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»Sprachwissenschaft«


Beiträge zum Thema

»Wortbildungsprozesse und GZS
Naive Anfragen eines Laien«

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Manfred Riemer
Mannheim

Dieser Beitrag wurde am 13.09.2009 um 00.38 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=25#5360


Ich bin gerade beim Stöbern auf Herrn Wagners schon etwas älteren Beitrag über „rhythmische Versuchungen“ aus den "Schwierigen Wörtern" (83#688) gestoßen.
Dazu fällt mir eine Beobachtung ein, die mir auch auf den Rhythmus zurückführbar zu sein scheint.
So sagt man in erzgebirgischer Mundart nicht einfach Zeh(e), sondern immer Fußzeh, obwohl Fuß hierin eigentlich überflüssig ist.
Und ein Zehnpfennigstück, welches man früher allgemein auch Groschen nannte, hieß im Erzgebirge fast immer Neigrosch, also Neugroschen. Das mag zwar auch mit irgendeiner früheren Währungsreform zu tun gehabt haben, aber wenn, dann war diese längst in Vergessenheit geraten, und im Laufe der Zeit hätte sich das Wort sicher zu Grosch(en) abgeschliffen, wenn nicht das zweisilbige Neigrosch ebenso wie Fußzeh mit der klangvollen Betonung auf der ersten Silbe rhythmisch viel besser in die gesprochene Sprache paßte als das einfachere Wort mit der kaum hörbaren oder sowieso entfallenden zweiten Silbe.
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Christoph Schatte
Poznan

Dieser Beitrag wurde am 11.03.2007 um 18.21 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=25#1623


In der undeformierten Duden-Rechtschreibung findet sich unter dem Lemma wenn folgendes Aufschlußreiches:

"wenn; wenn auch; wenngleich (doch auch durch ein Wort getrennt, z.B. wenn ich gleich Hans hieße), wennschon; wennschon - dennschon; aber: wenn schon das nicht geht; komme doch [,] wenn möglich [,] schon um 17 Uhr. "
Deutlich umgangssprachlich ist im Beispiel übrigens die Imperativform "komme", ungewöhnlich zudem das Semikolon zwischen Adverbial- und Trägersatz.

Abgesehen von der - wie auch Wolfram Metz meint - wohl nur höchst selten verschrifteten keinesfalls konzessiven, sondern konditionalgefügigen Zwillingsformel kann man "wenn schon" ohne weiteres getrennt schreiben, es sei denn, demnächst wird "wenn auch" ebenfalls zu obligatorischem "wennauch" komprimiert. Der Duden von 1915 notierte bereits "wennschon" ohne weitere Einlassungen. Übersehen wird meist, daß "wennschon" keinesfalls - wie das Duden-Wörterbuch der sinn- und sachverwandten Wörter kommentarlos angibt - immer die Bedeutung von konzessivem "obgleich" hat, sondern - wie in den Duden-Redewendungen notiert - die der Gleichgültigkeit. Zum andern kann "wennschon" nicht für "wenn ... schon" eintreten:
"Wenn die Ziegen schon Gras fressen, denn sollte man die Wiese schon pflastern dürfen."
aber nicht:
*Wennschon die Ziegen Gras fressen, dennschon sollte man ..."

Im Duden-Oxford-Wörterbuch gibt es übrigens das Lemma wenn schon mit der Zuordnung Adverb.
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Wolfram Metz
Den Haag, Niederlande

Dieser Beitrag wurde am 09.03.2007 um 01.02 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=25#1607


Neulich habe ich gelernt, daß es „vor Toresschluß“ heißt und nicht „vor Toreschluß“. Heute abend nun konnte ich eine weitere Wissenslücke schließen: wennschon, dennschon. Wann kommt man schon in die Verlegenheit, so etwas zu schreiben? Wenn, dann hätte ich mich für die Getrenntschreibung entschieden, weil ich „wenn schon, denn [= dann] schon“ immer als Wortspiel auf der Basis einer Ellipse („Wenn [wir] schon [feiern] …“) gedeutet habe. Ähnlich bei „Na wenn schon!“. Die Zusammenschreibung läuft meinem Sprachempfinden zuwider. Sie ist seit 66 Jahren im Duden verzeichnet. Entspricht sie tatsächlich dem allgemeinen Schreibgebrauch?

