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»Sprachwissenschaft«


Beiträge zum Thema

»Linguistik und Wissenschaftlichkeit«

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Oliver Höher
Braunschweig

Dieser Beitrag wurde am 30.08.2011 um 14.45 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=171#8120


Hier bietet sich dem Duden ein neues Betätigungsfeld: ein Regelwerk zur Gesprächsführung muß her.

Ob zwei Freunde telefonieren, der Nachbar über das Wetter redet oder Kollegen Gerüchte austauschen - stets gehorchen solche alltäglichen Wortwechsel einem komplizierten Regelwerk. Es steht in keinem Duden, macht reibungslose Gespräche aber erst möglich, seien sie inhaltlich noch so banal, grammatikalisch voller Fehler und stilistisch verstümmelt.

Gleichzeitig wieder einmal ein unterhaltsamer Beweis dafür, daß manche Wissenschaftler mit ihrer Zeit nicht viel anzufangen wissen.
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David Weiers
Troisdorf

Dieser Beitrag wurde am 07.04.2008 um 00.02 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=171#3139


(Ausgewichen von hier.)

Natürlich existieren Theorien in der Sprachwissenschaft, das ist gar keine Frage. Und selbstverständlich ist die Sprachwissenschaft wie eine jede andere wirkliche Wissenschaft auch theoretisch untermauert. (Ich will das später aber noch einschränken.)

An anderer Stelle auf diesen Seiten ist einmal behauptet worden, die Geisteswissenschaften seien keine richtigen Wissenschaften; wohl aus dem Grunde, weil sie keine – wie Lem sie in seinen Essays öfters betitelte – "exakten Wissenschaften", also keine Naturwissenschaften seien.
Diese Begründung kann man so nicht stehen lassen, obgleich etwas dran ist: Wo in den Naturwissenschaften empirisch begründete Theorien stehen, müssen in Geisteswissenschaften oftmals Hypothesen ausreichen; wenn in den Naturwissenschaften exakt das Wie geklärt wird, kann in den Geisteswissenschaften die Frage danach oft nur unter Vorbehalt beantwortet werden; und das Warum ist damit dann in vielen Fällen noch lange nicht geklärt.
Das liegt aber nun einmal in der Natur der Sache: archäologische Artefakte beispielsweise können nun einmal nicht sprechen. Genausowenig allerdings sagt ein vier Millionen Jahre alter Zahn etwas über die Weltanschauung seines Trägers aus. (Weshalb die pädagogisch äußerst bemühten Ausführungen eines Lloyd deMause zu den doch so kinder- wie frauenfeindlichen sozialen Strukturen der Australopithecinen dann doch eben etwas seltsam anmuten...)
Kurz: Es gibt Fragen, auf die man keine "naturwissenschaftlich exakten" Antworten geben kann; man kann sie aber unter geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkten vielleicht durchaus beantworten, sofern es natürlich möglich ist, sie geisteswissenschaftlich zu beleuchten.

In bezug auf die zugrundeliegende theoretisch begründete wissenschaftliche Methodik (und die meinte ich eigentlich mit zugrundeliegender Theorie) arbeiten beide "Zweige" aber gleich: z.B. muß das Prinzip der Folgerichtigkeit gewahrt bleiben, wie ich auch darauf achten muß, Hypothesen von Theorien sauber zu trennen.
Mische ich aber die Methoden (lege ich also naturwissenschaftliche Maßstäbe an naturwissenschaftlich nicht Untersuchbares an), dann kommt nichts Aussagekräfiges heraus. Ich werde also das "Zahnmotiv" in Thomas Manns Romanen niemals naturwissenschaftlich untersuchen können, weil es unter naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten kein "Gegenstand" ist. Will ich aber andererseits Aussagen zu Wasserstoffbrückenbindungen treffen, hilft es mir herzlich wenig, wenn ich dazu motivgeschichtliche Quellenanalysen anstelle. (Warum es z.B. auch vollkommen unsinnig ist, kosmologische Aussagen im biblischen Schöpfungsbericht zu suchen, hat übrigens genau hiermit etwas zu tun. Aber das führte wirklich zu weit.)

Das alles sind vielleicht Allgemeinplätze, aber ich denke, es ist nicht unwichtig sie hier zu erwähnen, denn das führt mich zu der Überlegung: Wenn auch die Sprachwissenschaft "wissenschaftstheoretisch sauber" arbeitet, dann müßte sie auch widerspruchsfreie Ergebnisse liefern können.

Besonders in ihrem historisch betrachtenden Zweig ist das ja nun der Fall; daß es sich hier oftmals um Hypothesen und nicht um Theorien handelt, ist ja zweitrangig. Doch wenn ich verschiedenste Grammatikmodelle eben wuchern lasse, dann aber feststellen muß, daß die "sprachliche Wirklichkeit" sich durch sie nicht hinreichend beschreiben oder gar erklären läßt, dann muß ich daraus meine Schlüsse ziehen und eben meine Modelle überprüfen bzw. revidieren. Und wenn meine Modelle immer wieder unzureichend sind, dann muß ich mich mal ganz simpel fragen: "Was will ich eigentlich beschreiben?"
Ich habe den Eindruck, daß sich so mancher Schöpfer einer Grammatiktheorie diese Frage gar nicht erst gestellt hat...

Diese (nicht zuletzt methodische) Orientierungslosigkeit hinsichtlich der Zielsetzung des eigenen Strebens scheint mir aber eine Berufskrankheit von "Linguisten" als solchen zu sein. Und meiner Ansicht nach hat das wiederum Auswirkungen in ganz basalen Bereichen. Beispielsweise erinnere ich mich gut an die Probleme, die ich als Student hatte, als ich mir die Definition von Phonem aneignen wollte. Da herrschte durchaus Dissenz bei den Damen und Herren des Faches. Und die Ausführungen in den Vorlesungen des Herrn Professor K. (ich habe in einer rheinischen Bundesstadt studiert) waren auch nicht eben hilfreich, denn der beschränkte sich darauf, mit beinahe kabarettistischer Süffisanz vorzuführen, was denn ein Phonem alles nicht sei und wessen Darstellung der Sache denn eben wieder mal falsch wäre...

Ich habe den Eindruck, daß ein Dutzend linguistischer Darstellungen zu diesem Thema in einem Dutzend linguistischer Publikationen von mehreren Dutzend kontroversen Ergänzungen begleitet werden könnten.
Prinzipiell nichts dagegen: alles im Rahmen. Ist ja keine Schande, wenn man etwas eben nicht "naturwissenschaftlich exakt" beschreiben bzw. erklären kann.
Doch angesichts so mancher linguistischer Darstellung (und auch angesichts so manchen Grammatikmodells) dann drängt sich mir unweigerlich die Frage auf: "Was wollen die Linguisten eigentlich?" – Sprache beschreiben? Sie "erklären"? Oder wollen sie vielleicht noch viel mehr: die Welt erklären, den Menschen als Homo loquens in seinen Beziehungen zur "Welt als solcher" restlos und gänzlich durchschauen? Suchen sie vielleicht sogar nach dem Urgrund des menschlichen Strebens nach Erkenntnis schlechthin? Suchen sie Gott?

Immer dann, wenn sich solche Fragen in mir ansammeln und zum Ausbruch drängen, schüttele ich den Kopf und denke bei mir: "Jaja, so weit kann es kommen, nur weil man sprechen kann."
Aber das stimmt ja auch nicht. Richtiger ist doch: "So weit kann es kommen, nur weil wenn man es irgendwo versäumt hat, methodisch zu denken."
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