zurück zur Startseite Schrift & Rede, Forschungsgruppe dt. Sprache    FDS - In eigener Sache
Unter den Diskussionsthemen nach
           
Im Forum nach

Diskussionsforum

Zurück zum Forenbereich
»Rechtschreibung und -reform«


Beiträge zum Thema

»Der Glaube, Neuschrieb sei vorgeschrieben«

Neueste Beiträge zuoberst anzeigen | nach unten


verschoben


Dieser Beitrag wurde am 28.09.2008 um 21.49 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=203#3956


Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 23.09.2008 um 19.31 Uhr

M. Mahlmann: "Dazu kommt noch der Glaube, Neuschrieb sei vorgeschrieben."
Dazu paßt ein Erlebnis, das ich in der vergangenen Woche hatte: Wegen des bayerischen Landtagswahlkampfs standen vor einem Geschäft Vertreter einer Partei, die um die Bürger warben. Da auf einem Blatt ein (dicker) Rechtschreibfehler war, nahm ich die Gelegenheit wahr, auch die RSR anzusprechen. Im Verlauf der Diskussion fragte mich dann eine Frau, die dort Informationsmaterial verteilte (immerhin ja eine politisch engagierte Person), was denn passiere, wenn sie "alt" schreibe. Sie komme sich dabei so komisch vor. Auf meine Entgegnung, daß überhaupt nichts passiere, daß nichts "amtlich" sei und sie selbstverständlich schreiben könne, wie sie es gelernt habe, daß das, was 100 Jahre als richtig gegolten habe, keineswegs falsch sei und sie, wenn sie dumm angesprochen würde, sagen könne, sie schreibe "traditionell", schien ihr ein großer Stein vom Herzen zu fallen und sie bedankte sich mehrmals.
Politik und Duden haben es offenbar geschafft, die Bürger glauben zu machen, sie begingen mit herkömmlicher Schreibung womöglich eine Ordnungswidrigkeit oder zumindest einen Fauxpas.


Kommentar von Pt, verfaßt am 23.09.2008 um 14.56 Uhr

Zum Kommentar von Marco Mahlmann am 23.09.2008 um 11.28 Uhr:

''In Deutschland wird vielfach davon ausgegangen, daß der Leser Neuschrieb erwartet; es wird als Kundendienst begriffen, ihm Neuschrieb zu liefern. Dazu kommt noch der Glaube, Neuschrieb sei vorgeschrieben.''

Tatsächlich, diesen Eindruck könnte man bekommen. Das ist aber nur ein sehr oberflächlicher Eindruck, denn gemäß der Allensbach-Umfrage vom Juli 2005 sind 61% gegen die Reform, 31% ist sie egal bzw. sind unentschieden, und nur 8% sind dafür, siehe http://www.vrs-ev.de/.

Heutzutagen, Herr Mahlmann, sind wir ''zivilisiert'', man zwingt daher dem Volk nicht mehr mit der Peitsche den Willen der Obrigkeit auf, auch die Variante mit zusätzlich Zuckerbrot zieht nicht mehr so ganz – die meisten sind eh' übergewichtig –, auch über die damals moderne Kommunikationstechnologie des Volksempfängers sind wir bereits hinaus (bellende Reden in Hifi-Qualität machen sich nicht besonders gut), sondern benutzt dazu die moderne Massenpsychologie. Der moderne Reformer versteht sich demgemäß als Dienstleister, der seinem Kunden ''selbstverständlich'' nur ''beste Qualität'' andient. Als Kunde muß man dies erwarten dürfen! Das so auf die sanfte Tour zum ''Kunden'' gewordene Opfer traut sich ob dieses unerwartet ''zuvorkommenden Service'' dann zumeist nicht mehr, seinem vermeintlichen Dienstleister mit rüder Ablehnung zu enttäuschen. (''Bei Fragen und Nebenwirkungen, wenden Sie sich bitte an Ihren Reformer!'')

