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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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07.11.2008
 

All das Traurige
Fehlinformation in Sprachratgebern

Duden ("Richtiges und gutes Deutsch") und Wahrig ("Fehlerfreies und gutes Deutsch") behaupten übereinstimmend, daß in folgenden Fällen das Relativum was und nicht das verwendet werde bzw. zu verwenden sei:

All das Schöne, was wir in diesen Tagen erlebten ...
All das Traurige, was in ihren Augen lag ...

In Wirklichkeit gilt das aber nicht, die Mehrzahl der Belege zeigt gerade umgekehrt, daß das üblicher ist.



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Kommentare zu »All das Traurige«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.05.2014 um 07.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1072#25858

Schmachthagen widmet sich dem Relativsatz. Aus der Dudengrammatik übernimmt er:

"Das Relativpronomen das, das sich auf ein Neutrum bezieht, sollte nicht durch was ersetzt werden. Nicht: Das Geschenk, "was" ich in den Händen hielt, … Sondern: Das Geschenk, das ich in den Händen hielt, … Das Relativpronomen was wird jedoch benutzt, wenn es sich auf etwas Abstraktes oder Unbestimmtes bezieht (All das Schöne, was wir erlebt haben, …) bzw. wenn das Bezugswort ein substantivierter Superlativ ist: Es ist das Schönste, was (nicht: das) ich je gesehen habe. Weist das Relativum nicht auf ein einzelnes Wort, sondern auf den gesamten Satz zurück, steht immer was: Er schenkte ihr einen Ring, was (nicht: das) sie sehr freute.
Es heißt: Es ist einer der schönsten Filme, die (nicht: den) ich jemals gesehen habe. Wird eine einzelne Person oder Sache aus einer Vielzahl herausgehoben, dann steht das Relativpronomen im Plural. Andernfalls müssten wir die Einzahl der Menge verwenden: Das ist der schönste Film, den ich je gesehen habe. Hinter den attributiven Genitiven deren und dessen wird stark flektiert: Die Spieler, von deren lautem (nicht: lauten) Jubel alles übertönt wurde, fielen sich um den Hals."

Das entspricht großenteils ("all das Schöne" und die Sache mit dem Plural) nicht dem Üblichen. Ich brauche auf die Einzelheiten nicht mehr einzugehen.

 
 

Kommentar von Meckerfritze, verfaßt am 15.11.2008 um 23.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1072#13459

Meines Erachtens sollte man nicht nur auf den Relativsatz selbst schauen, sondern auch auf das, was links von ihm steht. Zunächst einmal ist festzustellen, daß sich die Frage bei einem maskulinem oder femininen Bezugswort nicht stellt (vgl.: die Schönste, die ich sehe). Insofern sind die von Herrn Ickler gewählten Beispiele ungünstig, denn das Haus und das Schönste sind zwar beide Neutra, das erste jedoch eher zufällig.
Bei
was ich erlebt habe, war das Schönste
oder
es war das Schönste, was ich erlebt habe (mit es!)
wäre das anstelle von was gar nicht möglich. In solchen Fällen handelt es sich wohl nicht um gewöhnliche Relativsätze. Der Anschluß an das Bezugswort scheint weniger eng zu sein.
Anders jedoch:
ich erzähle dir vom schönsten, das ich erlebt habe
Wenn man hier das durch was ersetzt, erhält man eher eine lose Reihung.

Sollte der Usus dialektbedingt divergieren, hat es allerdings ohnehin wenig Sinn, nach allgemeingültigen grammatischen Kriterien zu suchen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.11.2008 um 20.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1072#13458

Lieber Herr Schatte, ich glaube, ich kann einigermaßen gut verstehen, daß sich einem Sprachwissenschaftler angesichts mancher unqualifizierter Veröffentlichungen die Nackenhaare sträuben.
Was meine eigenen Kommentare betrifft, so weiß ich nicht, ob sie immer weit genug von der von Ihnen kritisierten Sickschen Art entfernt sind. Ich hoffe, wenigstens meistens. Aber wer aus Angst, etwas Falsches zu sagen, gar nichts sagt, kann auch nichts dazulernen. Und dazugelernt habe ich, seit ich mich an diesen Diskussionen über Sprache beteilige, schon sehr viel. Wann hat ein Laie sonst schon die Chance, mit Professoren zu reden.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 15.11.2008 um 17.19 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1072#13455

Die Nominalphrase das Haus, das ich mir wünsche bestätigt Blatz‘ Theorie, denn der Relativsatz entspricht einem Partizipialattribut (also etwas Ähnlichem wie ein Adjektivattribut) (das von mir gewünschte Haus), aber keiner ganzen Nominalphrase (welche sollte das sein?).
 
