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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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04.06.2008
 

Nachnachruf
Gerhard Helbig

Thomas Steinfeld würdigt in der SZ den kürzlich verstorbenen Germanisten Gerhard Helbig. Dessen Grammatiken und Übungsbücher (Helbig/Buscha: "Deutsche Grammatik" gilt als Standardwerk) seien als verläßliche Grundlage des Deutschunterrichts überall geschätzt.

Helbig ist oft geehrt worden, in der Zeitschrift "Deutsch als Fremdsprache" hat er die Valenzgrammatik frühzeitig verbreitet. Sein Handbuch ist nach der Wiedervereinigung expurgiert und von Langenscheidt übernommen worden.

Helbig war ein braver Kerl, als Germanist hat er zwar nichts Neues herausgefunden, aber die Grammatik war immer verhältnismäßig leicht benutzbar, im Gegensatz zur Dudengrammatik, die inzwischen für normale Menschen vollends unlesbar geworden ist.

Kurioserweise hat Helbig eigentlich mit Deutsch als Fremdsprache nichts zu tun, obwohl er der bekannteste Fachvertreter ist. Aber wer hätte je in seinen Arbeiten etwas Fremdsprachenspezifisches entdeckt?

Gegen Ende seines Lebens gab es einen Sündenfall, den ich anderswo schon kommentiert habe:

»Gerhard Helbig: Zur Bedeutung der Wörter. Darmstadt 2004

Es handelt sich um ein populäres etymologisches Wörterbuch, das nach folgendem Muster kompiliert ist:
„Atlas: 'Kartenwerk, besonders der Erd- und Himmelskunde'
Das Wort wird so zum ersten Mal verwendet im Titel eines großen kartographischen Werks (1595) des Geographen G. Kremer (gen. Mercator). Atlas ist ursprünglich der Name einer Gestalt aus der griech. Mythologie, des Titanen Atlas, der das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern trägt und später zu einem mythischen König von Mauretanien umgedeutet wird. Die Figur des Himmelsträgers ist auf dem Titelblatt von Mercators Kartensammlung abgebildet.“

Hier die Vorlage, Wolfgang Pfeifers Etymologisches Wörterbuch:

„Atlas: 'Kartenwerk', bes. der Erd-und Himmelskunde. Der Ausdruck erscheint in dieser Verwendung zum ersten Mal im Titel eines großen kartographischen Werks (1595) des Geographen G. Kremer, genannt Mercator. Er ist ursprünglich der Name einer Gestalt der griech. Mythologie, des Titanen Atlas (...) der das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern trägt und später zu einem mythischen König von Mauretanien umgedeutet wird. Die Figur des Himmelsträgers ist auf dem Titelblatt von Mercators Kartensammlung abgebildet.“

Wo es wirklich interessant werden könnte („Meerrettich“ u.ä.), weiß Helbig nichts zu sagen oder nur ganz Läppisches, und selbst dies ist abgeschrieben.«



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Kommentare zu »Nachnachruf«
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Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 04.06.2008 um 10.07 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1013#12257

Zur »expurgiert[en]« Grammatik:
Am Ende der PDF-Datei
http://www.mediensprache.net/archiv/bx/aufgaben/DL6_Prag_Aufgaben.pdf
findet man einen Vergleich zwischen den Beispielsätzen der 15. Auflage (1993) und der 8. Auflage (1984) der ›Deutschen Grammatik‹ von Helbig und Buscha (in Klammern jeweils die Version der 8. Auflage):