Seien wir doch mal ehrlich: Wenn die Biotechnologie erst einmal hinreichend fortgeschritten sein wird, dann dürfte es doch im vitalen Interesse aller Bürger liegen, als kleines Baby einen PIC (Personal Indicator Chip) irgenwohin appliziert zu bekommen, der ständig Körpertemperatur, Blutdruck, etc. und unsere durch GPS festgestellte Position an ein verteiltes CIC (Citizen Information Center) liefert, so daß niemand mehr fürchten muß, sich im Großstadtdschungel zu verirren, und im Falle körperlicher Beschwerden sofort Hilfe in Gang gesetzt wird, was die Überlebenswahrscheinlichkeit erhöht. Natürlich wird es Proteste geben, erbitterte Proteste, aber das wird Vater Staat nicht von seiner Fürsorgepflicht für seine Kinder entbinden können.

Nach dieser Masche wird jetzt die mit Paßbild versehene Krankenkassenkarte eingeführt – die ohne wurde ja permanent mißbraucht (der Brief, in dem dies mitgeteilt wird, trieft geradezu vor Psychologie) –, und der Versicherte muß noch dazu unterschreiben, daß es genau das ist, was er sich so sehr gewünscht hat. Super! Tut man dies nicht, so hat das wahrscheinlich die Konsequenz, daß man in etwas einem Jahr keine Versichertenkarte mehr hat und oder gar den Versicherungsschutz verliert. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
nach oben

verschoben


Dieser Beitrag wurde am 19.12.2009 um 22.31 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=203#5750


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.12.2009 um 15.14 Uhr

Hierher paßt auch der jüngste Beitrag von Bastian Sick, der sich bei SPIEGEL-online mächtig über den fehlenden Bindestrich auf Suppentüten ärgert:
"Tüten Suppe aus der Suppen Tüte" (16.12.09)
Nun ist ja bekannt, daß selbst normbewußte Texter in Schlagzeilen, auf Plakaten usw. der gefälligen Typographie oft mehr Gewicht geben als der Orthographie – z. B. auch Satzzeichen weglassen –, aber bevor wir ins Gähnen kommen, wollen wir uns folgendes auf der Zunge zergehen lassen:
"Es stellt sich die Frage: Darf sich die Industrie aus grafischen Gründen über die gängige Rechtschreibung hinwegsetzen? Die Antwort ist ernüchternd: Sie darf es. Zwiebelsuppe in zwei Wörtern zu schreiben, ist nicht verboten."

Warum in aller Welt sollte diese Antwort "ernüchternd" sein? Doch nur, wenn man eigentlich der Meinung wäre, die amtliche Rechtschreibung solle für jedermann verbindlich sein, und genau das ist es, was Sick sich wünscht und halb wohl auch glaubt, jedenfalls voraussetzt, sonst wäre ja seine ganze Sprachkritik für die Katz, jedenfalls was die Orthographie betrifft.
Sogar die Dudenempfehlungen sind für ihn beachtenswert, also etwa daß "Tüten-Suppe" vom Duden nicht empfohlen wird.

(Übrigens macht er selbst bei aller Unterwerfungssucht wieder mal einen Fehler: "als erstes" müßte groß geschrieben werden.)
nach oben

Wolfram Metz
Den Haag, Niederlande

Dieser Beitrag wurde am 19.12.2009 um 22.53 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=203#5752


Ob sich eine Firma, eine Universität, eine Privatperson an »den Duden« hält, kann einem doch ziemlich schnuppe sein. Mich jedenfalls interessiert nur, ob eine Schreibung vernünftig und zweckmäßig ist. Und wenn ich eine bestimmte Schreibweise für verfehlt halte, interessiert mich noch, warum der Autor sich für sie entschieden hat. Viele Normalbürger möchten gern dudenkonform schreiben, weil sie die Dudenschreibungen für die richtigen und unter Gebildeten üblichen halten. Amtlich oder nicht, sie orientieren sich an dieser Norm, und das ist ihnen nicht vorzuwerfen. Sick und all die anderen aber könnten und müßten es besser wissen. Statt dessen fördern sie mit solchen Beiträgen die sprachliche Selbstverunmündigung braver Leser und Zuhörer.

