzdem so viele [Germanisten] diesem Monstrum in die Arme und fingen sogleich an, gegen die Reformkritiker zu polemisieren? Das Verordnete galt und gilt ihnen als das 'Zeitgemäße'." — Ja, warum? Auch ich mache mir Sorgen, und das schon lange. Hier drängt sich einem ein Wort auf, das wir lange im Deutschen nicht mehr gebraucht haben: "Der Deutsche" von "Der Deutsche ist nun einmal so." Auch in den Kulturwissenschaften ist eben nicht unbedingt echte Einsicht in die Sache gefragt, sondern: Was ist gerade die Art und gilt deshalb? Ich hoffe, es ist nur eine Mode. Aber real da ist diese Art hier auf jeden Fall. Und ich hoffe auch, ich liege hier überhaupt falsch. Der Unsinn mit den politisch geschlechtsgerechten Wortformen, dem "sich [doch ebenfalls] so viele [Germanisten] in die Arme" werfen, grassiert ja nicht nur in deutschen Landen. Aber das ist auch kein Trost.
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 05.04.2009 um 18.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14253
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Vielen Dank für den Hinweis auf diese Arbeit. Dazu nur ein paar vielleicht allzu laienhafte Gedanken beim Lesen der genannten ersten hundert Seiten, die ich bitte nicht als fachliche Kritik mißverstanden wissen möchte.
Durch die Wahl einer inzwischen wieder überholten Rechtschreibung (S. 34: „In den zitierten deutschsprachigen Beispielen wird die Originalorthographie beibehalten. Ansonsten folgt die Arbeit den Regeln der aktuellen Rechtschreibreform.“), die von der Autorin zudem nicht ganz konsequent angewendet wird (z. B. S. 4: „kennengelernt“) kommt sie zu eigenartigen sprachlichen Eiertänzen. Bei den „V+V-Strukturen“ (S. 34) muß sie beim Beispiel „sitzen bleiben“ explizit auf „sitzenbleiben nach der alten Orthographie“ hinweisen, um eventuellen Mißverständnissen vorzubeugen. Auf Seite 40/41 zeigt sich dann, welche Schwierigkeiten sie mit der gewählten Orthographie im Zusammenhang mit dem Forschungsgegenstand hat: „In der deutschen Sprache drückt die Orthographie den Unterschied zwischen Wortbildungsprodukt und Wortgruppe relativ eindeutig aus […].“ Das relativiert sie jedoch für die Wortgruppe ihrer Untersuchung: „Die Zusammenschreibung der Partikelverbbestandteile hat einen zweifelhaften Status, weil die Trennbarkeit einen direkten Schluss über die Korrelation zwischen Zusammenschreibung und Wortstatus erschwert.“ Auf der nächsten Seite zeigt sich die Abhängigkeit der Wortbildungstheorie von Fleischer/ Barz (immerhin war Irmhild Barz Gutachterin der Arbeit). Man kann zudem die Fußnote 10 auf Seite 42 so deuten, daß die Autorin die Fassung der Rechtschreibreform von 1996 für die aktuelle (Publikationsdatum der Arbeit ist 2005!) hält. In der Kombination von einem Verb mit einer präpositionalen Gruppe folgt sie Fleischer, der nach der Reform von 1996 den „substantivischen Charakter des Präpositionalgefüges“ wieder stärker betont sieht (vgl. Wolfgang Fleischer: Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache, 2., durchgesehene Auflage, Tübingen: Niemeyer 1997, S. 94).
Für unsere Belange sind dann wieder ihre Ausführungen Seite 43 bis 44 interessant, wo sie die Getrennt- und Zusammenschreibung nach struktureller Unterscheidung zwischen Wortbildungsprodukt und Wortgruppe geregelt wissen will (S. 44), wobei ich den Vergleich mit den englischen Partikelverben nicht so ganz verstanden habe. Soll etwa das englische to look up durch seine Trennung tatsächlich eine Begründung für eine mögliche Getrenntschreibung des deutschen nachschlagen liefern? Die Autorin vergleicht aber to look up mit aufstoßen, was die Sache für mich nicht gerade klarer macht.
Ich bin bislang übrigens bis Seite 96 (Lexikalisierung der Partikelverben) gekommen, ohne wirklich eine linguistische Begründung für ihr ständiges „so genannt“ gefunden zu haben. Müßte man das nicht auch als Verbzusatz oder Verbpartikel betrachten, oder kommt die Erklärung später noch?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.04.2009 um 17.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14252
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Eine sehr verständlich geschriebene Darstellung des Forschungsstandes zu den Verbzusatz-Konstruktionen und dazu gute Urteile bieten die ersten rund 100 Seiten der Dissertation einer finnischen Germanistin:
http://ethesis.helsinki.fi/julkaisut/hum/saksa/vk/kolehmainen/prafixun.pdf
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 05.04.2009 um 16.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14251
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Korrektur:
Das vertippte Chaos in der Klammer muß mittelalterlichen heißen:
Den erhaltenen römischen Inschriften (nicht die mittelalterlichen Abschriften) nach schrieben die Römer die Wörter in einem Satz hintereinander ohne Zwischenräume oder Satzzeichen.
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 05.04.2009 um 16.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14250
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Herr Riemer hat ganz recht, wenn er auf die Naivität der Wort-Definition von Bergenholtz/Schaeder hinweist. So könnte ich ja auch ein Gedicht als einen Text definieren, der viel freien Raum auf einer Seite um sich herum hat.