1. Die Bevölkerung gedachte der Opfer des Grubenunglücks (der Befreiungskämpfer). (S. 547)
2. Der Ausländer bezeichnet das neue Theaterstück (unser ökonomisches System) als einen unbestreitbaren Erfolg. (S. 298)
3. Der Geschädigte (der imperialistische Staat) erhebt Ersatzansprüche (Gebietsansprüche). (S. 104)
4. Kanada (die UdSSR) ist reich an Rohstoffen. (S. 298)
5. Er baut am Wochenende an seinem Wochenendhaus (qualifiziert sich am Wochenende). (S. 298)
6. Wir erinnern uns Herrn Gröbners, des früheren Präsidenten der Akademie (des 8. Mai, des Tages der Befreiung Deutschlands vom Hitlerfaschismus). (S. 292).
7. Brahms’ Sinfonien (Engels’ Briefe) – die Sinfonien von Brahms
(das »Kapital« von Marx). (S. 246)
8. Mit den neuen Geräten ist der Klinik (der pünktlichen Planerfüllung
ist unserem Staat) genützt. (S. 181)
9. Das behinderte Kind (die Landwirtschaft der DDR) entwickelt sich gut. (S. 104)
10. Das Zimmer ist ohne Frühstück berechnet (kostet ohne Frühstück 5,– M). (S. 435)
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 04.06.2008 um 12.58 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1013#12258

Auch wenn ich nun womöglich den heiligen Zorn von Herrn Schatte auf mich lenke, gibt es doch aus praktischer Unterrichtserfahrung einiges, das für Buschas Grammatik spricht.

Herr Ickler wies schon auf ihre leichte Benutzbarkeit hin. Dazu gehört vor allem das, was Herr Schatte hier mehrfach (teils zu Recht) als Kasussemantik bezeichnete. So weit ich es überblicke, kam Buscha bereits 1969 ("Zu einigen Problemen der deutschen Grammatik für den Unterricht an Ausländer") auf die Idee, möglichst die gesamte Grammatik in Schubläden zu sortieren. Sosehr man damit bei komplizierten Sätzen (wie sie hier bevorzugt im Forum analysiert werden) an Grenzen stößt, hat sie aber doch für den Unterricht zunächst unbestreitbare Vorteile.

Womöglich erfreute sie sich auch deshalb (und mangels Alternativen!) in Form von Übersetzungen großer Beliebtheit in den ehemaligen Ostblockländern. Und tatsächlich bringen Studenten aus diesen Ländern auch heute noch oftmals solidere Grammatikvorkenntnisse mit nach Deutschland als ihre Kollegen aus anderen Ländern.

Man muß sich natürlich auch fragen, was eigentlich heute die Konkurrenz von Buschas und Helbigs Grammatik ist.
Herr Schatte wies schon auf die Grammatik von Ulrich Engel hin. Leider ist die jedoch in der Neubearbeitung von Iudicium (2004) auf etwas mehr als 400 Seiten heruntergekocht worden. Diese Neubearbeitung kursiert nun aber und nicht etwa die 800 Seiten starke frühere Fassung.
Die Duden-Grammatik war für Kurse "Deutsch als Fremdsprache" schon immer zu unübersichtlich. Auch stört hier gerade das, was ich an ihr schätze: die vielen literarischen Beispielsätze.
Für die Grundstufe ist es eigentlich nicht ganz so schwer, mehrere Grammatiken zu finden, mit denen sich arbeiten läßt. Ab der Mittelstufe heißt die marktbeherrschende Konkurrenz aber ganz eindeutig "Lehr- und Übungsbuch der deutschen Grammatik" von Dreyer und Schmitt (früher grau im Verlag für Deutsch, jetzt leuchtend gelb bei Hueber). Für "Deutsch als Fremdsprache" – bedingt durch die fremdsprachigen Ausgaben in Englisch, Spanisch, Chinesisch usw. – ist das quasi das heiliggesprochene Pendant zur Duden-Grammatik. Und deshalb sind mir Russen oder Polen, die versuchen, alles in Buschasche Schubläden zu zwängen, oder Chinesen, die mit der (leider nur 400seitigen) Übersetzung von Engel zu lernen angefangen haben, lieber als Generationen, die fast von der ersten Deutschstunde an mit gelber Muttermilch genährt wurden.