Daß sich Typographen und Werbetexter immer wieder über Rechtschreibregeln hinwegsetzen, ist in der Tat ein alter Hut. Die Frage, ob sie das dürfen, erscheint mir geradezu dümmlich. Es kann doch allenfalls darum gehen, ob sie ihren Auftraggebern damit einen Gefallen tun. Wenn ein Schriftzug zum Beispiel durch einen fehlenden Bindestrich oder einen regelwidrigen Anfangsgroßbuchstaben gefälliger wird, ohne das Verständnis zu beeinträchtigen, werden sie ihnen damit zumindest kaum schaden. Hierher gehören meines Erachtens auch Fälle wie Herzlich Willkommen – eine Schreibung, die seit Jahrzehnten auf zahllosen Ortseingangstafeln und in vielen Fremdenverkehrsprospekten zu finden ist.

Wenn es aber Schriftbildkünstlern freisteht, der Orthographie nicht zu achten, dann sind Normalschreiber ihrerseits nicht gehalten, all die schönen Schriftbilder möglichst originalgetreu in ihre Texte zu übernehmen. Kein Mensch schreibt eine Tüten Suppe der Firma X, nur weil diese ihre Tütensuppenpackungen so beschriftet. Bei der Hannovermesse (bzw. Hannover-Messe) sieht das schon anders aus. Warum liest man immer häufiger Hannover Messe, so als ob die Stadt Hannov und nicht Hannover hieße? Viele scheinen nicht zu verstehen, daß das Fehlen des Bindestrichs im offiziellen Logo der Messe, in dem HANNOVER und MESSE untereinanderstehen, sich unter ästhetischen Gesichtspunkten möglicherweise anbietet, in einem gewöhnlichen fortlaufenden Text aber sehr störend sein kann. (Ganz ähnlich übrigens der Fall SATIRE[ARD-Zeichen–neue Zeile–neue Farbe]GIPFEL.)

Nicht die Schöpfungen von Logobastlern und Werbetextern sind das Problem, sondern die Fehler, die bei deren Rückübersetzung in die normale Schriftsprache gemacht werden. Früher stand auf dem Einbandrücken des Brockhaus BROCK-[neue Zeile]HAUS, in den letzten Ausgaben dagegen BROCK[neue Zeile]HAUS. Trotzdem bleibt der Brockhaus der Brockhaus und wird nicht plötzlich zum Brock Haus. Das Logo SPD[neue Zeile]BUNDESTAGS[neue Zeile]FRAKTION übersetzt man am besten mit SPD-Bundestagsfraktion und nicht mit SPD Bundestags Fraktion.

Zwar ist es ein Gebot der Höflichkeit, die Wünsche des Namensträgers oder -urhebers bezüglich der Namensschreibung zu berücksichtigen. Natürlich schreibe ich Claus Claus und Kristina Kristina – wenn ich dran denke. Umgekehrt ist es aber auch nicht gerade ritterlich, seinen Mitmenschen exotische Schreibungen abzunötigen. Man muß nicht jeden Firlefanz mitmachen. RUHR.2010? Hübsch. Aber Ruhr 2010 tut’s wohl auch. CeBIT, BayernLB, BahnCard, tagesschau? Alles sehr kreativ, man kann es schreiben, müssen tut man’s nicht. Ich denke, daß man hier, wie so oft, mit dem gesunden Menschenverstand und einer Portion Humor recht weit kommt. Jedenfalls weiter als mit einer DIN.
nach oben

Jan-Martin Wagner
Kiel

Dieser Beitrag wurde am 13.12.2010 um 23.39 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=203#7230


Berliner Zeitung, 21. Juli 2010

"Wir sollten die Sprache hegen und pflegen"
Biologin veröffentlicht ein Buch über Rechtschreibung
Marijke Engel

Evelyn Schärer ist Doktor der Biologie, wohnt in Schmargendorf und hat ein Buch geschrieben, weil sie wissen wollte, wie man richtig schreibt. "Das Handbuch der deutschen Rechtschreibung" ist ein vergleichsweise schmales Bändchen, das aber die Regeln der deutschen Sprache auf den Punkt bringt.

Frau Schärer, benutzen Sie eigentlich die Rechtschreibprüfungsfunktion an ihrem Computer?

