zurück zur Startseite Schrift & Rede, Forschungsgruppe dt. Sprache    FDS - In eigener Sache
Unter den Diskussionsthemen nach
           
Im Forum nach

Diskussionsforum

Zurück zum Forenbereich
»Darf man so sagen – oder schreiben?«


Beiträge zum Thema

»Schriftspracherwerb in der Praxis
Wie kommt man zu einer halbwegs ausgereiften und zugleich reflektierten Schreibung?«

Neueste Beiträge zuoberst anzeigen | nach unten


verschoben


Dieser Beitrag wurde am 29.09.2008 um 18.18 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=205#3964


Kommentar von Pt, verfaßt am 29.09.2008 um 13.36 Uhr

Sind denn in den USA die ''Warenzeilen'' numeriert?

Ich habe mal gehört, daß in den USA der Service am Kunden eine viel höhere Bedeutung als bei uns hat. Vielleicht erklärt sich so der von Ihnen zitierte Satz. Es ist doch viel freundlicher, den Kunden persönlich zur Ware zu führen, statt ihm mit einer vagen Beschreibung abzuspeisen. Nebenbei: im Deutschen klingt dieses Zitat eher aggressiv.


Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 27.09.2008 um 17.13 Uhr

"In den USA sind derzeit 1/3 der Gesamtbevölkerung "funktionale" Analphabeten; d.h. sie können Straßenschilder lesen, aber Inhalte einfacher Sätze nicht mehr richtig verstehen und aufnehmen." — An schlimmen Tagen muß wohl das ganze hier erwähnte Drittel in unserem kleinen Nest hier vor mir in der Klasse sitzen ... — Nein, ich sollte nicht übertreiben (aber aufgeben sollte ich auch nicht). Nur etwas Anekdotisches hierzu: Wenn ich im Supermarkt danach frage, wo etwas ist, bekomme ich zur Antwort: "Sicher, ich zeig es Ihnen." Und dann sage ich: "Sagen Sie mir nur die Warenzeile; ich kann lesen und schreiben." Und dann bekomme ich die Nummer der Warenzeile und den freundlichen Zusatz: "Ich zeig's Ihnen." Letzteres mit freundlichem Blick auf mich.


Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 27.09.2008 um 16.58 Uhr

Lieber Herr Strasser,

Ihrem Satz "Offenbar bedient sich nur eine Minderheit einer halbwegs ausgereiften Schreibung" möchte ich eine Ergänzung hinzufügen: Offenbar bedient sich nur eine Minderheit einer halbwegs ausgereiften und zugleich reflektierten Schreibung.

Genau das ist es doch, was die diversen Stufen der angeblichen Rechtschreibreform den Menschen erfolgreich ausgetrieben hat. Alle schreiben nun irgendwie und niemand macht sich mehr die Mühe über das Geschriebene nachzudenken. Besonders betroffen von dieser Denkferne sind die Kommasetzung, die Groß- und Kleinschreibung und die Getrennt- und Zusammenschreibung (also eigentlich die drei Prunkstücke seit 1996). Deshalb kann man ja auch zu Recht von einem definitiven Scheitern der Reform sprechen. Wer macht sich schon die Mühe, in den einzelnen Fassungen des amtlichen Regelwerkes (oder den diversen Duden-Auflagen) nachzulesen, was in diesen Punkten jeweils "amtlich" ist? Gehalten hat sich bei den Schreibern die einfache Kurzformel: im Zweifel getrennt, groß und möglichst ohne Kommata. Und so sieht es dann auch aus, wovon die Sammlung von Zeitungszitaten im Diskussionsforum ja ein beredtes Zeugnis ablegt.

Wenn Sie in Internetforen dann noch so etwas wie "mier is das Alles schaisegal" [das ist keine Erfindung von mir!] lesen, mag eine gewisse individuelle Bildungsferne hinzukommen. Aber vor allem zeigt das doch, wie "schaisegal" vielen die Rechtschreibung inzwischen ist. Und genau dafür ist in meinen Augen den Politikern und ihrer grandiosen Reform zu danken. Rechtschreibung wird nicht mehr als Bildungsgut angesehen (auch der verbale Feind der Wohlgeborenen ist ja inzwischen in den Ruinen seiner Partei auferstanden), sondern ist zum altmodischen Ballast verkommen.

