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»Sprache und Politik«


Beiträge zum Thema

»Demokratie«

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Dieser Beitrag wurde am 18.05.2008 um 14.05 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=184#3322


Beitrag geschrieben von Karin Pfeiffer-Stolz am 18.05.2008 um 14:00 Uhr:

Demokratie ist ein leeres Gefäß, in das sich höchst Verschiedenartiges einfüllen läßt. Sie ist einem Werkzeug vergleichbar, das als Gegenstand werteneutral ist. Ein Messer etwa kann für gute Zwecke benutzt werden (Zerkleinerung von Nahrung), man kann damit aber auch Zerstörungswerke anrichten.

Demokratie: eine Herrschaftsform, die Gerechtigkeit, Friedfertigkeit und Freiheit zugleich garantiert? Eine Auffassung, wie sie weit verbreitet ist. Ich habe dies bis vor einigen Jahren selbst vorbehaltlos bejaht. Aber wir haben eine Lektion zu lernen, und die ist bitter: Demokratie als solches ist dafür nicht Garant. Sie eignet sich nicht als universelles Heilmittel zur Beseitigung aller gesellschaftlichen und politischen Übel.

Die Parteiendemokratien in den europäischen Industriestaaten tragen keine sympathischen Züge. Es ist eine Schachermentalität entstanden, bei der es nur noch um die Frage geht, wer wem möglichst viel von was auch immer wegnehmen kann. Ich schließe mich dem an, was Herr Dräger in seiner Nachricht ohne Datum formuliert hat: die scheindemokratischen Vorgänge um die Rechtschreibreform erlauben es uns in „einzigartiger Weise“, unseren Staat „von Pike auf kennenzulernen“.

Demokratie, geschickt gehandhabt, entpuppt sich als eine der perfidesten Formen, mittels der die Etablierten gefahrlos und ohne physische Gewaltanwendung Herrschaft ausüben zu können. Es ist eine Herrschaft der Worte und der Meinung. Nichtwissende und bewußt durch Massenmedien (das Zepter des modernen Herrschers) Falschinformierte dürfen (sollen!) über eine Zukunft abstimmen, von der niemand genaue Vorstellungen hat, nicht haben kann. Sie sollen abstimmen in Lebensbereichen und zu Aspekten, die ihnen völlig fremd sind und von denen sie nicht wirklich etwas wissen. Die vermeintlich souveränen Bürger geben den Politikern also eine Art Blankozustimmung. Damit können die Gewählten tun, was sie wollen. Ihre Waffen sind ihre Worte, und die führen sie Geschicklichkeit und Wucht.

(Stellen Sie sich solches Festlegen und Verteilen von Blankozusagen für das eigene Privatleben vor! Obwohl tausendfach übersichtlicher als die Politik, können wir doch nicht wissen, was uns in Zukunft blühen kann. Wir wissen genau, wie rasch sich die Umstände ändern und wie anders es kommen kann, wenn wir einen „falschen“ Weg eingeschlagen haben! Und entsprechend dieser Einsicht halten wir uns Handlungsoptionen offen so weit wie nur möglich.)

Anders in der Demokratie. Sobald der Bevölkerung klar ist, was ihnen eingebrockt worden ist, setzt Protest ein. Dieser Protest aber, das wissen wir, kommt grundsätzlich zu spät (vergl. Rechtschreibreform!). Alles ist doch längst beschlossen: demokratisch, versteht sind, will heißen: legal, gerecht, richtig, irreversibel. Wer dann noch protestiert, ist ewiggestrig, renitent, orthodox, kinder-, ausländer-, schwulen-, frauen-, usw.- feindlich, oder, um Gegner und Argument mit einem eleganten Hieb sogleich ungespitzt in den Boden zu rammen, ganz einfach ein Faschist. Damit ist die Sache erledigt. Vom hohen Throne herab spricht es, halb väterlich, halb belustigt, und zerknirscht hört sich der arme Souverän den pädagogischen Tadel an: Du hast es doch so gewollt, hast gewählt, nicht wahr? Wo warst du, als du hättest Alternativen nennen können? Hast wohl gut geschlafen, was! Und hohnlachend stimmen die Massenmedien ein in das Gelächter über die dummen, aufmüpfigen Ketzer. Wer will schon zu denen gehören! Da ist man rasch wieder bei der Stange. Ganz freiwillig. Sündenböcke, in die Wüste mit euch!