Zum späten Sündenfall Buschas möchte ich nicht viel sagen. Da hat er schlicht und einfach versucht, spät auch noch ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Augst hatte ja auch für seinen "erfundenen Laien" fröhlich kompiliert (ein anderes Verb auf -ieren ist auch denkbar). Viel peinlicher finde ich, daß die Wissenschaftliche Buchgesellschaft diese bedenkliche Kompilation ungeprüft vom Leipziger Verlag Faber & Faber in ihr Programm aufnahm. Aber die Leute aus Darmstadt verspielen ja seit etlichen Jahren mit zunehmendem Erfolg das Beiwort in ihrem Namen. Inzwischen ist es so weit gekommen, daß sie Mitgliedern, die austreten wollen, sogar den jährlichen Buchkauf erlassen, nur um sie zu halten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.06.2008 um 13.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1013#12259

Mit "Buscha" meint Herr Höher wohl meistens Helbig. Ich stimme natürlich allem zu, was er über die "Wissenschaftliche Buchgesellschaft" sagt. Dort bin ich ausgetreten, als die Leute anfingen, ihre Produkte auf Reformschreibung umzustellen (alles inzwischen überholt, wie vorausgesagt), und sich als unzugänglich für Argumente zeigten.
Engels Neubearbeitung habe ich hier schon kommentiert.

Mit Germanistikstudenten wird man Eisenbergs Grundriß durcharbeiten, aber für normale Menschen und für Ausländer fehlt tatsächlich eine lesbare und korrekte deutsche Grammatik.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 04.06.2008 um 13.56 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1013#12260

Verzeihung, ich habe auf Buschas Namen verkürzt, auch wenn der von Helbig (als dem Hauptautor) auf dem Titelblatt zuerst genannt wird.

Immerhin hält sich ein gewisses grammatisches Grundwissen in der Familie. Von den vielen Lehrbüchern, die für "Deutsch als Fremdsprache" auf dem Markt sind – und jährlich dazukommen – ist das von Anne Buscha und S. Szita ("Begegnungen") noch eines der brauchbareren, nicht zuletzt auch wegen der einigermaßen soliden Grammatik. Alles andere, heiße es nun "tangram", "Lagune" ("Delfin" in neuem Gewand, also eigentlich eine Mogelpackung), "Schritte international" oder "Studio d", ist – wie Herr Ickler schon mehrfach schrieb – uninteressant, chaotisch aufgebaut, zu einseitig am mündlichen Palaver orientiert (der sogenannte "Gemeinsame Europäische Referenzrahmen" läßt grüßen) und schließlich, was den Wortschatz (nicht die Wortbildung als Teil der Grammatik) und die Grammatik selbst angeht, arg lungenkrank.

Diese Schwindsucht zeigt sich vielfach schon an großspurigen Verlagsankündigungen. "Studio d" wollte zu allen drei Niveaustufen natürlich ganz multimedial mit DVDs auf den Markt kommen. Nun werden die Videos wohl mit der Grundstufe II (neudeutsch: A2) eingestellt. Für die Grundstufe III (B1) schließlich wird das zusätzliche Heft mit weiteren Übungen immer weiter in das laufende Jahr 2008 verlegt. Aus Anfang Februar wurde nun still und heimlich Juni. Ich rechne eigentlich nicht mehr damit und frage mich, warum die Verlage immer mehr dieser Ruinen publizieren. Ganz abgesehen davon, daß die einzelnen Verlage unterschiedliche Ansichten von der angeblich jeweils "gültigen Rechtschreibung" haben. Klett hat nach wie vor ausschließlich "so genannt", Hueber mischt fröhlich "kennnen lernen" und "kennenlernen" usw. Es macht keinen Spaß damit zu arbeiten. (Gleichzeitig bitte ich die Redaktion um Nachsicht wegen des recht langen Exkurses!)
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 04.06.2008 um 15.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1013#12261

Perfektion der Mittel und Konfusion der Ziele kennzeichnen meiner Ansicht nach unsere Zeit.