(Bei der Suche nach einem passenden Fleckchen für diesen Beitrag im Diskussionsforum bin ich soeben auf das Thema „Warum nicht ... Wenn schon, denn schon“ gestoßen.)
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Helmut Jochems
Kreuztal

Dieser Beitrag wurde am 12.05.2005 um 11.03 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=25#93


Mit dem Zitat von K 124 aus dem Leipziger Großen Duden (zuletzt 1985) schließen auch Dieter Herberg und Renate Baudusch die "Einführung" zu ihren "111 Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung" (Getrennt oder Zusammen? Ratgeber zu einem schwierigen Rechtschreibkapitel. Leipzig: VEB Bibliographisches Institut, 1989 - im Internethandel noch antiquarisch beschaffbar!). Dr. Wagner findet dort die Antwort auf seine Frage auf S. 12 f.:

Zweifelsfälle in bezug auf die normgemäße Schreibung entstehen häufig auch durch Widersprüche, die zwischen den spezifischen Eigenschaften von Schreibungsnormen wie geringe Variabilität und Veränderlichkeit, exakte Kodifizierung und hoher Verbindlichkeitsgrad einerseits und Entwicklungstendenzen auf den übrigen Ebenen des Sprachsystems (z. B. phonologische, semantische, morphematische, lexikalische, syntaktische Ebene) andererseits immer wieder auftreten. Seit langem schon herrscht im Deutschen die Tendenz, in bestimmten Fällen, in denen eine Wortgruppe häufig wiederkehrend einen relativ abgegrenzten, einheitlichen Sachverhalt oder eine solche Erscheinung (Gegenstand, Eigenschaft, Vorgang, Beziehung) benennt und damit eine den Wörtern ähnliche Benennungsfunktion übernimmt, auch deren graphische Form der Form von Einwortlexemen anzugleichen und sie also in eine geschlossene graphische Wortform zu überführen (z. B. die Ausfahrt frei halten —> die Ausfahrt freihalten, auf Grund der Verhältnisse —> aufgrund der Verhältnisse). Diese Tendenz zur graphischen Univerbierung (Einwortschreibung) ist aufs engste mit Wortbildungsprozessen verbunden. Das orthographische Problem der Getrennt- und Zusammenschreibung ist demnach vor allem ein Reflex semantischer Eigenschaften der lexikalischen Einheiten (Wort, Lexem) auf der graphischen Ebene. Ohne die vorhandenen Einflüsse des syntaktischen und des intonatorischen Prinzips zu verkennen, kann deshalb mit guten Gründen das lexikalische Prinzip als das diesen Orthographiebereich prägende Schreibungsprinzip bezeichnet werden.

Da sich die relativ stabilen graphischen Formen langsamer als die Inhalte sprachlicher Einheiten verändern, gibt es zu jeder Zeit und natürlich auch gegenwärtig eine breite Übergangszone mit Fällen, die zwar ihrer Schreibung nach noch Wortgruppen sind, aber schon viele inhaltliche Merkmale eines Kompositums zeigen. Aus dem Umstand, daß eine Zuordnung zu einer der beiden graphischen Realisierungsmöglichkeiten — Getrennt- oder Zusammenschreibung — wegen des Prozeßcharakters der genannten Veränderungen oft nicht eindeutig möglich ist, erwachsen zahlreiche rechtschreibliche Unsicherheiten. Ihnen konnte auch die 53 Kennzahlen umfassende detaillierte Regelung im Großen Duden (18. Neubearbeitung, Leipzig 1985) bisher nicht beikommen, wovon z.B. der zwischen 5 und 10 % liegende Anteil von Regelverstößen in der Getrennt- und Zusammenschreibung an der Gesamtzahl orthographischer Fehler in Schülerarbeiten zeugt.