Ganz am Rande gefragt: sind demokratische Mehrheitsbeschlüsse immer gerecht? Klug? Legt man ihre Irrtümer einiger Millionen Leute zusammen, ergibt sich denn dadurch möglicherweise doch noch etwas ganz besonders Kluges, weil es auf demokratischem Wege zustandegekommen ist? Man muß kein Gegner der Demokratie sein, um so zu fragen, im Gegenteil. Das wäre sicherlich im Sinne einer gelebten Demokratie, wie sie uns als Bild vor Augen schwebt.

Demokratie hat eben viele Optionen. Auch negative. Blindes Vertrauen schadet dem, der vertraut und nutzt dem, der unredliche Absichten verfolgt. Man lese Grimms Hausmärchen, das ist die richtige Lektüre für einen verregneten Sonntag.

Was das Handeln bezüglich der RSR betrifft: Wer könnte schon sagen, welche Handlungsweisen sinnvoll sind und welche nicht? Wir selbst können nicht wissen, was morgen sein wird, und das Orakel weiß es vermutlich erst recht nicht. Jeder tue das, von dem er glaubt, daß es gut ist und folge im übrigen seinem Herzen.


Beitrag geschrieben von Germanist am 18.05.2008 um 12:31 Uhr:

Man muß feststellen, daß die offen sichtbaren groben Fehler der Reform zunächst tatsächlich eine allgemeine Beschäftigung mit der Rechtschreibung bewirkt haben, daß aber die verordnete Staatsräson und die Einheitsfront aller politischen Parteien inzwischen zu einer allgemeinen Gleichgültigkeit gegenüber der Rechtschreibung und einem entsprechendem Niedergang der gedruckten Rechtschreibqualität geführt haben. Für manche Klassenkampf-Ideologen mag auch das ein erwünschtes Ergebnis sein.


Beitrag geschrieben von Kai Lindner am 18.05.2008 um 10:22 Uhr:

Bei uns in Deutschland (im Gegensatz z.B. zu den USA) ist die Demokratie keine zivilisatorische Keule... bestenfalls ist sie eine auf echt getürkte Styroporkeule, wie man sie bei Liferollenspielern auf Ritterfesten findet – wer nicht genau hinschaut, dem kann man mit ihr vielleicht Angst machen… wer genau hinschaut, der kann nur noch den Kopf schütteln und sich belustigt abwenden.

Leben wir in einer Demokratie? Können wir “dem Wähler verantwortliche” Politiker in Entscheidungspositionen wählen? Wohl kaum, denn ohne Parteien gibt es bei uns nicht einmal Kommunalpolitik. Und wir können nicht einmal inkompetente Politiker abstrafen, denn die altgedienten Parteischranzen können sich immer wieder über die Zweitstimmen und Listenplätze ins Parlament schleichen. Wir können auch keine Parteien abstrafen, weil sie alle das gleiche Versprechen, und so ununterscheidbar sind – schließlich wollen alle die Welt retten und sind für Frieden und schrecken dafür auch vor Kriegen nicht zurück. Wir können nicht mal die Politik für gemachte Fehler in die Verantwortung nehmen – die Politikerpensionen sind und bleiben sicher.

Und wer glaubt denn, daß ein Brief an den Bundespräsidenten (der laut “Verfassung” kaum mehr als ein “moralischer” Verfassungshüter ist... so unwichtig, daß ihn nicht einmal das Volk direkt wählen darf ;-) überhaupt von ihm gelesen wird? Und dann wäre noch die Frage zu klären, ob er dann überhaupt intellektuell die Tragweite überblicken könnte… wenn man sich die letzten Kommentare von Roman “the Ruck” Herzog anschaut, zweifle ich selbst an diesem Punkt doch sehr.