Das ist leider nicht von mir, sondern von Albert Einstein.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 05.06.2008 um 19.42 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1013#12273

Zu denken gibt Theodor Icklers richtige Einschätzung der Bedeutung von Gerhard Helbig hinsichtlich des Deutschen als Fremdsprache:

"Kurioserweise hat Helbig eigentlich mit Deutsch als Fremdsprache nichts zu tun, obwohl er der bekannteste Fachvertreter ist."

Noch viel kurioser indessen ist, daß ein fest in Kassel verhafteter Muttersprachgermanist der inzwischen "bekannteste Fachvertreter" ist, ohne daß er auch nur irgendwann mit der Aufgabe Deutsch als Fremdsprache in nähere Berührung gekommen wäre. Seine bisherigen Schriften belegen es nur allzu anschaulich. Auf eine evtl. nicht "lineare" Grammatik des Deutschen als Fremdsprache von ihm kann man nur mit mit Grausen oder nur mit Krausen warten.
 
 

Kommentar von Kurt Albert, verfaßt am 06.06.2008 um 20.11 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1013#12279

Nachnachruf-Ruf

Eine kurze Bemerkung will ich doch jetzt noch machen. Sehr geehrter Herr Ickler, ich schätze Ihre Arbeiten, Ihren Scharfsinn, Ihre Polemik und rhetorische Brillanz, doch dieser Anti-Nachruf scheint mir ganz fehl am Platze zu sein. Der hämisch-mokante Ton ("braver Kerl") stört und stößt ab. Das mußte nicht sein, das sollte nicht sein.
Kritik an Helbigs Arbeiten – selbstverständlich, warum nicht, doch warum jetzt, als Abklatsch? (Und ein "Sündenfall" ist doch wohl auch etwas anderes.) "Fremdsprachenspezifisches", das findet man übrigens in der Helbig/Buscha-Grammatik durchaus.
Auch sollte man Thomas Steinfelds mageren Zeitungstext nicht aufwerten. Und was hat das alles mit der Diskussion um die Rechtschreibreform zu tun?
 
 

Kommentar von Red., verfaßt am 07.06.2008 um 00.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1013#12281

Nicht jeder Beitrag auf diesen Seiten muß etwas mit der Rechtschreibreform zu tun haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2008 um 05.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1013#12283

Wieso "hämisch"? So war es nicht gemeint, und wer wird jedes Wort ("Sündenfall") auf die Goldwaage legen, zumal unter Berücksichtigung der Textsorte? Ich habe an meinem Tagebuch weitergeschrieben.
Mit der Rechtschreibreform hat es u. a. deshalb zu tun, weil Steinfeld ausdrücklich erwähnt, daß die Dt. Grammatik dann auch noch in reformierter Rechtschreibung erschienen sei. Zur Frage RSR und DaF (und Herder-Institut) wäre noch manches zu sagen.
Helbig war allseits wohlgelitten, aber aus sprachwissenschaftlicher Sicht ziemlich naiv. Das zeigte sich sowohl an seinem Valenz-Begriff und seiner Verarbeitung der Tiefenkasus-Hypothese (zuletzt auch in der Dt. Grammatik) als auch an solchen Schriften wie dem "Lexikon deutscher Partikeln". Das Valenzwörterbuch Helbig/Schenkel ist indiskutabel. Soll ich das vorführen, oder übergehen wir es lieber, weil ohnehin verjährt?
Solche Dinge wird man doch wohl noch erwähnen dürfen. Und das Plagiat war ein Sündenfall, wie man eben so sagt. Helbig hatte zur Etymologie überhaupt kein Verhältnis, warum mußte er denn so etwas noch herausbringen?
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 08.06.2008 um 21.47 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1013#12290

In Antwort auf den Beitrag von Kurt Albert schreibt Theodor Ickler:

"Das zeigte sich sowohl an seinem Valenz-Begriff und seiner Verarbeitung der Tiefenkasus-Hypothese (zuletzt auch in der Dt. Grammatik) als auch an solchen Schriften wie dem "Lexikon deutscher Partikeln".