Die Ausbildung in der Schule trägt inzwischen insofern eine Mitschuld, als dort kaum noch ausgebildet wird. Dank Pisa-Studie und Bolognaprozeß sind die Lehrer so damit beschäftigt, ständig neue ministeriale Vorgaben zur Kenntnis zu nehmen und womöglich nicht zu verstehen, Kern- und Schlüsselkompetenzen zu didaktisieren, daß der eigentliche Unterricht zur Nebensache gerät. Was nützt eine didaktisch vermittelte Lesekompetenz und das Eintrichtern von Strategien zum Leseverstehen, wenn die Schüler kaum noch lesen (können)?

Natürlich hat es schon immer Schüler gegeben, die nicht so gerne lesen. Aber früher war die Bildung noch nicht stigmatisiert und die Lehrer haben noch unterrichtet. Heute dagegen braucht man nur noch diverse Kompetenzen, um sich dann teamfähig und wenn es geht interdisziplinär an den verschiedensten Diskursen zu beteiligen. Wer freilich nur immer zwischen den Disziplinen bleibt, wird nie auch nur eine von ihnen annähernd vollkommen begreifen. Und daß man zunächst einige Kenntnisse benötigt, um dann auch kompetent zu sein, hat sich noch nicht bis zu den Pisaner Politikern herumgesprochen.


Kommentar von Pt, verfaßt am 27.09.2008 um 16.10 Uhr

Mit „partiellem Analphabetismus“ kann ich nicht dienen, wohl aber mit "funktionalen" Analphabeten, siehe

http://www.projekt-kinder-im-netz.de/VortragWeizenbaum.htm

Prof. Josef Weizenbaum:
Der Computer in der Schule - eine Katastrophe?

''In den USA sind derzeit 1/3 der Gesamtbevölkerung "funktionale" Analphabeten; d.h. sie können Straßenschilder lesen, aber Inhalte einfacher Sätze nicht mehr richtig verstehen und aufnehmen.''


Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 27.09.2008 um 11.18 Uhr

Offenbar bedient sich nur eine Minderheit einer halbwegs ausgereiften Schreibung.

Zu diesem Schluß muß man kommen, wenn man sich in diversen Internetforen umsieht oder den täglichen Email-Verkehr daraufhin analysiert.
Bei den Foren könnte man noch meinen, daß halt eher weniger gebildete sich beteiligen, beim Email-Verkehr habe ich es aber durchwegs mit Leuten höherer Bildung zu tun, viele davon sind Akademiker.
Unausgereiftheit äußert sich bei der Beistrichsetzung, bei der s-Schreibung, im Deppenapostroph und bei vielen anderen Sonderlichkeiten (gemäßigte Kleinschreibung zähle ich hier nicht dazu).

Es stellt sich also die Frage: ist Deutsch so kompliziert, daß eine große Zahl von Muttersprachlern die Kulturtechnik Schreiben nur rudimentär beherrschen kann? – Oder ist die Ursache in der Ausbildung zu suchen?

Ich neige zur zweiten Annahme, da auch ich mir die Beistrichsetzung erst lange nach der Reifeprüfung (an ca. 2-3 Abenden) selbst erarbeitet habe. Die Schule hatte es in 12 Jahren nicht geschafft, mir den Sachverhalt so zu vermitteln, daß ich das Prinzip verstanden hätte. Vielen anderen scheint es ähnlich ergangen zu sein oder noch immer so zu ergehen.

Hat jemand Daten, ob „partieller Analphabetismus“ in anderen Sprachen genauso verbreitet ist?
nach oben

Marco Mahlmann
Osnabrück

Dieser Beitrag wurde am 01.10.2008 um 15.53 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=205#3975


Früher hieß es, das Schreiben lernt man am besten durch das Lesen. Dann hat man Bücher gelesen. Die waren nicht nur in einer einheitlichen Orthographie, sondern ein sachkundiger Lektor hatte auch zuvor tüchtig Korrektur gelesen – für Zeitungen und Zeitschriften galt das gleiche. Veröffentlicht wurde nur das, was professionelle Schreiber in ordentlicher Rechtschreibung verfaßt hatten.