Und schließlich – das hat Professor Ickler hinlänglich bewiesen – waren es die Verbände (die Lobbygruppen), die als steter Tropfen die klassische Rechtschreibung ausgehöhlt haben. Bei der Einführung der Rechtschreibung ging es um Verbandsinteressen... es ging um Geld, das man verdienen wollte… und es ging (siehe ganz oben) um ideologische Besserwisserei.

“Schriftkenntnis als Privileg der Mächtigen” – dieser Satz ist für sich schon so falsch, daß sich eine Diskussion darüber eigentlich schon erübrigt. Da hat Herr Coulmas deutlich bewiesen, daß er von Geschichte keine Ahnung hat und die Welt nur durch eine ideologische Panikbrille sieht...
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Dieser Beitrag wurde am 19.05.2008 um 18.11 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=184#3334


Im Anschluß an diesen Kommentar am 19.05.2008 um 18.01 Uhr verfaßt von Kai Lindner:

Ich würde jedem empfehlen, den Text zum Bundespräsidenten in der Wikipedia zu studieren – eigentlich liegen mir Verweise auf Wikipedia fern (denn das Niveau ist fast immer dicht über Null und die Rechtschreibung schließt sich dem nur noch an), aber gerade hier zeigt sich überdeutlich und ohne Schnörkel, daß sich hinter der Fassade des Präsidialamtes nichts versteckt. Der Bundespräsident hat keine Macht und keine Befugnisse – alles nur eine Show aus Zeiten, als man noch Kaiser, Könige oder Diktatoren zum Repräsentieren brauchte. Das, was der Präsident darf, könnte ihm das Parlament auch wegnehmen, wenn er einmal zu selbstbewußt würde.

Und somit haben Briefe an den Präsidenten den gleichen Wert, wie Briefe an den Weihnachtsmann.

Wenn überhaupt, dann wäre der Petitionsausschuß das richtige Ziel für einen Brief… aber hier sitzen eben jene Politiker, die für die Misere (mit)verantwortlich sind.

Zudem: Wenn ein Bundespräsident die Rechtschreibreform öffentlich anprangern würde, müßte er sie selbst als Problem erkennen. Aber steht denn der durchschnittliche Präsident über dem durchschnittlichen Abgeordneten? Statistik ist bei bislang neun Präsidenten schwierig… aber ich lehne mich wohl nicht aus dem Fenster, wenn ich deutlich NEIN schreibe.
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Sigmar Salzburg
Dänischenhagen

Dieser Beitrag wurde am 27.09.2008 um 09.07 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=184#3949


Gedenktag: Vor zehn Jahren, am 27.9.1998, stimmten in Schleswig-Holstein die Wähler mit Mehrheit gegen die „Rechtschreibreform“.

Das Kieler Parlament jedoch annullierte den Volksentscheid nach knapp einem Jahr. Die Landesregierung verkürzte die Geltung des Volkswillens durch Verzögerung bei der Umsetzung und Eile nach der Annullierung sogar auf nur neun Monate. Eine Verfassungsbeschwerde wurde nicht zugelassen.
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Dieser Beitrag wurde am 28.09.2008 um 12.52 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=184#3952


Kommentar von Urs Bärlein am 27.09.2008 um 14.10 Uhr

Die Rede von "allgemein bildenden Schulen" ist ja insoweit nicht ganz daneben, als es sich kaum um allgemeinbildende Schulen handeln kann, wo eine derartig blödsinnige Schreibung als vorbildliches Deutsch unterrichtet wird.


Kommentar von Pt am 26.09.2008 um 15.35 Uhr
Zur Erinnerung:

Schleswig-Holsteinischer Elternverein e.V.
Pressetext
26. September 2008

Zehn Jahre Volksentscheid gegen die Rechtschreibreform

56,4 % Zustimmung - Am 27. September 1998 stimmte eine deutliche Mehrheit der Schleswig-Holsteiner gegen die Einführung der Rechtschreibreform an den Schulen des Landes. Sie sahen voraus, was mittlerweile eingetreten ist: Die Schülerinnen und Schüler wurden Leidtragende einer hingepfuschten Reform.