Das ließe (auch ohne Hund) sich ausführen:
1. Gerhard Helbig hat seine "obligatorisch-fakultativen Aktanten" nie aufgegeben, obwohl solche auch in Kautschuk-Logik nicht faßbar sind.

2. In seinem Partikellexikon genügt die etwas hilflose Darstellungssprache dem Gegenstand nicht. Die subjektanhängige Partikel im (DDR-gebeitzten) Beispiel
"Allein das Ministerium ist weisungsberechtigt", das gelegentlich Staats-Katechese vollzieht.
wird einwortig "erklärt" mit Einschränkung. Diese tiefe Schürfung gebiert die peinliche Frage, wer oder was denn – in der Partei Namen im angebeteten und dennoch hingegangenen Honecker-Reiche – hätte eingeschränkt werden dürfen. Doch wohl nicht etwa [vier Partikeln der anderen Art] irgendein Ministerium! Allein der Gedanke ließe den gesalbten Lenin und seinen ebenso Erich noch heute unruhig werden.

3. Der Tiefenkasus indessen holt Nachtgeister wie "Demi-Agens" oder "Semi-Agens" aus den Abgründen des nie Durchdachten oder auch ewig Gewähnten ans uns immer milde scheinende Tageslicht der Linguistik.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.10.2011 um 12.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1013#19366

Immer länger wird die Reihe der Germanisten, die sich nach ihrer Emeritierung das Vergnügen machen, noch schnell ein etymologisches Wörterbuch zu kompilieren, auch wenn sie ihr Leben lang mit Etymologie nichts zu tun gehabt haben. Es gibt ja genug Wörterbücher, aus denen man die Informationen übernehmen oder einfach, wie Helbig, abschreiben kann. Der Duden-Newsletter zitiert aus "Heringers Reizwörterbuch", das im selben Verlag erschienen ist, zu "Hallimasch":

"Ein bemerkenswert undeutlicher Name für einen Pilz, wo Pilze doch sonst so treffend heißen wie „Stinkmorchel“ oder „Ungiftiger Schleimkopf“. In „Hallimasch“ findet sich wohl das alte Wort hæl = „schlüpfrig“, weil er im Herbst einen schleimigen Kopf hat oder – wie bei vielen Pilzen – in Mengen genossen abführend wirkt. Im Bayrischen gibt es noch eine deftigere Erklärung, die auf der gleichen Annahme fußt: Hall im Arsch."

Zunächst einmal ist die bayerische (bzw. bairische) Erklärung nicht deftiger als die österreichische mit hael/hal, denn auch dort muß ja der zweite Teil erklärt werden und wird üblicherweise ebenfalls mit "Arsch" erklärt; es ist also dasselbe.
Zweitens ist das ganze spekulativ. Man sollte doch denken, daß der lateinische Name Armillaria auch irgendwie darinsteckt.

Schließlich noch ein sachlicher Einwand: Warum sollte unter allen Pilzen gerade der Hallimasch besonders abführend und arschschlüpfig wirken? Ich habe schon große Mengen Hallimasch vertilgt und noch keine solche Wirkung verspürt. Wir alle können es ja in den nächsten Wochen mal ausprobieren.

Und warum ist plötzlich Heringers Plauderbüchlein eine Quelle für etymologische Erklärungen?
 
 

Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 14.10.2024 um 00.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1013#54066

Da die Grammatik von Helbig/Buscha hier auch Lob erfahren hat, habe ich mir die Ausgabe von Klett angesehen. Na ja, für das Unterrichten mag es eine gute Übersicht sein, aber an einigen Stellen ist es wahrlich keine theoretische Glanzleistung.

Auf Seite 200 ist von Verben mit betontem Suffix -ie- (statt -ier-) die Rede. Es müssen nicht mehrere Bedeutungen des Präsens angenommen werden, wir haben es mit verschiedenen Situationen zu tun, in denen das Präsens verwendet werden kann, siehe auch Tempuswahn von Ulrich Engel. Auch die Annahme eines exklusiven oder ist überflüssig (siehe Grice) usw. Ob feste oder unfeste Zusammensetzung (siehe Henzen), in meinen Augen sind Verbbestandteile wie durch oder hinter keine Präfixe. In leidtun und nottun (Seite 204) liegt kein Substantiv vor, leid und not sind Adjektive.