Heute liest man allerorten schnell zusammengeschriebenes Zeug, das niemand auf Fehler überprüft hat, und durch das Internet kann ein jeder Schriftliches verbreiten: Foren, Blogs, Leserbriefe usw. usf. So werden viele zu orthographischen Vorbildern, ohne daß ihre orthographische Kompetenz das rechtfertigt, um es milde zu formulieren.
Auf diese Weise kommen Modefehler auf, die rasch verbreitet werden. Ich lese in letzter Zeit oft, daß "viel" und "fiel" verwechselt werden (nebenbei bemerkt Wasser auf die Mühlen von Frau Pfeiffer-Stolz; der Wortklang kann nicht maßgeblich für die Schreibweise sein), "Zeit" wird klein geschrieben (vielleicht wegen "zurzeit"?) u. v. a. m.
Eifrige Schreiber in solchen Internetwinkeln werden – wohl ohne eigenes Bestreben – zu Orientierungspunkten für die Schreibweise einzelner Wörter; andere übernehmen das, die Häufigkeit einer Schreibweise nimmt zu, und schon ist sie geläufig.
nach oben

Jan-Martin Wagner
Kiel

Dieser Beitrag wurde am 13.12.2011 um 10.52 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=205#8402


(Eine Zeit lang so, eine andere Zeit lang anders ...)

Märkische Oderzeitung, 11. Dezember 2011

Schriftkram
Eure Post an uns

(MOZ) Weißt du, was ein Fsch ist? Oder wo man Buttr kaufen kann? So sprechen viele Menschen die Worte Fisch und Butter aus - kein Wunder, dass es so schwierig ist, korrekt zu schreiben...

Wie Schüler die unzähligen Rechtschreibregeln der deutschen Sprache am besten kapieren, darüber diskutieren Lehrer, Eltern und Professoren schon lange. Und es gibt immer wieder andere Ideen: Eine Zeit lang galt die Theorie, dass Kinder gut lernen, wenn sie so schreiben dürfen, wie sie hören. Heute gilt an vielen Schulen wieder, dass Fehler von Anfang an angestrichen werden.

Dieser Meinung sind auch Birgit Schwanitz und Cornelia Herrmann, die an der Grundschule Booßen gerade Erstklässlern Schreiben und Lesen beibringen. Beide sind seit über 20 Jahren Lehrerinnen und haben schon etliche Moden erlebt. "Wir haben auch ausprobiert, dass die Schüler schreiben sollen, wie sie denken, aber das hat nicht gut funktioniert", sagt Birgit Schwanitz. Jetzt dürften die Kinder zwar auch mal "drauflos" schreiben, aber bevor ein Papier mit nach Hause genommen wird, würden alle falschen Worte korrigiert. "Oft fragen die Kinder selbst nach, wie etwas geschrieben wird."

Schreiben denn all ihre Schüler später fehlerfrei? "Leider nein", sagen die Lehrerinnen, "vieles wird auch rasch wieder vergessen."

Agi Schründer-Lenzen, die an der Uni Potsdam Professorin für Grundschuldidaktik ist, hält Rechtschreibung auch für sehr wichtig, findet aber: "Es ist nicht schlimm, wenn ein Kind mal etwas falsch schreibt. Wir funktionieren nicht wie Fotoapparate, die ein falsches Wort sofort speichern." Wenn in einem Aufsatz fast jedes Wort rot angestrichen sei, verliere das Kind schnell die Lust am Schreiben. Und nur wer viel schreibe, schreibe irgendwann richtig.

Agi Schründer-Lenzen hält beides für wichtig: freies Schreiben und Rechtschreibung. Beim Schreiben einer Geschichte sollte man seiner Fantasie freien Lauf lassen dürfen, ohne an richtig oder falsch zu denken. In der Rechtschreib-Stunde ginge es dafür dann konzentriert um Regeln und Richtigkeit.