Der Volksentscheid führte seinerzeit zur Einführung des neuen §4, Abs. 10 des schleswig-holsteinischen Schulgesetzes:

„In den Schulen wird die allgemein übliche Rechtschreibung unterrichtet. Als allgemein üblich gilt die Rechtschreibung, wie sie in der Bevölkerung seit langem anerkannt ist und in der Mehrzahl der lieferbaren Bücher verwendet wird."

Am 17. September 1999 kassierte der Schleswig-Holsteinische Landtag einstimmig das Ergebnis des Volksentscheids. Ein beispielloser Tiefpunkt demokratischer Kultur.

Keine Tageszeitung, kein Autor, keine Behörde, nicht einmal das Bildungsministerium, hält sich wenigstens an die vom Rat für deutsche Rechtschreibung gesetzten Regeln. So wurden im schleswig-holsteinischen Schulgesetz von 2007 aus den Allgemeinbildenden Schulen „allgemein bildende Schulen". Ein signifikanter Unterschied, auch im rechtlichen Sinn.

Allein die Kieler Nachrichten setzen in jeder Ausgabe mindestens drei Generationen von Rechtschreibregeln ein, deren älteste heute in den Schulen teilweise schon wieder als Falschschreibung gewertet werden.

Auch in alten Schulbüchern, die noch jahrelang in den Schulen im Umlauf sein werden, lesen Kinder die hergebrachten Schreibweisen, die ihnen bei eigenem Gebrauch als Fehler angekreidet werden - mit Folgen bis zu einem Notendurchschnitt, der ihnen ggf. den Zugang zu einem Studienplatz sperrt.

„Die experimentellen Reformschreibweisen sind unbegründet, dumm und überflüssig. Sie gehören auf den unbegrenzt aufnahmefähigen Müllhaufen der Politik, Sparte bildungspolitischer Sondermüll.
Wir wünschen uns wenigstens einen einzigen Politiker im Schleswig-Holsteinischen Landtag, der den Mut hat, über Parteikarrieregrenzen hinweg zuzugeben, daß die Entscheidung vom 17.September 1999 ein Fehler war und der die Initiative ergreift, die herkömmlichen Schreibweisen an den Schulen wieder als uneingeschränkt richtig zu bewerten."

sagte Dr. Ulrich Kliegis, Vorsitzender des Schleswig-Holsteinischen Elternvereins e.V.
sowie Bundesvorsitzender des Deutschen Elternvereins e.V. heute in Kiel.

V.i.S.d.P.: Dr.U.Kliegis, Schleswig-Holsteinischer Elternverein e.V., email: Kliegis@elternverein.de

Schleswig - Holsteinischer Elternverein e.V.
Geschäftsstelle:
Konsul-Lieder-Allee 36, 24226 Heikendorf
Tel. 0431 331144
Fax 0431 331146
Internet: email: info@elternverein.de
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Horst Ludwig
St. Peter, MN, USA

Dieser Beitrag wurde am 15.06.2010 um 09.06 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=184#6505


Zu Vera Lengsfeld:
"Die Gruppe um Hans-Joachim Otto, Vera Lengsfeld und Josef Philip Winkler will erreichen, dass die Rechtschreibreform zurückgenommen wird." (www.bundestag.de)
"Lengsfeld hält den Kandidaten von SPD und Grünen für die bessere Wahl. Gauck könne ein 'Repräsentant aller Deutschen' sein." (www.welt.de)
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Reinhard Markner
Berlin

Dieser Beitrag wurde am 18.07.2010 um 20.58 Uhr eingetragen.
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Hamburgs Bürgermeister verliert eine Volksabstimmung und tritt zurück. Doch halt – das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Sagt jedenfalls Freiherr von Beust. Wer glaubt's?
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Reinhard Markner
Berlin

Dieser Beitrag wurde am 19.07.2010 um 19.53 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=184#6620