Orthographische Unsicherheiten ergeben sich in bezug auf die Getrennt- und Zusammenschreibung bei allen nichtsubstantivischen Wortarten als zweiten (letzten) Bestandteilen, besonders stark im verbalen Bereich. Das hat seine Ursache in tiefgehenden Wortbildungsunterschieden auf dem Gebiet der Zusammensetzung beim Substantiv, aber auch beim Adjektiv und Partizip einerseits und beim Verb und den übrigen Wortarten andererseits. Während das substantivische und zum Teil auch das adjektivische und partizipiale Determi-nativkompositum (z. B. Ofentür, gesundheitsgefährlich) von der entsprechenden Wortgruppe (z. B. Tür am Ofen oder Tür des Ofens, gefährlich für die Gesundheit) durch einen Akt formaler Umbildung und Isolierung eindeutig unterschieden und als ein Wort geprägt ist, liegen die Verhältnisse beim Verb und bei großen Teilen anderer nichtsubstantivischer Bereiche anders. Dort stehen die Glieder der Wortgruppe zumeist in genau der Reihenfolge nebeneinander, die sie als Konstituenten nach erfolgter Zusammensetzung einnehmen (z.B. schwimmen gehen/spazierengehen, voll besetzt/vollbesetzt, um so mehr/umsomehr). Die einzige Strukturveränderung als Folge der vollzogenen inhaltlichen Verschmelzung ist bei dieser „Zusammenziehung" der Wegfall des Spatiums (der Spatien). Das Fehlen zuverlässiger morphologischer Anhaltspunkte führte dazu, daß für die Regelung dem zentralen, aber für den Schreibenden oft nicht ausreichend sicher anzuwendenden semantischen Kriterium andere Hilfskriterien an die Seite gestellt wurden, von denen das aus der gesprochenen Sprache bezogene Betonungskriterium die größte Rolle spielt.

Einer generellen und einfachen Regelung steht auch die Tatsache entgegen, daß im Bereich der einzelnen den zweiten (letzten) Bestandteil stellenden Wortarten unterschiedliche Informationen mit Hilfe der Getrennt- und der Zusammenschreibung transportiert werden. Im Regelapparat spiegelt sich das in unterschiedlichen Bündelungen von Kriterien wider, die oft in keinem eindeutigen hierarchischen Verhältnis zueinander stehen, wodurch die Anwendung der betreffenden Regel auf den Einzelfall erschwert wird.
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Jan-Martin Wagner
Jena

Dieser Beitrag wurde am 11.05.2005 um 19.08 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=25#91


Am 11.04.2005 ließ Herr Ickler seinen Blick in die Runde schweifen und kam dabei unter anderem zu folgendem Gedanken:

Aber daß schon eine hieb- und stichfeste Formulierung von § 34 wochenlange Arbeit einer kompetenten Redaktion erfordern würde, wissen wohl die meisten nicht. Man müßte ja gleichzeitig den gesamten Wortschatz durchgehen und die Folgen der neuen Regeln untersuchen.

Ich gab in diesem Zusammenhang zu bedenken:

Und nicht nur das: Es muß auch an und in die Zukunft gedacht werden, welche Auswirkung der „reparierte“ Paragraph auf Wortbildungsprozesse hat. Wenn an der falschen Stelle ein Rest von Präskriptivität verbleibt...

Das bringt mich zu den Fragen, wie weitgehend die Wortbildungsprozesse des Deutschen erforscht sind und ob sich aus den dabei gewonnenen Erkenntnissen Rückschlüsse für eine sinnvolle Regelung der Zusammen-/Getrenntschreibung ableiten ließen. Oder beträte man dabei das Gebiet der sog. generativen Grammatik, womit andere Fallstricke verbunden wären, auf die man sich besser nicht einläßt? Oder wäre das letztlich ein aussichtsloses Unterfangen, alldieweil schon vor Jahren im Leipziger Duden nachzulesen stand, was Herr Jochems an anderer Stelle zitierte:

"Dem Wandel von der Getrennt- zur Zusammenschreibung liegt oft ein Bedeutungswandel zugrunde. Er ist also in erster Linie ein sprachlicher, erst in der Folge ein rechtschreiblicher Vorgang. Wesentlich ist, daß die Schreibung sinnvoll und unmißverständlich ist.
Da die Entwicklung nicht abgeschlossen ist und das Nebeneinander gedanklich zusammengehöriger Wörter oft eine verschiedene Deutung zuläßt, ergeben sich häufig Fälle, wo beide Schreibungen möglich sind und wo man die persönliche Entscheidung gelten lassen muß.
Bedeutung, Betonung und Schreibung sind oft voneinander abhängig. Die Betonung gibt Hinweise für die Schreibung."

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