Die Professorin meint außerdem, Lehrer sollten sich beim Korrigieren auf "Fehlerschwerpunkte" konzentrieren, anstatt alles anzustreichen. Wenn also ein Erstklässler "kwatschen" statt "quatschen" schreibt, dann könnte das einfach ignoriert werden, wenn das schwierige "qu" noch gar nicht dran war. Viel wichtiger als einzelne Worte zu üben sei, die Struktur der Sprache zu verstehen und Regeln zu kennen. Dann kann man nämlich ganz vieles "von selbst" richtig schreiben. Wichtig findet Agi Schründer-Lenzen den Unterschied zwischen Privatschrift, die ohne Regeln auskommt (o.k. für Tagebuch, Einkaufszettel), und Erwachsenenschrift (alle Texte, die sich an andere richten).

Wir freuen uns über alle Briefe von euch - auch wenn mal ein Fehler drin ist!

Märkische Oderzeitung, Journal, Antje Scherer, Kellenspring 6, 15230 Frankfurt; E-Mail: kinder@moz.de

• viel schreiben und lesen

• beim Schreiben leise mitsprechen

• am Ende gründlich durchlesen, viele Fehler entdeckt man selbst

• vorher überlegen, wie viel Arbeit ein Text wert ist: Fehler auf dem Einkaufszettel sind egal, der Brief an Oma verdient mehr Mühe

• "Korrekturbad" für Texte, die veröffentlicht oder verschenkt werden sollen: Text Mama/Papa oder Lehrerin zeigen. Die schreiben falsche Worte richtig darüber. Dann noch mal abschreiben.

• Buchtipp: "Der Sprachforscher: Rechtschreiben: Wörter sammeln - erforschen - ordnen" von Falko Peschel, Klett Verlag


(www.moz.de)
nach oben

Jan-Martin Wagner
Kiel

Dieser Beitrag wurde am 28.06.2013 um 17.13 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=205#10303


Focus online, 19. Juni 2013

Mit Übung Verständnisblocken überwinden
So lernen Schüler Rechtschreibung

Machen nun die ewig Gestrigen oder die Ewiggestrigen Fehler? Wer mit der Rechtschreibung auf Kriegsfuß steht, tut sich besonders in der Schule schwer. Doch Experten geben Entwarnung. Gerade für Grundschüler gehören Fehler zur Entwicklung.

Wann Kindern welches Licht aufgeht, ist unterschiedlich: In den ersten beiden Schuljahren braucht der Weg vom Laut zum richtig platzierten Buchstaben Zeit. Schreibanfänger überlegen sich dabei oft selbst Regeln, die sie mit Gelesenem vergleichen. Rechtschreibregeln spielen zu Beginn eine untergeordnete Rolle.

Im dritten und vierten Schuljahr werden Rechtschreibregeln eingeführt, schwierigere Wörter geübt. Fehler in der reinen Laut-Zeichen-Zuordnung sollten jetzt weniger werden. In der fünften und sechsten Klasse werden ähnliche Fehler wie in den vorherigen Jahrgangsstufen gemacht, nur meist bei schwierigeren Wörtern. Probleme mit der Laut-Zeichen-Zuordnung sollten nicht mehr vorkommen.


(Gesamter Text siehe hier.)
nach oben


Zurück zur Themenübersicht | nach oben


© 2004–2018: Forschungsgruppe Deutsche Sprache e.V.

Vorstand: Reinhard Markner, Walter Lachenmann, Jan-Martin Wagner
Mitglieder des Beirats: Herbert E. Brekle, Dieter Borchmeyer, Friedrich Forssman, Theodor Ickler, Michael Klett, Werner von Koppenfels, Hans Krieger, Burkhart Kroeber, Reiner Kunze, Horst H. Munske, Adolf Muschg, Sten Nadolny, Bernd Rüthers, Albert von Schirnding, Christian Stetter.

Webhosting: ALL-INKL.COM