»Das gilt umso mehr, als der Senat immerhin 200 000 Euro aus Steuermitteln für die Werbung ausgegeben hatte, um die gesamte Stadt mit Plakaten zu pflastern. Ein Radiospot der gegnerischen Volksinitiative „Wir wollen lernen“ wurde rechtzeitig verboten.«

Das Muster kommt einem irgendwie bekannt vor.
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Reinhard Markner
Berlin

Dieser Beitrag wurde am 15.10.2010 um 23.22 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=184#6972


Marianne Demmer, offenbar GEW-Vize auf Lebenszeit, wird mit der bemerkenswerten Aussage zitiert, es sei problematisch, »Schulen in Problemvierteln zu errichten«. In Berlin sind die Schulen in diesen Vierteln in der Regel über hundert Jahre alt.
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Reinhard Markner
Berlin

Dieser Beitrag wurde am 27.10.2011 um 11.35 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=184#8233


Gunnar Schupelius in der B.Z. über das Hü und Hott in der Schulpolitik, Schriftspracherwerb eingeschlossen.
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Jan-Martin Wagner
Kiel

Dieser Beitrag wurde am 28.10.2011 um 09.43 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=184#8234


Schupelius faßt Reaktionen von Eltern auf seinen Beitrag zusammen – siehe hier.
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Manfred Riemer
Mannheim

Dieser Beitrag wurde am 02.11.2011 um 21.14 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=184#8266


Am 27.11. wird es in Baden-Württemberg eine Volksabstimmung über "Stuttgart 21" geben. Gefragt wird man aber nicht etwa, ob man für oder gegen S 21 ist, ob weitergebaut oder gestoppt werden soll, ob der Bahnhof oberirdisch bleiben oder unterirdisch umgebaut werden soll. Nein, denn so eine Frage würden womöglich die meisten verstehen. Abgestimmt wird über eine Gesetzesvorlage:

"Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S 21-Kündigungsgesetz)

§1 Kündigung der Vereinbarungen
Die Landesregierung ist verpflichtet, Kündigungsrechte bei den vertraglichen Vereinbarungen mit finanziellen Verpflichtungen des Landes Baden-Württemberg für das Bahnprojekt Stuttgart 21 auszuüben.

§2 Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft."

Wer also dafür ist, muß dagegen stimmen, und wer dagegen ist, muß dafür stimmen. Schade, daß wohl nie herauskommen wird, wie viele Stimmen versehentlich falsch abgegeben sein werden. Man kann nur hoffen, daß die Volksverstimmungen beiderseits etwa zu gleichen Anteilen auftreten werden.
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Horst Ludwig
St. Peter, MN, USA

Dieser Beitrag wurde am 24.05.2012 um 16.18 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=184#9105


"Fußball-Randale: Deutsche Bahn initiiert Fan-Gipfel
Berlin (dpa) - Die Deutsche Bahn will der ausufernden Randale in Zügen und auf Bahnhöfen mit einem Fußball-Fan-Gipfel Einhalt gebieten. Das Treffen mit Vertretern der Vereine, des Deutschen Fußball-Bundes, der Deutschen Fußball Liga und Fangruppen soll nach den Vorstellungen des Bahn-Vorstandes im September stattfinden. Die Brisanz der Ausschreitungen habe enorm zugenommen, sagte Bahn-Vorstand Gerd Becht. Die Bahn will in Zukunft mehr Charterzüge einsetzen und die Vereine in Mithaftung nehmen." (24.05.2012 15:15)
Das ist endlich mal eine Meldung, die einem Demokraten das Herz höher schlagen läßt! Hier ist feststellbar ein Problem, und man schreit nicht nach dem Staat, sondern die Betroffenen setzen sich zusammen, weil es dazu eine Lösung geben muß, denn ohne diese wird's nur noch schlimmer; und gelöst werden kann es nur durch die Miteinanderarbeit von allen, die es direkt angeht.