 

Kommentar von Meckerfritze, verfaßt am 15.11.2008 um 16.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1072#13454

Es heißt aber: Das Haus, das ich mir wünsche. (Trotz Nominalphrase.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.11.2008 um 17.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1072#13417

Eine interessante Überlegung findet man bei Friedrich Blatz:
Er unterscheidet adjektivische und substantivische Relativsätze. Die ersten entsprechen einem Adjektivattribut (das Haus, das klein ist = das kleine Haus, nur mit das möglich), die zweiten einer ganzen Nominalphrase (das, was ich mir wünsche = das von mir Gewünschte, nur mit was möglich). Bei Fügungen wie das Schönste, das/was ich erlebt habe sind beide Paraphrasen möglich: das von mir erlebte Schönste oder das schönste von mir Erlebte. Daher das Schwanken zwischen das und was. (Die Beispiele sind von mir, und ich habe auch sonst kräftig umgestaltet, aber dies ist jedenfalls, was er meint.)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 08.11.2008 um 14.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1072#13416

Das sächliche Relativpronomen "was" möchte ich als "unbestimmtes Relativpronomen" bezeichnen, weil es nur nach allgemeinen Ausdrücken oder unbestimmten Zahlwörtern oder substantivierten Adjektiven stehen kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.11.2008 um 04.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1072#13406

Wenn es noch "grammatisch Halbgebildete" wären! Aber es ist die Elite der deutschen Grammatiker. Man arbeitet einfach zu wenig empirisch. Uns fehlt ein Hermann Paul oder Friedrich Blatz.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 07.11.2008 um 19.46 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1072#13405

Es nimmt immer wieder wunder, mit welcher Unverfrorenheit grammatisch Halbgebildete straflos Generalregeln unters Volk werfen dürfen.

Daran zeigt sich, daß in Sachen Sprache jeder mitmischen darf, wenn es ihn dünkt, daß er es – kraft seines sozialen Impetus oder wie auch immer – muß, kann oder darf.

Nur so ist das Phänomen Sick erklärbar, d.h. aus der vorab bewußt vorgenommenen Destruktion der Überkommenen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.11.2008 um 18.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1072#13404

Ich sage dir, was ich denke.
Entscheidend ist, was wir wollen.

In beiden Fällen geht nur "was". Warum? Ich meine deswegen, weil man theoretisch "das" auch vor dem Komma einfügen könnte, und zwei "das" hintereinander, das klingt eben nicht gut:

Ich sage dir das, was ich denke.
Entscheidend ist das, was wir wollen.

Wenn dasjenige, worauf man sich bezieht, konkret genannt ist ("das Schöne", "das Traurige"), dann sollte meiner Meinung nach immer "das" stehen, nie "was". Dieses "was" in den Dudenbeispielen ist also m.E. nur umgangssprachlich, aber kein übliches Hochdeutsch.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 07.11.2008 um 15.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1072#13403

Ja, hierzu hatte ich schon länger eine Frage stellen wollen. Wenn ich die Beispiele lese, geht mir eigentlich hier "das" statt "was" quer. Aber woher kommt diese Beeinflussung? Wer hat hier zum ersten Mal etwas als einzig "Richtiges/Fehlerfreies und gutes Deutsch" vorgeschrieben, was gar nicht dem Sprachgebrauch entspricht, und es eben auch mir eingeredet? Bei *Mit all dem Traurigen, das in ihren Augen lag* wäre "was" für "das" doch mindestens höchst ungewöhnlich.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 07.11.2008 um 13.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1072#13402

Die Mehrzahl der schriftlichen Belege. In mündlicher Sprache begegnen ja selbst Konstruktionen wie Das Haus, was wir gekauft haben recht häufig – das dürfte für solche des oben genannten Musters, soweit sie überhaupt vorkommen, erst recht gelten.
 
 

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