Der Variablenbuchstabe «f» (Seite 298) kann nicht einfach als Funktion gelesen werden. Auf Seite 294 steht «hundert und einem» statt «hundertundeinem» und «ein mal vier», der Gebrauch von ein statt eins soll eine Ausnahme sein; eine solche Ausnahme besteht nicht, denn eigentlich liegt einmal/ein Mal vor (zum Vergleich: engl. twice three), daneben ist auch eins mal(genommen mit) vier möglich. Es ist von einem Suffix -malig (statt -mal und -ig) die Rede. Viertel ist nicht aus viertel (Seite 302) substantiviert; ich denke, Adjektive wie viertel sind aus einem substantivischen Zusammensetzungsglied hervorgegangen (Viertelstundeviertel Stunde); in meinen Augen sind solche Zusammensetzungen nicht nur bei allgemeiner Gebräuchlichkeit möglich. Ich würde synchron keine Ableitung aus Ordinalia mit dem Suffix -el (Seite 301) annehmen, sondern eine Bildung aus Kardinalia mit -tel (wie Teil), wobei der Vokalwechsel (Drittel) und -s-Einschub analog zu Ordinalia erfolgt, denn es heißt Hunderteintel und nicht etwa Hunderterstel. Den attributiven Gebrauch von Wörtern wie teilweise (Seite 286) kenne ich auch vor Substantivableitungen von Adjektiven; und ist achtziger wie in achtziger Jahre wirklich ein Kardinale?

In den Sätzen «Nur Jörg hat die Wahrheit gesagt», «Auch Jörg hat die Wahrheit gesagt» und «Sogar Jörg hat die Wahrheit gesagt» (Seite 422) sollen die Präsuppositionen verschieden sein. Aber nur und auch sind doch keine Sache der Präsupposition, schließlich kann auch mit «nicht nur Jörg, sondern auch Christine» verneint werden, selbst bei sogar scheint mir der Begriff Präsupposition nicht angebracht zu sein. Außerdem ist ab 50 Exemplare keine Sache der Kasusrektion seitens ab. Auf Seite 623 ist vom «Wissen der Sprecher (gemeinsamen Präsuppositionen usw.)» die Rede, aber eine Präsupposition ist doch eine Sache von Äußerungen, es spielt keine Rolle, ob diese vom Gegenüber geteilt wird. Statt von adverbial gebrauchten Adjektiven ist von Adverbien die Rede, wobei Modalwörter von Adverbien abgegrenzt werden; es gibt aber auch Adjektive, die analog funktionieren (vermeintlicher Täter), wieso werden diese dann nicht von der Kategorie Adjektiv ausgenommen? Und ist «Er kommt nicht vermutlich» (Seite 431) wirklich ausgeschlossen? Ich kann doch sagen: «Er kommt nicht nur vermutlich, sondern ganz bestimmt.»

Dokument (Seite 219) wird nicht mit Schwa ausgesprochen. Die Wörter wohinter, woneben und wozwischen sind durchaus möglich (zu Seite 236). «Er ist imstande und betrügt seine Kollegen» (Seite 397) ist nicht gleichbedeutend mit «Er ist imstande, seine Kollegen zu betrügen», denn der letztgenannte Satz impliziert nicht das tatsächliche Stattfinden des Betruges. In Heinrich Manns sehe ich die Kasuskennzeichnung nicht einfach beim Bezugswort (Seite 511), sondern einfach beim gesamten Namen.