Das war bei der den Kindern schändlich verordneten "Rechtschreibreform" nicht so. Idioten oben erklärten getrieben vom Selbsterhaltungstrieb von oben, da müsse doch ein Problem sein, welches also von oben aus gelöst werden muß, wozu die da von oben ihre staatliche Hilfe versprachen und durchsetzten und es dann auch kosten ließen, was es wollte. Nur war da eben kein Problem gewesen; und wir alle blechen auf Deubel-komm-raus mit unserm staatlich verschwendeten Geld und unsrer verschwendeten Schullehrzeit für etwas, was in sich sinnlos ist, denn leider nur wenige stört noch die doch sicher vaterstaatlich geruhte Zerstörung des Kulturgutes Rechte Schreibung zu gleichem Grade wie die feurige Zerstörung des rechten Anstands auf dem Fußballplatz. — Na, freuen wir uns halt wenigstens wohl wieder besseren Fußballs, und hoffen wir, daß dem nicht auch noch zuhöchst ignorante, aber zutiefst rein selbsterhaltungsgetriebene politische Machtfiguren reinreden.
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Theodor Ickler
Spardorf

Dieser Beitrag wurde am 23.06.2016 um 13.00 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=184#11401


Am 17. Juni 2016 verstarb Detlef Kleinert, langjähriges Mitglied des Bundestages (FDP) und Sprecher des fraktionsübergreifenden Antrags gegen die Rechtschreibreform. Eine Gruppe von uns Reformkritikern traf auf seine Einladung in Bonn mit ihm zusammen. Der Bundestag diskutierte dann im April 1997, vorüber die "Welt" kurz berichtete:

Bundestag streitet über Rechtschreib-Reform

Von MARTIN S. LAMBECK

Bonn - Die von den Kultusministern der Länder beschlossene Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ist bei der überwältigenden Mehrheit des Deutschen Bundestages umstritten. Das Parlament überwies am Freitag einen interfraktionellen Antrag auf Ablehnung der Reform an die Ausschüsse. Damit wird sich der Bundestag weiterhin mit der Reform beschäftigen. Der Initiator des Antrags, der FDP-Abgeordnete Detlef Kleinert, mahnte für die Rechtschreibregeln ein "transparentes und ordentliches Verfahren" an. Die unter Ausschluß der Landesparlamente und des Bundestages beschlossene Reform rechtfertige nicht den Aufwand und die entstehenden Milliardenkosten. Der CDU-Abgeordnete Franz Peter Basten bezeichnete die Reform als "schlicht überflüssig". Da die Sprache auch Rechtswirkung entfalte, die Gerichtssprache aber Deutsch sei, handele es sich auch um eine Bundesangelegenheit. Bund und Länder müßten nun aufeinander zugehen. Die SPD-Abgeordnete Liesel Hartenstein berichtete von vielen tausend Briefen verunsicherter Eltern von Schulkindern. Die Bedeutung der Reform sei von den Kultusministern völlig unterschätzt worden. Es handele sich um eine "Verkennung dessen, was Sprache für unsere Gesellschaft bedeutet". Sprache gehe alle Deutschen und damit auch und gerade den Bundestag etwas an. Die Reform lasse die Sprache verarmen. Der Grünen-Abgeordnete Gerald Häfner betonte: "Dies ist keine Reform, die etwas verbessert." Es gebe Bereiche, "die gehen die Politik nichts an". Kommissionen und Minister könnten nicht über die lebendige Sprache beschließen. Ganz anderer Meinung war Häfners Fraktionskollege Lippelt. Er plädierte für "das Reförmchen". Kritikern wie dem Schriftsteller Günter Grass warf Lippelt "Wilhelminismus" vor. Für die PDS unterstützte die Abgeordnete Böttcher die Reform. Die deutsche Sprache sei dadurch nicht bedroht.
(DIE WELT, 19.04.97)

Wir konnten die Diskussion von der Tribüne aus beobachten. Ich habe die Vorgänge anderswo dokumentiert, insbesondere die Knebelung Gerald Häfners durch seine eigene Fraktion; er konnte dann auf Antrag der FDP noch kurz und treffend sagen, was zu sagen war.

Liesel Hartenstein ist übrigens schon vor drei Jahren verstorben.
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