Bevor ich eine E-Mail abschicke, drücke ich das Knöpfchen, ja.

Aber mit dem Ergebnis sind Sie nicht zufrieden.

Natürlich findet das Programm Tippfehler, aber vieles erschließt sich doch erst aus dem Zusammenhang.

Zum Beispiel?

Woher weiß denn der Computer, ob ich das Wort "sie", groß oder klein schreiben muss? Ich bekomme Mails, da wird das falsch gemacht, teilweise von Akademikern - uijuijui! Manche schreiben auch Gruss statt Gruß am Ende, die glauben, mit der Reform wurde das "ß" ganz abgeschafft. Da merkt man, dass die sich nicht einfach vertippt haben.

Aber ist es nicht so, dass sich gerade in der elektronischen Kommunikation der Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache ein bisschen verwischt?

Da läuft doch vieles total aus dem Ruder! Das schmerzt. Ich finde einfach, richtige Rechtschreibung hat etwas mit Wertschätzung zu tun - für mich selbst und für den Leser. Und noch etwas: Wir sollten unsere Sprache hegen und pflegen. Sie ist kostbar. Gerade war ich beim Bäcker, da stand so ein Schild: "Slow baking". Ich bitte Sie, in Schmargendorf!

Den meisten genügt es, in Zweifelsfällen nach dem Duden zu greifen. Sie hingegen haben gleich ein ganzes Buch geschrieben. Warum?

Weil ich vorbereitet sein wollte auf die Rechtschreibreform. Unter den gängigen Werken fand ich keines, das mir weiterhalf.

Bei Amazon gibt es rund 16 000 Bücher, die das Wort "Rechtschreibung" im Titel führen. Und keines passte?

Ich wollte das Wesen der Reform begreifen und systematisieren, mein Wissen auch an andere weitergeben, die Regeln verständlich machen.

Sind Sie immer so genau?

Ja, ich glaube, dass das wiederum Teil meines Wesens ist, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Sie sind Naturwissenschaftlerin, haben einen Doktor in Biologie.

Richtig, da liegt mir das systematische Denken. Als ich mit meinem Buch zum Haus der Deutschen Sprache ging, sagte mir der Leiter: "So kann das nur eine Naturwissenschaftlerin."

Das war als Lob gemeint?

Durchaus. Ich habe von dort viel Unterstützung bekommen. Ich glaube, ganz wichtig ist die Tatsache, dass ich eben nicht vom Fach bin. Sprachwissenschaftler stecken manchmal viel zu tief in der Materie drin, die verstehen unsere Probleme gar nicht.

Wollen Sie dem Duden Konkurrenz machen?

Nein, wenn ich wissen will, wie man "Fisimatenten" schreibt, greife ich weiterhin zum Duden. Aber der Schärer neben dem Duden auf dem Schreibtisch - das wär's!


(Link)
nach oben

verschoben


Dieser Beitrag wurde am 07.02.2011 um 08.40 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=203#7451


Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 07.02.2011 um 08.12 Uhr

muss-ich-wirklich-die-neue-rechtschreibung-beherrschen-1000102831.html (www.stern.de)

Sehr interessante Antworten, die von Unsicherheit und Versagensängsten künden...
nach oben

Ruth Salber-Buchmüller
Mülheim-Ruhr

Dieser Beitrag wurde am 23.02.2011 um 09.45 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=203#7501


debatte-sprecht-endlich-wieder-deutsch_aid_595209.html

Focus 23.2.2011
nach oben


Zurück zur Themenübersicht | nach oben


© 2004–2018: Forschungsgruppe Deutsche Sprache e.V.

Vorstand: Reinhard Markner, Walter Lachenmann, Jan-Martin Wagner
Mitglieder des Beirats: Herbert E. Brekle, Dieter Borchmeyer, Friedrich Forssman, Theodor Ickler, Michael Klett, Werner von Koppenfels, Hans Krieger, Burkhart Kroeber, Reiner Kunze, Horst H. Munske, Adolf Muschg, Sten Nadolny, Bernd Rüthers, Albert von Schirnding, Christian Stetter.

Webhosting: ALL-INKL.COM