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23.12.2008
Chisen
Orthographischer Nachtrag zur politischen Korrektheit
Vor zwei Jahren hatte ich darauf hingewiesen, daß die Dudenredaktion von der Verwendung des Wortes Hasenscharte abrät, weil es entweder die Hasen oder die Patienten mit Lippenspalte diskriminiere.
Das Wort gibt es übrigens auch im Englischen (harelip) und in anderen Sprachen, es ist nämlich die Übersetzung von Labium leporinum. Duden gibt die griechische Bezeichnung Cheiloschisis (mit langem betontem i, was natürlich nicht so schön ist). Außerdem schlägt die Redaktion (im Fremdwörterbuch) vor, auch Cheilos-chisis, Palatos-chisis zu trennen. Da haben wir noch einmal den Widersinn, eine hochgelehrte neoklassische Wortbildung durch eine ganz und gar laienhafte Silbentrennung zu mißhandeln. Ist es denkbar, daß jemand, der solche Wörter bildet oder tatsächlich verwendet, ihren Aufbau überhaupt nicht versteht? Natürlich nicht, die "Erleichterung" gilt bestenfalls für die Schreibkraft, die nach Diktat arbeitet. Deren Wünsche sollten aber für die Form seriöser Texte nicht maßgebend sein.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.12.2008 um 13.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1088#13644
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Laut meinem dicken alten Altgriechischwörterbuch bedeutet die "Schisis" (vermutlich "S" und "ch" getrennt zu sprechen) den Vorgang des Spaltens, Trennens und das "Schisma" das Ergebnis, den Spalt, Ritz (beide von "schizoo" trennen, spalten). Allerdings ist "Schisma" irgendwie inzwischen von den verschiedenen Kirchenspaltungen vorbelegt.
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Kommentar von Robert Roth, verfaßt am 23.12.2008 um 20.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1088#13645
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...und hat sich bedeutungsgleich im Neugriechischen erhalten [s-hizo] für spalten, zerreißen, aufritzen. Das Substantiv [s-hisma] der Riß, die Spaltung, das Schisma.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.12.2008 um 07.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1088#13646
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Außerdem verdunkelt die reformierte Trennung, daß wir in unzähligen neoklassischen Wortbildungen vom "Fugenelement" (besser Stammauslaut) o Gebrauch machen, bis hin zur "Spielothek".
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Kommentar von Robert Roth, verfaßt am 24.12.2008 um 12.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1088#13648
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Dies ist zwar kein orthographischer Nachtrag zur political correctness, aber ich muß ab und zu meinem Spott über diese freien Lauf lassen.
Der Westturm (Uhrenturm) des Mainzer Doms ist eingerüstet. Aber nicht durch die Fa. Ernst Neger (der singende Dachdeckermeister, Heile, heile Gänsje, +1989), sondern es prangt in luftiger Höhe das Schild einer anderen Gerüstfirma mit unverfänglichem Namen.
Nun unkt man in Mainz, der mit Bannstrahl belegte Name könnte dahinterstecken.
Da böte sich doch an, zwar aus anderen Gründen als der Humanist Melanchthon sie hatte, den Namen zu entlatinisieren.
Helau !
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.01.2009 um 11.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1088#13701
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Ein besonders erwähnenswertes Opfer der reformierten Silbentrennung ist das Wort Maestro. Hier wurde die bisherige Trennung verboten - zugunsten von drei neuen Trennstellen! (Übrigens: Vor zehn oder zwölf Jahren haben viele von uns ebenso wie die Dudenredaktion geglaubt, daß in Fremdwörtern auch die Buchstabengruppe str weiterhin auf die nächste Zeile gesetzt werden kann. Das wäre ja nur konsequent gewesen. Die Reformer um Augst haben aber darauf hingewiesen, daß § 110 bei genauer Lektüre nichts dergleichen zuläßt. Das Ganze ist ein besonderer Leckerbissen für, nun ja, Steißtrommler.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.05.2017 um 06.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1088#35183
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Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1088#13646
In Stuttgart und anderswo wird am Flughafen ein "Gebetomat" aufgestellt, der wie eine Kreuzung aus Beichtstuhl und Paßfotoautomat aussehen soll. Das Fugen-o ist bemerkenswert.
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