Weiteres:

• Kapitelverweise haben manchmal einen Punkt am Ende und manchmal nicht.
• An einigen Stellen wird statt eines Apostrophs anscheinend ein Akut gebraucht.
• Auf Seite 32 steht «Inifinitiv» statt «Infinitiv».
• Auf Seite 78 fehlt eine Klammer in «(verzichten».
• Auf Seite 86 steht «(oder Vorgangs-)veränderung» statt «(oder Vorgangs-)Veränderung» oder «(oder Vorgangs)veränderung».
• Auf Seite 87 steht «sein Papiere» statt «seine Papiere».
• Auf Seite 93 steht «Abhängikeit» statt «Abhängigkeit».
• Als Beispiel: Statt Partizip I-Verbindungen wäre mit Durchkopplung Partizip-I-Verbindungen korrekt.
• Auf Seite 120 steht «(= Diesmal verzeihe ich dir noch).», der Punkt gehört an der Stelle vor die schließende Klammer. Ein ähnlicher Fehler findet sich auf den Seiten 154 (zwei Mal) und 333. Außerdem finden sich mehrere Schreibweisen wie «Zahlangaben. (= mit mehr als):».
• Auf Seite 123 steht «(= einander )» mit überflüssigem Abstand.
• Auf Seite 132 steht «(und Betracht-)zeit» statt «(und Betracht-)Zeit».
• Auf Seite 133 steht «im vorigem» statt «im vorigen», auf Seite 302 «dem unbestimmtem» statt «dem unbestimmten», auf Seite 353 «dem entsprechendem» statt «dem entsprechenden», auf Seite 348 «von Präposition und unbestimmten Artikel» statt «von Präposition und unbestimmtem Artikel».
• Auf Seite 133 fehlt ein schließendes Anführungszeichen nach «Bin ich wirklich so schwer krank?».
• Auf Seite 143 findet sich ein überflüssiger Punkt vor «erscheinen».
• Auf Seite 152 steht «komunikativ-pragmatisch» statt «kommunikativ-pragmatisch».
• Auf Seite 167 fehlt eine zweite schließende Klammer nach «(Agens nicht hinzufügbar, aber immer unbestimmt, verallgemeinert und persönlich (= man)». Auch auf Seite 215, Fußnote 2 fehlt eine zweite schließende Klammer.
• Auf Seite 250 steht «das Kaffee (Gaststätte = Café)», aber in dieser Bedeutung ist nur die Schreibweise Café korrekt.
• Es finden sich Schreibweisen wie «nicht-valenzgebundenes, sondern» statt «nicht valenzgebundenes, sondern».
• Auf Seite 344 steht «nicht-indentifizierten» statt «nicht-identifizierten».
• Auf Seite 368 steht «im Falle dass» statt «im Falle, dass».
• Auf Seite 378 fehlt ein Abstand in «Attribut.Vor».
• Auf Seite 403 steht «vorbeitet» statt «vorbereitet».
• Auf Seite 409 steht «Annulierung» statt «Annullierung».
• Auf Seite 447 gehört das Komma vor «– obwohl» weg.
• Auf Seite 494 gehört der Abstand vor dem Komma in «– , denen» weg.
• Auf Seite 500 steht «Sat 1» statt «Sat.1».
• Auf Seite 517 steht «des Verb» statt «des Verbs».
• Auf Seite 541 steht «eines irgendeines» statt «eines, irgendeines».
• Auf Seite 574 steht «zusamen» statt «zusammen» und es fehlt eine schließende Klammer nach «(= satzwertige Konstruktion».
• Auf Seite 626 steht «Institut für deutsche Sprache» statt «Institut für Deutsche Sprache».
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.10.2024 um 04.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1013#54068

Vielen Dank für die genaue Arbeit! Ja, man darf nicht zu genau hinsehen...

Was übrigens den allerletzten Punkt betrifft, die Schreibweise des Institutsnamens, so ist der Großbuchstabe noch nicht sehr alt. Zum Beispiel bei Wikipedia und bis vor kurzem auch im "Sprachreport" des Instituts selbst wird oft noch klein geschrieben. Seit einigen Jahren schmückt man sich mit "Leibniz", aber muß der Beobachter all das mitmachen?
 
 

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