Diese beiden Simplifikationen gehen immer davon aus, daß Sprache oder Literatur verschriftet werden. Aber es gibt doch auch Sprache und Literatur, die nicht unbedingt auf einem weißen Blatt Papier stehen muß. Und genau dann helfen weder die Zwischenräume oder die Satzzeichen noch der viele freie Raum um ein Gedicht weiter. Von wieviel antiker Literatur haben wir keine Ahnung, nur weil keine Abschriften auf uns gekommen sind? Viele Autoren kennen wir nur dem Namen nach aus der Erwähnung anderer Dichter. Wo ich gerade in der Antike bin: Den erhaltenen römischen Inschriften (nicht die mittelterlichen Abschriften) nach schrieben die Römer die Wörter in einem Satz hintereinander ohne Zwischenräume oder Satzzeichen. Sollten die Römer deshalb nicht gewußt haben, was ein Wort ist?
Wenn eine Grammatik anfängt Wortarten einzuteilen, muß sie zunächst in der Lage sein zu bestimmen, was überhaupt ein Wort ist. Deshalb rufe ich zwei ältere Definitionen in Erinnerung. Friedrich Blatz beispielsweise konnte – entgegen der Meinung, die Schüler und Studenten heute bei Wikipedia finden – in seiner „Neuhochdeutschen Grammatik“ (dritte, völlig neubearbeitete Auflage in zwei Bänden, Karlsruhe: Lang 1895) sehr wohl eine Definition des Wortes geben. Hermann Paul war ebenfalls zu einer, wenngleich schon offeneren Definition fähig (Sperr- und Kursivdruck der Originaldrucke wird im folgenden einheitlich als Kursivdruck wiedergegeben).
„1. Das Wort ist ein vom Sprechenden und Hörenden gleichmäßig anerkanntes Lautgebilde, das eine bestimmte Vorstellung bezeichnet.
2. Nur unmittelbare Äußerungen der Empfindungen oder instinktive Rufe, die als solche keine eigentlichen Wörter darstellen, können aus einem einzigen Laute (Vokale oder Konsonanten) bestehen, z. B. Oh! ei! au! ah! sch! […]. – Die eigentlichen Wörter enthalten stets mehrere Laute, von denen mindestens einer ein Vokal sein muß […].
3. Das Wort kann einsilbig oder mehrsilbig sein. Das einsilbige Wort ist nur dadurch von der Silbe verschieden, daß es eine bestimmte Vorstellung ausdrückt.
4. In mehrsilbigen Wörtern muß jede einzelne Silbe ihren Vokal haben. […]“
(ebd., Bd. 1, S. 250)
Diesen Zusammenhang zwischen Sprechen, Hören und Semantik behält auch Hermann Paul im Jahr 1920 in seinen „Prinzipien der Sprachgeschichte“ (5. Auflage, Halle a. S.: Niemeyer 1920) bei. Ich muß noch erwähnen, daß Paul Ferdinand de Saussures 1916 erschienenes Buch „Cours de linguistique générale“ nicht berücksichtigte, weil er sein Werk zuletzt 1909 in der 4. Auflage überarbeitete.
„[…] Das Wort ist nicht eine Aneinandersetzung einer bestimmten Anzahl selbständiger Laute, von denen jeder durch ein Zeichen des Alphabets ausgedrückt werden könnte, sondern es ist im Grunde immer eine kontinuierliche Reihe von unendlich vielen Lauten, und durch die Buchstaben werden immer nur einzelne charakteristische Punkte dieser Reihe in unvollkommener Weise angedeutet. […]“
(ebd., S. 51–52)
Ich weiß nicht, ob der terminologische Nebel bereits nach Saussure oder erst nach Chomsky einsetzte, aber besorgniserregend ist das Durcheinander in jedem Fall.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.04.2009 um 14.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134#14249
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Ich habe im täglichen Leben sehr viel zu schreiben, deshalb ist die Frage, was eigentlich ein Wort ist, für mich essentiell. Eine Definition wie "von Zwischenräumen oder von Satzzeichen umgrenzt" kommt mir sogar als Nicht-Linguist sehr naiv vor. Da ist zum einen der schon genannte Widerspruch kommt ... vor und vorkommt, zum andern müssen Wörter ja nicht unbedingt im Satz stehen.
Ich habe mich bisher immer an folgende Auffassung gehalten:
Ein Wort ist eine Bedeutungseinheit, die in der Grundform (d.h. bei Verben: Infinitiv) zusammengeschrieben wird, wobei die Zusammenschreibung mehrerer einfacher Wörter durch die neue Gesamtbedeutung und durch die grammatische Struktur begründet sein muß. Wäre das akzeptabel?
Habe ich etwas als ein Wort identifiziert, dann ist die Zusammenschreibung der Grundform und Getrenntschreibung bei Konjugation keine Frage der Orthographie, sondern eine Selbstverständlichkeit aufgrund der Wortdefinition.
In einem orthographischen Wörterbuch (wie früher z.B. dem Duden) schlage ich die Orthographie EINES Wortes nach, aber es kann mir nicht sagen, ob ein komplexerer Ausdruck ein oder zwei Wörter sind. Das ist Sache der Semantik und der Grammatik. Verstehe ich das richtig?
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